ern, wohnen in geräumigen Zim
mern und nicht in schmutzigen
und überfüllten Stuben, häufig in
unmittelbarer Nähe zum Vieh.
Daher können sie der Seuche an
fangs vermudich besser trotzen.
Und doch befällt die Pest so man
ches Mal auch sie.
Als ein Pfarrer ein Gut in
Masuren besucht, sind Adelsfami
lie und Bauern tot. Er trifft nur
auf eine Gänsemagd, die Kleider
und Schmuck der Herrin angezo
gen hat und sich im ausgestorbe
nen Haus als Dame aufspielt.
Um die Tausenden Leichen
unter die Erde zu bringen, rekru
tieren die Behörden Landstreicher
und Kriminelle als "Pestkerle".
In einem Dorf zerrt einer
dieser Bestatter einen ohnmäch
tigen Bauern von seinem Feld
auf den Friedhof und schaufelt
ihm ein Grab. Als der Mann in die
Grube hinabgelassen werden soll,
gähnt er laut und wacht schließ
lich auf-der Bestatterbringt ihn
daraufhin nach Hause.
Andere Pestkerle aber sollen
Menschen lebendig begraben ha
ben, um Prämien zu kassieren.
Vielerorts findet sich noch
nicht einmal jemand für diese ris
kante Aufgabe. Bauern eines Dor
fes in der Nähe von Königsberg
ziehen die Leichname eines Kin
des und eines Mannes mit Boots
haken aus einem Haus und legen
sie auf den Misthaufen - hun
grige Schweine machen sich über
die Körper her. Wo anders schar
ren Hunde To te aus, reißen Kör
perteile ab und laufen mit ihnen
durch die Gegend.
Weil streunende Hunde zu
dem verdächtigt werden, in ihrem
Fell giftige Dämpfe herumzu
tragen, gehen die Behörden gegen
sie vor. Ein Beamter zahlt seinem
Knecht Schießpulver und lobt für
DIE PEST
HÄUSER dienen
nicht nur zur
Behandlung
sie sollen auch
Infizierte von
den Gesunden
fern halten.
Erst im Herbst
1710 klingt
die Seuche
in Preußen
allmählich ab
jedes tote Tier eine Abschussprä
mie von drei Groschen aus.
Manche abgelegenen Dörfer
sterben leise aus. Dort kümmert
sich niemand mehr um Leichen
oder Hunde. Ein Pfarrer, der mit
einem Knecht durch diese Geis
terdörfer wandert, berichtet von
reifen Früchten, die verfaulen,
weil sie niemand gepflückt hat,
vom Vieh, das herrenlos auf der
Feldern herumläuft, vom Getrei
de, das ungeerntet auf dem Acker
steht, und von den toten Körpern,
die unbeerdigt in zahlreichen
Häusern liegen.
Ein Geschichtsschreiber aus
dem Ort Johannisburg notiert,
dass der Marktplatz der Stadt mit
Gras eingewachsen sei, weil dort
monatelang niemand Handel ge
trieben habe.
A
ngesichts der apo
kalyptischen Zu
s:ände verlieren die
Uberlebenden ihr
Ve rtrauen in Medi
zin und Kirche. Die Landbevöl
kerung verjagt die Ärzte und
verweigert die Therapien und
Medikamente, die sie verordnen:
84 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700
Wacholderpulver, Schwitzkuren,
Safranpflaster und Abführmittel
aus alter Butter.
Manche Bauern besinnen
sich aufBräuehe aus der Zeit vor
der Christianisierung: An die
Fensterrahmen spinnen sie Garne,
die das "weiße Gespenst" aufhal
ten sollen, sie graben To te aus und
schlagen ihnen in Zeremonien mit
Spaten die Köpfe ab.
Die Pfarrer verlesen in den
Dorfkirchen, dass Anhänger die
ser heidnischen Praktiken gehängt
und nach dem To d wie Selbst
mörder behandelt würden - ob
die Drohung etwas verändert, ist
nicht überliefert.
Andere Menschen suchen
sich Schwächere als Sündenböcke.
Der Ve rwalter eines königlichen
Gutes etwa lässt eine offenbar ver
wirrte alte Frau gefangen nehmen,
die sich um Pestkranke geküm
mert hat. Sie wird lebendig in
einen Sarg gesperrt und von drei
Männern mit vier Salven totge
schossen, wie der örtliche Pfarrer
berichtet.
In Te ilen Preußens bricht
die Verwaltung zusammen, weil
Beamte gestorben und geflüchtet