Till Bartels und Jan Boris
Wintzenburg wundern
sich seit Jahren über die
Personalknappheit bei den
eher gut bezahlten Fluglotsen FOTO: TILL BARTELS/STERN
„DAS MACHT UNS ANGST“
H
err Müller, Sie steuern regelmäßig
einen der längsten deutschen
Linienflüge von Hamburg nach
Friedrichshafen. Wieso ist Fliegen in
diesem Sommer unruhiger als sonst?
Es gibt in Deutschland zwei Lufträume,
den unteren und den oberen. Seit April
2019 bekommen wir von der Deutschen
Flugsicherung für innerdeutsche Flüge
nur noch Freigaben für den unteren
Luftraum, um den oberen zu entlasten.
Und Sie müssen durch die Wolken?
Im oberen Luftraum überfliegen wir fast
jedes Unwetter. Aber in tiefen Lagen
türmen sich gerade im Sommer die Ge-
witterwolken auf. Eigentlich wäre es recht
einfach, etwas höher zu fliegen und ruhig
und komfortabel die Schlechtwetterzo-
nen zu überfliegen. Oft fragen wir das bei
der Flugsicherung an. Aber das bedeutet
für die Lotsen dann erhöhte Aufmerk-
samkeit, und meist gibt es eine Absage.
Dann wird Ihre Maschine richtig
durchgeschüttelt?
Die Turbulenzen speziell im unteren
Luftraum haben sich verdreifacht. Das ist
nicht nur für die Passagiere unangenehm,
sondern auch für uns vorn im Cockpit.
Das macht uns Angst.
Sind weiter unten nicht auch viele
Kleinflugzeuge unterwegs?
Die meisten Propellermaschinen nutzen
natürlich den unteren Luftraum und
bremsen aufgrund ihrer deutlich niedri-
geren Geschwindigkeit so manchen
Jet aus. Unser automatisches Kollisions-
warnsystem schlägt da viel häufiger an.
Gibt es weitere Probleme durch die
geringe Flughöhe?
Ja, wir verbrauchen jetzt in tiefen Lagen
bis zu 30 Prozent mehr Kerosin und
erzeugen einen viel höheren Schadstoff-
ausstoß.
Sun-Air-Pilot Gerhard Müller über Erfah-
rungen im vollen deutschen Luftraum
Müller am Steuer seiner Dornier 328 Jet
mit Turbofan-Triebwerken ist eine Flug-
höhe von 10 bis 13 Kilometern und eine
Geschwindigkeit von 900 km/h die effi-
zienteste Kombination“, erklärt Airbus-
Sprecher Heiko Stolzke. „Der Treibstoff-
verbrauch eines Airbus A 320 ist bei 11 000
Meter Höhe etwa 30 bis 40 Prozent niedri-
ger als bei 7000 Meter.“
Und da kommt einiges zusammen.
Allein die Lufthansa rechnete im Sommer-
flugplan, der noch bis Ende Oktober gilt,
konzernweit mit etwa 100 000 betroffenen
Flügen. „Gemeinsam mit der Flugsiche-
rung konnten wir die Auswirkungen
inzwischen abmildern, indem wir die Nut-
zung zusätzlicher Kapazitäten im oberen
Luftraum vereinbart haben“, sagt Anja
Stenger von der Lufthansa. Wie viel das
bringen wird, ist allerdings unklar, denn
die stärksten Flugmonate kommen erst
noch. Im September könnte es an manchen
Tagen wieder über 11 000 Flugbewegungen
am deutschen Himmel geben.
Die Lufthansa kalkuliert mit einem
Mehrverbrauch von durchschnittlich
60 Kilogramm Kerosin je innerdeutschem
Flug, der im unteren Luftraum abgewickelt
wird. Das entspräche rund 200 Kilogramm
Kohlendioxid, das zusätzlich freigesetzt
wird. Angesichts der Aussagen von Flug-
zeughersteller Airbus scheint das aber eher
eine vorsichtige Schätzung. Und selbst
dieser niedrige Wert ist bei der gerade lau-
fenden Debatte um die Sinnhaftigkeit
innerdeutscher Flugverbindungen für
die Unternehmen unangenehm.
Bei der Lufthansa-Tochter Eurowings
sagt Sprecher Florian Gränzdörffer: „Im
noch ausstehenden Rest des Sommerflug-
plans sind gut zwei Drittel unserer inner-
deutschen Flüge von den Restriktionen
direkt betroffen. Für die zweite Jahres-
hälfte rechnen wir aufgrund der Ein-
schränkungen mit Kosten für den Mehr-
kerosinverbrauch in einstelliger Millio-
nenhöhe.“
Für das Jahr 2018, in dem auch schon
einmal Flüge unter die Wolken verlegt
wurden, hat der Bundesverband der Deut-
schen Luftverkehrswirtschaft (BDL) die
Gesamtbelastung berechnet. „Allein die
Lufthansa Group hat im Sommer 2018
rund 9000 Tonnen mehr Treibstoff ver-
braucht, weil sie niedrigere Flughöhen
nutzen musste“, sagt BDL-Strategiechef
Ivo Rzegotta. „Der Gegenwert beläuft sich
auf 6,4 Millionen Euro.“ Zudem entstan-
den damals rund 30 000 Tonnen CO 2 zu-
sätzlich. In der aktuell angespannten Lage
helfe die Verlagerung, flugsicherungs-
bedingte Verspätungen abzubauen. „Auf
Dauer wäre diese Maßnahme allerdings –
wirtschaftlich wie ökologisch – nicht
nachhaltig.“
Schuld an der Situation ist zum einen die
Deutsche Flugsicherung, die nun schon im
zweiten Jahr mit erheblichem Personal-
mangel zu kämpfen hat. Es gibt schlicht
nicht genug ausgebildete Fluglotsen, um
den überfüllten Luftraum über der Bun-
desrepublik angemessen zu überwachen.
Die Ausbildung des hoch spezialisierten
und gut bezahlten Personals dauert meh-
rere Jahre. 122 künftige Fluglotsen sollen
in diesem Jahr bei der DFS mit dem Unter-
richt beginnen. Außerdem wurde die „Ver-
weildauer im operativen Dienst“ auf das
- Lebensjahr ausgedehnt. Bisher mussten
Fluglotsen schon mit 55 Jahren ihren Job
quittieren. Einmal im Monat können sie
künftig außerdem Sonderschichten einle-
gen – bei einer zusätzlichen Vergütung von
bis zu 2000 Euro je Schicht.
Kurzfristig werden all diese Maßnah-
men allerdings kaum helfen, denn die
Ursachen für die Knappheit liegen tiefer:
Die DFS folgt bei ihrer Personalplanung
den politischen Vorgaben aus Berlin und
Brüssel. Da galt jahrelang das Mantra, die
Flüge müssten günstiger werden – und so-
mit auch die Kosten für die Flugsicherung,
die in jedem Ticket enthalten sind.
„Der deutsche Luftraum ist durch seine
Lage schon heute der engste in ganz Euro-
pa“, sagt Luftsicherheitsexperte Gottwald
von der Vereinigung Cockpit. „Und es geht
nur darum, kurzfristig billig zu sein.
Kapazitätsreserven gibt es nicht. Das ist
nicht richtig.“
Ende vergangenen Jahres traf man sich
zu einer Konferenz beim Verkehrsminis-
ter in Berlin, Titel: „Fortschrittstreiber
Luftfahrt: Ein Schwerpunkt der deutschen
Verkehrspolitik.“ Bei dieser Zusammen-
kunft wurden all die Maßnahmen be-
schlossen, die jetzt dazu führen, dass Flug-
zeuge im Tiefflug durch Unwetter müssen
und mehr Sprit verbrauchen. Am Tisch
saßen Vertreter von Bund, Ländern, Flug-
gesellschaften, Flughäfen, Flugsicherungs-
organisationen und Verbänden, fast aller
Interessengruppen der Branche also. Nur
die Piloten, Fluglotsen und Passagiere – die
fehlten. 2
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