Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1
FOTOS:WERNER OTTO BILDARCHIV; UNITER/FACEBOOK (2)

Auf dem
Drachen fels nahe
Bonn versam­
melten sich über
100 Menschen im
November 2018

Der Anführer war ein Elitesoldat. Er nennt sich „Hannibal“, wie der Feldherr in der Antike


er Oberkomman­
dierende für Europa
wartet auf einer
Bank am Kölner
Heumarkt, er trägt
ein blau­weiß ka­
riertes Hemd, eine
blau getönte Ray­
Ban­Brille, eher schmächtig, wacher Blick.
Man sitzt gerade 15 Minuten mit ihm zu­
sammen, da stoßen drei kräftig gebaute
Gefolgsleute dazu. Die Botschaft des
Trupps: Vorsicht, der Oberkommandieren­
de ist nicht allein!
André S. nennt sich gern „Hannibal“.
So wie der Feldherr aus der Antike. Und
auch so wie der Held einer US­Actionserie
aus den 80er Jahren. Der war ein Ex­Soldat
und Meister der Tarnung. André S. scheint
diese Art Andeutung zu gefallen.
Er darf sich als Bundeswehrsoldat nicht
öffentlich äußern, aber selbst wenn er es
täte, wäre er redegewandt genug, heiklen
Fragen auszuweichen. Offiziell ist der
34 ­Jährige nur ein Hauptfeldwebel. Aber er
hat bei den Elitesoldaten des Kommandos
Spezialkräfte (KSK) gedient. Drei Mal war
er im Einsatz in Afghanistan.
Eines steht fest: „Hannibal“ ist mehr als
ein kleiner Soldat. Er ist Mitgründer,
Schatzmeister und so etwas wie der inof­
fizielle Chef eines Vereins namens Uniter
(lateinisch für „in eins verbunden“). Der
gibt sich in seinen offiziellen Selbstdarstel­
lungen zwar brav: Man fördere die poli­
tische Bildung und berate öffentliche
Einrichtungen in Sicherheitsfragen. Aber

das ist nicht die ganze Wahrheit: Dieser
Verein mit Sitz in Stuttgart veranstaltet
Gewaltmärsche im Wald. Er bietet Kurse im
Schießen, im Boden­ und Nahkampf. Er
ist Teil eines Netzwerks, in dem auch Be­
kanntschaften mit Männern gepflegt wur­
den, die inzwischen des Rechtsterrorismus
verdächtig sind.
Laut eigenem Organigramm hat Uniter
ein „Continental High Command“, also ein
„kontinentales Oberkommando“. André S.
ist der Leiter für Europa. „Hannibal“ ist
nicht nur von sich überzeugt, er überzeugt
auch andere. In seinem Verein tummeln
sich Noch­ und Ex­Soldaten, unter ihnen
frühere Afghanistan­Kämpfer, Verfas­
sungsschützer und Polizisten sowie Leute
aus der Sicherheitsbranche. Ihnen gefällt
das paramilitärische Gehabe – und sie ver­
trauen ihrem Feldherrn „Hannibal“.
Auf einer Feier in der Nähe von Heil­
bronn im Mai überreichten ihm die Kolle­
gen ein Schwert als „Anerkennung seiner
Verdienste“. Man stehe „geschlossen hin­
ter Hannibals Personalentscheidung“, den
Posten als „Landesdistriktleiter“ Deutsch­
land, den er neben seinen anderen Funk­
tionen innehatte, an einen Vertrauten
abzugeben. Eine Mutprobe schloss sich an:
Mehrere Mitglieder liefen barfuß über ein
Feld aus Glasscherben.
Die Huldigungen müssen ihm gutgetan
haben, denn zuletzt hatte „Hannibal“ dem
Verein schlechte Schlagzeilen beschert, als
herausgekommen war, dass er und ein Ver­
einskollege zumindest lose Kontakte zu
dem als Rechtsterrorist verdächtigen

Oberleutnant Franco A. unterhalten hat­
ten. Mindestens zwei Mal war Franco A. bei
Treffen mit André S. dabei. Seit 2017 nahm
das Bundeskriminalamt Uniter ins Visier.
Weil man bei S. Teile einer Übungshand­
granate der Bundeswehr fand, ermittelt in­
zwischen auch die Staatsanwaltschaft
Stuttgart gegen den Soldaten.
Vor einiger Zeit hielt „Hannibal“ seine
Angst vor Zuwanderung in einem Chat
fest. Er schrieb: „Wenn der Konflikt nicht
dieses oder nächstes Jahr kommt, brauchen
wir in spätestens zehn Jahren gar nicht erst
daran denken uns wehren zu wollen.“ Im
Flüchtlingsjahr 2015 hatte „Hannibal“
überdies bundesweit Chatgruppen koor­
diniert, in denen sich sogenannte Prepper
über einen möglichen „Katastrophenfall“
austauschten – auch mit Franco A.
Die Prepper­Szene hat sich in den ver­
gangenen Jahren in Europa ausgebreitet.
Unter den Anhängern finden sich auch
Verschwörungstheoretiker, „Reichsbürger“
und Rechtsextreme. Gegen drei Männer
aus der Chatgruppe „Nordkreuz“, von
denen einen auch „Hannibal“ kennt, ermit­
telt nun die Staatsanwaltschaft Schwerin
und der Generalbundesanwalt. Bei einem
„Zusammenbruch der staatlichen Ord­
nung“, so der Verdacht des Generalbundes­
anwalts gegen zwei der Männer im Norden,
sollten „Vertreter des politisch linken
Spektrums“ ermordet werden.
Das sind massive Vorwürfe. Gegen Uni­
ter richten sie sich nicht, dort will man mit
Extremisten nichts zu tun haben. Aber wie
glaubhaft ist das?

D


36 8.8.2019
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