Die Welt am Sonntag - 18.08.2019

(lily) #1
Präsidenten verhasst gewesen. Charles
de Gaulle hat nur eine einzige Nacht
dort verbracht. Es soll die schlimmste
seines Lebens gewesen sein. Das Bett
war viel zu klein für den 1,96 Meter gro-
ßen Mann, und die Mücken haben ihn
geplagt. Selbst bei seinen Feldzügen in
Afrika soll er nicht derart „unbarmher-
zige Mücken“ erlebt haben. Dennoch
beschloss er in dieser schlaflosen
Nacht, verstehe das, wer will, aus dem
Fort de Brégançon die zukünftige Som-
merresidenz des französischen Präsi-
denten zu machen. Der Sozialist Fran-
çois Hollande wollte diese Tradition am
liebsten ganz abschaffen: Nach einem
offensichtlich missglückten Urlaub mit
seiner damaligen Lebensgefährtin
Valérie Trierweiler ging das Ge-
bäude für kurze Zeit in die Ob-
hut des Kulturministeriums
über. Man darf seither die
geheimnisvollen Gemäuer
besichtigen, die die Fran-
zosen Sommer für Som-
mer träumen lassen. Na-
türlich nur, wenn der Prä-
sident nicht dort weilt.
Wer den Ort besichtigt,
stellt fest, dass sich Macron
zwar einen Außenpool hat
bauen lassen, der 34.000 Euro
gekostet haben mag, die Innenaus-
stattung aber, einem provenzalischen
Landhaus nachempfunden, hat sich seit
Valéry Giscard d’Estaing nicht mehr ge-
ändert. Das Sofa mit Troddelbordüre im
grünen Salon ist 70er-Jahre pur und hät-
te heute selbst bei Airbnb schlechte
Karten. Auch das Arbeitszimmer, im
Turm gelegen, besticht eher durch die
Aussicht als durch seine Ausstattung.
Doch Brégançon ist ein Ort, der die
Fantasie der Franzosen beflügelt. Jahr
für Jahr werden Reporter entsandt, um
das Geschehen im Auge zu behalten und
die Sommerfrischler am Strand zu be-
fragen, was sie vom Urlaub ihres Staats-
oberhauptes halten, während auf den
Booten in der Bucht die Paparazzi düm-
peln, um einen Präsidenten in Badehose
vor die Linse zu bekommen. Der
schmalbrüstige Giscard d’Estaing hat
sich gern im Meer planschend gezeigt.
Es gibt legendäre Fotos von der schwan-
geren Carla Bruni. Auch von Jacques
Chirac in Badehose mit Straßenschuhen
und schwarzen Socken. Ihn bekamen
die Fotografen auch einmal vor die Lin-
se, wie er am Fenster der Festung auf
die Yacht von Michael Schumacher
starrte, von der aus der Rennfahrer im
Helikopter abhob: Der König hatte nur
ein Fernglas um den Hals und war an-
sonsten splitternackt. Eine Satirezeit-
schrift hatte den Scoop, aber das Be-
weismaterial verschwand. Die französi-
sche Presse hat es nie veröffentlicht.
Von den Macrons sieht man am meis-
ten auf den Social-Media-Kanälen ihrer
Mitarbeiter: Der Leibkoch postet Fotos
von „pain au chocolat“ und „pâté en
croute“ vor dem Panorama des Mittel-
meers. Und Macrons Hoffotografin füt-
terte die Neugierde mit einem künstle-
rischen Schwarz-Weiß-Foto, das den
Präsidenten im Joggingoutfit zeigt, sei-
nen Mischlingshund Nemo zärtlich auf
den Kopf küssend. Nach gut zwei Wo-
chen gab Macron den Paparazzi endlich,
worauf sie gewartet hatten: ein Foto in

M


an stelle sich vor,
Angela Merkel
verbrächte ihre
Sommerferien
nicht in einem
Hotel in Sulden
in Südtirol, son-
dern in einer staatseigenen Sommerre-
sidenz. Man male sich weiter aus, wie
die Kanzlerin ihr Quartier in einer jahr-
hundertealten Burg auf einer Felsenin-

sel bezöge, von der aus sie einen 360-
Grad-Ausblick auf die Ostsee genösse.
Zum Schluss mache man sich klar, dass
sie dort nicht nur Ehemann Joachim
Sauer, sondern auch zahlreiche Famili-
enangehörige beherbergen würde und
ihrer Sommergesellschaft Croissants
servieren ließe, frisch gebacken vom
Koch des Kanzleramtes. Und wenn sie
mal keine Lust auf Meer hätte, könnte
sie sich auch in einem volkseigenen
Jagdschlösschen bei Potsdam zerstreu-
en. Undenkbar? Irgendwie schon.
Das Szenario, das in Deutschland wie
Satire klingt, ist in Ländern wie den
USA, Spanien oder Frankreich selbst-
verständliche Wirklichkeit. Der US-Prä-
sident hat Camp David. Der spanische
Regierungschef verfügt, unter anderem,
über den Palacio de las Marismillas in
Andalusien direkt am Atlantik. Und wer
sich dafür interessiert, wie Emmanuel
Macron seinen Sommerurlaub ver-
bringt, der versteht, warum Frankreich
bis heute wirkt wie eine Demokratie mit
einem Wesen an der Spitze des Staates,
das halb gewählter Präsident, halb aus-
erwählter Monarch ist.
Am 24. Juli verlegte Macron seinen
Arbeitsplatz aus dem Élysée-Palast ins

Am 24. Juli verlegte Macron seinen
Arbeitsplatz aus dem Élysée-Palast ins

Am 24. Juli verlegte Macron seinen

Fort Brégançon, um dort vier Wochen
eines „ruhigen und arbeitsamen Ur-
laubs“ zu verbringen, so der Wortlaut
aus dem Élysée, wo man auf keinen Fall

laubs“ zu verbringen, so der Wortlaut
aus dem Élysée, wo man auf keinen Fall

laubs“ zu verbringen, so der Wortlaut

den Verdacht aufkommen lassen will,
der Präsident würde zwischen Gelbwes-
tenkrise und Rentenreform ein paar
Wochen einfach nur abhängen wollen.
Er reiste in Begleitung seiner Frau Bri-
gitte, 66, die sich nach Informationen
des Klatschmagazins „Closer“ kurz zu-
vor einem kleinen schönheitschirurgi-
schen Eingriff unterzogen hatte. Das
Fachblatt berichtete auch, wie viele Kin-
der und Enkelkinder Brigittes sich an
der Côte d’Azur eingefunden haben.
Dort lassen sich schöne Sommer ver-
bringen. Das Fort de Brégançon liegt
einmalig schön auf einer Felseninsel
zwischen Hyères und Toulon, 35 Meter
über dem Meeresspiegel, inmitten der
türkisfarbenen Pracht des südlichen
Meeres und ist nur durch einen künst-
lichen Damm mit dem Festland verbun-
den. Macrons Vorgänger Jacques Chirac
fand es „zum Sterben langweilig“. Fran-
çois Mitterrand empfand die von außen
schmucklose Festung als eine ästheti-
sche Beleidigung für die Augen des so-
zialistischen Schöngeistes, der er war.
Nicolas Sarkozy zog den Sommersitz
seiner adligen Ehefrau Carla Bruni am
Cap Nègre vor, nur wenige Kilometer
entfernt. Wenn man nur ein wenig in
den Archiven kramt, dann wirkt es, als
sei das Fort de Brégançon den meisten

Badehose, auf dem Weg zum Strand, ei-
nen Aktenordner unter dem Arm.
Wenn Macron am Montag Wladimir
Putin zum „Arbeitstreffen“ auf der Fes-
tung empfängt, dann spätestens wird
klar, dass die Sommerresidenz auch nur
eine Bühne ist, auf der sich die Macht
inszeniert. Man wird die Staatschefs se-
hen, in spektakulärer Kulisse, ohne Kra-
watte, hemdsärmelig: eine politische

Postkarte. Die Bilder werden wirken,
als ließen sich die Probleme der Welt
besser bei einem Barbecue mit einem
Glas Rosé lösen als in vergoldeten
Amtssitzen. Dass das nicht immer
stimmt, hat Großbritanniens geschei-
terte Premierministerin Theresa May
erfahren. Sie war letztes Jahr Macrons
Gast im Fort de Brégançon. Nun ist sie
ihr Amt los.

Sommersitz gewählter
Herrscher: Das Fort
Brégançon thront auf
einer Felseninsel vor
der Côte d’Azur

BERTRAND RIEGER/HEMIS.FR/LAIF

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18.08.1918. AUGUST 2019WSBE-HP


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1 8.AUGUST2019 WELT AM SONNTAG NR.33 POLITIK 7


Zu hoch gehängt


Die Behauptung: „Der Spiegel“ soll
eine Karikatur veröffentlicht haben,
die Italiens rechtem Innenminister
Matteo Salvini das gleiche Ende wie
dem faschistischen Diktator Benito
Mussolini vorhersagt: kopfüber vom
Volk gehängt.
Der Absender:Die fremdenfeindli-
che Website „Imola Oggi“.
Die Wahrheit:Im „Spiegel“ erschien
die Zeichnung nie. Der slowakische
Karikaturist Marian Kamensky ver-
breitete sie auf seiner Homepage
und bei Twitter, dazu einen Link zu
„Spiegel Online“ über die aktuelle
Lage der italienischen Politik.
Der Hintergrund:Salvini hatte gera-
de das Ende der Koalition verkündet
und gefordert, die Italiener sollten
ihm bei Neuwahlen „die volle
Macht“ geben. So hatte es auch Mus-

solini vor 87 Jahren formuliert. 1945
wurde er exekutiert, seine Leiche auf
einem Platz in Mailand aufgehängt
und von Bürgern geschändet.
Die Konsequenzen: Italienische Me-
dien deckten die Lüge auf, „Imola
Oggi“ korrigierte sich. Trotzdem
postete auch Salvini die Karikatur.
Sein Kommentar: „Sympathisch, die-
ser Karikaturist vieler deutscher Zei-
tungen, der mich kopfüber hängt ...
Welche Schande.“

LÜGENDETEKTOR

VONVIRGINIA KIRST

Festung der FANTASIE


Ob de Gaulle oder


Macron: Kein


französischer


Präsident entkommt


dem Urlaub im


Fort de Brégançon.


Es ist nicht nur


Sommerresidenz –


sondern auch


spektakuläre


Bühne der


Macht


VONMARTINA MEISTER
AUS PARIS

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Hyères

Mittelmeer

Fort de
Brégançon

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Emmanuel Macron und die damalige
britische Premierministerin Theresa
May (vorn, v. l.) mit ihren Ehepart-
nern Brigitte und Philip (hinten v. l.)
auf Fort Brégançon. Unten: Ein Salon
im Innern der Burg

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