Wer in diesen Tagen an der Tesla Straße 1
aussteigt, spürt das Beben des märkischen
Sandbodens unter den Füßen. Wo vor rund
zwei Jahren noch ein Kiefernforst stand,
rollen heute Lkws und Bagger in Dauer-
schleife über den Asphalt. In Grünheide vor
den Toren Berlins zieht der US-Autobauer
Tesla im Turbomodus seine Gigafabrik
hoch, auch dank großzügiger Unterstüt-
zung der Brandenburger Landesregierung,
die auf sprudelnde Steuereinnahmen hofft.
Rund 12000 Menschen sollen hier einmal
arbeiten. Schon jetzt halten die gelben
Arbeiter-Linienbusse vor dem Werkstor in
einer Frequenz, die an den Busbahnhof
einer Kleinstadt denken lässt.
Das Werksgelände allerdings wurde in
einem Trinkwasserschutzgebiet errichtet.
Obwohl noch gebaut wird, haben die Be-
hörden eine Betriebsgenehmigung erteilt.
Seit März 2022 rollen die E-Autos vom
Band. Immer wieder kommt es dabei zu
Vorfällen, erst Montag musste ein Brand
auf dem Außengelände gelöscht werden.
Damit bei der Produktion keine gefähr-
lichen Stoffe austreten, muss sich Tesla im
Trinkwasserschutzgebiet eigentlich an
strenge Auflagen halten. Dokumente und
Augenzeugenberichte, die der stern aus-
gewertet hat, legen jedoch nahe: Tesla
vernachlässigt seit Monaten Sicherheits-
maßnahmen – und riskiert damit eine
Vergiftung des Grundwassers. Laut dem
Naturschutzbund Brandenburg (Nabu)
könnte eine solche Kontaminierung im
schlimmsten Fall auch die Berliner Was-
serversorgung bedrohen. Die Behörden,
auch das zeigen die Unterlagen, setzen vor
allem darauf, dass Tesla sich selbst kon-
trolliert. Steffen Schorcht ist Mitglied der
Bürgerinitiative Grünheide und wohnt
rund einen Kilometer von der Tesla-Fa-
brik entfernt. Der 62-Jährige trägt Karo-
hemd und Outdoorjacke, in der er jeder-
zeit zum Wandertag aufbrechen könnte.
Er ist naturverbunden, aber auch offen
für Technologie.
Der Ansiedlung von Tesla habe er an-
fangs offen gegenübergestanden, sagt er.
Noch heute organisiert er Dialogveranstal-
tungen und Führungen mit Tesla, obwohl
er das Vertrauen in den US-Autobauer
längst verloren hat. Denn er sorgt sich um
die Qualität des Wassers, das bei ihm zu
Hause künftig aus dem Hahn kommt. „Was
uns besonders Angst macht, ist der Bereich
um die Lackiererei“, sagt Schorcht.
Wasserbrunnen liegen in der Nähe
Ende August lud Tesla eine Delegation von
Vereinsvertretern, Naturschützern und
Hydrologen zu einer Rundfahrt über das
Werksgelände ein, in den eigenen E-Autos.
Der Konzern wollte über die Baufortschrit-
te informieren und Fragen zum Wasser-
schutz beantworten. Auch Schorcht war
dabei. Als der Besuchertrupp am Tor der
Lackiererei vorbeikam, sei die gute Stim-
mung schlagartig vorbei gewesen.
„Uns war sofort klar: Die ganzen Maß-
nahmen für den Grundwasserschutz sind
noch nicht fertiggestellt“, sagt Schorcht.
Denn vor der Lackiererei, wo für den Fall
einer Havarie eigentlich der Boden zube-
toniert sein sollte, befindet sich eine brei-
W
te Erdgrube. Wenn hier giftige Stoffe aus-
träten oder die Feuerwehr einen Brand
löschen müsste, würde das kontaminierte
Wasser ungehindert versickern. Auch
entsprechende Auffangbehälter für das
kontrollierte Ableiten gefährlicher Flüssig-
keiten sind offenbar noch nicht installiert,
so Schorcht. Augenzeugenberichte von
anderen Teilnehmern und Drohnenfotos
deckten sich mit diesen Beobachtungen.
„Wenn hier etwas in der laufenden Produk--
tion passiert, ist die Gefahr groß, dass es ins
Grundwasser gerät“, sagt Schorcht.
Etwa anderthalb Kilometer von der Fa-
brik entfernt befinden sich die kommuna-
len Trinkwasserbrunnen. Ein Grundwas-
serleiter führt nur wenige Meter unter
dem Tesla-Produktionsgelände in diese
Richtung. Die Fläche war deswegen schon
vor der Ansiedlung des Autobauers als
„Wasserschutzzone III“ eingestuft. Laut
Landesrecht gelten auf solchen Flächen
strenge Auflagen. Bauern dürfen nicht
ohne Weiteres Pflanzenschutzmittel oder
Dünger verteilen, Kühe, Schafe und
Schweine nur unter bestimmten Bedin-
40 29.9.2022