Um 1700 ist Deutschland
noch kein Nationalstaat: Das
Heilige Römische Reich deut
scher Nation ist kaum mehr
als ein loser Bund aus gut
300 souveränen Grafschaften,
Herzog-und Fürstbistümern
sowie freien Städten, dazu
vielen Hundert kleinen Ritter
schaften und Klostergütern.
Zum Reich gehören über
dies Länder wie Böhmen und
Savoyen, in denen die Unter
tanen slawische oder romani
sche Sprachen sprechen. Um
gekehrt zählen zu den Fürsten
im Reich auch auswärtige
Monarchen, etwa der dänische
König als Herzog von Holstein.
Im deutschsprachigen Ge
biet des Reichs wird sich bis
etwa 1770 mit Preußen eine
zweite Großmacht neben
Österreich etablieren. Und das
Ringen der beiden miteinander
wird für lange Zeit die deut
sche Geschichte dominieren.
Das römisch-deutsche
Reich selbst - das sich von der
Ostsee bis zur Adria, von der
Weichsel im Osten bis an die
Grenzen zu Frankreich und den
Niederlanden erstreckt - ist
um 1700 ein politisch, wirt
schaftlich und militärisch eher
bedeutungsloser Staatenbund.
Ausgelöst wurde dieser Nie
dergang durch den Dreißigjäh
rigen Krieg, der von 1618 bis
1648 in den deutschen Landen
wütete. ln dessen Verlauf war
ein regionaler Religionskonflikt
zwischen protestantischen
Adeligen und dem Kaiser, dem
katholischen Oberhaupt des
Reichs, zu einem multinationa
len Kampf um die Hegemonie
in Europa eskaliert, an dem
unter anderem auch Schweden
und Frankreich beteiligt waren.
ANTON ULRICH VON BRAUNSCHWEIG-WOLFENBÜTTEL
1633-1714
Der Welfenherrscher liebt den glanzvollen Effekt;
Maskeraden, Opern, Feuerwerk. ln Braunschweig lässt
er eine riesige Opernbühne bauen und nahebei ein
Lustschloss, für das er Bild um Bild anschafft. Als der
Herzog stirbt, hinterlässt er eine große Gemälde
sammlung - sowie etliche Lieder, Bühnenstücke und
Romane aus eigener Feder
•IlD
Münster/Osnabrück. Der
Westfalische Frieden beendet
den Dreißigjährigen Krieg. Zu
den Siegern zählen zum einen
Frankreich und Schweden, die
zu Großmächten aufgestiegen
sind. Zum anderen profitieren
in den deutschen Landen die
hohen Adeligen, Kirchenfürs
ten und wohlhabenden Eliten
der Reichsstädte. Sie herrschen
nun als souveräne Fürsten
und Magistrate über ihre Terri
torien. Damit haben sie die
Macht, politische und militäri
sche Bündnisse einzugehen
sowie in ihren Ländern Gesetze
zu erlassen. Im Reichstag, der
Interessenvertretung aller
Fürsten und Reichsstädte, ver
abschieden sie darüber hinaus
die im gesamten Reich gelten
den Gesetze. Der Kaiser ist bei
allen Entscheidungen auf das
Wohlwollen des Reichstags
angewiesen. Doch wirkliche
Machtfü lle besitzen nur die
acht Kurfürsten, die den Kaiser
wählen: die Erzbischöfe von
Mainz, Köln und Trier, die Her
zöge Sachsens und Bayerns,
der Markgraf Brandenburgs,
der Pfalzgraf der Pfalz sowie
Böhmens König, der zugleich
Erzherzog von Österreich ist.
Vor allem sie streben nun
absolutistische Regime an:
Nach dem Vorbild des franzö
sischen Königs Ludwig XIV.
wollen sie ungehindert durch
gesetzliche Schranken und
Parlamente regieren. Doch
tatsächlich bedürfen die
Fürsten vor allem bei Steuer
erhöhungen vielfach der Zu
stimmung von Stadtbürgern
und Landadeligen.
104 I GEO EPOCHE Deutschland um^1700
Daten, zu denen es in diesem Heft
einen Beitrag gi bt, shJd rot markiert •
- il!"itii"i-1
Franken. ln der protestan
tischen Region finden rund
150 000 evangelische Reli
gionsflüchtlinge aus dem
katholischen Österreich eine
neue Heimat. Zwischen Main
und Regnitz ist während des
Krieges mindestens die Hälfte
der Bevölkerung ums Leben
gekommen. ln anderen Reichs
gebieten pachten Siedler aus
der überbevölkerten Schweiz
verwaiste Höfe von adeligen
Grundherren.
Leipzig. Der Buchdrucker
Timetheus Ritzsch gibt die
erste Tageszeitung der Weit
heraus, die "Einkommenden
Zeitungen".
•Im
Potsdam. Der Brandenburger
Landtag bewilligt dem Kurfürs
ten Friedrich Wilhelm für die
nächsten fünf Jahre Steuern
in Höhe von 530 000 Ta lern.
Das Geld soll vor allem für
den Aufbau eines stehenden
Heeres genutzt werden. Zu
gleich werden die meisten
Bauern des Kurfürstentums
per Ve rordnungquasi zu Leib
eigenen adeliger Gutsherren
erklärt - es sei denn, sie kön
nen beweisen, dass sie frei sind
(was praktisch unmöglich ist).
Sie dürfen etwa die Ländereien
der "Junker" nicht ohne Er
laubnis verlassen und unterlie
gen deren Gerichtsbarkeit.
•Im
Polen. Mit einem Überfall auf
Polen beginnt Schwedens Kö
nig Karl X. Gustav den Ersten
Nordischen Krieg; er will seine
Vormachtstellung im Ostsee-