Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

18 Weltwoche Nr. 32.
Bild: Gaetan Bally (Keystone)


V


ergessen scheinen Fleiss, Arbeitsamkeit
und Schaffensfreude. In der Schweiz ver-
breitet sich leider ein gegenteiliges Phäno-
men. Und zwar bereits bei jungen Menschen,
Frauen wie Männern. Sie sind an unseren Uni-
versitäten, Hoch- und Fachschulen auf Kosten
der Steuerzahler vorzüglich ausgebildet wor-
den. Jetzt stehen sie am Beginn ihrer Werk-
tätigkeit. Nun ginge es für den hochqualifi-
zierten Nachwuchs eigentlich darum, sich ins
Berufsleben zu stürzen. Mit vollem Engage-
ment. In einer 100-Prozent-Anstellung.
Doch davon wollen viele der meist akade-
misch Geschulten nichts wissen. «Ich möchte
die Sache mit meinem Beruf easy angehen»,
hören wir von ihnen. «Mir geht es um eine
gute Work-Life-Balance», verkünden sie.
«Freizeit, Ferien und Faulenzen sind mir
wichtiger als die berufliche Karriere», tönt es
gewichtig und bestimmt. Und dann verneh-
men wir von diesen Zwanzigern und Dreissi-
gern, sie hätten sich erst mal für 50 oder 70
Prozent anstellen lassen. Alles easy.
Diese Jungen mögen Minimalisten sein.
Aber dumm sind sie nicht. Weil sie eine gute
Ausbildung absolviert haben, können sie
durchaus rechnen. «Was nützt uns ein doppel-
tes 100-Prozent Salär?», fragte mich ein Pär-
chen, er Jurist, sie Ärztin, ein Kind. «Das lohnt
sich nicht im Geringsten.» Wegen der steuer-
lichen Heiratsstrafe sind die beiden unverhei-
ratet. Die Steuern, vor allem die progressiven
Bundessteuern, seien so bemessen, dass sich
ein hohes Einkommen nicht lohne. Mit einem
bewusst tiefer gehaltenen Lohn bestehe über-
dies die Chance auf günstigere Krippentarife.
Und dereinst auf den Einzug in eine Genos-
senschaftswohnung. Und auf eine Verbilli-
gung der Krankenkassenprämien.
Weil viele einheimische Junge trotz ausge-
zeichneter Ausbildung nicht voll arbeiten
wollen, klagt die Wirtschaft prompt über einen
Fachkräftemangel. Begleitet vom Ruf nach dem
Import ausländischer Fachkräfte. Doch so zer-
stören wir unsere Wertschöpfung. Trotz oder
vielmehr wegen der Personenfreizügigkeit ist
die Schweiz punkto Produktivität bei einem
Vergleich von 26 Staaten auf den zweitletzten
Platz vor Italien zurückgefallen. Blöd sind nicht
die minimalistischen Teilzeitberufseinsteiger.
Blöd ist ein Staat, der den vollen beruflichen
Einsatz der Jungen bestraft. Wir brauchen
100-Prozent-Berufsleute. Nur um als Bundesrat
gewählt zu werden, reichen 51 Prozent.


F


ast alle Versuche der Schweizer Parteien,
ihre eigenen Richter an die kurze Leine zu
nehmen, sind bisher gescheitert. Weil sich die
Richterinnen und Richter, von Ausnahmen ab-
gesehen, einmal gewählt, ihren Parteien nicht
mehr wirklich verpflichtet fühlen. Das ärgert
die Partei-Munis rechts, links und in der Mitte.
Während mehr als einem halben Jahrhundert
war das Steuerhinterzieher-Geheimnis die hei-
lige Kuh der bürgerlichen Parteien. Für Bundes-
rat Hans-Rudolf Merz war klar, die Amerikaner
werden sich am Steuerhinterzieher-Geheimnis
die Zähne ausbeissen. Es kam alles anders.
Bund, Bankenkommis sion und Nationalbank
retteten die UBS. Und der Bundesrat musste auf
dem Altar der UBS gleich noch das Steuerhinter-
zieher-Geheimnis opfern.
In den darauffolgenden bewegten Zeiten
kauften die Deutschen jede Menge CDs mit Da-
ten von Steuerhinterziehern. Darunter befan-
den sich auch 65 000 Konten von Französinnen
und Franzosen. 20 0 00 mit Namen. 45 0 00 ohne.
Absolut zu Recht verlangten die Franzosen
die Herausgabe der 45 000 noch namenlosen
Konten. Absolut zu Recht gab der SVP-Bundes-
rat Ueli Maurer grünes Licht, damit die Franzo-
sen ihre Pappenheimer nachbesteuern können.
Axel Weber und Sergio Ermotti wollten das
verhindern. Deshalb beschritt die UBS den
Rechtsweg. Entscheiden musste in letzter Ins-
tanz unser Bundesgericht. Die parteipolitische

Zusammensetzung der zuständigen Kammer:
zwei Grüne, zwei Mannen von der SVP und ei-
ner von der CVP.
Am Freitag, dem 26. Juli 2019, entschied das
Bundesgericht. Jeder Bundesrichter legte seine
Position offen dar. Vor dem Mittagessen unter-
stützten die zwei Grünen den SVP-Bundesrat
Ueli Maurer; der CVP-Richter – zum Entsetzen
aller Freunde des Rechtsstaates – die UBS.
An der Zürcher Bahnhofstrasse knallten die
Sektkorken. Alle waren überzeugt: Jetzt kom-
men noch die zwei SVP-Bundesrichter, jetzt
kann nichts mehr schiefgehen.
Die eiskalte Dusche kam am Nachmittag:
SVP-Bundesrichter Yves Donzallaz stimmte für
die Herausgabe der Daten. Endstand 3:2 für die
Weissgeld-Strategen gegen die Verteidiger des
Steuerhinterzieher-Geheimnisses.
Die SVP drohte ihrem Bundesrichter öffent-
lich mit der Abwahl, nur weil er Ueli Maurer
unterstützt hatte. Auch andere UBS-nahe Parla-
mentarier bliesen in das gleiche Horn.
Der Staub wird sich legen. Die Steuerhinter-
zieher werden zahlen. Und bei der nächsten
Bundesrichterwahl wird Donzallaz von all je-
nen komfortabel gewählt, die der SVP eins aus-
wischen wollen. So funktioniert ausgleichende
Gerechtigkeit. So funktionieren checks and balan-
ces made in Switzerland.

Mörgeli


Fehlanreize


für Faulenzer


Von Christoph Mörgeli


Bodenmann


Nix fremde Richter


Von Peter Bodenmann _ Fast 45 000 französische Steuerhinterzieherinnen
und Steuerhinterzieher zittern seit dem 26. Juli 2019.

Weil SVP-Bundesrichter Yves Donzallaz den SVP-Bundesrat Ueli Maurer unterstützte.

Der Autor ist Historiker und ehemaliger SVP-Nationalrat.


Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident
der SP Schweiz.
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