Die Welt - 17.08.2019

(Axel Boer) #1
Langsam wird die Riege der Anwärter für den SPD-Vorsitz unübersichtlich: Neben Finanzminister Olaf Scholz (oben, Mitte) kandidieren unter anderem (v. l.):
Gesine Schwan, Robert Maier, Ralf Stegner, Michael Roth, Simone Lange, Boris Pistorius. Ihnen steht ein Bewerbungsmarathon bevor

BEARBEITUNG: TOM UECKER FÜR DIE WELT; WELT/M.LENGEMANN, JAKOB HOFF,DPA/B. VON JUTRCZENKA, EVELIN FRERK/R.M./PRIVAT/DPA ,REUTERS/F. BENSCH (2), REUTERS/P. ROSSIGNOL

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17.08.19 Samstag, 17. August 2019DWBE-HP


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D


as Berliner Verwaltungsgericht hat die
Klage eines neunjährigen Mädchens auf
Aufnahme in den ausschließlich mit
Knaben- und Männerstimmen besetzten Berli-
ner Staats- und Domchor der Universität der
Künste abgewiesen. Geklagt hatte die Mutter
des Mädchens. Sie führte ins Feld, dass die Ab-
lehnung ihrer Tochter durch den Chor aus-
schließlich auf deren Geschlecht und nicht auf
der Einschätzung der musikalischen Qualität
ihrer Tochter basiere. Dies widerspräche dem
Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, der
die für alle Menschen gleiche Teilhabe an An-
geboten öffentlicher Einrichtungen garantiere.

Der Chor betonte dagegen die auf biologi-
schen Gegebenheiten beruhenden klanglichen
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen
und beharrte auf der Autonomie der Chorleiter
in Besetzungsfragen und der vom Grundgesetz
ebenfalls gesicherten Kunstfreiheit. Dieser
Sichtweise folgte der Richter am Verwaltungs-
gericht weitgehend. Die Ablehnung des Mäd-
chens sei mit der Kunstfreiheit zu rechtfertigen,
und auch das Klangbild eines Chors sei darunter
einzubeziehen. Denn es gäbe tatsächlich einen
„Knabenchorklang“. Die klagende Mutter hat
nun die Möglichkeit, gegen das Urteil des Ver-
waltungsgerichts in Berufung zu gehen. elk

Allein unter Knaben? Nein


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rsula von der Leyen
wwwurde mit dem Großenurde mit dem Großen
Zapfenstreich aus ihrem
Amt verabschiedet. Viele Bür-
ger reagierten überrascht und
erleichtert, dass von der Leyen
nach so kurzer Zeit bereits
wieder die EU-Ratspräsident-
schaft abgibt. Dafür wäre ihre
Bilanz makellos, sie hätte prak-
tisch nichts falsch gemacht.
AAAllerdings werden EU-Beamtellerdings werden EU-Beamte
nicht mit einem Großen Zap-
fffenstreich verabschiedet, undenstreich verabschiedet, und
schon gar nicht mit „Wind of
Change“, der Nationalhymne
von Hannover. Das kann nur
passieren, wenn man mal als
VVVerteidigungsministerin ge-erteidigungsministerin ge-
arbeitet hat. Es war eine beein-
druckende Zeremonie, jeden-
fffalls wenn man Blechmusik undalls wenn man Blechmusik und
Fackelqualm schätzt. Oder wie
es Annegret Kramp-Karrenbau-
er formulierte: „Heute Abend
dürfen wir dir die Ehre erwei-
sen für das, was du für die Bun-
deswehr und unser Land ge-
leistet hast. Du hast den Kom-
pass auf Zukunftsfähigkeit ge-
stellt.“ Man muss sich wahrlich
keine Sorgen machen um Sol-
daten, die einen solchen wun-
derbaren Kompass besitzen.
Mit dem finden sie immer den
WWWeg nach Hause, selbst wenneg nach Hause, selbst wenn
die Bahn sie nicht mitnimmt.

ZZZippert zapptippert zappt


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I


n das Kandidatenrennen um die
SPD-Parteispitze kommt Bewegung:
Als erster wirklich prominenter
Bundespolitiker ist Finanzminister
Olaf Scholz bereit, für den Vorsitz
der Sozialdemokraten zu kandidieren,
wie eine SPD-Sprecherin am Freitag be-
stätigte. Scholz habe bereits Anfang der
Woche den drei Interimsvorsitzenden
angeboten: „Ich bin bereit anzutreten,
wenn ihr das wollt“, berichtete das Ma-
gazin „Spiegel“. Widerspruch habe sich
dabei nicht geregt. Scholz werde zusam-
men mit einer Frau antreten. Wer dies
sein könnte, blieb zunächst aber offen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jo-
hannes Kahrs begrüßte die Pläne: „Olaf
Scholz hat Augenhöhe und Durch-
schlagskraft gegenüber Merkel, Söder
und Kramp-Karrenbauer“, sagte der
Sprecher des konservativen Seeheimer
Kreises am Freitag. „Er kann unsere
SPD-Anliegen durchsetzen.“
Nach der Absage von Bundesfamilien-
ministerin Franziska Giffey würde mit
Scholz erstmals ein SPD-Politiker aus
der ersten Reihe in dieses Rennen ein-
greifen. Zudem kandidieren Niedersach-
sens Innenminister Boris Pistorius und
die sächsische Integrationsministerin
Petra Köpping gemeinsam. Am Freitag

stellten auch SPD-Vize Ralf Stegner und
die frühere SPD-Kandidatin für das Amt
des Bundespräsidenten, Gesine Schwan,
ihre gemeinsame Kandidatur in Berlin
vor. Schwan sagte, „dass die SPD in einer
sehr, sehr tiefen existenziellen Krise ist“.
Sie wolle helfen, diese Krise zu überwin-
den. Stegner betonte: „Wer uns ab-
schreibt, der täuscht sich.“
In der SPD regt sich zunehmend Kritik
an dem langen Auswahlverfahren, bei
dem sich Interessenten für den Partei-
vorsitz bis zum 1. September melden
müssen, dem Tag der Landtagswahlen in
Brandenburg und Sachsen. Bis Freitag
hatten eher Politiker aus der zweiten und
dritten Reihe den Finger gehoben. Mit
Scholz und dem Duo Pistorius/Köpping,
so heißt es in der SPD, habe sich die Lage
nun aber entscheidend geändert.
Der frühere Hamburger Erste Bürger-
meister und jetzige Vizekanzler Scholz
hatte zuletzt stets gesagt, aus zeitlichen
Gründen nicht zur Verfügung zu stehen.
Für ihn sei das Amt des Bundesfinanzmi-
nisters nicht vereinbar mit dem Partei-
vorsitz, sagte Scholz unlängst. In dem
Gespräch mit den Interimsparteichefs
Manuela Schwesig, Malu Dreyer und
Thorsten Schäfer-Gümbel am Montag
habe der Finanzminister nun aber seine

Bereitschaft zur Kandidatur erklärt. Seit-
dem sondiere Scholz im Hintergrund das
Feld und suche eine Partnerin, mit der er
als Doppelspitze antreten könne. Der 61-
Jährige war 2017 auf dem SPD-Parteitag
mit nur 59,2 Prozent zum Parteivize ge-
wählt worden – nach 80,2 Prozent 2015.
Scholz hat an diesem Wochenende meh-
rere Termine beim Tag der offenen Tür
der Regierung – am Samstag in seinem
Ministerium und am Sonntag in der Bun-
despressekonferenz. Dabei dürfte er sich
zu seinen Plänen äußern. Aus seinem di-
rekten Umfeld hieß es, Scholz würde im
Fall einer Wahl zum SPD-Vorsitzenden
Finanzminister bleiben.
Pistorius ist seit 2013 Minister in Nie-
dersachsen und gilt als einer der profi-
liertesten Innenpolitiker der SPD. Zuvor
war er Oberbürgermeister in Osnabrück.
Im Interview mit WELT AM SONNTAG
hatte Pistorius Ende Juni eingeräumt, ei-
ner Doppelspitze skeptisch gegenüber-
gestanden zu haben. „Aber in der SPD
gibt es offenbar den großen Wunsch
nach dieser Lösung“, sagte er. „Es kann
eine Chance sein. Ob wir sie nutzen, wis-
sen wir erst hinterher.“ Köpping ist in
Dresden seit 2014 Staatsministerin für
Gleichstellung und Integration. Der frü-
here SPD-Chef Sigmar Gabriel begrüßte

die Doppelbewerbung Pistorius/Köpping
als „erste ernst zu nehmende Kandida-
tur“. Sie würde dazu führen, dass die
SPD wirklich eine Erneuerung be-
kommt“, sagte Gabriel der „Hannover-
schen Allgemeinen Zeitung“.
Michael Roth und Nina Kampmann
sind bislang die Einzigen, die mit ihrer
Teamkandidatur die formal nötige Par-
teiunterstützung gesammelt haben. Der
Staatsminister im Auswärtigen Amt und
die ehemalige NRW-Familienministerin
wählten für ihre Kampagne das Motto
„Mit Herz und Haltung“. Sie wollen un-
ter anderem Kommunalpolitiker und
Nichtmitglieder stärker einbeziehen.
Zudem kandidieren die Oberbürger-
meister von Flensburg und Bautzen, Si-
mone Lange und Alexander Ahrens, ge-
meinsam, ebenso Gesundheitsexperte
Karl Lauterbach und die Umweltpoliti-
kerin Nina Scheer. Als Einzelkandidaten
sind der Unternehmer und Vizechef des
SPD-Wirtschaftsforums, Robert Maier,
sowie der Ex-Bundestagsabgeordnete
Hans Wallow im Rennen. Gewählt wer-
den soll die neue Parteiführung auf ei-
nem SPD-Parteitag Anfang Dezember.
Die Entscheidung soll aber schon im
Oktober in einer Mitgliederbefragung
fallen. rtr/dpa Siehe Kommentar

Scholz hat nun doch Zeit und


kandidiert für den SPD-Vorsitz


Zwei Wochen vor Ablauf der Bewerbungsfrist kommt Schwung ins Kandidatenrennen. Der Vizekanzler


ist der prominenteste Anwärter. Auch Niedersachsens Innenminister Pistorius will Parteichef werden


E


s ist noch nicht lange her, gut
zwei Monate, da hat Olaf
Scholz eine Kandidatur für
den Bundesvorsitz der SPD katego-
risch ausgeschlossen. Er strebe diese
Position weder kommissarisch noch
dauerhaft an, sagte er damals vor al-
ler Fernsehöffentlichkeit. Zur Be-
gründung verwies der Finanzminis-
ter auf sein knappes Zeitbudget.
So herbeigesucht diese Begrün-
dung klang, so ernst hatte Scholz
seine Absage gemeint. Dass er jetzt
doch antritt, dass er seine Entschei-
dung revidiert, bezeugt vor allem,
fffür wie ernst der 61-Jährige die Lageür wie ernst der 61-Jährige die Lage
der SPD hält. Es belegt aber auch
den mangelnden Führungswillen
der anderen verbliebenen SPD-
Schwergewichte. Heiko Maas und
Stephan Weil, Katarina Barley und
Manuela Schwesig haben die Lücke
eben nicht genutzt, die Scholz seit
WWWochen offen gehalten hatte. Nunochen offen gehalten hatte. Nun
schließt er sie doch selbst, bietet
Führung an, ohne dass diese bestellt
worden wäre. Das ist ein Risiko.
Denn eins ist klar: Ein Selbstgänger,
ein Durchmarsch wird diese Bewer-
bung um den SPD-Vorsitz nicht.
Und zwar unabhängig davon, mit
welcher Co-Pilotin der Hamburger
an den Start gehen wird.
Das Team Scholz, soviel steht fest,
wird als Vertreter des alten Partei-
Establishments auf den Bühnen der
2 3 Regionalkonferenzen stehen, bei
denen sich das Feld der möglichen
Chefs der Parteibasis vorstellen soll.
2 3 Gelegenheiten also, um in Ger-
hard Schröders Ex-Generalsekretär,
Ex-Arbeitsminister und Ex-Vertrau-
tem eher einen Grund für den Nie-
dergang der SPD zu sehen als einen
AAAusweg aus der Krise.usweg aus der Krise.
Gerade den erklärten Gegnern der
großen Koalition, Kandidaten wie
dem Gesundheitsexperten Karl Lau-
terbach oder der Flensburger Bür-
germeisterin Simone Lange, bietet
der bekennende Realpolitiker Scholz
eine hinreichend große Angriffsflä-
che. Dass der frühere Erste Bürger-
meister von Hamburg nicht gerade
als Meister des 90-Sekunden-Bei-
trags bekannt ist, sondern eher zur
ausführlichen Darlegung seiner poli-
tischen Ansichten neigt, kommt er-
schwerend hinzu. Beifallsstürme
werden Scholz bestenfalls bei der
Regionalkonferenz in Hamburg er-
warten. Das Ganze kann also auch
schiefgehen.
Andererseits – das haben die ver-
gangenen Wochen bewiesen, das
belegen alle Umfragen – geht es
der SPD inzwischen so schlecht,
dass jedes weitere Zögern, jedes
weitere Wegducken der versam-
melten Parteispitze fahrlässig ge-
wesen wäre. Die SPD schlingert
spätestens seit dem Antritt, nicht
AAAbtritt, von Andrea Nahles auf ei-btritt, von Andrea Nahles auf ei-
nen Abgrund zu. Sie benötigt drin-
gend Führung. Scholz bietet sie zu-
mindest an.

KOMMENTAR

Der Mann


gggeht ins Risikoeht ins Risiko


[email protected]

ULRICH EXNER

MORGEN


AM KIOSK


ALPINISMUS


Exklusiv: Reinhold


Messners Werte-
Charta für die Berge

E


r berichtete über Korrup-
tion und Menschen-
rechtsverletzungen in
seiner Heimat, hatte seinen Job
als Journalist bei der regime-
kritischen Online-Nachrichten-
Seite „Fortanga“ allerdings
wegen anonymer Drohungen
bereits wieder aufgegeben. Doch
auch das schützte Raschid May-
sigovnicht vor der Verhaftung
durch die Geheimpolizei.
Maysigov stammt aus Nasran
in der kleinen autonomen Re-
publik Inguschetien im russi-
schen Nordkaukasus, deren
Südspitze an Georgien reicht.
Seine Mutter berichtete, dass
die Agenten der Bundessicher-
heitspolizei am frühen Morgen
ins Haus stürmten und es
durchsuchten. Plötzlich brachte
einer eine kleine Tüte mit ei-
nem weißen Pulver an. Außer-
dem durchsuchten die Beamten
Maysigovs Papiere und fanden
angeblich Flugblätter, in denen
der Anschluss Inguschetiens an
Georgien gefordert wird.
Maysigovs Anwalt Magomed
AAAuschev berichtete später, manuschev berichtete später, man
habe Maysigov beim Verhör mit
Elektroschocks gefoltert und
ihm so ein Geständnis bezüglich
des Drogenbesitzes entlockt.
Maysigov selbst bestreitet sämt-
liche Vorwürfe gegen ihn. Wann
der Prozess gegen ihn statt-
fffinden soll, steht noch nicht fest.inden soll, steht noch nicht fest.

#Free


them


all


Raschid Maysigov FORTANGA

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