P.M. History - 08.2019

(Tina Meador) #1

Briefwechsel


,,Sie sind


kein


Pessimist11


Der sozialdemokratische Politiker und der


katholische Schriftsteller: Willy Brandt


und Heinrich Böll kämpften für eine


streitbare Demokratie - und


unterstützten sich in ihren Briefen gegenseitig


B


eide wurden gefeiert- und ange­
feindet: Willy Brandt und Hein­
rich Böll stehen für das Ende
der spießbürgerlichen Nachkriegszeit,
mussten sich aber immer wieder
gegen Verleumdungen wehren. Brandt
wegen seiner unehelichen Geburt, Böll
aufgrunddes Vorwurfs, ein RAP-Sym­
pathisant zu sein. Deshalb wurde sogar
das Haus des Schriftstellers durch­
sucht. In ihren Briefen bestärken sich
die beiden gegenseitig, benennen aber
auch Meinungsverschiedenheiten. So
äußert Böll seine Sorgen gegenüber
den umstrittenen Notstandsgesetzen:
Sie wurden 1968 als Vorsorge für den
Krisenfall beschlossen, von Tausenden
Protestanten aber als Gefahr für Frei­
heitsrechte und Demokratie betrachtet.

BÖLL am 23. Mai 1968 aus Köln
Besten Dankfür Ihren Brief und
das Rundschreiben, das aller­
dings meine Bedenken gegen die
Notstandsgesetze und meinen
Eindruck von der zweiten Lesung
nicht verringert. ( ... )Auch was
Günter Grass von Berlin berich-

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tet, beschäftigt mich sehr; soll es
wirklich so weit kommen, dass
die Alliierten als Kontrollmächte
die Stadt wieder "übernehmen"
müssen? Persönlich wäre mir das
ohnehin lieber, als von den Herrn
(Rainer) Barzel, (Bert) Even, (Carl
Otto) Lenz und (Otto) Schmidt
(alle CDU/CSU, Anm. der Red.)
regiert zu werden. Immerhin bin
ich nicht durch Deutsche von den
Nazis befreit worden, sondern
durch Amerikaner und Engländer
und in diesem Sinne bleibe ich
ganz und gar 194Ser.

BRANDT am 31. Mai 1968 aus Bonn
Ich halte das, was jetzt kommt, für
wesentlich besser als das, was bisher

Willy Brandt
(191 3-1992) in Lübeck geboren,
trat mit 16 in die SPD ein. 1957
wurde er Bürgermeister von
Berlin, später Außenminister
und von 19 69 bis 1974 Bun­
deskanzler. 1971 erhielt er den
Friedensnobelpreis. Bis zu sei­
nem Tod blieb er Präsident der
.Sozialistischen Internationale".

war- auch als das, was seinerzeit
geplant war.

BÖLL am 20. Juni 1968 aus Köln
Ihre Garantie ist das Einzige, was
mich nach der Verabschiedung
der Notstandsgesetze noch tröstet.
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