P.M. History - 09.2019

(nextflipdebug2) #1

Pocken


Korrespondenz aus dem Jahr 1763
überliefert: "Kann es nicht irgend­
wie angestellt werden, die Pocken zu
den feindseligen Indianerstämmen zu
schicken? Wir müssen jede in unserer
Macht stehende List einsetzen, um sie
zu dezimieren."-"Ich werde versuchen,
die Indianer mit einigen Decken (in de­
nen Pockenkranke gelegen hatten) zu
inokulieren, und dabei aufpassen, nicht
selbst die Krankheit zu bekommen."

D

ieses Konzept einer biologischen
Kriegführung war auch bei der
Expansion der USA nach Westen
im 19. Jahrhundert noch aktuell. Histo­
riker sind sich indes nicht einig, ob die
große Pockenepidemie von 1837 bis
1840 in der westlichen Prärie vorsätz­
lich ausgelöst wurde, möglicherweise
sogar durch oder zumindest mit Wissen
der örtlichen US-Armee (und damit ei­
ner Institution des US-Regierung), oder
ob es sich um einen unglücklichen Zu­
fall handelte. Auf dem Raddampfer "St.
Joseph", der den Missouri hinauffuhr,
hatte ein Matrose auf Pocken hindeu­
tende Symptome, die auf drei sich an
Bord befindliche Frauen aus dem Volk
der Arikara übertragen wurden. Der

Epidemie fielen rund 17000 Indianer
zum Opfer; das Volk der Mandan wurde
fast völlig ausgerottet.
In Europa war das 18. Jahrhundert
die Hochzeit der Pocken. Binnen ei­
nes Zeitraumes von 25 Jahren starben
15 Millionen Europäer an der Seuche;
die Chance, sich in diesem Zeitalter der
Aufklärung mit den Viren zu infizieren
und zu erkranken, wird auf eins zu drei
veranschlagt. Wie sehr sie zum Alltag
der Menschen gehörten, zeigt eine Be­
merkung des englischen Politikers und
Schriftstellers Horace Walpole in einem
Brief vom April1750: "Vor drei Tagen ist
Lord Dalkeith an den Pocken gestorben.
Es ist in seiner Familie ganz schreck­
lich, denn neben mehreren Onkeln und
Tanten ist sein ältester Junge letztes
Jahr daran gestorben, und sein einziger
Bruder, der nur zwei Tage krank war, ist
so schnell verfault, dass die Gliedma­
ßen abfielen, als man ihn in den Sarg
legen wollte."
Die bekanntesten Persönlichkei­
ten, die den Pocken erlagen, waren
Zar Peter II. und König Ludwig XV. von
Frankreich. Der Zar, ein Enkel Peters
des Großen, war als Elfjähriger auf den
Thron gekommen. Der junge Herrscher

Der Arzt Edward Jenner entdeckte, dass die Impfung mit den
harmlosen Kuhpocken Menschen immun gegen gefährliche Pockenarten macht

war inzwischen 14 Jahre alt und sollte
im Februar 1730 mit der Tochter einer
Adelsfamilie verheiratet werden. Doch
dazu sollte es nicht kommen: Die Po­
cken beendeten am 29. Januar 1730 sei­
ne kurze Regierungszeit.

E

twas mehr von seiner Stellung an
der Spitze der gesellschaftlichen
Pyramide hatte Ludwig XV., den
man auch "den Vielgeliebten" nannte -
eine Anspielung auf seine zahlreichen
sexuellen Eskapaden. Unter seiner Herr­
schaft wurde die Mätressenwirtschaft
zu einem geflügelten Wort. Madame
Pompadour war die berühmteste Ge­
liebte des Königs. Nominell wurde Lud­
wig bereits 1715 als Fünfjähriger König,
als sein Urgroßvater, Ludwig XIV., das
Zeitliche segnete. Für den Knaben wur­
de eine Regentschaftsregierung ein­
gesetzt. Auch er wurde mit 15 Jahren
verheiratet; zu diesem Zeitpunkt war
er bereits für volljährig erklärt worden.
Seine Gemahlin, eine polnische Prin­
zessin, gebar ihm nicht weniger als zehn
Kinder. Ihm blieb beinahe ein halbes
Jahrhundert auf dem Thron, bevor die
Pocken den 64-jährigen König ereilten
und ihn am 10. Mai 1774 aus einem ge­
nussreichen Leben abberiefen.
Das 18. Jahrhundert sah indessen
auch den Durchbruch im Kampf gegen
die Pocken und die Geburtsstunde der
Impfung als eine der wichtigsten pro­
phylaktischen Maßnahmen der Medi­
zin. Die Vorgängerirr war die Inokula­
tion, die im Nahen Osten seit Längerem
praktiziert wurde und durch die Schrif­
ten einer englischen Dame in Europa
bekannt wurde: Lady Mary Wortley
Montagu begleitete 1716 ihren Mann
auf dessen neuen Posten als englischer
Botschafter in Konstantinopel.
Nur ein Jahr zuvor war sie selbst an
den Pocken erkrankt und hatte dabei,
wie sie schrieb, ihre Schönheit verloren.
Die Inokulation, die sie in der Türkei
bei Heilkundigen beobachtete, bestand
darin, dass von einem an einer milden
Verlaufsform der Pocken Erkrankten
die Flüssigkeit aus den Pusteln ent-
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