SEITE 16·DIENSTAG, 13. AUGUST 2019·NR. 186 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
SAINTNOM LA BRETÈCHE, 12. Au-
gust. Sich als Einwohner von Paris zu er-
kennen zu geben gehört zu jenen Stellen
in einer Party-Unterhaltung, die zumin-
dest in Deutschland schnell neidische
Kommentare auslösen. Wer würde den
Flair der Seine-Metropole in Zweifel zie-
hen? Gar nicht so wenige. Denn Paris ist
auch teuer, eng, wenig grün, laut und
schlecht durchlüftet. Daher wohnen zwölf
Millionen Menschen im Großraum Paris,
aber nur rund zwei Millionen in der eigent-
lichen Stadt. Auf einer Fläche, die fast so
groß ist wie Schleswig-Holstein, stellt sich
die Frage des Verkehrs täglich – und zwar
des öffentlichen Nahverkehrs, denn die
Straßen sind unter der Woche fast immer
verstopft. Ohne Busse und Bahn kämen
Millionen Menschen in den Vororten, den
Banlieues, nicht zur Arbeit. Wegen der
großen Distanzen und des Zustands der
Verkehrswege gelingt ihnen das ohnehin
mehr schlecht als recht. Verlegt ein Arbeit-
geber seinen Standort auf die andere Seite
des Ballungsraumes, kann er einen Groß-
teil seiner Mitarbeiter verlieren. Viele ak-
zeptieren einfache Anfahrtswege von an-
derthalb Stunden, doch deutlich darüber
hinaus ist die Schmerzgrenze erreicht.
Wir wohnen auch in der Banlieue –
rund 25 Kilometer westlich des Eiffel-
turms. Auf dem Weg zur Arbeit zählt jede
Minute, daher bewegt seit geraumer Zeit
ein neues Bussystem unser 5000-Einwoh-
ner-Dorf Saint-Nom-la-Bretèche. Wer ei-
nen Bus zu dem leider etwas entfernt im
Wald gelegenen Bahnhof nehmen will,
muss erst mal sein Smartphone zücken.
Auf einer App namens Flexigo ist die ge-
wünschte Abfahrtszeit einzugeben, und
dann erscheint eine Liste der möglichen
Busse und Haltestellen, die zu reservie-
ren sind. Danach erhält der Besteller so-
fort eine Bestätigung per E-Mail. Wenn
ich später einsteige, kontrolliert der Fah-
rer meinen Namen auf seinem Tabletrech-
ner neben dem Lenkrad und hakt ihn vir-
tuell ab. Die Abläufe erinnern an den
amerikanischen Mitfahrdienst Uber, nur
handelt es sich hier um den öffentlichen
Nahverkehr. Feste Abfahrtszeiten gibt es
kaum noch, jeden Tag sieht der Fahrplan
der neuen Dieselbusse von Iveco mit ih-
ren 17 Sitzen anders aus. Denn er richtet
sich, so die offizielle Beschreibung, nach
dem Bedarf der Passagiere.
An mehreren Stellen im Großraum Pa-
ris wird derzeit „Transport à la demande“,
„Transport auf Nachfrage“ getestet. Die
Idee könnte wegweisend sein: Dünn besie-
delte Gegenden sind nicht in der Lage, ei-
nen eng getakteten Nahverkehr aufrecht-
zuerhalten, weil Busse oder Bahnen zu oft
leer unterwegs wären. Daher werden im-
mer wieder ganze Linien geschlossen –
ein Szenario, das auch in Saint-Nom-la-
Bretèche drohte. Doch es gibt Alternati-
ven: Heute ermöglicht die moderne Infor-
mationstechnik die leichte Kommunikati-
on mit den Nutzern; insofern eröffnet sie
die Chance, weiter ein Nahverkehrsange-
bot aufrechtzuerhalten, das besser an den
Bedarf der Passagiere angepasst ist.
Soweit die Theorie. In Saint-Nom-la-
Bretèche erleben wir seit gut anderthalb
Jahren die Praxis. Unsere Erfahrungen
sind ziemlich durchwachsen. Es kam vor,
dass die App die Reservierung bestätigte,
doch auf dem Tablet des Busfahrers tauch-
te sie nicht auf. Der Bus kam also nie vor-
bei. Dass ein Busfahrer zu früh wegfuhr,
gab es auch schon. Kürzlich wurde meine
Reservierung einfach von dem elektroni-
schen System storniert, als ich pünktlich
an der Haltestelle wartete. Auf einem Stra-
ßenplan der App kann man normalerwei-
se an einem kleinen Abbild des reservier-
ten Busses verfolgen, wie er sich der Halte-
stelle nähert. Doch in diesem Falle näher-
te sich nichts. Immer wieder gibt es nach-
mittags auch große Löcher im Fahrplan –
kürzlich etwa fuhr vom Bahnhof aus für
mehr als anderthalb Stunden kein einziger
Bus. Welche Busse unterwegs sind, legt
ein Algorithmus fest, den die Betreiberge-
sellschaftTransdevund ein Start-up-Un-
ternehmen namensPadamentwickelt ha-
ben. Für die Nutzer ist er ein Schloss mit
sieben Siegeln.
So machte sich der Unmut der Bürger
nach der Einführung rasch Luft. „Was ist
mit denen, die kein Smartphone haben?
Das ist ein erheblicher Teil der Bevölke-
rung“, klagt der 76 Jahre alte Jean-Marie
Chazal, der viele Jahre als Gemeinderat
und auch als stellvertretender Bürgermeis-
ter für Transportfragen zuständig war.
Transdev bietet zusätzlich die Reservie-
rung über das Telefon oder das Internet
an, doch diese Kommunikationswege
funktionieren in den Augen der Kritiker
nicht gut genug. Es gab schon Bürgerver-
sammlungen für die Unzufriedenen, die
Beschwerden hielten aber an. Viele gaben
den Bus auf und nahmen zum Bahnhof
wieder das Auto, was den ohnehin über-
füllten Parkplatz dort noch näher an seine
Grenzen brachte. Auch der Bürgermeister
von Saint-Nom-la-Bretèche, Gilles Stud-
nia, bestätigt: „Von Anfang an gab es
Schwierigkeiten. Das System, vor allem
seine Software, führte zu viel Unzufrieden-
heit. Ich habe die Beschwerden an die Ver-
antwortlichen weitergegeben.“
Die Anbieter reagierten. In Absprache
mit der RegionÎle-de-France hat die Be-
treibergesellschaft Transdev, die zu zwei
Dritteln der staatlichen französischen Be-
teiligungsgesellschaft CDC und zu einem
Drittel der deutschen Familie Rethmann
gehört, im Mai 2018 zu den Stoßzeiten
morgens und abends jeweils sieben bis
acht regelmäßig verkehrende Busse einge-
führt. Sie fahren wie im alten System im-
mer zu den gleichen Zeiten ohne Reservie-
rungspflicht. „Seit dieser Rückkehr der fes-
ten Linien kommen die Leute langsam
wieder zu den Bussen zurück“, berichtet
Bürgermeister Studnia.
Für die einen ist das ein Scheitern des
Experiments, für die anderen eine ver-
nünftige Anpassung. Das System des öf-
fentlichen Transports auf Bestellung wird
auf jeden Fall außerhalb der Stoßzeiten
fortgeführt – und es scheint seine Kinder-
krankheiten langsam zu überwinden.
„Wir sind nicht komplett gegen das Sys-
tem. Für die ländlichen Gemeinden in un-
serer Gegend bringt es eine echte Verbes-
serung, denn sie hatten vorher gar keine
Busse“, sagt Olivier Aubry, ein hoher Be-
amter aus dem Finanzministerium in Pa-
ris, der in Saint-Nom lebt und dort einen
Interessenverein für die Nahverkehrsbe-
nutzer gegründet hat. Wie so oft vergessen
die Nutzer die zahlreichen gelungenen
Busfahrten und erinnern sich nur an die
schlechten Erfahrungen. Tagsüber kom-
men die Busse schon bei der Reservierung
durch eine Person zum Abholen an den ge-
wünschten Ort, schwört der Transdev-Ma-
nager Benoît Jaby. Voraussetzung ist aller-
dings, dass sie nicht schon für eine andere
Reservierung unterwegs sind. Wenn es ge-
rade keine Reservierung gibt, machen die
Fahrer an festgelegten Parkplätzen Pause.
Außerhalb der Stoßzeiten klappt das Re-
servierungssystem meistens. In den hoch-
frequentierten Morgen- und Abendpha-
sen sieht es anders aus. Die wiedereinge-
führten regelmäßigen Busse sorgen zwar
für Erleichterung, doch sie bedienen weni-
ger Haltestellen als die klassischen Busse
des alten Systems.
„Das fundamentale Problem ist, dass
nicht genügend Busse fahren“, rügt Bürger-
meister Studnia. Für eine Region mit
knapp 22 000 Einwohnern sind derzeit
nur sieben Busse unterwegs. 60 000 Passa-
giere wurden im vergangenen Jahr trans-
portiert, berichtet Transdev und sieht das
als Erfolg. Der Gemeinde-Zusammen-
schluss von Gally-Mauldre ist heute für
das Verkehrssystem zuständig. Gleichzei-
tig mit der Umstellung des Busverkehrs
zwischen Saint-Nom und seinem Bahnhof
hatten sich gut zehn umliegende Gemein-
den dem Experiment angeschlossen. Das
gesamte System „Transport auf Nachfra-
ge“ deckt heute also ein viel größeres Ge-
biet ab als früher.
Jeder Benutzer hätte natürlich gern ei-
nen Bus genau zur gewünschten Zeit,
doch wer soll das bezahlen? Die Gemein-
de von Saint-Nom hat ihren Einsatz jeden-
falls nicht erhöht. „Unsere Kosten sind
gleich geblieben, nur dass wir eine defi-
nierte Summe nun an den Kommunalver-
band Gally-Mauldre überweisen“, berich-
tet der Bürgermeister. In Saint-Nom mun-
kelt man von jährlichen Kosten von einer
Million Euro für das Dutzend Kommunen,
wovon Saint-Nom 300 000 Euro bezahle.
Doch diese Angaben sind nicht bestätigt.
Ob sich das neue System wirtschaftlich
trägt, ist noch nicht abzusehen. Transdev
lässt durchblicken, dass man sich im Expe-
rimentierstadium befände und die Ge-
winnschwelle daher noch nicht anpeile. In
drei anderen französischen Städten be-
treibt Transdev ähnliche Systeme, dar-
unter etwa ein gefragtes Nachtbus-Netz-
werk in Le Havre, und auch im Ausland ist
der Konzern auf diesem Feld aktiv. Schon
seit zwei Jahrzehnten arbeitet Transdev
an individuell nachfragegesteuerten Trans-
portsystemen. Nun soll die Digitalisierung
neue Chancen eröffnen, nachdem die Fah-
rer der Kleinbusse früher umständlich mit
Papier und Bleistift die Reservierungen no-
tierten. Die gesamte Sparte „Transport
auf Bestellung“ bringt Transdev heute 660
Millionen Euro Umsatz ein, etwa ein
Zehntel der Konzernerlöse.
Die Region Île-de-France subventio-
niert unterdessen das neue System, weil
sie Erfahrung sammeln will. „Es gibt gene-
rell sehr wenige rentable Strecken im öf-
fentlichen Nahverkehr. Die öffentliche
Hand muss das unterstützen“, meint der
Präsident der Passagiervereinigung, Au-
bry. Die große Lehre lautet für ihn, dass
man für ländlichere und dichter besiedelte
Gebiete nicht das gleiche Transportwesen
betreiben soll. Die ersten könnten mit indi-
viduell gesteuerten Bestellsystemen aus-
kommen, doch nicht die Gegenden mit
großer Bevölkerung.
Die große Herausforderung steht
Saint-Nom-la-Bretèche indes erst noch
bevor. Vom Jahr 2021 an soll unser klei-
ner Bahnhof im Wald eine ganz neue zu-
sätzliche Bahnstrecke erhalten. Genü-
gend Parkplätze gibt es heute schon
nicht, also müssen neue Verkehrsverbin-
dungen her. „Nach manchen Schätzun-
gen wird der Verkehr am Bahnhof dann
zwanzigmal so stark sein wie heute, man
muss also neue Systeme finden. Viel-
leicht könnten selbstfahrende Fahrzeuge
dazu gehören?“, fragt sich Vereinspräsi-
dent Aubry. CHRISTIAN SCHUBERT
Es droht der Verkehrskollaps.
Wiewir künftig mobil
bleiben. Teil 7
Zurzeit wird viel über Fleisch gesprochen
- übereine Fleischsteuer, darüber, dass
wir zu viel Fleisch essen, oder über vega-
ne Ernährung im Kindergarten. Was hal-
ten Sie von der Diskussion?
Der Fleischkonsum ist in den letzten
zwei Generationen nicht mehr gestiegen.
Wenn einige Experten behaupten, dass
wir zu viel Fleisch essen, dann frage ich
mich: im Verhältnis zu was? Früher war es
so, dass die Leute gegessen haben, was sie
mochten und worauf sie Lust hatten. Kein
Mensch wäre auf die Idee gekommen, das
in Frage zu stellen. Dass das heute der Fall
ist – ich würde einfach mal sagen, das liegt
am vollen Bauch. Wir leben in einem un-
glaublichen Überfluss, uns drohen kein
Hunger und keine Missernten. Da kommt
man manchmal auf sehr merkwürdige Ide-
en. Ich glaube, die Politiker tun gut daran,
dass das Essen für alle verfügbar und vor
allem bezahlbar bleibt.
Würde man mit einer Fleischsteuer eine
bessere Tierhaltung erreichen?
Diese öffentliche Diskussion um Tier-
schutz ist maximal 20, 30 Jahre alt. Frü-
her galten Tiere als Nutztiere. Plötzlich
wird erzählt, dass Tiere eine Seele hätten
und gehätschelt und getätschelt werden
müssen. Natürlich darf man Tiere nicht
quälen; sie müssen gutes Futter und aus-
reichend Platz haben. Aber sie mit uns
auf eine Stufe zu stellen, das ist ein grober
Denkfehler. Diese Fleischsteuer ist nichts
weiter als eine allgemeine Steuererhö-
hung, das wird den Tieren überhaupt
nichts bringen. Der Staat muss dafür sor-
gen, dass die Fleischgewinnung weiter
funktioniert, vor allem in regionaler Hin-
sicht. Erst dann wird sich die Tierhaltung
verbessern.
Welche Auswirkungen würden Sie hier
in der Metzgerei durch eine Fleischsteu-
er spüren?
Es würde sich nichts Wesentliches ver-
ändern – ich glaube, das werden nur Men-
schen merken, die sowieso schon jeden
Euro zwei Mal umdrehen müssen. Und
die kaufen selten beim Metzger ein. Der
jetzige Fleischpreis ist deutlich günstiger
als früher. Das kann man beklagen, auf
der anderen Seite haben die Leute jetzt
mehr Geld für andere Ausgaben. Satte
Bürger stabilisieren das Gemeinwesen. Da
einzugreifen und durch Verbote in irgend-
einer Form dafür zu sorgen, dass es Versor-
gungsengpässe gibt, die Regale leer blei-
ben, und man den Leuten Vorschriften ma-
chen muss, was sie zu essen haben und
was nicht – so dumm ist kein Politiker. Des-
halb wird sich bei der Massentierhaltung
nichts ändern. Das geschieht nur, wenn
wir anfangen, Fleisch wieder mehr Wert-
schätzung entgegenzubringen. Wer zum
Metzger geht, der hat noch eine Ahnung
davon, dass für das Steak in der Auslage
ein Tier gestorben sein muss. Dieser Zu-
sammenhang ist in den letzten Jahren ein
bisschen verlorengegangen. Vielleicht es-
sen die Leute deshalb achtlos so viel
Fleisch.
Essen Sie selbst viel Fleisch?
Ja, sehr, sehr gerne. Ich würde sagen,
80 Prozent meiner Ernährung besteht aus
Fleisch. Der Rest ist, glaube ich, Schokola-
de (lacht). Immer wenn mich jemand
fragt, wie kannst du so etwas machen,
sage ich: Ich bin Mensch, das ist meine Na-
tur. Die Gewinnung von Fleisch war für
viele früher ein großes Glück, das bedeu-
tete, dass man überleben wird.
Können Sie Vegetarier und Veganer ver-
stehen, die der Umwelt oder den Tieren
zuliebe auf Fleisch verzichten?
Natürlich. Ich habe größten Respekt vor
Menschen, die für sich selbst eine Art der
Ernährung oder Lebensweise gefunden
haben, die sie richtig und gut finden, und
diese vertreten. Aber dann soll man auch
bitte Respekt haben, wenn jemand wie ich
Fleisch essen will. Wenn man jetzt sagt,
du bist ein schlechter Mensch, weil du
Fleisch isst und weil du Tiere tötest, dann
sage ich: Ja, ich weiß, wie das ist, Tiere zu
töten. Das ist auch notwendig. Im Grunde
sollte jeder wissen, was passieren muss,
um ein Schnitzel auf den Teller zu bekom-
men. Die Menschen sollten sich die Mühe
machen, mal hinter die Produktionskette
zu gucken, und nicht einfach schreien:
„Macht das Fleisch teurer, dann geht’s den
Tieren besser.“ Wer die ganze Kette
kennt, der weiß: Da gibt’s ein Lebewesen.
Dieses Lebewesen verdient Wertschät-
zung. Aber wir züchten die Tiere nur aus
einem Grund: Wir wollen sie aufessen. Es
gibt keinen anderen Grund, warum diese
Tiere überhaupt hier in unserem Kultur-
raum vorkommen. Ich kann das Tier
schlachten, und ich werde es auch schlach-
ten, wenn ich Hunger habe. Das ist Teil un-
serer Kultur und unseres Lebens.
Seit Monaten gibt es „Fridays for Futu-
re“-Demonstrationen, die sich für den
Klimaschutz einsetzen. Merken Sie,
dass Ihre Kunden seitdem versuchen, sel-
tener oder bewusster Fleisch zu essen?
Dass wir seitdem weniger verkaufen,
ist nicht der Fall. Ich sag ja nicht, dass
alle so viel Fleisch wie möglich essen sol-
len, damit ich mir die Taschen füllen
kann. Sondern ich sage, dass es okay ist,
Fleisch zu essen und deshalb niemand
ein schlechtes Gewissen zu haben
braucht. Sicherlich haben Bewegungen
wie „Fridays for Future“ zu einem Nach-
denkprozess geführt, und es ist wichtig,
sich zu fragen: Wie gehe ich mit den Res-
sourcen der Welt um? Aber dass die Men-
schen an der Klimakrise schuld sind, ist
eine Behauptung, der niemand wider-
sprechen kann. Das Klima verändert sich
ständig. Mittlerweile werden auch die Ge-
schäftsmodelle, die hinter der Angst vor
der Klimakatastrophe stecken, sichtbar.
Ich befürchte, damit lassen sich am Ende
sogar Wahlen gewinnen.
Wieso haben Sie sich damals dafür ent-
schieden, Metzger zu werden?
Unseren Betrieb gibt es seit 1935.
Mein Opa hat ihn gegründet, mein Vater
hat ihn fortgeführt. Mit vier Jahren habe
ich das erste Mal mit ihm zusammen ein
Schwein geschlachtet. Für mich war
schon sehr früh klar, dass ich die Famili-
entradition weiterführen werde. Mir
macht mein Beruf bis heute großen
Spaß.
Mussten Sie sich schon einmal dafür
rechtfertigen, dass Sie Metzger sind?
Natürlich fragt mal einer: „Warum
machst du das denn?“ Dann sage ich, weil
es mir Spaß macht, weil es ein Teil unse-
rer Familientradition ist und weil es ein
Beruf ist, den es schon sehr lange gibt.
Bertolt Brecht hat mal gesagt: „Erst
kommt das Essen, dann die Moral.“ Für
mich ist heute Essen mit Moral wichtig.
Es ändert aber nichts daran, dass ich das
Tier töten muss.
Es gibt heute weniger Metzgereien, Aus-
bildungsberufe sind generell immer unbe-
liebter – wie schwierig ist es für Sie, Mit-
arbeiter zu finden?
In meinem Betrieb haben wir ein sehr
familiäres Miteinander, deswegen konn-
ten wir bisher immer die passenden Leu-
te finden. Ich denke aber schon, dass es
immer weniger Metzgereien geben wird.
Metzgereien schließen in der Regel nicht,
weil die Kunden wegbleiben. Es fehlt ein-
fach der Nachwuchs. Es gelingt uns Metz-
gern momentan nicht, den Beruf attrak-
tiv darzustellen. Es gibt heute eine Viel-
zahl von Berufsmöglichkeiten, aus denen
die Jugendlichen wählen können. Metzge-
reien werden aber nie ganz verschwin-
den. Wer Mut hat und bereit ist, hart zu
arbeiten, kann als Metzger sehr glücklich
werden.
Das Gespräch führtePaulina Würminghausen.
Frankreichs Busse nehmen sich Uber zum Vorbild
Wie eine Vorstadt von Paris mit einem digitalen Verkehrssystem vernetzt wird / Unser Korrespondent schildert seine Erfahrungen
Im Gespräch: Thomas Reichert, der Inhaber der Frankfurter Metzgerei „Haxen Reichert“
BERCHTESGADEN, 12. August
(dpa). Mehrere Gemeinden im südli-
chen Bayern wollen keine neuen Zweit-
wohnungen mehr zulassen. Der Wohn-
raum werde immer knapper und teu-
rer – und solle deshalb den Einheimi-
schen zur Verfügung stehen, finden
sie. Die oberbayerischen Gemeinden
Schönau am Königssee und Berchtes-
gaden hatten deshalb vor mehreren
Monaten Satzungen erlassen, um die
Zahl der Zweitwohnungen künftig zu
beschränken. Die Satzungen der bei-
den Kommunen hatten über Bayerns
Grenzen hinaus Aufmerksamkeit er-
regt. Damit ist eine Nutzung als Zweit-
wohnung genehmigungspflichtig –
und diese Genehmigung wird im Regel-
fall versagt, wie der Berchtesgadener
Bürgermeister Franz Rasp sagte. Er
und sein Schönauer Kollege Hannes
Rasp (beide CSU) berichten schon von
ersten Erfolgen. Etwa wurden Woh-
nungen nicht als Zweitwohnungen ver-
kauft. Weitere oberbayerische Gemein-
den schließen sich an: Ruhpolding ist
dem Beispiel schon gefolgt. Auch
Kreuth im Tegernseer Tal plant ein
Zweitwohnungsverbot. Die Satzungen
fußen auf dem Baugesetzbuch. Es ge-
steht Tourismusregionen zu, die Nut-
zung von Räumen als Nebenwohnung
einer Genehmigung zu unterstellen,
wenn sie an mehr als der Hälfte der
Tage im Jahr unbewohnt sind. Städte
wie München, Hamburg oder Berlin
können den Weg nicht beschreiten,
wie Bernd Düsterdiek vom Deutschen
Städte- und Gemeindebund sagt. Er
spricht bei dem Vorgehen der ober-
bayerischen Orte aber von einem sinn-
vollen Ansatz.
ami.BERLIN,12. August. Mit fast 3
Milliarden Euro haben Stromverbrau-
cher im Juli die Betreiber von Wind-,
Sonnen- und Biomassekraftwerken fi-
nanziert. Auf genau 2,948 Milliarden
Euro beliefen sich im Juli die Auszah-
lungen laut Stromnetzbetreibern, die
das Konto mit den Einnahmen und
Ausgaben führen. Das ist der zweit-
höchste Wert seit Einführung der Öko-
stromumlage im Jahr 2000. Nur im Sep-
tember 2017 waren die Auszahlungen
mit 2,986 Milliarden Euro noch höher
ausgefallen. Dass die Stromverbrau-
cher zur Finanzierung im Juli nur mit
knapp 2 Milliarden Euro beteiligt wur-
den, liegt allein daran, dass die Diffe-
renz aus den Rücklagen gedeckt wur-
de. Die Höhe der Reserven sank auf
3,5 Milliarden Euro, den niedrigsten
Wert seit November 2017. Ein Grund
dafür ist die seit Januar von 6,79 auf
6,4 Cent je Kilowattstunde gesenkte
Umlage nach dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz (EEG). Sie war wegen in
den vergangenen Jahren aufgebauten
hohen Rücklage reduziert worden. Der
Abbau der Reserve, die im März noch
fast 6 Milliarden Euro betrug, setzte
sich damit trotz wachsenden Öko-
stromabsatzes fort. Auch steigende
Preise an der Strombörse entlasten,
denn der Ökostrom wird jetzt teurer
verkauft, was den Refinanzierungsbe-
darf durch die Verbraucher mindert.
Die Höhe der Auszahlungen bemisst
sich zum einen nach der Höhe der För-
derung, die dem Betreiber je nach
Startjahr auf Dauer von 20 Jahren ge-
währt wird, und zum anderen nach der
produzierten Menge. Die allerdings
wächst durch Zubau neuer Anlagen je-
des Jahr. Alles in allem beliefen sich
die Ausgaben für den Ökostrom in die-
sem Jahr bis Ende Juli auf 16,1 Milliar-
den Euro, sie lagen damit knapp über
dem Vorjahresniveau von 15,9 Milliar-
den Euro. Dagegen blieben die Einzah-
lungen der Verbraucher mit 15 Milliar-
den Euro gut eine Milliarde Euro unter
dem Vorjahreswert zurück.
ami.BERLIN, 12. August. Privat Kran-
kenversicherte bleiben nach einer neu-
en Studie des Verbands der Privaten
Krankenversicherung (PKV) wirtschaft-
lich die Lieblinge der Ärzte. Allein un-
ter den niedergelassenen Ärzten
stammten 23,2 Prozent der Einnahmen
aus der Behandlung Privatversicherter,
obwohl diese nur 10,6 Prozent der Ge-
samtbevölkerung stellen, berichtet das
Wissenschaftliche Institut der PKV.
Ärzte können bei Privatversicherten
deutlich mehr Leistungen abrechnen
als bei Kassenpatienten. Das ist ein
Grund für die relativ hohen Ausgaben
der Privatversicherung. Insgesamt sei
die Bedeutung der Privatversicherten
für die Praxen und andere Gesundheits-
anbieter weiter gestiegen. Der „Mehr-
umsatz“, den Ärzte mit Privatversicher-
ten, gemessen an der Bezahlung von
Kassenpatienten, machten, sei im Jahr
2017 auf 13,23 Milliarden Euro gestie-
gen, 226 Millionen Euro mehr als im
Vorjahr. Im Durchschnitt belief sich der
von Privatversicherten erbrachte An-
teil je Praxis auf 54 319 Euro im Jahr,
im Jahresvergleich ein Plus von 3,3 Pro-
zent. Der Effekt dürfte noch höher
sein, weil in die Berechnung nur einge-
reichte Rechnungen eingingen. Viele
Privatversicherte haben aber Selbstbe-
teiligungen abgemacht, die sie nicht ab-
rechnen können.
„Wer Fleisch isst, muss kein schlechtes Gewissen haben“
Oberbayerische
Orte stoppen
Zweitwohnungen
3 Milliarden Euro
für Ökostrom im Juli
Privatversicherte
finanzieren Arztpraxen
„80 Prozent meiner Ernährung besteht aus Fleisch“, sagt Metzger Thomas Reichert. Foto Marina Pepaj
Auf Abruf:Dieser Bus fährt auf Bestellung – wenn er denn kommt. Foto Christian Schubert
Schon als Kind hat
Thomas Reichert sein
erstes Tier geschlachtet.
Er erzählt, was er von
der aktuellen Debatte
ums Fleisch hält und
inwieweit sie sich auf
sein Geschäft auswirkt.