National Geographic Germany - 08.2019

(WallPaper) #1

64 NATIONAL GEOGRAPHIC


Dauerhafte Siedlungen errichteten sie nur we­


nige, aber ihre angesehensten Männer bestat­


teten sie mit Beigaben aus Bronze und Silber


unter Grabhügeln, die heute noch aus der Steppe


ragen.


Um 2800 v. Chr., so zeigen archäologische

Ausgrabungen, machten sich die Jamnaja­Men­


schen auf den Weg nach Westen, wahrscheinlich


auf der Suche nach besseren Weiden für ihr


Vieh. So verbreitete sich auch ihr Totenkult.


Der Grabhügel in der Nähe von Žabalj ist das

westlichste bisher entdeckte Jamnaja­Grab in


Europa. Das genetische Datenmaterial zeigt aber


eine noch weitere Verbreitung der Jamnaja­Kul­


tur auf. Viele Angehörige der Schnurkeramik­


Kultur stammen von ihnen ab. Binnen weniger


Jahrhunderte breiteten sich Menschen mit


einem großen Anteil an Jamnaja­DNA bis auf


die britischen Inseln aus.


Dort und an anderen Orten überlebte kaum

einer der angesiedelten Bauern die Einwande­


rung aus dem Osten. „Auch in Deutschland


wurde die Bevölkerung zu 70 oder gar 100 Pro­


zent ersetzt“, sagt der Palä ontologe Reich von


der Harvard­Universität. „Vor 4 500 Jahren muss


etwas Dramatisches passiert sein.“ Doch anders


als beim Ereignis rund 900 Jahre zuvor kennen


Wissenschaftler den wahrscheinlichen Grund.


B


is dahin war es den Bauern in Eu­
ropa jahrtausendelang gut gegan­
gen. Sie hatten sich von Bulgarien
bis nach Irland niedergelassen, oft
in Dörfern mit Hunderten oder gar

Tausenden Einwohnern. Volker Heyd, ein deut­


scher Archäologe an der Universität Helsinki,


schätzt, dass es 3 000 v. Chr. bis zu sieben Mil­


lionen Menschen in Europa gab. In Britannien


wurde zu der Zeit, in der Jungsteinzeit, die An­


lage von Stonehenge errichtet.


Für viele Archäologen war es nicht plausibel,

dass ein paar Nomaden innerhalb weniger Jahr­


hunderte eine etablierte Zivilisation ersetzten.


„Wie zum Teufel konnte dieses Hirtenvolk die


fest verwurzelte jungsteinzeitliche Gesellschaft
aus den Angeln heben?“, fragt sich zum Beispiel
Kristian Kristiansen, ein Archäologe an der Uni­
versität Göteborg in Schweden.
Einen Hinweis darauf, wie dies geschehen
konnte, geben die Zähne von Menschen, die
etwa zu der Zeit, als die Jamnaja­Kultur in Rich­
tung Westen aufbrach, in den südrussischen
Steppen und weiter westlich lebten. In sieben
von 101 Proben fanden Genforscher neben
menschlicher DNA auch das Erbgut einer frühen
Form von Yersinia pestis. Das ist derselbe Pest­
erreger, der im 14. Jahrhundert rund die Hälfte
aller Europäer dahinraffte.

Im Gegensatz zu dem durch Flöhe übertrage­
nen Schwarzen Tod des Mittelalters konnte die
frühe Variante nur von Mensch zu Mensch wei­
tergegeben werden. Die Steppennomaden der
Jamnaja­Kultur hatten offenbar jahrhunderte­
lang mit der Krankheit gelebt. Möglicherweise
bauten sie sogar eine Immunität oder Wider­
standskraft dagegen auf – ähnlich wie die Euro­
päer, die bei der Kolonialisierung Nord­ und
Südamerikas die Pocken mitbrachten, ohne
selber massenweise daran zu sterben.
Und genauso, wie die Pocken und andere
Krankheiten unter den indigenen Völkern Ame­
rikas Verheerungen anrichteten, könnte die Pest,
nachdem sie von den ersten Jamnaja­Menschen
eingeschleppt worden war, die jungsteinzeit­
lichen Dörfer entvölkert haben.
Das würde sowohl den schnellen Zusammen­
bruch der Schnurkeramik­Kultur erklären wie
auch die rasche Verbreitung von Jamnaja­DNA
von Russland bis Britannien. Das hält etwa Mor­
ten Allentoft, ein im Naturkundemuseum in

2016 wurde in Groß Fredenwalde (Uckermark)
das steinzeitliche Grab dieses Babys entdeckt.
Das Kind war wohl an Unter ernährung gestor­
ben. Die Stätte liegt auf einem 100 Meter hohen
Hügel, den Jäger und Sammler fast ein Jahr­
tausend lang als Friedhof nutzten.

Die Menschen Europas ereilte der gleiche Schicksalsschlag


wie die Indianer Amerikas viele Jahrhunderte später.

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