Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1

hat zusammen mit einem CSU-Kol-
legen den Auftrag übernommen,
das Klimakonzept der Union aus-
zuarbeiten. Nachhaltigkeit sei nicht
allein ein Gebot in der Umwelt -
politik, argumentiert er, sondern
auch mit Blick auf die Staatsfinan-
zen nötig. »Beides gehört zusam-
men, beides ist auch ein Ausdruck
von Generationengerechtigkeit.«
Scholz als SPD-Kassenwart hat
ebenfalls gute Gründe, sich an die
schwarze Null zu klammern, wenn-
gleich er den Begriff selbst nie in
den Mund nimmt, sondern stets
nur vom ausgeglichenen Haushalt
spricht. Für ihn ist ein Etat ohne
neue Schulden unter seiner Ägide
Ausweis sozialdemokratischer Re-
gierungsfähigkeit, gleichsam der
Beleg dafür, dass Sozialdemokra-
ten mit Geld umgehen können.
Scholz weiß, dass die Union nie-
mals beide Trophäen aus dem Koa -
litionsvertrag gleichzeitig aufgeben
würde. Es lohnte sich für ihn also
nicht einmal der Versuch, die Gren-
zen der Schuldenbremse auszu -
testen.
Die lässt nämlich einigen Spielraum. Ins-
gesamt dürfte Scholz jedes Jahr rund zwölf
Milliarden Euro Schulden machen, würde
ihm die gute Wirtschaftslage keine zusätz-
lichen Einnahmen bescheren. Das aber ist
seit Jahren der Fall. Diese konjunkturbe-
dingten Mehreinnahmen werden in einem
komplizierten Verfahren berechnet, sie
schmälern seine Möglichkeiten, Schulden
aufzunehmen. In den kommenden Jahren
könnte Scholz diesen Maximalrahmen fast
komplett ausschöpfen, ohne gegen die Vor-
gabe zu verstoßen, rechneten ihm seine
Beamten vor. Der Grund: Angesichts der
Wirtschaftsflaute sei nicht mit konjunktur-
bedingten Mehreinnahmen zu rechnen.
Mit dem Spielraum ließen sich problem-
los die restlichen Klimamaßnahmen bis
2023 bezahlen. Doch diesen Weg haben
sich Kanzlerin und Finanzminister, indem
sie an der schwarzen Null festhalten, selbst
versperrt.
Tatsächlich handelt es sich bei der Fixie-
rung auf die Null um eine psychologische
Sperre. Volkswirtschaftlich macht es keinen
Unterschied, ob der Bund zehn Milliarden
Überschuss erwirtschaftet, in gleicher Höhe
Kredite aufnimmt oder ohne neue Schul-
den auskommt. Gemessen an einem Etat-
volumen von über 350 Milliarden Euro und
einem Bruttoinlandsprodukt von 3,3 Bil-
lionen Euro ist die Größenordnung ver-
schwindend gering, gleichgültig, ob sich die
Null rot oder schwarz einfärbt. Und trotz-
dem tun sich vor allem Unionspolitiker
schwer, den gewohnten ausgeglichenen
Bundesetat aufzugeben. Die schwarze Null
stellt für sie ein Instrument mit disziplinie-


render Wirkung dar. Viele Ausgabewün-
sche wurden nicht ernsthaft verfolgt, weil
sie das in der Bevölkerung hoch angesehe-
ne Ziel gefährdet hätten, glauben sie.
Manch einer sorgt sich, dass neue Be-
gehrlichkeiten geweckt werden, falls das
griffige Ziel aufgegeben wird. »Wenn der
Nullpunkt überschritten würde, fürchte
ich, dass es zu einem Dammbruch kommt
und dass es dann kein Halten mehr gibt«,
sagt Unionsfraktionsvize Jung.

Auch die eingetrübte Konjunktur gilt
vielen in der Union nicht als hinreichender
Grund, mit den Staatsausgaben in die Vol-
len zu gehen, um sich einem möglichen
Abschwung entgegenzustemmen. »Ein
Konjunkturpaket wäre jetzt unangemessen
und wirkungslos«, sagt etwa Eckhardt Reh-
berg, Chefhaushälter der Unionsfraktion
im Bundestag. »Die Investitionstöpfe des
Bundes sind prall mit Geld gefüllt, sie müs-
sen nur endlich abgerufen werden.« Die
Baubranche, die von staatlichen Investi -
tionsprogrammen am meisten profitieren
würde, arbeite an der Kapazitätsgrenze.
»Wir müssen unsere Handlungsfähigkeit

* Beim Abschied des damaligen Finanzministers
Wolfgang Schäuble in Berlin 2017.

für schwere Krisen bewahren und
nicht beim kleinsten Rückgang des
Bruttoinlandsprodukts unser Pul-
ver verschießen.«
Auch wenn die Koalition noch
nicht bereit ist, dem Abschwung
aktiv zu begegnen, so wächst doch
in Kanzleramt und Finanzministe-
rium die Bereitschaft, eine mögli-
che Konjunkturkrise durch krampf-
haftes Festhalten an der schwarzen
Null nicht noch zu verschärfen.
Sollte die Wirtschaft in den kom-
menden Monaten noch stärker
schrumpfen und sollten als Folge
davon die Steuereinnahmen weg-
brechen und womöglich auch die
Sozialausgaben steigen, dann wer-
de die Bundesregierung das hinneh-
men, heißt es in beiden Häusern
unisono.
Ein ranghoher Regierungsbeam-
ter formuliert das im finanzpoliti-
schen Jargon so: »Wir werden die
automatischen Stabilisatoren wir-
ken lassen, auch wenn damit die
schwarze Null auf dem Spiel steht.«
Im Klartext: Die Löcher, die eine
Konjunkturkrise in den Bundesetat
reißt, würden durch neue Schulden ge-
stopft. Das gilt sowohl für den Haushalt
des laufenden Jahres wie auch für den des
nächsten, den Scholz Anfang September
im Bundestag einbringen wird.
Die parlamentarischen Beratungen zie-
hen sich bis Ende November, ehe der Etat
für 2020 verabschiedet wird. Bis dahin ist
Zeit genug, die kommende Wachstums-
prognose und die darauf basierende Steu-
erschätzung einzuarbeiten. Sollte sich ab-
zeichnen, dass die Einnahmen nicht mehr
reichen, die angestrebten Ausgaben zu fi-
nanzieren, dann wird der Bund erstmals
seit Jahren wieder neue Kredite aufneh-
men. Die schwarze Null würde sich rot fär-
ben – durch bloßes Nichtstun.
Ist diese Schwelle erst einmal überschrit-
ten, fiele auch der nächste Schritt nicht
schwer: Wenn die Krise sich mehr als ge-
dacht zuspitzt, ließe sich über zusätzliche
Schulden schnell weiteres Geld für ein
Konjunkturprogramm mobilisieren, etwa
im Wege eines Nachtragshaushalts.
Alles andere wäre fatal: Hielten Merkel
und Scholz krampfhaft am ausgeglichenen
Haushalt fest, müssten sie mitten in der
Krise Ausgaben kürzen. Das widerspräche
sämtlichen Lehrbuchweisheiten. Ein Spar-
kurs würde die Rezession beschleunigen
und verschärfen, weil die Nachfrage weg-
bräche.
Ein Konjunkturexperte der Regierung
drückt es so aus: »Niemand hat die Ab-
sicht, einer Krise hinterherzusparen.«
Christian Reiermann
Mail: [email protected]

56 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019


TINO GERDESIUS / DPA
BMF-Mitarbeiter*: Angst vor dem Dammbruch

Bei der Fixierung auf die
schwarze Null handelt es
sich tatsächlich um eine
psychologische Sperre.
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