Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1
Fotos: Ina Mortsiever, Michael Kappeler, CDU / Laurence Chaperon


  1. August und 1. September | Berlin
    Jetzt bewerben für Z2X
    Visionäre zwischen 20 und 29 können sich jetzt für
    das große Festival in Berlin bewerben: z2x.zeit.de.

  2. August | Köln
    ZEIT CAMPUS Pop-up-WG
    mit Kool Savas
    ZEIT CAMPUS gründet eine WG – Martina Kix
    interviewt am Küchentisch: Rapper Kool Savas!

  3. August | Hamburg
    ZEIT Matinee mit Annegret
    Kramp-Karrenbauer
    Eine Parteivorsitzende haben wir eingeladen,
    nun kommt auch eine Verteidigungsministerin.
    Annegret Kramp-Karrenbauer zu Gast in der
    ZEIT Matinee.

  4. September | Würzburg
    Wie die neuen Rechten Gesellschaft
    verändern – in ganz Deutschland
    Reporter Christian Fuchs erzählt von seinen jahre-
    langen Recherchen rund um Geldgeber und Hin-
    termänner der neurechten Bewegung.

  5. September | Zürich
    Redaktionsbesuch in der Schweiz
    Blicken Sie hinter die Kulissen der Zürcher Redaktion.

  6. September | Hamburg | ZEIT Café^
    Was braucht der Mensch? Arbeit.
    Elisabeth von Thadden ist die Erfinderin von »Sinn
    und Verstand«, den neuen philosophischen Seiten
    der ZEIT. Mit Lisa Herzog, einer jungen Professorin
    für politische Philosophie, will sie über die Grund-
    bedürfnisse der Menschen und die Zukunft der
    Arbeit diskutieren.


Veranstaltungen


Ihre Vorteile


Aktuelle Einladungen an


alle ZEIT-Abonnenten


Werden Sie Freund der ZEIT, und profitieren Sie von exklusiven Vorteilen –
egal ob als Probe-, Print- oder Digitalabonnent. Treffen Sie die Redakteure,
und erleben Sie den Journalismus Ihrer Zeitung ganz neu.

Podcast
Jede Woche geben
ZEIT-Redakteure Einblick
in aktuelle Recherchen
aus der Zeitung

Buchverlosungen
Regelmäßig verschenken
wir Buchneuerscheinungen
unter unseren
Abonnenten

Veranstaltungen
Blicken Sie bei
exklusiven Veranstaltungen
hinter die Kulissen
der ZEIT

NEU: ZEIT Kulturkarte
Genießen Sie ab sofort Vorteile
bei Museen, Theatern, Festivals
und Konferenzen unserer
Kooperationspartner

Kostenlos anmelden unter:


http://www.freunde.zeit.de


Das ZEIT Café im
Helmut-Schmidt-Haus stillt
nicht nur den Kaffeedurst der ZEIT-
Journalisten und vieler Hamburg-Be-
sucher, sondern ist regelmäßig Ort
für Abendveranstaltungen. So
wieder am 19. September
--> --> -->

Zusätzliche
Freikarten

107190_ANZ_10719000018987_23573978_X4_ONP26 1 26.07.19 15:

ANZEIGE


12 DOSSIER 1. August 2019 DIE ZEIT No 32


Das Ehepaar Brangmann plant zu jener Zeit,
nach Australien auszuwandern. schäfer hat das
lange als Quatsch bezeichnet, aber nach der
scheidung beschließt er, sich den beiden anzu-
schließen. 2004 fliegen Brangmann und schäfer
nach Perth an der australischen Westküste, um
den umzug vorzubereiten. Brangmann erinnert
sich, wie nervös sein Freund gewesen sei. schäfer
hat vor dem Abflug wochenlang mit einer Immi-
grationsagentin E-Mails ausgetauscht und telefo-
niert. Zuerst war es nur um Einreiseformalitäten
gegangen, bei denen sie helfen sollte, irgendwann
hat sich schäfer in sie verliebt. Jetzt wartet sie in
der Empfangshalle.
Der Arzt kehrt von der Australienreise vorerst
nicht zurück. Er zieht zu der Immigrationsagentin,
in eine straße mit frei stehenden Häusern unter
Palmen. seinem Bruder Walter schickt er eine
Postkarte: »Ich lebe jetzt in Australien!« schäfer
heuert als Anästhesist in der universitätsklinik von
Perth an. Doch nach einem Jahr endet sein Ar-
beitsvisum, und er darf nicht mehr als Arzt tätig
sein. Er beschließt – im Alter von 45 Jahren –,
noch einmal zu studieren. An der Curtin univer-
sity of technology schreibt er sich für Biomedizi-
nische Wissenschaften ein. Allerdings nicht an
einer medizinischen Fakultät, eine solche gibt es da
noch nicht an dieser universität, sondern an einem
Institut für Pharmazie. Dort interessiert sich schä-
fer, der Anästhesist, nun für tumorbiologie. Er
beginnt eine zweite Pro mo tion. thema: Neue
strategien gegen tumorwachstum.
sein Doktorvater – kein Mediziner, sondern
Biochemiker und offenbar überfordert mit schä-
fers thema – bittet ihn, sich einen Arzt außerhalb
der universität zu suchen, der seine Arbeit mit-
betreut. schäfer entscheidet sich für einen Mann
namens William Barnes, der in Fremantle bei
Perth seit Jahren Krebspatienten mit alternativen
Methoden behandelt. seine therapien basieren
auf natürlichen stoffen wie Vitamin C und dem
Extrakt aus einer fleischfressenden Pflanze.
Barnes ist ein rundlicher Brillenträger mit net-
tem Lachen, der über skype erst mal sagt: »gehen
sie gut mit ihm um.« Er wolle nicht an einer
»Charakterhinrichtung« von schäfer mitwirken.
Er selbst sei me dial »zerstört« worden. 2015 wurde
Barnes die Ap pro ba tion für drei Monate entzogen,
nachdem eine seiner Patientinnen gestorben war
und ihm vorgeworfen wurde, nicht zugelassene
Alternativmethoden anzuwenden. seitdem darf er
keine Krebspatienten mehr behandeln. Heute be-
treibt Barnes eine Farm mit Baumschule.


Als schäfer ihn damals, acht Jahre vor dem
Approbationsentzug, ansprach, habe er, Barnes,
schnell gemerkt, wie intelligent dieser Deutsche
sei. schäfer habe wie ein getriebener gelesen, sich
in kürzester Zeit in die tiefen der Krebsforschung
eingegraben und bald mehr über tumorzellen ge-
wusst als er selbst.
Diese Begegnung scheinen beide als einen
glücksfall erlebt zu haben. Barnes gibt schäfer
einen Job in seiner Praxis und hat nun einen über-
qualifizierten Assistenten. schäfer bekommt Zu-
gang zu medizinischer Ausrüstung und einen
sparringspartner für die Weiterentwicklung seiner
tumortheorien.
Die beiden treffen sich drei-, viermal pro Wo-
che, meist zum Mittagessen. »Rainer war be-
sessen«, sagt Barnes. Romane lesen, ins Kino ge-
hen, Fußball, so etwas habe ihn nicht interessiert.
Barnes geht es ähnlich. Also sprechen die beiden
stundenlang über biochemische si gnal we ge und
beugen sich über stoffwechsel-Diagramme.

F


riedrich Brangmann sitzt unterdessen in
Deutschland, gesundheitliche Be-
schwerden haben seinen Australien-
traum platzen lassen. Immer wieder
ruft sein Freund aus Perth an und infor-
miert ihn über neue gedanken. Einmal erklärt
schäfer, man müsse sich den Krebs vorstellen wie
eine fette schwarze spinne in einem riesigen, ver-
worrenen Netz. Dieses Viech sei nur zu besiegen,
wenn man es schaffe, alle spinnweben zu kappen,
bevor die spinne zu stark geworden sei. schäfer
erzählt von stoffen, denen er das zutraue. Von
pflanzlichen Mitteln wie Kurkuma, Manuka-Ho-
nig und sesamol, von den Pflanzenfarbstoffen
Mangostin und Luteolin, von Medikamenten wie
Disulfiram, von chemischen Verbindungen wie
staurosporin und Maleinsäurediethylester, vom
spurenelement selen und von Vitamin C.
Manchmal betraut schäfer seinen Freund
Brangmann mit kleinen Rechercheaufgaben. Er
soll in Internet-Datenbanken nach natürlichen
substanzen suchen, die die si gnal we ge des Krebses
blockieren können, schäfer gibt Brangmann kon-
krete Anweisungen, wonach er zu fahnden hat.
Brangmann versteht anfangs nicht viel, später ein
bisschen mehr, irgendwann wundert er sich, wie
viel er inzwischen über Krebs weiß.
Es mag verrückt erscheinen, ist aber genau so:
Ein Mann schreibt an einer universität ohne
medizinische Fakultät eine Doktorarbeit über ein
medizinisches thema, betreut von einem Bioche-
miker, der keine Ahnung hat, und einem Arzt,
der bald die Ap pro ba tion verlieren wird, unter-

stützt von einem Installateur aus dem Rheini-
schen. In der Praxis von William Barnes ent-
wickelt Rainer schäfer jene Methode, mit der er
später tatsächlich Patienten behandeln wird, auch
Heinz-Peter Kröpelin.
Zunächst macht schäfer tests an Zellkulturen
und will so herausfinden, welche Moleküle in tu-
moren zu welchen Reaktionen führen. Er kappt
die glucosezufuhr. Reicht nicht. Er kappt auch
noch das glutamin. schon besser. Über Jahre tes-
tet schäfer 92 stoffe in 3000 Kombinationen, so
schreibt er es in seiner Doktorarbeit.
Dann pflanzt er im Labor der uni-Klinik Perth
Mäusen verschiedene Krebsarten ein, Brust-,
Leber- und Darmkrebs, vor allem aber einen be-
sonders aggressiven und in Australien häufig vor-
kommenden Krebs, der an verschiedenen stellen
im Körper auftreten kann, häufig ausgelöst von
Asbest. schäfer injiziert Mäusen dann den stoff,
der sich bei seinen Zellkulturen als besonders er-
folgreich herausgestellt hat: selen, ein spuren-
element, dem schon lange eine krebsheilende Wir-
kung nachgesagt wird, die bislang aber nicht belegt
werden konnte. schäfer kombiniert selen mit an-
deren stoffen wie Lithiumchlorid. Das Mittel
spritzt er direkt in die tumoren der Mäuse.
Als die tiere im Labor untersucht werden, er-
zählt Barnes, habe der Laborant geglaubt, schäfer
habe ihm versehentlich die falschen Proben ge-
schickt: Er habe keinen Krebs finden können.
»Das war ein riesiger Erfolg«, sagt Barnes. »Besser
geht es nicht.« schäfer dokumentiert sein positives
Ergebnis in seiner Doktorarbeit. Doch diese tests
sind nur erste Hinweise, die in weiteren stu dien
überprüft werden müssen.
schäfer schließt seine Doktorarbeit 2010 ab.
gemeinsam mit Barnes leitet er daraus einen Be-
handlungsgrundsatz ab, eine auf jeden Patienten
individuell abstimmbare Kom bi na tion aus Natur-
heilmitteln, konventionellen Krebsmedikamen-
ten und Arzneien im sogenannten Off-Label-use,
die eigentlich für andere Zwecke bestimmt sind.
Auch Chemotherapien verdammen die beiden
nicht, manchmal halten sie sie für nötig. Aller-
dings sollen die Zytostatika in geringerer Dosie-
rung angewendet werden als üblich. schäfer und
Barnes glauben, dass diese Mittel durch die Kom-
bination mit anderen Präparaten eine durchschla-
gende Wirkung entfalten, verbunden mit viel
weniger Nebenwirkungen.
Konventionelle Onkologen, sagt Barnes, mach-
ten »medizinisches Malen nach Zahlen«, behan-
delten also nach immer gleichen Plänen, ohne die
Krankheit zu verstehen. Autofahrern gleich wüss-
ten sie zwar, wie man Auto fährt, aber beim Blick

unter die Motorhaube verstünden sie nicht, wie
alles zusammenhängt. Eine Beleidigung für die
Zunft der Onkologen.
Jutta Hübner ist Professorin für Integrative
Onkologie am universitätsklinikum Jena. seit
Jahren erforscht sie, wie man Krebspatienten ne-
ben den herkömmlichen therapien helfen kann,
etwa mit Mitteln der Naturheilkunde oder mit Er-
nährungstipps. Hübner hat auf Bitte der ZEIT
schäfers Pro mo tion gelesen sowie das wenige, was
er sonst zu seinen Forschungen verschriftlicht hat.
schäfers grundidee, sagt sie, sei bei Weitem nicht
so innovativ wie von ihm behauptet. Viele Ansätze
würden auch in der schulmedizin verfolgt. »Die
si gnal we ge der Krebszellen gezielt zu kappen ist
allerdings schwieriger, als es klingt.« schäfer habe
die Wirksamkeit seiner therapie wissenschaftlich
nicht nachgewiesen, ebenso wenig habe er Risi-
ken systematisch erforscht. »Wenn er das wirklich
an Menschen gemacht hat, ist das übelste schar-
latanerie.« Besonders unethisch sei es, dass er bei
schwer kranken Menschen falsche Hoffnungen
geweckt habe.
Die ZEIT fragte auch andere Onkologen an, sie
bestätigten Hübners sicht.

N


ach Abschluss seiner Promotion
bemüht sich schäfer in Australien
um eine Forschungsstelle an der
Curtin university – und scheitert.
Er versucht, seine Doktorarbeit in
einem Fachmagazin unterzubringen – und schei-
tert. Er versucht, von einem pharmazeutischen
unternehmen geld für eine studie zu bekommen


  • und scheitert.
    Nichts von dem, was er in Barnes’ Praxis ge-
    macht hat, wird je weiteren wissenschaftlichen
    Prüfungen unterzogen. Niemand reproduziert sei-
    ne Versuchsergebnisse, niemand rechnet nach,
    kein gutachter beschäftigt sich damit.
    Dann zieht schäfer mit seiner australischen
    Lebensgefährtin nach Deutschland. Er findet
    einen Job als Anästhesist in Dannenberg an der
    Elbe. und plötzlich melden sich Krebspatienten,
    Freunde von Freunden, viele von ihnen verzwei-
    felt. sie haben von seinen Forschungen gehört, von
    seinen angeblichen Erfolgen in Australien. Bisher
    hat Rainer schäfer nur mit Petrischalen und Labor-
    mäusen hantiert. Er hat verhältnismäßig wenig
    schaden angerichtet. Jetzt beginnt er, Menschen
    zu behandeln, und sein Ehrgeiz steigert sich nach
    und nach zum Wahn. schäfer betritt die Zwischen-
    welt der alternativen Krebsmedizin, in der nicht
    immer leicht zu unterscheiden ist zwischen selbst
    ernannten Wunderheilern, die mit naiven Patien-


ten reich werden wollen, und Ärzten mit edlen
Motiven, die glauben, ein Allheilmittel gegen die
tödliche Krankheit gefunden zu haben.
selten werden solche Fälle öffentlich, zu eng ist
der Pakt zwischen Arzt und Patient, zu groß die
Hoffnung auf Rettung. Wenn es schiefgeht, den-
ken Patienten, Angehörige, Freunde: Der Krebs
hat halt gesiegt. Wenn es gut geht, reichen sie den
Namen des Arztes weiter. so verbreitet sich das
Märchen von der Wundertherapie, die von der
etab lier ten Krebsmedizin und den Pharmakonzer-
nen angeblich gemieden wird, weil sie das lukrative
Mil liar den ge schäft mit dem Krebs zerstöre.
Patienten aber gehen beim Betreten der Zwischen-
welt ein erhebliches Risiko ein. Im britischen Journal
of the National Cancer In sti tute erschien 2017 eine
studie von Forschern der universität Yale. sie ver-
glichen 280 Krebspatienten, die sich ausschließlich
Alternativtherapien unterzogen hatten, mit 560 kon-
ventionell behandelten Patienten. Das Ergebnis: eine
zweieinhalbmal höhere todesrate unter denen, die
auf schulmedizin verzichteten.
Die Alternativmediziner haben aus der sicht
verzweifelter Patienten ein unschlagbares Argu-
ment, das alle statistik vergessen macht: Es ist die
Hoffnung. In Fällen, in denen konventionelle On-
kologen ein düsteres Bild malen, sehen die Alter-
nativen oft noch Möglichkeiten.
Einer der ersten Patienten, die von Rainer
schäfer behandelt werden, ist Manfred Robe*. Er
kennt schäfer aus der Kindheit. Robe besuchte
dasselbe gymnasium in Offenburg, die Familien
fuhren gemeinsam in den urlaub. 2010 wird bei
Robe ein Rektumkarzinom festgestellt. Der ehe-
malige Lehrer lässt sich von einem chirurgischen
Onkologen untersuchen, einer Koryphäe auf dem
gebiet der Darmkrebsbehandlung. Aber Robe hat
das gefühl, der Professor interessiere sich gar nicht
richtig für ihn. Nach wenigen sekunden untersu-
chung habe er gesagt: Da könne man leider nicht
operieren, da helfe nur eine Chemotherapie.
Robe ist Chemotherapien gegenüber skeptisch,
er hat gehört, dass die Erfolgsquote bei fünf Pro-
zent liegt. Das behauptet auch schäfer gerne. In
Wahrheit lässt sich so eine allgemeine Quote un-
möglich ermitteln – die Erfolgsquote liegt je nach
Art der Krebserkrankung »zwischen null und 99
Prozent«, wie es die Onkologin Jutta Hübner aus-
drückt. Robe ist sehr besorgt, also ruft er schäfer
an. »gleich beim ersten telefonat hat er mit mir
gesprochen, als wären wir schon lange Freunde«,
erinnert sich Robe. »Dabei hatten wir in unserem
ganzen Leben vielleicht zweimal telefoniert.« schä-
fer sagt, er könne ihn behandeln. Aber Robe müsse
zu ihm nach Dannenberg kommen.

Wahnsinnige Hoffnung Fortsetzung von s. 11

Free download pdf