Die Welt Kompakt - 08.08.2019

(Michael S) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,8.AUGUST2019 WISSEN 27


Glück untersucht. Die Hälfte
der Studienteilnehmer wurde
beauftragt, Musik zu hören. Da-
nach sollten sie beantworten,
ob es sie glücklich gemacht hat.
Der andere Teil wurde von Be-
ginn an gebeten, glücklich zu
sein, während Musik läuft. Das
Ergebnis war eindeutig: Wenn
man darauf achten soll, glück-
lich zu sein, ist man nicht im
Moment. Man wertschätzt die
Dinge, die einen glücklich ma-
chen, nicht bewusst.

Wir müssen mehr im Moment
leben, um glücklich zu sein?
Es geht darum, wie man seine
Zeit verbringt. Und zwar jeden
Tag. Viele Menschen lenken
sich damit ab, auf ein gewisses
Ziel hinzuarbeiten. Sie streben
nach etwas, das sie in der Zu-
kunft glücklich machen soll.
Dazu gehören Heiraten, Kinder
oder Wohlstand. Wenn man da
angekommen ist, merkt man:
Es macht mich gar nicht glück-
lich! Oder noch schlimmer:
Man musste viel dafür aufge-
ben, um überhaupt dorthin zu
gelangen. Vielleicht hat man
sich von Freunden getrennt, die
einem gutgetan haben.

Was wäre besser?
Täglich 15 Minuten mit Men-
schen zu verbringen, die wir
mögen. Und wir sollten Hilfs-
bereitschaft zelebrieren!

Eine andere Ihrer Thesen ist,
dass wir uns von monetärer
Bestätigung lösen sollen.
Es ist selbstverständlich wis-
senschaftlich bewiesen, dass
Armut oder finanzielle Proble-
me unglücklich machen. Trotz-

A


nfang des Jahres ver-
öffentlichte der briti-
sche Verhaltensfor-
scher Paul Dolan sein
neues Buch „Happy Ever Af-
ter“. Darin stellt er die These
auf, dass unverheiratete, kin-
derlose Frauen glücklicher als
verheiratete Mütter seien. Laut
Dolan würden sie sogar die
glücklichste Bevölkerungsgrup-
pe bilden, noch glücklicher als
verheiratete Männer. Damit wi-
dersprach er der bisher in der
Wissenschaft geltenden Annah-
me, dass sich verheiratete Men-
schen grundsätzlich glücklicher
schätzen. Der US-amerikani-
sche Wissenschaftler Gray
Kimbrough von der American
University School of Public Af-
fairs interpretierte die Daten
des „American Time Use Sur-
vey (ATUS)“, die Dolan für sei-
ne Thesen nutzte, allerdings
anders.

VON CLARA OTT

Im Interview mit WELT er-
klärt der 51-jährige Dolan, wie
er das mit dem Glück bei Sin-
gle-Frauen meinte, wer im Re-
staurant sein Essen auswählt
und wieso er nichts von univer-
sellen Glücksformeln hält.

WELT: Sie werden in England
auch der „Bodybuilding-Pro-
fessor“ genannt. Macht Sie
der Spitzname unglücklich?
PAUL DOLAN: (((lacht) lacht) Tja, die
Leute haben ein bestimmtes
Bild im Kopf, wenn sie an einen
Professor denken: dass er ein
Bücherwurm ist, eher dünn
oder wenn schon sportlich,
dann der Typ, der für einen Tri-
athlon trainiert. Mich macht
Bodybuilding glücklich.

In Ihrem Buch „Happy Ever
After“ raten Sie, dass man
sich nicht mit anderen ver-
gleichen soll. Tut man nicht
genau das als Bodybuilder?
Sagen wir so: Grundsätzlich ist
nichts von Beginn an gut oder
schlecht. Für mich ist dieser
Sport eher eine Achtsamkeits-
übung. Ich trage Gewichte hin
und her und kann dabei an
nichts anderes denken. Die
Stunde im Fitnessstudio ist der
einzige Moment am Tag, bei
dem ich ganz bei mir bin.

Die Suche nach Glück ist ein
universelles Phänomen. Wie-
so, glauben Sie, gibt es so ein
enorme Sehnsucht danach?
Ich vermute, die Antwort – wie
auf vieles – lautet: Balance. Es
geht um Ausgeglichenheit. Ich
glaube nicht, dass man glück-
lich wird, indem man zielstre-
big nach dem Glück sucht. Ich
nenne Ihnen ein Beispiel: In
meinen Studien habe ich das
Verhältnis zwischen Musik und

dem sind wir süchtig danach,
monetären Wohlstand zu errei-
chen. Wir sind davon über-
zeugt, dass uns Geld glücklich
macht. Wie Sie sehen, ist auch
das wieder eine Frage der Ba-
lance. Wir wollen immer mehr,
aber es ist bewiesen, dass man
ab einem gewissen Einkommen
nicht zufriedener wird.

Ihrer Meinung nach gilt das
auch für die Liebe: Wir suchen
den „perfekten“ Partner und
verschwenden Lebenszeit.
Furchtbar, als gäbe es nur einen
einzigen Menschen auf der Er-
de, der zu uns passt (lacht). Sta-
tistisch gesehen führen wir alle
Beziehungen, die irgendwann
enden. Das sollten wir akzep-
tieren. Vielleicht ist man Single,
vielleicht nicht, vielleicht hat
man Kinder, vielleicht nicht –
das ist alles okay. Diese Erwar-
tungshaltung, unbedingt bis 30
jemand finden zu müssen, mit
dem wir eine Familie gründen
und der uns, bis wir 90 Jahre alt
sind, glücklich macht, und dann
sterben wir – das finde ich irre!

In der Liebe raten Sie, sich
folgende Fragen zu stellen:
„Verbringe ich gerne Zeit mit
dieser Person? Wie habe ich
mich gestern, vorgestern und
vorvorgestern mit diesem
Menschen gefühlt?“
Ja! Intimität ist gut, aber wir
haben alle so unterschiedliche
Persönlichkeiten, dass nicht für
jeden eine Langzeitbeziehung
das Richtige ist. Ich bin davon
überzeugt, dass wir uns zu we-
nig damit auseinandersetzen,
wie unterschiedlich wir Men-
schen sind. Wir müssen uns

von solchen Vorstellungen lö-
sen und jemanden finden, mit
dem wir uns wohlfühlen.

Sie sagen, dass Frauen weder
einen Partner finden noch
Kinder bekommen müssen,
um glücklich zu sein.
Sehr wahr, allerdings ist es ein
harter Weg, anders zu leben.
Wir müssen toleranter sein, da-
mit das klappt. Unsere Vorstel-
lung von Glück sollte nicht von
anderen definiert werden. Nie-
mand sollte uns vorschreiben,
wie wir unser Leben gestalten.
Gerade unverheiratete Frauen
werden kritisch beäugt, dabei
gibt es Studien, die belegen,
dass sie eine der gesünderen
Personengruppen bilden, vor
allem im Vergleich zu unverhei-

rateten Männern. Männern tut
eine Ehe gesundheitlich sehr
gut, bei Frauen ist der Unter-
schied nicht so groß.

Für diese These wurde Ihnen
vorgeworfen, Sie hätten die
Daten überinterpretiert.
Ja, man muss das durchaus mit
Vorsicht interpretieren, und
das betone ich seitdem ständig.
Manche Medien haben behaup-
tet, ich hätte keine Beweise,
aber das stimmt so nicht. Es
gibt Studien, die belegen, dass
Männer mehr von einer Ehe
profitieren als Frauen. Dadurch
entsteht das Narrativ von der
traurigen, einsamen Single-
Frau. Ich wollte vor allem auf-
zeigen, dass das falsch ist.

Glauben Sie, dass sich unser
Fokus auf die Institution Ehe
künftig verändern wird?
Die Idee der Ehe ist stark und
überzeugend in uns verankert,
dass die Menschen an dieser In-
stitution festhalten. Gerade in
Zeiten, in denen ökonomisch
und politisch eine große Unsi-
cherheit herrscht und die Men-
schen nach Halt suchen. Die
Leute denken, dass alles den
Bach hinuntergeht, aber wenig-
stens haben wir die Ehe!

Ein anderes Hindernis für
Glück ist für Sie die Anzahl an
Entscheidungen, mit denen
wir uns herumschlagen. Sie
lassen im Restaurant Ihre Be-
gleitungen entscheiden, was
Sie bestellen sollen. Was er-
spart Ihnen das genau?
Ich bin nicht besonders gedul-
dig. Es macht mich also glück-
lich, jemanden zu bitten, mir
etwas auszuwählen. Die Leute
verschwenden viel Zeit damit,
sich Gedanken über die richtige
Tapete zu machen. Ich denke
oft: Jesus! Niemand wird dar-
über urteilen, wieso man sich
gegen die anderen Optionen
entschieden hat! Die meisten
unserer Entscheidungen haben
doch in Wahrheit am Ende
kaum Gewicht.

Grübeln wir alle zu viel?
Absolut! Am Ende wird doch
immer alles irgendwie gut
(lacht). Aber wir sind eben sehr
gut darin, uns damit zu beschäf-
tigen, wieso Dinge nicht funk-
tioniert haben. Wir lieben es,
über denn Sinn nachzudenken,
wenn etwas nicht geklappt hat.
Man denkt, dass das Leben vor-
bei sein wird, wenn wir schei-
tern, aber das ist Quatsch. In
Wahrheit kann man vieles ab-
haken – und weitermachen. Das
gilt auch für Liebeskummer. Ja,
Trennungen schmerzen, aber
doch nicht für immer. Man wird
jemanden finden, den man so-
gar noch toller findet als den
Ex-Partner!

GETTY IMAGES

/ KLAUS VEDFELT

„Die meisten unserer Entscheidungen


haben am Ende kaum Gewicht“


Auf der Suche nach Glück verschwenden wir Lebenszeit:


Das sagt der britische Verhaltensforscher Paul Dolan. Das


Streben nach Geld und Liebe mache uns sogar unglücklich


Der Brite Paul Dolan, 51,
ist Professor für Verhal-
tensforschung an der
London School of Econo-
mics. Er stammt aus dem
Londoner Arbeiterstadt-
teil Hackney und ist der
Erste in seiner Familie, der
zur Universität ging. Dolan
verfasste neben „Happy
Ever After“ das Sachbuch
„By Design Happiness“. Er
liest keine Romane und
betreibt Bodybuilding.

Zur
JEREMY BAILEPerson

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