Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,19.AUGUST2019


ten. Jeder macht sein eigenes
Mosaik, um dann später die
„Kulturrevolution von rechts“
gemeinsam zu feiern. Seit bei-
spielsweise die Identitäre Be-
wegung offiziell als rechtsex-
trem eingestuft wurde, ver-
meidet die AfD ein bisschen
die Nähe. Statt zu sagen: Ihr
VVVaterlandsverräter lasst unsaterlandsverräter lasst uns
im Stich, akzeptieren die
Identitären das. Die AfD habe
als Partei andere Spielregeln
zu beachten, so die Argumen-
tation.

Sie beschreiben die Artama-
nen als „antimoderne Ausstei-
ger“, die sich der Bio- und
Ökoproduktion sowie altem

ger“, die sich der Bio- und
Ökoproduktion sowie altem

ger“, die sich der Bio- und

Handwerk widmen. Welche
Rolle spielt der Natur- und
Umweltschutz?
Rechte Organisationen und
Personen sind mehr und mehr
bestrebt, ökologische Fragen
zu thematisieren – auch um
nach außen hin Sympathien zu
gewinnen. Wir haben festge-
stellt, dass viele Menschen die
Betreiber von Biohöfen auto-
matisch für linke Ökos halten –
auch wenn das Familienbild
mit der traditionellen Kleidung
vielleicht ein bisschen komisch
erscheint.

Was unterscheidet „grüne“
von „brauner“ Umweltpolitik?
Der zentrale Unterschied ist
ein Vierklang: Heimatschutz,
Naturschutz, Tierschutz und
Volksschutz. Der rechte Öko
strebt eine homogene Gemein-
schaft an. Alternative, grüne
Projekte im Umweltschutzbe-
reich denken viel internationa-
ler, viel solidarischer und nicht

F


rei, sozial, national“,
begrüßt die Dorfge-
meinschaft Jamel ihre
Besucher in Fraktur-
schrift. Das mecklenburgische
„Nazi-Dorf“ mit seinen drei
Dutzend Einwohnern ist das
wohl berühmteste Beispiel für
ein Phänomen, das die Rechts-
extremismusexperten Andrea
Röpke und Andreas Speit eine
„völkische Landnahme“ nen-
nen. In den vergangenen Jahren
hätten sich mehr und mehr
Rechtsextremeauf dem Land
angesiedelt, schreiben die Au-
toren in ihrem neuen Buch. Vie-
le arbeiten im Handwerk, be-
treiben Ökolandwirtschaft, le-
ben traditionelle Geschlechter-
rollen. Was diese Entwicklung
so gefährlich macht, erklärt An-
dreas Speit im Gespräch.


VON SONJA STÖSSEL

WELT:WWWas macht „völkischeas macht „völkische
Siedler“ aus und wo siedeln
sie sich an?
ANDREAS SPEIT:Wir haben in
der Bundesrepublik zwei Phä-
nomene: Zum einen gibt es zum
Beispiel in Niedersachsen seit
Langem völkische Siedler. Der
Nachwuchs erschließt sich mit
eigener Familie Höfe in der Nä-
he. Zum anderen siedeln sich in
Ostdeutschland gezielt ver-
schiedene rechte Akteure an.
Sie alle haben gemein, dass sie
ihre nationalistische Wertvor-
stellung im Alltag leben möch-
ten und sich bemühen vor Ort,
bei den Nachbarn in den Kom-
munen ihr Gedankengut als
„ganz normal“ zu präsentieren.
Sie engagieren sich schnell im
Vereins- und Gemeindeleben
und versuchen nach und nach,
so nach der persönlichen Ak-
zeptanz auch politisch Zu-
spruch zu gewinnen.


Gibt es eine Region, wo sich
das Phänomen besonders be-
obachten lässt?
Mecklenburg-Vorpommern ist
ein Vorzeigemodell für die ge-
samte rechte Szene. Bei unse-
ren langjährigen Recherchen
haben wir beobachtet, dass
einstige Skinheads sich plötz-
lich beieinander ansiedelten.
Menschen, die früher grölend
Rechtsrockmusik hörten,
machten auf einmal Volkstanz
und widmeten sich der Heimat-
und Brauchtumspflege. Geziel-
te Ansiedlungen gab es aus dem
parteipolitischen Spektrum der
NPD genauso wie von Artama-
nen, die sich auf die Tradition
der völkischen Jugendverbände
der 1920er-Jahre berufen. Mitt-
lerweile sammelt auch das Mi-
lieu der Neuen Rechten wie der
Identitären Bewegung Geld für
Siedlungsprojekte. Da sehen Sie
schon, wie heterogen dieses
Phänomen ist.


Stehen diese verschiedenen
Strömungen in Konkurrenz
zueinander?
Man lässt sich, vorsichtig for-
muliert, gegenseitig in Ruhe.
Das ist auch neu. Das Milieu
selbst redet von Mosaikrech-


auf die eigene Volksgruppe
bezogen.

Sie verweisen im Buch auf den
Ursprung des politischen Na-
turschutzes in Deutschland
im Nationalsozialismus. Wel-
che Partei wählt der rechte
Öko heute?
Der rechte Öko wählt heute
AfD, auch wenn die Partei sehr
widersprüchliche Einstellungen
zum Umweltschutz hat. Aber
die AfD hat es geschafft, die ge-
samte sehr rechteKlientel für
sich zu gewinnen. Das sieht
man deutlich am wahlpoliti-
schen Niedergang der NPD.

Was kümmert es mich, zuge-
spitzt formuliert, wenn Rech-
te in die Provinz ziehen?
Man kann sich wirklich fragen,
ob das nicht ein privater Be-
reich ist. Aber solche Anwesen
oder Räumlichkeiten schaffen
die Möglichkeit für Events wie
Schulungen, Brauchtumsfeiern
oder Rechtsrockkonzerte – weil
auf privatem Gelände der Spiel-
raum für Justiz und Polizei eng
ist. Das hilft der Szene, sich zu
regenerieren und gesellschaftli-
che Akzeptanz zu gewinnen.
Zudem haben wir bei unseren
Recherchen erlebt, dass die pri-
vatesten Feiern – ob Hochzeit
oder Begräbnis – hochpolitisch
aufgeladen werden. Bei diesen
Events offenbaren sich die
Strukturen hinter den Struktu-
ren. Dort treffen sich NPD-Ka-
der neben Kadern der Identitä-
ren Bewegung bis zur AfD. Dort
lernt man sich kennen, pflegt
Kontakte, manche finden zu
Paaren zusammen. Darum glau-
ben wir, dass wir genau diese

Feste als politische Veranstal-
tungen begreifen müssen.

Bislang blieb die Szene unter
sich. Das ändert sich nun. Wie
werden die Einladungen von
der breiten Bevölkerung ange-
nommen?
Im kleineren Rahmen – zum
Beispiel zu Ostern das Osterfeu-
er – wird das gern angenommen,
weil endlich etwas passiert. Dass
dann politische Reden gehalten
oder einschlägige Lieder gesun-
gen werden, wird ignoriert. Ich
komme selbst vom Dorf, ich
kann das gut nachvollziehen.
Ein anderes Phänomen sind
KKKulturevents, bei denen zumulturevents, bei denen zum
Beispiel eine Gruppe rechter
Laienschauspieler ein Theater-
stück aufführt. Bei einer „Wil-
helm Tell“-Aufführung 2018 in
Sachsen kam das Publikum aus
der Region, darunter viele Lo-
kalgrößen aus der Politik. Bis
wir darüber berichtet haben,
war vielen nicht bewusst, dass
sie bei einer rechten Veranstal-
tung waren. Das war ein Riesen-
erfolg für die Szene.

Was ist daran gefährlich, das
Stück von Friedrich Schiller
wird ja auch in städtischen
Theatern aufgeführt?
Es geht um langfristige Akzep-
tanz. Wenn diese Zuschauer das
nächste Mal einen kritischen
Bericht zu einer rechten Grup-
pe wie den Artamanen lesen,
denken sie sich vielleicht: Na ja,
ich war ja bei dem Theater-
stück, so schlimm sind die gar
nicht.

Polizei und Verfassungs-
schutz schenken ihren Anga-
ben zufolge diesen völkischen
Netzwerken bislang wenig Be-
achtung. Was könnte der
Staat tun?
Wir sind sehr vorsichtig bei der
Frage, welche Funktion und
Rolle der Geheimdienst spielen
sollte, auch wegen der Erfah-
rungen mit der Terrorgruppe
NSU. Unser Eindruck ist, dass
eine Sensibilisierung der Ge-
sellschaft hilft: Umweltschutz
ist nicht per se grün.

Angenommen ich wohne in ei-
nem Dorf, in das sich eine
rechtsextreme Familie ein-
kauft. Was kann die Gemein-
de oder auch ich persönlich
dagegen tun?
Zunächst einmal kann die Ge-
meinde genau hinsehen, an wen
sie ein Grundstück oder Haus
verkauft. Da wäre eine Informa-
tion der Geheimdienste im Vo-
raus hilfreich. Die Anwohner
sollten gemeinsam besprechen,
wie sie reagieren möchten, um
als Gemeinde nicht verein-
nahmt zu werden. Beratungs-
stellen könnten da hilfreich
sein. In der Vergangenheit ha-
ben sich Betroffene erfolgreich
gegen eine Verankerung in Ver-
einen, im Waldkindergarten
oder bei ökologischen Projek-
ten gewehrt. Das sind harte
Auseinandersetzungen, die viel
Zivilcourage und Solidarität er-
fordern. Allerdings sollten

nicht die Kinder dieser Famili-
en ausgegrenzt werden. Ganz
im Gegenteil. Sie sollten die
Option bekommen, eine andere
Welt kennenzulernen.

Woran erkenne ich als Lehrer
solche Kinder, die im rechten
Milieu erzogen werden?
Manchmal wirklich an den Kli-
schees: Die Töchter tragen nur
Röcke, es werden auffallend
viel Zöpfe geflochten. Manche
Eltern bieten an den Kitas
Volkstanz oder Backen an – und
dann kommen plötzlich heidni-
sche Symbole aus dem Ofen.
Das sind so kleine Indizien, ge-
nau wie die Namenswahl der
Kinder. Aber wir möchten auch
davor warnen, pauschal jede
Waltraud abzustempeln. Es
kommt immer auf die Kombi-
nation an.

Sie beschreiben die Erziehung
in diesen Sippen als eine der
Abhärtung, der Disziplin.
Führt das nicht spätestens in
der Pubertät zu Konflikten?
Es gibt Streitereien, aber tat-
sächlich wissen wir: Aus diesem
Milieu steigt so gut wie niemand
aus. Viele heute führende Kader
kommen aus diesen Familien.
Sie wurden in der Überzeugung
erzogen, dass „wir“ 68er-rot-
grün-versiffte Volksverräter
sind. Sie hingegen sind die aus-
erwählte Elite, die Volk und Va-
terland rettet. Bei Frauen ist die
Verherrlichung von Mütterlich-
keit zudem ein großes Binde-
glied – auch wenn die Wirklich-
keit eine andere ist, auch dort
gibt es häusliche Gewalt.

Wie schaffen es die Familien,
die Heranwachsenden im ei-
genen Weltbild zu festigen?
Indem es alltäglich gelebt und
durch Schulungen, Ferienlager
und Seminare vermittelt wird.
Bei Reisen greift das Konzept
des Ethnopluralismus, das Rech-
te vertreten: Jede Ethnie hat ihre
angestammte Lebensform. Erst
in der Vermischung beginnen die
Probleme, der Niedergang der
eigenen Bevölkerung. In deren
Sprache: des eigenen Volkes.
Deshalb ist es auch kein Wider-
spruch, sich für fremde Länder
zu interessieren – und gleichzei-
tig die eigenen Grenzen dicht-
machen zu wollen.

Erklärt das auch, weshalb die
Szene Stimmung gegen „rück-
ständige“ muslimische Groß-
familien in Deutschland
macht, obwohl man selbst ein
ähnliches Familienideal lebt?
Tatsächlich gab es in der rech-
ten Szene schon immer eine
Verherrlichung des arabischen
Raumes, weil dort die Werte
der klassischen Familie und Ge-
schlechterrollen hochgehalten
werden. Auf dieser Ebene sind
sie Brüder und Schwestern im
Geiste.

TAndrea Röpke, Andreas
Speit: „Völkische Landnahme.
Alte Sippen, junge Siedler,
rechte Ökos“, Ch. Links Verlag,
Juni 2019

Bemalte Hauswand im auch „Nazi-Dorf“ genannten Jamel

KARSTEN THIELKER

/FOTOFINDER - AKITOGO

Wenn rechte


Ökos Dörfer


übernehmen


Ein neuer Trend unter Rechtsextremen


lässt aufmerken: Immer mehr völkische


Familien siedeln sich auf dem Land an.


Dahinter steckt politisches Kalkül

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