Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,19.AUGUST


N


icht einmal die spani-
sche Inquisition hat ei-
nen solchen Rechtszu-
stand erlebt“, sagte Mustafa
Kemal Güngörals Angeklagter
vor Gericht. Er ist selbst An-
walt, außerdem Menschen-
rechtsaktivist – und er war Vor-
standsmitglied der Zeitung
„Cumhuriyet“ in der Türkei.
Güngör gehört zu der Gruppe


von Redakteuren, Reportern
und Führungskräften, die in Is-
tanbul zu langjährigen Haft-
strafen verurteilt wurden.
Der Albtraum begann im Ok-
tober 2016, als 14 „Cumhuriy-
et“-Mitarbeiter – Journalisten,
ein Karikaturist und der Anwalt
Güngör – verhaftet wurden. Die
Begründung lautete wie in vie-
len anderen Fällen: „Unterstüt-
zung der kurdischen Arbeiter-
partei PKK und der Gülen-Be-
wegung FETÖ“. Dabei hatte
„Cumhuriyet“ die FETÖ-Bewe-
gung immer wieder kritisiert.
Güngör warf man zudem „Ver-
trauensmissbrauch“ vor – er
habe Geld verliehen, so Verlus-
te für die Firma provoziert und
die Art der Berichterstattung
der Zeitung verändert.
Im April 2018 fielen die Ur-
teile im „Cumhuriyet“-Prozess



  • mit hohen Strafen für die
    meisten Angeklagten, bei Gün-
    gör hieß es drei Jahre und neun
    Monate Gefängnis. Allerdings
    ließ man ihn und viele andere
    Angeklagte zunächst auf freiem
    Fuß. Bis zum Berufungspro-
    zess, der ein Jahr später statt-
    fand und die Urteile bestätigte.
    Bevor sich die Verurteilten der
    Polizei stellten, gaben sie noch
    eine Pressekonferenz: Ihr
    Schlusswort lautete: „Hoffent-
    lich geht für uns drinnen alles
    gut – und hoffentlich auch für
    euch hier draußen.“


AFP

/ YASIN AKGUL

#Free


them


all


FFFreeree


them all


Mustafa Kemal Güngör

Das Rettungsschiff „Open
Arms“ mit mehr als 100 Flücht-
lingen an Bord darf in den spa-
nischen Hafen Algeciras einlau-
fen. Bereits zuvor hatten sich
sechs EU-Staaten, darunter
Deutschland, bereit erklärt, die
Flüchtlinge der „Open Arms“
aufzunehmen. Der italienische
Innenminister Matteo Salvini
verbot dem Schiff dennoch die
Fahrt nach Lampedusa.


„Open Arms“


darf in Spanien


anlegen


Traum daran denken würde, die
Demokraten zu wählen.
Damit haben die Demokraten
ein Problem: Sie verfügen außer-
halb der Stadtzentren und Vor-
städte eigentlich über keine
Machtbasis mehr. Und sie müssen


  • als urbane Partei – lauter Positio-
    nen unter einen Hut bringen, die
    nur eines miteinander gemeinsam
    haben: dass Stadtbewohner sie gut
    fffinden. inden.
    Aus deutscher Sicht müsste
    man sich vorstellen, dass „Linke,
    Sozialdemokraten, Grüne und so-


W


ir haben uns seit
der Französischen
Revolution ange-
wöhnt, über politi-
sche Gegensätze anhand eines
Links-Rechts-Schemas nachzu-
denken. Links sitzen im Parlament
die Fortschrittsfreunde, die Kö-
nigsmörder, die Sozialisten, die
Antiklerikalen. Rechts sitzen die
Konservativen, die Königstreuen,
die gläubigen Christen, die Vater-
ländischen, die Völkischen.

VON HANNES STEIN
AUS NEW YORK

In den Vereinigten Staaten wur-
de dieses politische Schema durch
eine neue Anordnung ersetzt. Es
gibt dort jetzt zwei Parteien: eine
Stadtpartei (die Demokraten) und
eine Landpartei (die Republika-
ner). Wer auf eine Landkarte
blickt, auf der die Bevölkerungs-
dichte auf dem nordamerikani-
schen Kontinent dargestellt ist,
der weiß sofort, was die Leute auf
dieser Landkarte wählen.
Das heißt aber, dass in den Ver-
einigten Staaten nicht mehr zwei
politische Meinungen aufeinander
treffen, sondern zwei Kulturen,
zzzwei grundverschiedene Lebens-wei grundverschiedene Lebens-
stile – zwei Stämme, die sich nicht
einmal mehr über die Fakten ver-
ständigen können.
Die Stadtbewohner sind eth-
nisch bunt gemischt; die Landbe-
wohner sind in ihrer Mehrheit
WWWeiße. Die meisten Stadtbewoh-eiße. Die meisten Stadtbewoh-
ner haben im Leben noch nie ein
Gewehr gesehen; die Landbewoh-
ner gehen auf die Jagd. Die Stadt-
bewohner glauben, dass es einen
menschengemachten Klimawandel
gibt; die Landbewohner neigen da-
zu, den Klimawandel für einen aus-
gemachten Schwindel zu halten.
Die Stadtbewohner informieren
sich über CNN und die „New York
Times“; die Landbewohner schal-
ten Fox Newsein und lesen Breit-
bart News. Die Stadtbewohner
stehen Einwanderung oft auch po-
sitiv gegenüber; die Landbewoh-
ner fühlen sich von Immigranten
öfter bedroht.
Der Politikwissenschaftler Jo-
nathan A. Rodden, der in Stanford

lehrt, hat in einem neuen Buch
(„Why Cities Lose“) die histori-
sche Herkunft dieser starken
Stadt-Land-Kluft untersucht. Na-
türlich gab es diesen Gegensatz
schon früher, und nicht nur in
Amerika.
Die Arbeiterbewegung war im-
mer eine urbane Bewegung, den-
ken wir an die Slogans vom „roten
Wien“. Die Konservativen waren
immer eher in den ländlichen Ge-
bieten zu Hause. In den Vereinig-
ten Staaten aber passierte in den
3 0er-Jahren – in der Zeit des sozi-
aldemokratischen „New Deal“ un-
ter Franklin D. Roosevelt – etwas
AAAußergewöhnliches: Die Arbeiter-ußergewöhnliches: Die Arbeiter-
bewegung in den Großstädten des
Nordens schloss einen Pakt mit
den Rassisten in den Südstaaten.
Noch nach dem Zweiten Welt-
krieg waren die Demokraten
gleichzeitig die Partei des sozialen
Fortschritts und der Rassentren-

nung in Alabama, Arkansas und
Louisiana. Das änderte sich frei-
lich dramatisch, als die schwarze
Bürgerrechtsbewegung siegte und
der demokratische Präsident Lyn-
don B. Johnsonanno 1964 den „Ci-
vil Rights Act“ unterschrieb.
Johnson meinte damals bitter,
ihm sei klar, dass er damit den Sü-
den der Vereinigten Staaten für ei-
ne Generation verloren habe. Er
irrte sich nur in der Zeitspanne.
Mittlerweile wurde die dritte Ge-
neration von weißen Südstaatlern
geboren, deren Mehrheit nicht im

Donald Trumps onald Trumps onald Trumps


ggeografischereografischereografischer


Trumpf


Der Wahlkampf


in den USA


nimmt Fahrt auf.


Aber es ist ein


ungleiches Rennen.


Die Republikaner


haben Vorteile – was


an der Verteilung der


Bevölkerung liegt


F


rau Yu hat die Kinder mit-
gebracht. Die Kleine, an-
derthalb, trägt sie noch im
Gurt. Die Vierjährige schiebt sie
im Wagen vor sich her. Beide wer-
den, wenn Hongkong im Jahr
2047 wieder ganz chinesisch sein
soll, um die 30 sein. Und deshalb,
findet Frau Yu, müssen sie bei ei-
ner Kundgebung für Freiheit und
Demokratie unbedingt dabei sein.
„Ich will, dass ihre Heimat ein
Land bleibt, wo man seine Mei-
nung sagen darf. Je mehr wir
sind, desto sicherer.“
So sahen das am Wochenende
auch sehr viele andere Leute in
der ehemaligen britischen Kolo-
nie, die fast schon ein Viertel-
jahrhundert wieder zu China ge-

hört, wenn auch mit vielen Son-
derrechten. Allen Drohungen der
Zentralmacht in Peking zum
Trotz gingen von den 7,5 Millio-
nen Hongkongern wieder Hun-
derttausende auf die Straße.
Nach manchen Schätzungen wa-
ren es sogar deutlich mehr als ei-
ne Million. Für den Veranstalter,
das Demokratiebündnis Civil
Human Rights Front, ist das ein
Erfolg. Manche hatten befürch-
tet, dass sich die Leute ein-
schüchtern lassen und nach
zweieinhalb Monaten Protesten
langsam auch müde werden. Zu-
dem kosteten die Jagdszenen
von Hongkongs Flughafen, wo
Demonstranten vergangene Wo-
che auf einen chinesischen Re-

porter losgingen, die Bewegung
einige Sympathien.
AAAber nein. Auf der zentralenber nein. Auf der zentralen
KKKundgebung im Victoria Park, ei-undgebung im Victoria Park, ei-
nem der wenigen Parks in der an-
sonsten zubetonierten Innenstadt,
ließ sich die Menge am Sonntag
nicht einmal durch strömenden
Regen abbringen. Als das Wasser
vom Himmel kam, spannten alle
nur die Regenschirme auf. Nach
Hause ging niemand. Also doch
wieder so eine Art Regenschirm-
Revolte: So wurde Hongkongs
nicht so erfolgreiche Demokratie-
bewegung vor fünf Jahren genannt.
Wie damals werden die Protes-
te von der jüngeren Generation
getragen. Die meisten sind jünger
noch als Frau Yu mit ihren 29 Jah-

ren. Die Mehrheit trägt Schwarz,
und viele haben eine Maske vor
dem Mund. Das ist in Chinas Mil-
lionenstädten kein besonders un-
gewöhnliches Bild. Derzeit ist die
Luft aber gar nicht so schlecht.
Die Leute tragen Maske, falls die
Polizei wieder Tränengas ein-
setzt. Und manche auch, damit
sie nicht erkannt werden, auch
nicht vom Arbeitgeber.
Richtig gut ist es um die Mei-
nungsfreiheit in Hongkong nicht
mehr bestellt. Man sieht das zum
Beispiel daran, dass Cathay Paci-
fic auf Druck aus Peking zwei Pi-
loten entließ, die sich an Protes-
ten beteiligt hatten. Eigentlich
gilt der Grundsatz „Ein Land,
zwei Systeme“ immer noch – so

Mit Kind und Regenschirm


Hunderttausende gehen wieder in Hongkong auf die Straße – und der reichste Mann der Stadt gibt den

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