S
ie zählen zu den faszinie-
rendsten Wundern der
WWWelt: Wer einmal beimelt: Wer einmal beim
Tauchen oder Schnorcheln
ein Korallenriff erkundet
hat, wird die Bilder so bald nicht ver-
gessen: eine bizarre Unterwasserwelt,
in der sich bunte Fische und kuriose
Kreaturen tummeln. Und die Riffe sind
nicht nur eine Augenweide: Sie zählen
zu den artenreichsten Ökosystemen
der Erde, schützen Küsten vor zerstö-
rerischen Stürmen und bieten die Le-
bensgrundlage für Millionen Men-
schen, die etwa von der Fischerei und
vom Tourismus leben. Doch der Klima-
wandel setzt Korallen harsch zu.
VON WALTER WILLEMS
Nun zeigt eine neue wissenschaftli-
che Studie detailliert, dass starke mari-
ne Hitzewellen sie nicht nur schädi-
gen, sondern rasch absterben lassen.
Angesichts der zunehmenden Erwär-
mung ein erschreckendes Szenario.
Korallen sind Nesseltiere, die mit
winzigen Algen in Symbiose leben. Die
Nesseltiere bilden das Kalkskelett, die
einzelligen Algen verleihen ihnen ihre
Farben. Dabei können – teilweise über
Jahrmillionen – Bauten mit Rekordma-
ßen entstehen: Das von Korallen ge-
schaffene Gebilde auf dem Meeresbo-
den des Eniwetok-Atolls im westlichen
Pazifik ist mit mehr als 1400 Metern
fffast doppelt so hoch wie das höchsteast doppelt so hoch wie das höchste
Gebäude der Welt, der 828 Meter hohe
Burj Khalifa in Dubai. Nicht höher,
aber weit größer ist das Great Barrier
Reef vor der Küste Australiens, das et-
wa der Fläche Deutschlands ent-
spricht.
In vielen Meeresregionen weltweit
ist die Wunderwelt in den vergangenen
Jahren einer Wüste gewichen. Der
Grund: Korallen leben in tropennahen
Gewässern ohne größere Temperatur-
schwankungen. Wenn sich das Wasser
stark erwärmt, werden die Algen giftig,
die Korallen stoßen sie ab und verlie-
ren damit ihre Farbe. Diese sogenannte
Korallenbleiche ist seit Jahrzehnten
bekannt, erreichte aber in jüngerer
Zeit während diverser Hitzephasen er-
schreckende Ausmaße – etwa Ende der
9 0er-Jahre, 2010 oder in den Jahren
von 2014 bis 2017.
Bisher dachten Forscher, dass sich
Korallen davon unter günstigen Bedin-
gungen wieder erholen können – mit-
unter binnen Monaten. Dies relativiert
nun eine australische Studie. Demnach
lassen besonders starke marine Hitze-
wellen im Meer Korallen nicht nur aus-
bleichen, sondern binnen Tagen ab-
sterben. Das hat das Team um Tracy
Ainsworth von der University of New
South Wales in Sydney nicht nur am
Great Barrier Reef beobachtet, son-
dern zusätzlich in Versuchen an zwei
Korallenarten nachgewiesen.
„Intensive marine Hitzewellen ha-
ben wesentlich schlimmere Fol-
gen als nur Korallenbleiche“,
sagt die Studienleiterin Ains-
worth. „Die Koralle bleicht nicht
nur aus und gibt ihre Symbiose
auf – das Tier stirbt, und sein zu-
grunde liegendes Skelett ist das
Einzige, was übrig bleibt.“
VVVon 2014 bis 2017 sei weltweit mehron 2014 bis 2017 sei weltweit mehr
als ein Drittel der Korallenriffe (
Prozent) von Korallenbleiche befallen
worden, schreiben die Forscher im
Fachjournal „Current Biology“. Nun
untersuchten sie den Höhepunkt der
Hitzewelle an der Insel Lizard Island
vor der Küste Australiens. „2016 erleb-
te das Great Barrier Reef die heftigste
marine Hitzewelle, die jemals in der
Region registriert wurde“, schreibt das
Forscherteam. Dabei erfuhr fast ein
Drittel der Korallen (31 Prozent) Hitze,
die in der wöchentlichen Summe die
maximale Durchschnittstemperatur
deutlich überstieg. Das kann etwa ein
Anstieg von wöchentlich einem Grad
über zwei Monate hinweg sein – bei
solchen Werten bleichen Korallen
nicht mehr aus, sondern sie sterben ab.
Dieses Absterben galt bislang als
Prozess, der sich über Monate bis Jah-
re hinzog. Doch die Forscher beobach-
teten nun, dass viele Korallen schon
binnen Tagen starben und ihre Skelet-
te dann von einem Biofilm aus Mi-
kroorganismen überzogen wur-
den. Die Folgen analysierte das
Team im Labor bei zwei Stein-
korallen, der Buschkoralle Po-
cillopora damicornisund der Ge-
weihkoralle Acropora aspera. Bei
Hitze verloren diese nicht nur
die Organismen auf ihrer Oberflä-
che und blichen aus, sondern auch das
Gewebe der Nesseltiere starb ab. Bin-
nen zwei Tagen bildete sich ein Biofilm
auf dem verbliebenen nackten Kalks-
kelett. Statt der bis dahin vorherr-
schenden Symbiodinium-Algen fanden
die Forscher nun vorherrschend Grün-
algen der Gruppe Ostreobium sowie
Cyanobakterien, also Blaualgen.
Damit nicht genug: Bei beiden Arten
verloren die Skelette daraufhin Kalk.
Das entspreche dem, was während der
Hitzewelle 2016 auf Lizard Island be-
obachtet worden sei, schreiben die
Wissenschaftler. Bilder per Computer-
tomografie (CT) bestätigten, dass das
Kalkskelett zunehmend poröser – und
damit instabiler – wurde. Damit verlö-
ren Korallenriffe auf lange Sicht ihre
dreidimensionale Struktur, sagt Ko-
AAAutor Bill Leggat von der australischenutor Bill Leggat von der australischen
University of Newcastle.
„Das entspricht dem, was wir in
Thailand in der Andamanensee beob-
achtet haben“, sagt Marlene Wall vom
Geomar Helmholtz-Zentrum für Oze-
anforschung Kiel. „Dort hatten wir im
Jahr 2010 eine Mortalität von etwa 30
Prozent. Wir sehen jetzt Jahre danach,
dass manche Riffe zerfallen – wir fin-
den tote Korallenfragmente. Dieser
Prozess wird hier erstmals auch in La-
borversuchen gezeigt.“ Insbesondere
die ästig wachsenden Korallen, die den
Riffen ihre Struktur verleihen, seien
oft besonders temperaturempfindlich,
erklärt die Expertin, die selber nicht an
der Studie beteiligt war.
ÄÄÄhnliches berichtet Sonia Bejaranohnliches berichtet Sonia Bejarano
vom Leibniz-Zentrum für Marine Tro-
penforschung (ZMT) in Bremen.
„Nach der Hitzewelle 2016 verloren
viele Korallen in Fidschi Teile ihrer
Struktur“, sagt sie. „Die Studie ändert
unser Verständnis von Korallenblei-
chen. Wenn es zu lange zu warm ist,
sterben Korallen schnell ab – in weni-
gen Tagen statt nach Monaten.“ Ob sie
sich wieder erholen könnten, hänge
unter anderem davon ab, ob noch le-
bendes Gewebe erhalten sei.
Noch sind solche marinen Hitzewel-
len, bei denen die Temperaturen an der
WWWasseroberfläche wochenlang auf Ex-asseroberfläche wochenlang auf Ex-
tremwerte steigen, eher selten. Doch
Klimaprognosen zufolge werden sol-
che Phänomene häufiger.
Die Zahl extremer Hitzetage habe
sich weltweit von 1982 bis 2016 etwa
verdoppelt, berichteten Schweizer
Forscher unter Verweis auf Satelliten-
messungen und Klimasimulationen
vor einem Jahr in der Fachzeitschrift
„Nature“. Selbst wenn das in Paris ver-
einbarte Klimaziel von 1,5 Grad Erwär-
mung eingehalten würde, stiege die
Zahl solcher Hitzetage weltweit im
VVVergleich zur vorindustriellen Zeit umergleich zur vorindustriellen Zeit um
den Faktor 16, bei einer Erwärmung um
3 ,5 Grad sogar um den Faktor 41.
Die Hitzewelle 2016 am Great Bar-
rier Reef sei auch auf das El-Niño-Phä-
nomen zurückzuführen, sagt Nicolas
Gruber von der Eidgenössischen Tech-
nischen Hochschule Zürich (ETH) und
Ko-Autor des „Nature“-Papers. Zwar
seien die absoluten Temperaturunter-
schiede in den Tropen und Subtropen
eher geringer als etwa in gemäßigten
Breiten, sagt der Umweltphysiker.
Aber gerade tropische Ökosysteme wie
reiten, sagt der Umweltphysiker.
ber gerade tropische Ökosysteme wie
reiten, sagt der Umweltphysiker.
AAber gerade tropische Ökosysteme wie
Korallenriffe oder Mangrovenwälder
seien besonders sensibel, weil sie keine
großen Temperaturschwankungen ge-
wohnt seien. „Sie leben in einem klar
definierten Temperaturbereich“, er-
läutert Gruber, „wenn sie den verlas-
sen, passiert sehr viel.“
„Die Hitzewellen werden mit der
globalen Erwärmung nicht nur häufi-
ger, sondern auch intensiver und dau-
ern länger an“, ergänzt der Klimafor-
scher Thomas Frölicher von der Uni-
versität Bern und Leitautor der im
Journal „Nature“ erschienenen Studie:
„In den tropischen Regionen nimmt
die Zahl der marinen Hitzetage über-
proportional zu.“
AAAuf die Folgen des Klimawandels füruf die Folgen des Klimawandels für
Korallenriffe hat der Weltklimarat
(IPCC) schon 2018 in einem Bericht
hingewiesen. Steige die Temperatur
um 1,5 Grad, gingen 70 bis 90 Prozent
der Riffe mit hoher Wahrscheinlichkeit
verloren, schrieben die Forscher vor
einem Jahr. Bei einem Anstieg um zwei
Grad seien es mit sehr hoher Wahr-
scheinlichkeit sogar mehr als 99 Pro-
zent. Die in der aktuellen Studie be-
richteten Folgen von Hitzewellen wa-
ren da noch nicht bekannt.
„Unsere Studie enthält zwingende
Belege dafür, dass die Gesellschaft zum
Schutz der Korallenriff-Ökosysteme
dringend globale und lokale Anstren-
gungen unternehmen muss, um den
Klimawandel abzumildern“, schließt
das australische Team. „Ein Versagen
beim Abmildern des Klimawandels und
bei der Minimierung schwerer mariner
Hitzewellen birgt nicht nur für Koral-
len und Korallenriffe das Risiko des
Zusammenbruchs, sondern bedroht
auch die Lebensgrundlage von einer
halben Milliarde Menschen weltweit.“
Könnten viele Korallenriffe also
schon in einigen Jahrzehnten weitge-
hend verschwunden sein? „Die Resul-
tate rufen nach einem entschlossene-
ren globalen Vorgehen gegen den Kli-
mawandel, um den Verfall von Koral-
lenriffen zu bremsen oder sogar zu
verhindern“, sagt die Bremer Forsche-
rin Bejarano. Der Berner Klimafor-
scher Frölicher ergänzt: „Die Kohlen-
dioxid-Emissionen sollten auf null sin-
G ken – und das möglichst bald.“
ETTY IMAGES(2)
/SIRACHAI ARUNRUGSTICHAI;VINCENT POMMEYROL
Hitzewellen
töten Korallen
Neue Studie zeigt, dass Leben an Riffen schon
innerhalb weniger Tage zerstört werden kann
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12.08.19 Montag, 12. August 2019DWBE-HP
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DIE WELT MONTAG,12.AUGUST2019 SEITE 20
WISSEN
WISSENSCHAFTSREDAKTION: TELEFON: 030 – 2591 719 50|E-MAIL: [email protected]|INTERNET: WELT.DE/WISSENSCHAFT
ALZHEIMER
Beta-Amyloid
blockiert Glutamat
Forscher der TU München (TUM)
berichten in „Science“, dass sie den
anfänglichen Mechanismus beim
Entstehen der Alzheimerschen Er-
krankung aufgeklärt haben. Wenn
der Hirnbotenstoff Glutamat nicht
schnell genug abtransportiert wer-
den kann, führe dies zu einer krank-
haften Erregung von Nervenzellen.
Wenn Nervenzellen miteinander
kommunizieren, nutzen sie Boten-
stoffe. Glutamat ist eine dieser Sub-
stanzen. Es aktiviert Nervenzellen.
Dafür wird es in den synaptischen
Spalt zwischen zwei Nervenzellen
abgegeben, wo es wirkt. Anschlie-
ßend müssen die Glutamatmoleküle
wieder schnell entfernt werden, um
die Wirkung zu beenden. Dieser
Vorgang findet über sogenannte
Pumpmoleküle statt, sowie durch
Transport des Glutamats entlang
der Membranen. Die Forscher ent-
deckten, dass sich bei überaktiven
Nervenzellen Glutamat zu lange in
hoher Konzentration im synapti-
schen Spalt befindet. Sie konnten
zeigen, dass bei diesen Nervenzellen
der Transport des Hirnbotenstoffs
gestört war. Grund dafür waren
Beta-Amyloid-Moleküle, die die
Nervenzellmembranen für den
Transport von Glutamat blockier-
ten. Die Forscher hatten Gewebe-
proben von Menschen und Mäusen
analysiert und fanden in beiden
Fällen den gleichen Effekt.
STERNSCHNUPPEN
Höhepunkt ist in der
Nacht zum Dienstag
Der Sternschnuppenstrom der Per-
seiden wird heute Nacht seinen
Höhepunkt erreichen. Leider sind
die Beobachtungsbedingungen
schlechter als in vorangegangenen
Jahren, da der fast volle Mond den
Himmel stark aufhellt. Zudem las-
sen sich die Perseiden insgesamt
etwas spärlicher blicken als sonst:
Die Erde trifft diesmal auf ihrer
Umlaufbahn nicht so gut die Staub-
wolke, aus der sie stammen. Den-
noch ist es möglich, mit etwas Glück
Sternschnuppen zu sehen.
ÜBERZUCKERUNGSTAG
Kinder in Deutschland
essen viel zu süß
Kinder und Jugendliche erreichen
hierzulande nach einer Berechnung
der Verbraucherorganisation Food-
watch an diesem Montag den „Über-
zuckerungstag“ – sie haben dann
schon so viel Zucker konsumiert wie
für ein ganzes Jahr empfohlen. Basis
der Berechnung sind Empfehlungen
der Weltgesundheitsorganisation
der Deutschen Gesellschaft für Er-
nährung. Demnach sollten höch-
stens zehn Prozent der täglichen
Energiezufuhr durch freie Zucker
aufgenommen werden – laut einer
Studie waren es bei Drei- bis 18-
Jährigen nach Daten von 2016 aber
16,3 Prozent.
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Werde ich von einem
Roboter ersetzt?
Millionen Jobs sind in den kom-
menden Jahrzehnten durch den
Einsatz von Robotik und künstlicher
Intelligenz gefährdet. Wissen-
schaftler der Erasmus-Universität
Rotterdam und der TU München
haben bei mehr als 2000 Probanden
aus Europa und Nordamerika unter-
sucht, wie sie damit psychologisch
umgehen. Im Fachjournal „Nature
Human Behaviour“ berichten sie,
dass es die meisten grundsätzlich als
schlimmer empfinden, wenn Ar-
beitnehmer durch Roboter oder
Software verdrängt werden, als
wenn sie durch andere Menschen
abgelöst werden. Geht es allerdings
um den eigenen Arbeitsplatz, wür-
den sie doch lieber durch Roboter
ersetzt werden als durch Kollegen.
KOMPAKT
E
ine wachsende Weltbevölkerung,
steigender Fleischkonsum und
zudem noch die Klimaerwär-
mung: Die Landwirtschaft steht vor ge-
waltigen Herausforderungen. „Die Hälf-
te der europäischen Agrarflächen ist
von Trockenstress bedroht.
VON BIRGIT HERDEN
Bei der Pflanzenzucht werden daher
andere Merkmale als bisher wichtig“, so
Chris-Carolin Schön, Professorin für
Pflanzenzucht an der Technischen Uni-
versität München. „Um darauf reagie-
ren zu können, täten wir gut daran, alle
verfügbaren Methoden einzusetzen.“
Das aber ist in Deutschland nicht
möglich. Im Juli 2018 entschied der Eu-
ropäische Gerichtshof, dass Pflanzen,
die mit neuartigen Methoden der Pflan-
zenzucht erzeugt wurden, genauso wie
bisherige gentechnisch veränderte Or-
ganismen behandelt werden müssen. Es
geht dabei um Veränderungen mit der
Genschere Crispr, mit der es möglich
ist, gezielt Veränderungen im Erbgut zu
erzeugen, wie sie auch durch natürliche
Mutationen entstehen können.
Das Urteil bedeutet, dass auch die
mit Crispr erzeugten neuen Sorten nur
nach aufwendigen und kostspieligen Si-
cherheitsprüfungen auf den Markt kom-
men dürften. Udo von Kröcher, Präsi-
dent vom Bundessortenamt, spricht
von einem „schweren Schlag für die
Züchter“. Die richterliche Entscheidung
empfindet er als völlig praxisfremd und
aus behördlicher Sicht zurzeit auch
nicht nachvollziehbar. Denn schließlich
gebe es gar keine verlässlichen Metho-
den, um durch Geneditierung entstan-
dene Pflanzen von solchen zu unter-
scheiden, die durch klassische Züchtung
erzeugt wurden. Selbst unter ökologi-
schen Landwirten und deren Verbands-
vertretern gebe es eine vorsichtige Öff-
nung für neue Züchtungsmethoden.
Auch unter Wissenschaftlern hat das
Urteil des Europäischen Gerichtshofs
für kollektives Kopfschütteln gesorgt.
Ralf Wilhelm leitet am Julius-Kühn-In-
stitut in Quedlinburg das Fachinstitut
für die Sicherheit biotechnologischer
Verfahren bei Pflanzen. Seit 2001 be-
schäftigt sich der Biologe mit der Frage,
ob von gentechnisch veränderten Pflan-
zen eine besondere Gefahr ausgeht.
„In langjährigen wissenschaftlichen
Untersuchungen konnte bisher keine
Gefährdung nachgewiesen werden, die
von der Technik ausgeht“, lautet sein
Fazit. „Ungünstige Bestandteile wie
Allergene kommen in vielen Kultur-
pflanzen auch bei der herkömmlichen
Züchtung vor.“ Es gebe auch keine Hin-
weise darauf, dass gentechnisch verän-
derte Pflanzen sich invasiv ausbreiten.
Nun haben 117 europäische For-
schungseinrichtungen, darunter auch
viele deutsche, in einem offenen Brief
an das neu gewählte Europäische Parla-
ment und die Europäische Kommission
appelliert, die Nutzung neuer Metho-
den für die züchterische Verbesserung
von Kulturpflanzen zu vereinfachen,
um die Entwicklung einer nachhaltigen
Landwirtschaft in Europa zu ermögli-
chen. Es gebe keine wissenschaftlichen
Gründe, identische Veränderungen im
Genom abhängig von der Methode der
Erzeugung zu machen und völlig unter-
schiedlich zu regulieren. Pflanzen, die
einfache, gezielt mit Genscheren er-
zeugte Veränderungen enthalten und in
die keine fremden Gene eingefügt wur-
den, sind von Pflanzen konventioneller
Züchtung nicht zu unterscheiden und
genauso sicher.
Ob es den Forschern allerdings ge-
lingt, die Öffentlichkeit mit ihren Sach-
argumenten zu überzeugen, ist fraglich.
Gentechnik auf dem Acker hat einen
schlechten Ruf. Das liegt auch daran,
dass damit bislang vor allem von großen
Konzernen Pflanzen entwickelt wur-
den, die gegen Pestizide wie Glyphosat
resistent sind. „Wer immer sich das aus-
gedacht hat, war vor allem an Profit in-
teressiert – für die Menschheit ist das
eine Sackgasse“, findet Hanno Schaefer,
Professor für Biodiversität an der TU
München. „Uns aber deswegen der
Möglichkeit zu berauben, schnell Pflan-
zen zu züchten, die besser mit Tempe-
raturerhöhungen zurechtkommen oder
resistenter gegenüber Schädlingen sind
- das ist die falsche Konsequenz.“
Der Biologe, der die Domestikation
der Melone erforscht, hält eine Sicher-
heitsüberprüfung neuer Sorten zwar für
sinnvoll. Aber entsprechend dem Grad
der Veränderung in einer Pflanze, nicht
nach der Methode, mit der diese er-
reicht wurde. „Aber das können Sie Po-
litikern schwer verkaufen, denn die
Wähler hören nur Gentechnik, und
Gentechnik ist ja böse.“ Schaefer findet
es erschreckend, dass das Thema Gen-
technik noch immer solche Emotionen
hervorruft. „Wir haben in Deutschland
eine tolle Grundlagenforschung, aber es
entstehen nur schöne Publikationen.
Worüber wir hier diskutieren, das steht
in China längst auf dem Feld.“
„Schwerer Schlag für die europäischen Pflanzenzüchter“
Ein Urteil des europäischen Gerichtshofs bremst Forscher aus, die hitzeresistente Pflanzen kreieren wollen. Nun protestieren sie dagegen
Abgestorbene
KKKorallen bietenorallen bieten
hingegen ein
trauriges Bild
Ein intaktes
KKKorallenriff istorallenriff ist
auch ein ästhe-
tischer Genuss
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