Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
Auf dieser Seite
zeigen wirjede
Woche neue,
unbekannte oder
verschollene
Werke von Künst-
lern, Autoren,
Architekten,
Komponisten,
Regisseuren und
Designern. Sie
sprechen für sich
selbst, wir erzählen
die Geschichte
ihrer Entstehung.

Im Februar 1960 landete Elvis Presley in Hirschau,


Oberpfalz. Der Lokaljournalist Josef Müller fotografierte ihn


und schickte ihm die Bilder. Dafür bekam er einen Brief


In der Mundart der Oberpfälzer wird das E vor dem L zum
Ö.Sie sagen nicht „schnell“, sondern „schnöll“. Nicht „elf“,
sondern „ölf“. Aus dem Namen Elvis machen sie einen „Öl-
vis“. Und so kam es, dass an einem Wintertag des Jahres
1960 der ganze Stadtplatz von Hirschau nach „Ölvis“
schrie. Ölvis war in der Stadt! Ölvis! Elvis Presley!!! Die
Teenager-Schar von Hirschau war auf den Beinen, und
nicht nur die. Handys gab es nicht, doch diese Nachricht
schoss genauso schnell durch die Stadt, wie sie sich heute
über Whatsapp verbreiten würde. Die Hirschauerinnen
und Hirschauer wollten ihn sehen. Ihn!
Die Fotos von diesem Nachmittag und ein Brief von
Elvis Presley an den Urheber dieser Bilddokumente sind
nun wieder aufgetaucht. Die Staatliche Bibliothek Regens-
burg hat sie vor wenigen Wochen erworben. „Wir erschlie-
ßen sie und machen sie der wissenschaftlichen Forschung
zugänglich“, sagt ihr Direktor Bernhard Lübbers.
Am 5. Februar 1960 schaute Josef Andreas Müller aus
dem Fenster und wunderte sich über den Trubel unten auf
dem Stadtplatz. Der Lokalreporter, den alle Hirschauer
Müller Sepp nannten, interessierte sich mehr für Volksmu-
sik als fürs popkulturelle Zeitgeschehen. Von einem Elvis
Presley hatte er noch nie etwas gehört. Wie es sich für
einen guten Journalisten gehört, witterte er aber eine
Geschichte. Als er Block und Bleistift und seine Kodak
Instamatic mit einer Packung Blitzwürfeln einpackte,
schrie auch schon ein junger Mann in sein Treppenhaus.
„Sepp, der Ölvis ist da! Kim unti.“ Komm herunter.
Dann lernten sie sich kennen. Der Ölvis und der Sepp.
Elvis Presley und Josef Müller. Der Star, dessen Name gera-

de berühmter war als Mickey Mouse, Coca Cola, Donald
Duck und Jesus Christus, und der Lokaljournalist, der kei-
nen Elvis kannte.
Elvis Presley, geboren 1935 und gestorben am 16. Au-
gust 1977, kam im Oktober 1958 als Soldat nach Deutsch-
land. Stationiert war er in Hessen. Ihre Manöver absolvier-
te seine Einheit auf dem Truppenübungsplatz im oberpfäl-
zischen Grafenwöhr. Bei einer Fahrt dorthin landete er auf
dem Stadtplatz von Hirschau
und wartete drei Stunden lang
auf seine Kolonne.
Josef Andreas Müller, Jahr-
gang 1927, war in Hirschau auf-
gewachsen. Er absolvierte ein
Volontariat bei denNürnber-
ger Nachrichtenund kehrte da-
nach zurück. Hier schrieb er
für ein karges Honorar von
acht bis zehn Pfennig pro Zei-
le für die Lokalzeitung. „Der Sepp war so arm, dass er sich
ab Mitte des Monats oft nur noch von Spiegeleiern ernähr-
te“, sagt Wolfgang Houschka, „aber geklagt hat er nie.
Zwei Spiegeleier reichten ihm.“ Houschka hat selbst als
Journalist gearbeitet, er war Chefreporter beimNeuen Tag
in Weiden, bis er sich vor acht Jahren in den Ruhestand ver-
abschiedete. Und er ist nicht nur einer der kundigsten El-
vis-Presley-Forscher der Oberpfalz, sondern auch einer
der bestsortierten Sammler von Elvis-Presley-Devotiona-
lien. Von 1969 an war Sepp Müller sein Kollege. Wolfgang
Houschka weiß so gut wie alles aus erster Hand über Mül-

ler und dessen Scoop mit dem Sänger, der als „King of
Rock’n’Roll“ verehrt wurde.
Sepp Müller war geschieden, seine Frau lebte im glei-
chen Gebäude am Hirschauer Stadtplatz im Erdgeschoss,
er im ersten Stock. Vor dem Haus pflegte Müller seinen Wa-
gen zu parken, einen schon damals auffällig alten DKW
Roadster, Grundfarbe Ocker, mit schwarzen Applikatio-
nen. Auf dieses Auto warf Elvis Presley ein Auge. Sepp Mül-
ler verstand kein Englisch, er
deutete nur die Blicke und Ges-
ten des Amerikaners. Man
kann sich vorstellen, wie rund-
herum junge Hirschauerin-
nen „Ölvis“ kreischten und
den armen Musiker vielleicht
sogar betatschten, wie aber
Presley Müllers DKW strei-
chelte und Müller diese Zärt-
lichkeit für den alten Kübel
mit einem wertschätzenden Kopfnicken erwiderte. „Der
Elvis und ich, wir waren geistesverwandt“, sagte Müller
später. Beide mochten Frauen, beide mochten alte Autos.
Müller starb vor 25 Jahren in seinem DKW Roadster. Herz-
anfall. Der Wagen wurde in Köln versteigert, weil angeb-
lich Elvis mal drinsaß, was laut Houschka definitiv ein
Märchen ist.
Weil es kalt war auf dem Stadtplatz, wanderte der Pulk
dann ins Wirtshaus „Goldenes Lamm“. Sepp Müller foto-
grafierte weiter. Den Zwölferfilm machte er voll, die Blitz-
würfel waren am Ende verschossen. Elvis gab ihm zu ver-

stehen, dass Sepp ihm doch bitte ein paar Abzüge schi-
cken solle. Adresse Memphis, Tennessee, USA. Für Müller
war das Ehrensache. Noch im selben Jahr kam ein Brief
mit einem Schwung Autogrammkarten bei „Sepp Muller,
Presse- und Fernsehjournalist, Hirschau/Oberpfalz, Ger-
many“ an. Müller hob ihn auf. Denn inzwischen war ihm ja
klar, wen er da getroffen hatte. Auf das Kuvert klebte er
später eine Elvis-Briefmarke. Lesen konnte er den Brief
nicht. Erst neun Jahre später erfuhr er, was drinstand.
Wolfgang Houschka las ihn vor und übersetzte. Er erin-
nert sich an Müllers Frage: „,Wolfgang, was ist der Brief
wert?‘ Ich sagte: ,Mehr als ich dir zahlen könnte.‘“ Housch-
ka erwarb allerdings eines der Elvis-Autogramme – für
ein Abendessen, zehn Volksmusikplatten und das Verspre-
chen, dass er es nie verkaufen würde. Der Brief ist hekto-
grafiert, also durch ein Kopierverfahren vervielfältigt.
Auch andere Adressaten bekamen das Schreiben, in dem
Elvis von dem Filmprojekt berichtet, an dem er gerade
arbeitete. Der Name „Sepp“ in der Anrede und das Post-
skriptum sind aber tatsächlich handschriftlich verfasst.
Für den Elvis-Presley-Forscher Wolfgang Houschka be-
weist das: „Der Elvis hat den Sepp ins Herz geschlossen.“
Houschka und Müller redeten über die Jahre immer wie-
der über Elvis und den 5. Februar 1960. Einmal, erinnert
sich Houschka, habe der Sepp gesagt: „Weißt Wolfgang,
ich bin eine arme Sau, weil ich so wenig Geld habe, dass sie
mir manchmal den Strom abdrehen. Aber der Elvis, der ist
eine viel ärmere Sau als ich. Der hat einen Haufen Geld,
aber er kann nicht mehr auf die Straße gehen, ohne dass
ihn die Leut’ bedrängen.“ rudolf neumaier

22 FEUILLETON GROSSFORMAT Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019, Nr. 189 DEFGH

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