Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1
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  1. August 2019 DIE ZEIT No 32 WIRTSCHAFT 23


DIE ZEIT: Herr Folkerts-Landau, die Aussichten
für Deutschlands Wirtschaft werden schlechter.
Nun hat EZB-Präsident Mario Draghi klarge-
macht, dass die Zinsen noch einmal sinken könn-
ten. Ein richtiges signal?
David Folkerts-Landau: Die Weltkonjunktur be-
findet sich eindeutig im Abschwung, eine Re zes-
sion in Deutschland – aber auch in der Eu – ist
deutlich wahrscheinlicher geworden. Wir erwar-
ten, dass die Europäische Zentralbank in diesem
Jahr ihren Einlagezinssatz noch weiter senkt.
ZEIT: Das heißt übersetzt: Banken müssten noch
mehr als bisher draufzahlen, wenn sie geld bei der
Zentralbank deponieren.
Folkerts-Landau: Ja. und für Anfang nächsten Jah-
res rechnen wir mit erneuten Wertpa-
pierkäufen – und diesmal könnte die
EZB ähnlich wie Japan auch Aktien an-
kaufen. Aber wir befürchten, dass das
nur zu zusätzlicher Verunsicherung und
zu sorgen über die wirtschaftliche Ent-
wicklung führt. Es wird weder die Kon-
sumenten zu höheren Ausgaben veran-
lassen noch zu mehr Investitionen der
unternehmen führen, die Wirtschaft
also nicht befeuern.
ZEIT: Was hätten sie an Draghis stelle
getan?
Folkerts-Landau: In der Euro-Zone
herrscht schon seit einiger Zeit nahezu Vollbe-
schäftigung, die Wirtschaft ist in den vergangenen
drei Jahren stark gewachsen. Die EZB hätte gut
daran getan, ihre geldpolitik früher zu normalisie-
ren, ähnlich wie die us-Notenbank Fed.
ZEIT: sie meinen, sie hätte die Zinsen erhöhen
sollen?
Folkerts-Landau: Ja. Damit hätte sie Verwerfun-
gen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten
begrenzt und sich spielräume für den nächsten
Abschwung verschafft. stattdessen hat die EZB
weiter Anleihen gekauft und sogar negative Zinsen
eingeführt, um ihr Ziel einer Inflationsrate von
knapp unter zwei Prozent zu erreichen. Doch das
Ziel hat sie nicht erreicht. Die EZB hat also ohne
große Not einen großteil ihrer Möglichkeiten auf-
gebraucht, ohne damit Wirkung zu erzielen – wir
wären besser gefahren, wenn sie stattdessen die
Zinsen ein stück weit erhöht hätte.
ZEIT: Warum?
Folkerts-Landau: Ab einem bestimmten Punkt
wirken noch negativere Zinsen nicht mehr bele-
bend. Die Menschen sehen darin das Indiz einer
geldpolitischen Machtlosigkeit.
ZEIT: Das widerspricht dem Lehrbuch. Danach
führen Zinssenkungen zu Investitionen und be-
feuern das Wirtschaftswachstum. Bei Erhöhungen
geschieht das gegenteil, das Wachstum leidet.
Folkerts-Landau: Das gilt für normale Konjunk-
turzyklen; dies ist aber kein normaler Zyklus. Es
spricht viel dafür, dass wir es hier mit einer struk-
turellen unsicherheit in der Wirtschaft zu tun
haben. Zusätzliche Liquidität führt nicht zu höhe-


spielen größenvorteile eine wichtige Rolle.
Deshalb werden vor allem die usA und China
profitieren. Fast alle großen technologieunter-
nehmen stammen aus einem der beiden Län-
der. Der Börsenwert von google liegt über dem
gesamtwert des Dax 30. Die usA sind führend
bei den Ideen und den neuen geschäftsmodel-
len. China ist führend bei der Anwendung der
neuen Ideen, weil es weniger hemmende Vor-
schriften hat. Deutschland und Europa haben
kein google, Face book, Alibaba, WeChat und
so weiter. Aber genau in diesen Konzernen wird
Wirtschaft gerade neu erfunden.
ZEIT: sind wir zu blöd für die Digitalisierung?
Folkerts-Landau: Nein, natürlich nicht.
Deutschland verfügt über exzellente talente.
Diese finden sich zumeist an den universitäten
mit herausragender grundlagenforschung.
Auch der deutsche unternehmenssektor ist
hochinnovativ. An anderen stellen fehlt aber
das richtige umfeld. Dies betrifft etwa die
start-up-Kultur, die eine andere ist als in den
usA oder auch in China. Es geht auch um die
Finanzierung durch Wagniskapital: sie brau-
chen Investoren, die bereit sind, ins Risiko zu
gehen. Könnte der deutsche staat etwa 50 Mil-
liar den Euro zur Förderung der künstlichen
Intelligenz aufbringen?
ZEIT: Wir haben einen Wirtschaftsminister, der
eine industriepolitische strategie vorgestellt hat.
Folkerts-Landau: Dass sich die Regierung des
standorts annimmt, ist zunächst einmal sehr zu
begrüßen. Allerdings ist die Förderung natio-
naler Cham pions sehr schwierig. Man kann
vieles im Wirtschaftsleben nicht zentral steu-
ern, schon gar nicht Innovationen. Überspitzt
gesagt: Beamte ersetzen keine unternehmer.
ZEIT: Auch in Amerika hat der staat techno-
logische Neuerungen angeschoben.
Folkerts-Landau: stimmt, deshalb habe ich
vorgeschlagen: Wenn wir die Verteidigungsaus-
gaben erhöhen, sollte Deutschland nicht ein-
fach mehr Panzer und Flugzeuge kaufen, son-
dern stattdessen lieber in die militärische For-
schung investieren. solche Überlegungen sind
aber in Deutschland ebenso wie in anderen
europäischen Ländern kaum vermittelbar. Mei-
ne sorge ist, dass es im Ergebnis langfristig mit
den usA und China zwei wirtschaftliche
großmächte geben wird und die Europäer mit
der Rolle eines großen Absatzmarktes beschie-
den werden.

Das gespräch führten
Lisa Nienhaus und Mark Schieritz

rem Konsum oder mehr Investitionen. Nur die
Preise bestimmter Vermögenswerte gehen durch
die Decke.
ZEIT: Liegen die Lehrbücher falsch?
Folkerts-Landau: Die empirischen Ergebnisse wi-
dersprechen den Lehrbüchern. Die heute gängigen
theorien haben schwierigkeiten, die komplexen
Zusammenhänge zwischen geldpolitik und Kon-
junktur zu beschreiben.
ZEIT: Woran machen sie das fest?
Folkerts-Landau: Heute weisen schon 3,8 Bil lio-
nen Euro an staatsanleihen in der Euro-Zone so-
wie weitere 1,14 Billionen Euro an unterneh-
mensanleihen negative Renditen auf ...
ZEIT: ... die gläubiger bekommen also keine Zin-
sen dafür, wenn sie geld verleihen, sondern zahlen
sogar noch drauf.
Folkerts-Landau: so etwas hat es in der geschichte
der Menschheit noch nie gegeben. Außerdem hält
die EZB Vermögenswerte von 2,9 Billionen Euro
auf ihren Büchern, ihre Bilanz hat sich mehr als
verdreifacht. Wenn wir trotz alledem mit einer
Rezession rechnen müssen, dann müssen wir ak-


zeptieren, dass das aktuelle geldpolitische Para-
digma wahrscheinlich nicht mehr passt.
ZEIT: Vielleicht ginge es der Wirtschaft
schlechter ohne diese Politik der EZB.
Folkerts-Landau: Das ist nicht überprüfbar. In
der aktuellen situation sollte die geldpolitik
nach dem Motto handeln: Wenn du nicht si-
cher bist, ob deine Maßnahmen die Lage nicht
verschlimmern, dann halte lieber still. Zumal
die negativen Zinsen massive um ver tei lungs-
effek te nach sich ziehen.
ZEIT: Inwiefern?
Folkerts-Landau: sie sind eine steuer auf Er-
sparnisse. Nach unseren Berechnungen verlieren
die sparer in Europa derzeit 160 Mil liar den
Euro pro Jahr, ohne dass diese um-
verteilung von einem Parlament legi-
timiert wurde. Die EZB hat sparern
geld genommen und es den schuld-
nern gegeben, und zwar in enormem
Ausmaß.
ZEIT: Es gab viele Jahre in der ge-
schichte, in denen die Preise schnel-
ler gestiegen sind, als sich die Ver-
mögen über den Zins vermehrt ha-
ben. Da haben die sparer auch
geld verloren.
Folkerts-Landau: Natürlich hat
geldpolitik immer auch Vertei-
lungseffekte, das lässt sich nicht vermeiden.
Aber es ist ein unterschied, ob eine Notenbank
in einer akuten Krisensituation vorübergehend
extreme Maßnahmen ergreift – oder ob sie ein
Extrem wie die Negativzinsen zum Dauer-
zustand macht. Damit hat die EZB ihr eigent-
liches Aufgabengebiet weit gedehnt.
ZEIT: Im November tritt Mario Draghi ab.
War er ein guter EZB-Präsident?
Folkerts-Landau: Mario Draghi hat Anerken-
nung verdient. Er hat außerordentliches ge-
schick bewiesen, seine Vorstellungen und Ein-
sichten in eine intellektuell konsistente Politik
zu übertragen. Er hat die geldpolitik geprägt
wie kein anderer Zentralbankpräsident vor
ihm. Dabei hat er die Rolle der geldpolitik
aber auch enorm ausgeweitet. Im Jahr 2012
sagte er vor Investoren in London, dass er »alles
Notwendige« tun werde, um den Euro zu er-
halten. Diese Aussage hat zu massiven Fehlan-
reizen geführt. sie hat es erst möglich gemacht,
dass Politiker notwendige, aber unpopuläre
Entscheidungen unterlassen konnten.
ZEIT: Viele bewundern Mario Draghi für die
Rede von 2012 als Retter des Euro.
Folkerts-Landau: In der tat waren seine Äuße-
rungen mutig, und die damit verbundene Poli-
tik war zumindest in der kurzen Frist erfolg-
reich, indem sie das Vertrauen der Investoren
wiederherstellte. Aber Alan greenspan war
auch ein bewunderter Notenbanker – und den-
noch hat seine Politik letztlich dazu beigetragen,
dass es zur größten Finanzkrise aller Zeiten kom-
men konnte.
ZEIT: Christine Lagarde soll neue EZB-Präsi-
dentin werden. Wird sie es besser machen?
Folkerts-Landau: Obwohl sie bisher keine geld-
politik gemacht hat, ist sie angesichts ihrer Er-
fahrung als französische Finanzministerin und
beim IWF eine sehr gute Wahl für die spitze der
EZB. La garde ist von Haus aus Juristin. Ihre No-
minierung deutet, ähnlich wie die von Jerome
Powell für die Fed, auf das Ende einer Ära hin,
in der akademisch ausgebildete Ökonomen an
der spitze von Zentralbanken standen. Das wird
auch die geldpolitik beeinflussen.
ZEIT: Inwiefern?
Folkerts-Landau: Die makroökonomischen
Dogmen dieser generation standen teilweise ei-
ner pragmatischeren Politik im Wege. somit
dürfte die EZB unter der Führung von Frau La-
garde wohl etwas flexibler agieren – auch wenn
die neue Präsidentin im großen und ganzen
auf Kontinuität achten dürfte.
ZEIT: Es geht uns doch auch ganz gut mit der
bisherigen EZB-Politik.
Folkerts-Landau: Keine Frage: Deutschland hat
eine goldene Dekade hinter sich. Das Land hat
von der geldpolitik der EZB stark profitiert.
Aber jetzt steht das Land an einem historischen
scheideweg. Die ökonomischen und politischen
Herausforderungen der nächsten Dekade könn-
ten noch größer sein als die der Nachkriegszeit
oder der Wiedervereinigung.
ZEIT: Inwiefern?
Folkerts-Landau: Es ist die Rivalität zwischen
den usA und China, die eine zentrale Rolle
spielt für die Zukunft der Weltwirtschaft. sie
drängt einerseits das liberale Welt han dels-
system zurück, von dem Deutschland profitiert
hat. Andererseits wird sie die technologische
Revolution des 21. Jahrhunderts prägen. Das
ist auch für Deutschland die eigentliche He-
rausforderung.
ZEIT: Weshalb?
Folkerts-Landau: Die Fortschritte beispielsweise
im Bereich der künstlichen Intelligenz dürften
unsere heutigen Vorstellungen weit übertreffen.
Man kann das vielleicht mit der Elektrifizierung
vergleichen. Bevor elektrischer strom erzeugt
wurde, konnte auch niemand abschätzen, was
damit alles möglich würde.
ZEIT: und was hat das jetzt mit China zu tun?
Folkerts-Landau: Bei diesen Entwicklungen

Fotos: Andreas Arnold/Bloomberg/Getty Images (Ausschnitt); Lêmrich/Agentur Focus für DIE ZEIT (l.)

»Dann halte lieber still!«


Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank ist sicher: Mario Draghi folgt der falschen Lehre. Ein gespräch über Ökonomen am Limit und das, was sie in der Krise tun sollten


Führt sie seine Geldpolitik fort? Die zukünftige EZB-Präsidentin
Christine Lagarde und ihr Vorgänger Mario Draghi

David Folkerts-
Landau ist
Chefökonom der
Deutschen Bank
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