Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Anna Gauto Berlin

B


ei der Küchenhygiene kennt Andreas
Hensel keinen Spaß. Regelmäßig kippt
er heißes Wasser in die Spüle, wegen
der Keime. Im Kühlschrank lagern die
gekochten Speisen oben, die rohen
und womöglich „kontaminierten“ unten. Häufig
wechselt der studierte Veterinärmediziner, Mikrobio-
loge und Hygieniker seine Schneidebretter und Mes-
ser. Nie würde Hensel ein Hähnchen auf den Grill le-
gen und mit denselben Fingern nach Würstchen grei-
fen. Eine „Kreuzkontamination“ könne „Campylob-
acter-Bakterien übertragen“, mit unappetitlichen Fol-
gen. „Eine Million Deutsche haben pro Jahr eine Le-
bensmittelvergiftung“, weiß der 58-Jährige.
Andreas Hensel kennt viele solche Statistiken, und
er zitiert sie gern. Als Präsident des Bundesinstituts
für Risikobewertung (BfR) muss er schließlich wis-
sen, was gefährlich ist für die Gesundheit der Bun-
desbürger. Allerdings, das ist für Hensel zentral,
kommt es immer auch auf die Menge an. „Man kann
ja nicht jede Bratwurst verbieten, nur weil übermäßi-
ger Fleischkonsum schädlich ist.“
So ähnlich sieht Hensel auch die Sache mit Gly-
phosat. Für ihn ist das Unkrautvernichtungsmittel
nicht krebserregend. Er lässt sich in einen roten
Plüschsessel in einem Besprechungsraum am Stand-
ort Berlin-Marienfelde, einem alten Gutshof, fallen.
Eigentlich nervt Hensel das Thema, schließlich berei-
ten ihm „manche unwissende Journalisten, einige
voreingenommene Wissenschaftler, Ökos und Politi-
ker, die es besser wissen, seit Jahren ein Dauerfeuer“.
Kaum ein Mittel ist so berüchtigt wie das Un-
krautvernichtungsmittel, das seit der 63-Milliarden-
Dollar-Übernahme von Monsanto vom Bayer-Kon-
zern hergestellt wird. Österreich hat ein Verbot be-
schlossen, in Deutschland will die Bundesregierung
bis September über einen Verzicht entscheiden. Im
Koalitionsvertrag ist der Ausstieg schon festgelegt.
Dass Glyphosat in der EU überhaupt bis 2022 zuge-
lassen ist, basiert in weiten Teilen auf der Bewer-
tung des BfR. Kritiker wie der Berliner Toxikologe
Peter Clausing werfen der Behörde grobes Fehlver-
halten vor. „Es grenzt an wissenschaftlichen Be-
trug“, so Clausing.
Im Streit über Glyphosat geht es um einen globa-
len Milliardenmarkt, vor allem aber geht es um die
Gesundheit von Menschen. Bayer drohen hohe Um-
satzeinbußen. Ein Verbot in Europa könnte auch die
lukrativen Märkte in Nord- und Südamerika bedro-
hen. Die Klagen von Privatleuten, die ihre Krebser-
krankung auf Glyphosat zurückführen, plagen den
Dax-Konzern schon jetzt: Allein in den vergangenen
drei Monaten gingen in den USA rund 5000 weitere
Klagen wegen angeblicher Krebsrisiken des glypho-
sathaltigen Monsanto-Herbizids Roundup ein, inzwi-
schen soll Bayer den nun mehr als 18 000 Klägern bis
zu acht Milliarden Dollar für einen Vergleich angebo-
ten haben. Und das, obwohl Bayer weiterhin auf wis-
senschaftliche Studien pocht, die Glyphosat bei rich-
tiger Anwendung Sicherheit bescheinigen.

„Wissenschaftlich tot“
Das ist auch die Sicht des BfR und die feste Über-
zeugung seines Präsidenten Hensel. Der hat den
Plüschsessel verlassen und führt nun, fünf Automi-
nuten entfernt, durch ein Sonnenblumenfeld: Das
„interaktive Pflanzenlabyrinth“ des BfR. Die Sorten
sind farblich so angelegt, dass man aus der Luft ei-
nen riesigen Hühnerkopf in der Landschaft sieht.
Hensel will Schülern damit Themen wie Hühner-
haltung und Eierproduktion spielerisch nahebrin-
gen. Der Präsident hat die Hände tief in den Hosen-
taschen vergraben und redet. Was in den USA oder
Österreich passiere, habe mit Wissenschaft nichts
zu tun, das sei Politik. „Denn eigentlich ist das The-
ma Glyphosat seit Jahren wissenschaftlich tot.“ Es
gebe „keinen wissenschaftlichen Dissens darüber“,
dass Glyphosat unbedenklich sei. Nur „ein paar Mi-
noritätenmeinungen“, meist von NGO-finanzierten
Kollegen, fügt Hensel hinzu.
Das BfR hat für seine Bewertung mehr als 1000
Studien ausgewertet. „Seriöse Wissenschaftler und
die meisten Behörden weltweit folgen unserer Ein-
schätzung, dass Glyphosat bei richtiger Anwen-
dung unbedenklich ist, also keinen Krebs erregt“,
sagt Hensel. Die Europäische Behörde für Lebens-
mittelsicherheit (EFSA) etwa, die US-Umweltbehör-
de (EPA) und die Europäische Chemikalienagentur
(ECHA), dazu Behörden in Australien oder Neusee-
land. „Man kann nicht nur auf die intrinsische Ge-
fahr einer Substanz schauen, die Dosis ist wesent-
lich“, meint Hensel. Die „akute Toxizität“ von Gly-
phosat sei vergleichbar mit der von Kochsalz.

Er sucht


das Risiko


Eine wenig bekannte deutsche Behörde und ihr


Chef Andreas Hensel prägten lange die wissenschaftliche


Meinung zu Glyphosat. Nun belegen Richter in den


USA Bayer mit Millionenstrafen, weil sie das Krebsrisiko


höher einschätzen. Wer hat recht?


Marko Priske für Handelsblatt

Demonstrant in
Gasmaske: Kritiker
werfen Bayer vor,
die Gefahren von
Glyphosat zu ver-
harmlosen.

ddp/Alex Milan Tracy/Sipa USA

Report
WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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