P.M. History - 08.2019

N

och immer reagieren die Men­
schen beherrscht. Betäubt von
der Wucht der Ereignisse, wie
es der Fotograf Arnold Genthe vermu­
tet, der in seinem verwüsteten Studio
erst mal nach einem "passenden Erd­
beben-Dress" sucht. In khakifarbenen
Reithosen verlässt er das Haus, um im
"St. Francis Hotel" ein Frühstück zu
sich zu nehmen-das an diesem Morgen
kostenlos serviert wird. Im 500 Meter
entfernten "Palace Hotel" ist der welt­
berühmte Tenor Enrico Caruso unver­
sehrt. Aber Kellner kämpfen gegen das
Feuer, bespritzen die Front des Gebäu­
des mit Wasser aus der hoteleigenen
Leitung. Vergebens: Nach Mittag betritt
"der letzte, unheimliche Gast" das le­
gendäre Hotel, wie ein Autor die Szene
schildert: "Er zieht eine scharlachrote
Robe hinter sich her, dringt in jeden
Winkel vor." Caruso verlässt San Fran­
cisco am nächsten Tag per Schiff.
Um 7.45 Uhr sind Truppen vom Fort
Mason einmarschiert, um die Münzan­
stalt und die Ruine des Rathauses zu
bewachen -wo sechs Millionen Dollar
liegen. Die Marine bringt Ärzte und
Soldaten in die Stadt. Der Gouverneur,
kabelt seine Einschätzung an Präsident
Roosevelt ("kein Zweifel, Kalamität
sehr ernst"). Waggons mit Spenden aus
dem ganzen Land rollen in die Stadt.
Im Zentrum der Nothilfe aber steht
Eugene Schmitz: der Bürgermeister. Er
richtet im Schießstand der Polizei ein
Leichenhaus ein; er lässt sich die Insas­
sen eines einsturzgefährdeten Gefäng­
nisses vorführen und entscheidet, wer
nach einer Moralpredigt freigelassen
werden kann und wer nicht. Er vergibt
3000 Hilfssheriffsterne. Die Elite der
Stadt versammelt er in einem "Komitee
der 50", einer Notregierung, die sich an
wechselnden Orten trifft -je nach Ver­
lauf der Feuersbrünste.
In einer unversehrten Druckerei
lässt Schmitz 5000 Blatt einer Prokla­
mation drucken - Passanten müssen
den Strom für Presse mit einer Tretkur­
bel erzeugen. Das Papier macht klar:
Der Bürgermeister wird rabiat für Ord­
nung sorgen. Er habe Polizisten und
Soldaten autorisiert, "jeden zu TÖTEN,
der beim Plündern ertappt wird".

San Francisco

IMPROVISATION Ohne Wasser müssen sich die Feuerwehrleute etwas einfallen

lassen. Mancherorts pumpen sie Kloakenschlamm aus der Kanalisation

RATHAUS Die Säulen des Rathauses sind mit einem Geräusch wie Kanonendonner

zerborsten. Im verschütteten Schatzamt lagern noch sechs Millionen Dollar

FLÜCHTLINGE ln langen Trecks ziehen die obdachlosGewordenen mit ihrer Habe aus

der Stadt hinaus. Schätzungen zu folge verlassen 200 000 Menschen San Francisco

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