Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1
FOTO: SERGEN ISICI

Vor der Konzerthalle liegen leere


Prosecco-Dosen und „Durstlö-


scher“-Tetrapaks. Von irgendwoher


riecht es nach Marihuana. Viele


Jugendliche, vor allem Mädchen


und junge Frauen, Mittel- und


Oberstufe, sind an diesem Samstag-


abend im Juli zur Halle 7 auf dem


Messegelände in Bremen gekom-


men. Und viele Mütter und Väter,


die gern im Raucherbereich neben


der Halle stehen, mit Bier in der


Hand. Die Mädchen sind oft stark


geschminkt, die Jungs haben Pickel,


Undercuts und Hoodies, die Kapu-


ze auch mal überm Kopf, wie der


Typ, dessentwegen sie alle hier sind:
Capital Bra.
„Er ist Deutschlands erfolgreichs-
ter Rapper“, dröhnt eine Stimme
durch die Halle. „Zwölf Nummer
Eins Hits“, wird auf der Leinwand
über der Bühne eingeblendet, ir-
gendwo zwischen Kinotrailer und
Powerpoint-Präsentation, und die
Stimme dröhnt weiter: „Freut euch
auf einen unvergesslichen Abend.“
Ein deutschsprachiger Rapper,
dessen Namen viele noch nicht mal
gehört haben, in Deutschland grö-
ßer als die Beatles, die hier elf „Num-
mer Eins Hits“ hatten? Einer, dem
über drei Millionen auf Instagram
folgen? Einer, der Bushido, einem
der erfolgreichsten Hip-Hopper in
Deutschland, den Rücken kehrte,
obwohl der ihn unter Vertrag ge-
nommen hatte?
Capital wer?
Capital Bra heißt eigentlich Vla-
dislav Balovatsky und ist 24 Jahre
alt. Er kam in Sibirien zur Welt und

ging in der Ukraine zur Grundschu-
le. Balovatsky war sieben Jahre alt,
als er mit seiner Mutter, der Vater
soll sie verlassen haben, nach
Deutschland kam: nach Berlin-
Hohenschönhausen, viel Beton im
Nordosten. Er schrieb mit elf seine
ersten Texte und begann zu rappen.
Später schmiss er die Schule.
Angeblich hatte er in Hohen-
schönhausen immer wieder Pro-
bleme mit der Polizei, er soll
dort geklaut haben, einmal soll
ihn sogar ein Sondereinsatzkom-
mando besucht haben, so erzählt
es Capital Bra in seinen Tracks
und in Interviews. Was Dichtung
ist und was Wahrheit, wo beides
sich vielleicht mischt, lässt sich
schwer sagen. Als seine Frau
schwanger wurde, habe er jeden-
falls entschieden, die krummen
Dinger sein zu lassen. Seine zwei
Söhne hätten ihn dazu gebracht,
sich auf eine Karriere im Hip-Hop
zu fokussieren.

„Meine Bitch
sieht aus wie
Sylvie van der
Vaart, van
der Vaart/
Chill mit ihr im
Hotel und sie
ballert grad,
ballert grad
Kokain“ (aus
dem Stück
„Van der
Vaart“, 2019)

56 8.8.2019

Free download pdf