Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1
FOTO: HORST FRIEDRICHS

und das Nikotinaroma, das schwer im Ge-
mäuer hängt. Auf einem Ölporträt sieht
man den jungen, verdammt schnittigen
Peter in Anwaltsrobe und mit Kippe, und
es wird klar: Der Mann hat im Leben außer
Zigaretten nie was anbrennen lassen.
An diesem späten Vormittag schlendert
eine Reisegruppe aus Hildesheim durch
das Anwesen, der Guide steckt den Kopf
durch die Tür zum Wohnzimmer, Peter und
Gattin rauchen, und der Hausherr rum-
pelt: „Können wir noch einen Moment
sitzen bleiben?“ Zehn Minuten später
schlurfen sie dann doch in den lichten Sa-
lon, während Hildesheim das vollge-
qualmte Wohnzimmer entert. Sir Peter
schaut erfreut auf die Uhr: „Meine Herren,
gleich zwölf, Zeit für einen ersten Drink“.
Wir müssen die Einladung zum mittäg-
lichen Whiskey schweren Herzens aus-
schlagen, weil high um Noon die Fahrtüch-
tigkeit auf dem Weg zum nächsten Ziel
vernebeln würde, bedauern diese Ent-
scheidung aber schon bald im obligatori-
schen Stau. Wir inchen gemütlich nach
Clovelly, ein Fischerdörfchen, seit Jahrhun-
derten im Familienbesitz und geschlagen
ins Kliff an der herrlichen Nordküste von
Devon. Clovelly wurde erwähnt von
Charles Dickens und Rudyard Kipling, ge-
malt von J.M.W. Turner und war, ähnlich
wie Prideaux-Place, oft auch Filmset. Steil
fallen die kopfsteingepflasterten Gassen
entlang der Häuschen und Cottages, in
denen einst die Fischer lebten und manch-
mal nicht wiederkamen und Witwen zu-
rückließen wie „Crazy Kate“, die im 18. Jahr-
hundert vor Schmerz verrückt wurde, als
sie ihren Mann ertrinken sah in der Hafen-
mole. Das Haus heißt deshalb „Crazy Ka-
te’s Cottage“. In ihm wohnt nun Ellie, die
spricht: „Die Arme spukt bis heute hier.“

Leben im Museum


Ellie ist Künstlerin und Lehrerin und Al-
leinerziehende zweier Jungs. Auf ihrer Vi-
sitenkarte steht griffig „Ellie in Clovelly“.
Sie kam aus London mit den Eltern, die
eine Galerie betreiben etwas höher im Ort.
Schräg gegenüber davon lebt Thomas
„Tommy“ Loscombe, den alle nur „Leroy“
nennen, weil er unter diesem Namen einst
boxte, 43 Profikämpfe, 1963 sogar im Vor-
programm von Cassius Clay, später Ali, im
Wembley-Stadion. Der alte Tommy sitzt
bei gutem Wetter den ganzen Tag vor sei-
nem Häuschen, raucht Pfeife und schaut
den Touristen zu, wie sie die Gassen rauf-
und runterkeuchen, ziemlich außer Atem
wie er früher nach acht Runden.
Nun ist es nicht jedermanns Sache, in
einem Museum zu leben mit all den

Pfund, Pub bleibt Pub, Pint bleibt Pint. Und
auch der unerreichte Humor, die Freund-
lichkeit und die landestypische Exzentrik
haben das dämliche Votum vom Juni 2016
unbeschadet überstanden.
Wir treffen bei den Exkursionen in den
Süden jedenfalls stets bemerkenswerte
Menschen, die bemerkenswerte Dinge sa-
gen oder tun oder die wenigstens in derart
bemerkenswerten Häusern leben, dass die-
se als Filmkulisse dienen. Sie sehen genau-
so aus, wie sich Deutsche und Freunde des
literarischen Lebenswerks von Rosamun-
de Pilcher, selig wie die Königin, die türkis-
blau-heile Welt von Cornwall vorstellen.
Ein solches Anwesen besitzt Sir Peter
Prideaux-Brune, der mit seiner zweiten
Frau Elisabeth den Prideaux-Place in Pads-
tow bewohnt oder präziser: teilt. Und zwar
mit bis zu 30000 Touristen pro Jahr, die
kommen, weil in den ausladenden Räum-
lichkeiten rund ein Dutzend Pilcher-Fil-
me gedreht wurden. Durchs Fenster fällt
der Blick auf den Garten, dahinter liegt der
Camel-Fluss und dahinter wiederum das
Meer. In einem Wort: Pilcher. Sir Peter, ein
direkter Nachfahre von William dem Erobe-
rer, spielte schon mit in diversen Nebenrol-
len. Als Chauffeur oder Gin-Tester und ein-
mal als millionenschwerer Parvenü, der
vorgeben sollte, den Palast zu kaufen, der
ihm im richtigen Leben gehört. Während
er diese Anekdote erzählt, muss er laut und
kehlig lachen und kräftig husten, denn Sir
Peter und Gattin sind passionierte Ketten-
raucher, und mitunter beschweren sich
meistenteils teutonische Besucher auf
Tripadvisor über die vollen Aschenbecher 4

Dörfer und palast­


artige Häuser wie aus


einer Filmkulisse


Strand und Adel: Kynance Cove auf der Halbinsel


Lizard in Cornwall (o.). Sir Peter Prideaux­Brune


mit Frau Elisabeth auf dem Landsitz, in dem auch


Pilcher­Romane verfilmt werden (u.)


REISE


114 29.9.2022

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