Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1

Weil es zu wenige Fluglotsen gibt, müssen Jets im unteren Luft-


raum fliegen – zulasten von Piloten, Passagieren und Umwelt


INFOGRAFIK: QUELLE: AIRBUS, DFS, EIGENE RECHERCHE

FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE

Auf Höhe der Wolken – das führt zu Turbulenzen

D


as Brummen wird lauter und lau-
ter: Knapp unter den Wolken zieht
ein Lufthansa-Jet seine Bahn.
Merkwürdig. Er ist gut zu erken-
nen. Normalerweise sind Flug-
zeuge mit bloßem Auge nur an
ihren Kondensstreifen auszumachen –
und das auch nur bei klarem Wetter. Doch
in diesem Sommer ist das anders: Wer
momentan fernab von Flughäfen in den
Himmel guckt, kann immer wieder Passa-
gierjets im sogenannten „unteren Luft-
raum“ beobachten – im Tiefflug sozusagen.
Dort, wo sich sonst nur Propellermaschi-
nen, Ballone und Segelflieger tummeln.
Bei den Jets, die oft deutlich unterhalb
der Luftraumgrenze von 7500 Metern
durch Deutschland düsen, handelt es sich
keineswegs um Notfälle. Seit dem Früh-
sommer fliegen Düsenmaschinen auf in-
nerdeutschen Flügen wieder regulär rund
vier Kilometer tiefer als normalerweise.
Verantwortlich dafür ist die Deutsche
Flugsicherung (DFS), ein bundeseigenes
Unternehmen, das mit rund 2000 Fluglot-
sen den Luftraum überwacht und organi-
siert. Weil der viel zu voll sei, habe man
„Flüge auf stark frequentierten Strecken
abgesenkt, um den überlasteten oberen
Luftraum zu entzerren“, heißt es bei der
DFS lapidar.
Wie bei einem überlaufenden Fass plät-
schern die Flieger momentan in tiefere
Luftschichten. Und das hat nicht nur Aus-

wirkungen auf die Lärmentwicklung.
Denn die Jets, die bisher in aller Regel in
11 000 bis 12 000 Meter Höhe über den
Wolken unterwegs waren, müssen jetzt
mitten durchs Wetter. „Die Turbulenzen
speziell im unteren Luftraum haben sich
verdreifacht“, sagt Gerhard Müller, ein er-
fahrener Pilot, der regelmäßig auf der Stre-
cke Hamburg–Friedrichshafen mit einem

kleineren Düsenjet unterwegs ist. Oft wer-
den er und seine Passagiere dann ganz
schön durchgeschüttelt, denn aus Perso-
nalmangel verweigere die Flugsicherung
auf Nachfrage meist Ausweichrouten um
Gewitterwolken, erzählt er. Das sei unan-
genehm und mache ihm manchmal Angst
(siehe Interview auf Seite 62).
„Das Wettergeschehen findet vor allem
in den unteren Luftschichten statt“, bestä-
tigt auch Felix Gottwald. Er fliegt im
Hauptberuf bei der Lufthansa Cargo und
kümmert sich bei der Pilotengewerkschaft
„Vereinigung Cockpit“ um Fragen der
Flugsicherheit. „Gerade im Sommer sind
die Wettereinflüsse unterhalb von 7500
Metern größer. Es gibt viele Gewitter und
stärkere Turbulenzen.“ Keine Bedingun-
gen also, in die man einfach so Passagier-
jets hineinschicken sollte. Und gerade in
der Nähe großer Flughäfen ist kaum Platz
zum Ausweichen. „Wir als Piloten müssen
es ausbaden“, sagt Gottwald. Theoretisch
könnten sich Piloten über die Anweisun-
gen von Fluglotsen hinwegsetzen und Ge-
witter umfliegen. „Aber es gibt eben auch
einen hohen Kostendruck, und mancher
fliegt dann eben durch.“
Das sind schlechte Nachrichten für
Passagiere mit Flugangst. Und es sind
schlechte Nachrichten für die Umwelt,
denn Passagierjets sind für die viel dünne-
re Luft im oberen Luftraum optimiert.
Fliegen sie tiefer, verbrennen sie deutlich
mehr Kerosin. „Für Passagierflugzeuge 4

IM TIEFFLUG


MOBILES LEBEN


Zu viele Flieger, zu wenige Lotsen: Auf einer Konferenz beim Verkehrsminister im vergangenen
Jahr wurden die Maßnahmen beschlossen, die nun zu den tieffliegenden Jets führen

FORMATIONSFLUG: WIE DER DEUTSCHE LUFTRAUM ORGANISIERT IST


60 8.8.2019

9000 m

11 000 m

Hamburg

700 0 m

7500 m

München

Gewitterwolke

5000 m

3000 m

1000 m

oberer Luftraum

unterer Luftraum

internationale Flüge

Inlandsflüge
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