Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1

POLITIK


32 FOCUS 34/2019


W


as ist das für eine
Zeit? Die Falken
aus dem Ener-
giesektor op-
fern lächelnd
eine schmutzige
Technologie nach
der anderen. Erst
der Atomstrom,
jetzt der Kohlestrom, alles kein Prob-
lem für die alten Industriekapitäne der
Deutschland AG.
Was ist das für eine Zeit? Die Welt-
verbesserer von den Grünen geben alte
Feindbilder auf. Sie sind Wirtschaftsver-
steher geworden, regieren das Autoland
Baden-Württemberg und werden Spitzen-
lobbyisten für die Energiebranche, wie das
Beispiel Kerstin Andreae zeigt. Alles kein
Problem für die neuen Grünen.
Was ist das für Zeit? Fragen wir Annale-
na Baerbock, 38, die Chefin der Grünen.
Und Rolf Martin Schmitz, 62, den Vor-
standsvorsitzenden des Energieriesen RWE.

Herr Schmitz, sind Sie als Chef des
Energiekonzerns RWE eigentlich sauer
auf Frau Baerbock und die Grünen?
Schmitz: Nein.
Wirklich? Sie müssen auf Kohle und
Kernkraft verzichten, ein riesiges Anlage-
vermögen abschreiben und große Teile
Ihres Geschäfts aufgeben, was sich auch
negativ im Konzernergebnis niederschlägt.
Schmitz: Die Grünen haben gesell-
schaftliche Entwicklungen mitgeprägt,
die zu politischen Entscheidungen geführt
haben. Wir steigen wegen des Gefahren-
potenzials aus der Kernkraft aus und wol-
len aus Gründen des Klimaschutzes auch
auf die Kohle verzichten. Das müssen wir
als Unternehmen in einer demokratischen
Gesellschaft akzeptieren.
Frau Baerbock, wenn Sie und die Grünen
demnächst an die Regierung kommen
sollten – werden Sie den Beschluss zum
Kohleausstieg bis 2038 so übernehmen,
oder muss es dann schneller gehen?
Baerbock: Der Kohlekompromiss war
ein hartes Ringen ganz unterschiedlicher
Akteure, und ich tue derzeit alles dafür,
damit der Kohleausstieg unverzüglich in
einem Gesetz festgeschrieben wird. Die
Kohleblöcke schalten sich ja nicht von
allein ab.
Die Aktivisten von Greenpeace und „Fridays
for Future“ fordern „Ausstieg sofort“.
Baerbock: Ich kenne bei denen nie-
manden, der wirklich gleich morgen
früh alle 150 Kohleblöcke abschalten will.
Natürlich muss die Versorgungssicher-
heit gewährleistet sein. Deshalb müssen
wir uns dem Kohleausstieg schrittwei-

se nähern. Klimapolitisch ist 2038 aber
zu spät; und ich gehe davon aus, dass
der Ausstieg eh schneller gehen wird,
wenn man einmal anfängt. Denn wenn
die Energie-Unternehmen wie RWE zum
Ausgleich für die Kohle auf die erneu-
erbaren Energien setzen, dann wollen
sie mit diesem Geschäftsfeld auch zügig
Gewinne machen. Dann ist die Kohle als
Geschäftsmodell schnell passé.
Schmitz: Entscheidend ist, was bis 2030
passiert und wie groß die bis dahin weg-
fallende Menge Kohlestrom ist, die wir
ersetzen müssen. Offen ist ja auch, wie
wirtschaftlich die Kohleverstromung dann
noch ist. Auf jeden Fall sind bis 2030 von
den heute 42 Gigawatt Leistung nur noch
17 übrig, das ist ein gewaltiger Abbau.
Wie weit ist die Bundesregierung
eigentlich mit der Umsetzung
des Kohlekompromisses? Wir hören
nichts. Wissen Sie da mehr?
Schmitz: Wir sind in vertraulichen Ge-
sprächen, aber es könnte deutlich schnel-
ler gehen. Schließlich hat die Kommission
einen klaren Fahrplan vorgegeben. Was
uns betrifft, hätte man die Sachfragen in
sechs Wochen klären können.
Baerbock: Es ist unglaublich, dass die
Bundesregierung seit einem halben Jahr
nichts unternimmt. Dabei geht es hier
um jeden Monat. Jeder abgeschalte-
te Kraftwerksblock senkt Emissionen,
jeder, der am Netz bleibt, produziert
weiter CO 2 , das sich in der Atmosphäre
ansammelt. Am 23. September findet
in New York der große Klimagipfel der
Uno statt. Es wäre auch außenpolitisch
wirklich ein Desaster, wenn die Bundes-
kanzlerin da erneut mit leeren Händen
anreisen müsste.
Im Braunkohletagebau arbeiten in Deutsch-
land noch rund 20 000 Menschen ...
Baerbock: ... und die Beschäftigten hän-
gen zwischen Baum und Borke, sie wollen
wissen, wohin die Reise geht. Gerade
bei mir in Brandenburg, in der Lausitz,
fehlt die Planungssicherheit. Die aber
braucht es, damit der dortige Kohlekon-
zern umgebaut wird und die Mitarbeiter
in der Region bleiben können.
Die Kostenschätzungen für den Kohle-
ausstieg reichen von 40 bis 80 Milliarden
Euro. Damit könnte man jeden Kohle-
kumpel zum Millionär machen.
Schmitz: Bei den Energie-Unternehmen
kommt davon nichts an. Diese Rechnung
gab es schon bei der Steinkohle, und sie
war auch da schon falsch. Also die Kom-
mission sagt: 40 Milliarden Euro werden
für den Strukturwandel und für neue
Arbeitsplätze in den betroffenen Regio-
nen gebraucht. Außerdem soll die Indus-

„Was ich


bei Protesten


und Beset-


zungen im


rheinischen


Revier erlebe,


ist teilweise


kriminell“


Rolf Martin Schmitz

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