2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,8.AUGUST
W
ie gut sollte ein
Kind bei seiner
Einschulung
Deutsch spre-
chen können? Nach einem Vor-
stoß des Unionsfraktionsvizes
im Bundestag, Carsten Linne-
mann, hat sich in Deutschland
eine aufgeregte Debatte entwi-
ckelt. Der CDU-Politiker hatte
in der „Rheinischen Post“ unter
Hinweis auf „neue Parallelge-
sellschaften“ erklärt: „Um es
auf den Punkt zu bringen: Ein
Kind, das kaum Deutsch spricht
und versteht, hat auf einer
Grundschule noch nichts zu su-
chen.“ Für die betroffenen Kin-
der schlug er eine Vorschul-
pflicht vor. Notfalls müsse eine
Einschulung auch zurückge-
stellt werden.
VON KAJA KLAPSA
Der Aufschrei ist groß. Doch
auch Unterstützung gab es für
Linnemann, etwa vom Präsi-
denten des Deutschen Lehrer-
verbands, Heinz-Peter Meidin-
ger. „Wir müssen uns endlich
ideologiefrei dem Problem wid-
men, dass inzwischen ein Fünf-
tel bis ein Viertel der Erstkläss-
ler nur schlecht oder gar kein
Deutsch kann“, sagte Meidinger
WELT. Eine genaue, bundeswei-
te Erhebung zu den Sprach-
kenntnissen gibt es dabei nicht.
Nun melden sich Erziehungs-
und Sprachwissenschaftler zu
WWWort – und plädieren in ersterort – und plädieren in erster
Linie für mehr Gelassenheit.
„Herr Linnemann fordert Din-
ge, die entweder schon längst
realisiert sind oder völlig über-
ffflüssig“, sagte Jörg Ramsegerlüssig“, sagte Jörg Ramseger
WELT. Er forscht an der Freien
Universität Berlin zu Grund-
schulpädagogik. Selbstverständ-
lich sei es schwierig, wenn Kin-
der in der ersten Klasse die
deutsche Sprache nicht ausrei-
chend beherrschen. In Berlin
seien das 17,5 Prozent aller Erst-
klässler. „Es ist aber die Nor-
malsituation, dass die deut-
schen Grundschulen damit seit
Jahrzehnten im Allgemeinen
recht gut umgehen“, so Ramse-
ger. So gebe es etwa in Berlin
oder Brandenburg bereits heute
intensive Sprachförderung im
VVVorschulalter. Die Flüchtlings-orschulalter. Die Flüchtlings-
krise 2015 habe die Lage an eini-
gen Schulen zwar temporär ver-
schärft; grundsätzlich seien die
Willkommensklassen aber als
erfolgreich einzustufen.
In Berlin seien Vorschulklas-
sen im Jahr 2000 abgeschafft
worden, so Ramseger. „Die Klas-
sen hatten in der Schule einen
Sonderstatus, waren kaum auf
den Unterricht abgestimmt und
haben sich in der Praxis nicht
bewährt“, erklärt der Erzie-
hungsforscher. Als Alternative
sei daraufhin eine flexible
Schuleingangsphase eingeführt
worden. So könnten Schüler
zum Beispiel die erste und zwei-
te Klasse in einem Schuljahr
kombinieren oder die zweite
Klasse zweimal durchlaufen.
Linnemanns Forderung nach ei-
ner Vorschulpflicht betrachtet
Ramseger als „überflüssig“, da
bereits jetzt weit mehr als 90
Prozent aller Fünfjährigen zu-
mindest das letzte Kindergar-
tenjahr besuchten. Zudem gebe
es etwa in Berlin und Hamburg
bereits obligatorische Deutsch-
sprachtests im Kindergarten.
AAAuf diese Tests verweist auchuf diese Tests verweist auch
die Berliner Staatssekretärin
Sawsan Chebli (SPD). „Das ist
richtig, und das ist wichtig für
die Kinder“, sagte sie dem RBB-
Inforadio. Wenn die Kinder die
Tests nicht bestünden, bekämen
sie Sprachförderung. Als Kind
palästinensischer Eltern habe
sie selbst erst in der ersten Klas-
se richtig Deutsch gelernt, sagte
Chebli weiter. Der Anfang sei
nicht einfach gewesen. Wenn
ein Kind nicht gut Deutsch spre-
chen kann, könne dies sehr ne-
gative Auswirkungen auf seinen
Lebensweg haben. Zugleich be-
tonte die gebürtige Berlinerin,
sie sei ihren Eltern „unendlich
dankbar“, dass diese zu Hause
Arabisch mit ihr gesprochen
hätten. Nun spreche sie insge-
samt fünf Sprachen, was eine
Bereicherung sei.
AAAuch Erziehungswissen-uch Erziehungswissen-
schaftler Ramseger betont, aus
wissenschaftlicher Sicht sei die
Schule für Kinder die beste
Sprachlernsituation. „Nirgend-
wo lernt ein Kind so gut
Deutsch wie in der Schule, wo es
den ganzen Tag mit deutscher
Sprache systematisch konfron-
tiert wird.“ Entscheidend seien
dafür aber differenzierte päda-
gogische Programme – und vor
allem ausreichend für den An-
fffangsunterricht qualifizierteangsunterricht qualifizierte
Lehrkräfte. Es sei fahrlässig,
dass ausgerechnet Quereinstei-
ger häufig in Brennpunktschu-
len eingesetzt würden, so Ram-
seger. Außerdem erhebt er eine
Forderung an Kommunalpoliti-
ker: „Die Unterbringung von
Zuwanderern, insbesondere der
Flüchtlinge, muss besser ver-
teilt werden. Natürlich ist es
schwieriger, in sozialen Brenn-
punkten gute Sprachvorbilder
zu finden.“
Claudia Maria Riehl ist Leite-
rin des Instituts für Deutsch als
Fremdsprache an der Ludwig-
Maximilians-Universität in
München und plädiert ebenfalls
dafür, alle Kinder gemeinsam
einzuschulen. „Ich habe mich
sehr über den Vorstoß von Herr
Linnemann geärgert. Unsere
Studien zeigen, dass Kinder im
Alter von sechs, sieben Jahren
sehr schnell Sprachen lernen.“
In einem Münchner Modellpro-
jekt sei die Sprachentwicklung
von Flüchtlingskindern, die Re-
gelschulklassen besuchten, ge-
messen worden. „Bereits nach
einem Jahr sprachen viele von
ihnen gut Deutsch, obwohl sie
bei null gestartet sind“, sagt
Riehl.
Das Argument, dass keine
Nachteile für diejenigen Kinder
entstehen sollen, deren Mutter-
sprache Deutsch ist, kann Riehl
zwar nachvollziehen. Dafür ge-
be es im Unterricht aber das
Konzept der Binnendifferenzie-
rung – also des Verteilens von
AAAufgaben mit jeweils anderemufgaben mit jeweils anderem
Müssen
Erstklässler
Deutsch
können?
Erziehungs- und Sprachwissenschaftler
schalten sich in die Linnemann-Debatte ein:
Kinder könnten Defizite schnell aufholen
E
ines der großen Integrations-
hemmnisse sind mangelnde
Sprachkenntnisse. Der Uni-
onsfraktionsvize Carsten Linne-
mann hat dies adressiert, in ostwest-
fffälischer Schnörkellosigkeit und oh-älischer Schnörkellosigkeit und oh-
ne jenen paternalistischen Schmelz,
der das Sprechen über Integration
in linksbürgerlichen Milieus zu ei-
nem Verlogenheitsparcours der Ex-
traklasse macht. Was er gesagt hat,
war harmlos. Durch eine Zuspitzung
der Interviewpassage durch die dpa
wwwurde aus dem kühlen Befund überurde aus dem kühlen Befund über
ein Problem, das jeder kennt, der
seine Kinder nicht im Villenviertel
zur Schule bringt, ein Skandal.
AAAuf einmal war vom „Grundschul-uf einmal war vom „Grundschul-
verbot“ die Rede, und nun konnte
der eher gehemmte Herr Linnemann
erleben, dass Dinge, die man gar
nicht gesagt hat, sich besonders gut
eignen, um einen in die Pfanne zu
hauen. Und das tun nicht nur die üb-
lichen Verdächtigen, deren naives
WWWeltbild die Integration vor allem alseltbild die Integration vor allem als
Idylle skizziert, sondern auch An-
dersdenkende der eigenen Partei.
Insbesondere und einmal mehr aus
dem Arbeitskreis der Grünen in der
Union, genannt Union der Mitte. Aus
Linnemann wurde innerhalb weniger
Stunden ein Rechtspopulist, Clown,
QQQuasi-AfD-Mann. Dass die Presse-uasi-AfD-Mann. Dass die Presse-
aaagentur vorbildlich die unglücklichegentur vorbildlich die unglückliche
Überschrift zurückgezogen und kor-
rigiert hatte, interessierte nieman-
den. Im Gegenteil: Jetzt galt der
Konjunktiv. Er hatte es nicht gesagt,
aaaber er hätte es so sagen können.ber er hätte es so sagen können.
Am nächsten Tag stellte sich Cars-
ten Linnemann einer Art Verhör im
Deutschlandfunk, und auch hier
wwwurden raunende Kontexte bemüht,urden raunende Kontexte bemüht,
um ihm, einem Mann der Mitte, das
schlimmste Adjektiv auf die Stirn zu
kleben: rechts! Warum? Weil er es
gewagt hatte, eine Realität anzuspre-
chen, die der Linksbourgeoisie ihr
gggutes Gefühl bei der Integration, derutes Gefühl bei der Integration, der
Feier von schlepperfreundlichen
Schiffskapitäninnen und dem Igno-
rieren migrantischer Gewalt nimmt.
Linnemann wurde als Störenfried
stellvertretend für eine der eigenen
WWWeltanschauung nicht passendeeltanschauung nicht passende
Realität der Prozess gemacht.
Das Gute ist: Linnemann, bis-
lang stets viel zu verhalten, hat zu-
rückgeschlagen. Er hat deutlich ge-
macht, dass diese veröffentlichte
Meinung nicht mehr überein-
stimmt mit dem, was er an der Ba-
sis und im Wahlkampf von Bürgern
hört. Und dass man darüber entwe-
der offen und kontrovers spricht –
oder aber ein Klima der Angst
schürt, in dem jedes falsch zu ver-
stehende Wort zur Entwertung des
Andersdenkenden führt.
Der Twitter-Gerichtshof hat ge-
tagt und deutlich gemacht: Nicht
nur, was du sagst, ist gefährlich,
wenn es Moral-Eliten nicht passt,
sondern auch das, was du gesagt
haben könntest.
[email protected]
KOMMENTAR
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