Die Welt Kompakt - 08.08.2019

(Michael S) #1
Doch das Wirken von Tönnies
gehe weit über finanzielles Enga-
gement hinaus. „Ich habe des Öf-
teren in Bezug auf Schalke mit
ihm zu tun gehabt, teilweise aus
eigenem Interesse, teilweise, um
mit ihm über die Dinge zu spre-
chen, die Schalke anders oder
besser machen könnte“, sagt
Neururer. Dabei sei ihm vor al-
lem aufgefallen, dass er es mit ei-
nem Mann zu tun hat, der nach
außen hin völlig anders wirkt, als
er tatsächlich ist. „Der größte

Vorwurf, der ihm immer wieder
gemacht worden ist, ist der, dass
er sich zu viel einmische. Doch
das ist überhaupt nicht der Fall.
Dabei, finde ich, sollte er das so-
gar tun“, so Neururer. Tatsäch-
lich befand sich Tönnies häufig
im Zwiespalt. Mit dem Aufsichts-
rat steht er dem Kontrollgremi-
um vor. Doch wenn im Vorstand
aus seiner Sicht Fehler gemacht
wurden, juckte es ihm in den
Fingern und dann versuchte er
durchaus Einfluss auf das opera-

tive Geschäft zu nehmen.
Manchmal gab er das – unge-
schickterweise – sogar öffentlich
zu, wie im Fall des ehemaligen
Schalker Managers: „Da hab ich
Horst Heldt eine SMS ge-
schickt.“
„Er ist halt nicht nur der Auf-
sichtsratschef, er ist der Chef
von Schalke 04“, sagt Neururer,
der glaubt, dass es in der Persön-
lichkeit von Tönnies liegt, immer
mit anpacken zu wollen, wenn et-
was schiefläuft. Dann reagiert er

hemdsärmlig und impulsiv.
„Dann ist er manchmal nicht
steuerbar“, so Neururer. Dann
verliert Tönnies die Geduld.
An der persönlichen Integrität
von Tönnies lässt der ehemalige
Trainer jedoch keine Zweifel auf-
kommen. „Er ist einer der weni-
gen in diesem Fußball-Geschäft,
auf dessen Wort man sich verlas-
sen kann“, so Neururer. Doch
manchmal rutsch ihm halt etwas
heraus. Und am Donnerstag so-
gar etwas mit diskriminierendem
und rassistischem Inhalt (siehe
rechts). „Was er gesagt hat, war
großer Mist. Aber er hat sich di-
rekt danach entschuldigt“, sagt
Neururer. „Ich kenne ihn seit
über 20 Jahren. Er ist alles, aber
nicht jemand, den man in die
rechte Szene einordnen kann.“
Gerade deshalb könne er auch
nicht verstehen, „wie ihm so et-
was passieren konnte“.
Am Tag nach der Sitzung des
Ehrenrates und dem Entschluss
von Tönnies, seine Ämter drei
Monate ruhen zu lassen, wirkten
viele Schalker immer noch so, als
könnten sie nicht so recht glau-
ben, was vergangene Woche pas-
siert ist – wie schnell ein zwar
stets umstrittener, aber schein-
bar unantastbarer Vereinspatri-
arch für weite Teile der Öffent-
lichkeit und der Schalker Fans zu
einer Persona non grata wurde.
Und wie groß der Imageschaden
für den Verein ist.
Am Mittwochnachmittag ver-
öffentliche der Schalker Vor-
stand eine Erklärung. „Wir sind
uns des Schadens bewusst, den
der Verein in den letzten Tagen
erlitten hat“, hieß es dort. Es
wurde versprochen, noch inten-
siver daran zu arbeiten, deutlich
zu machen, dass der Verein für
die Werte einer weltoffenen, frei-
en und multikulturellen Gesell-
schaft steht. „Bei aller Emotiona-
lität und Aufgeregtheit der letz-
ten Tage lassen wir den Ruf des
Vereins nicht auf eine diskrimi-
nierende Aussage reduzieren.“
Der Name Clemens Tönnies wur-
de an keiner Stelle erwähnt.

DPA

/ GUIDO KIRCHNER

Impulsiv,


nicht


steuerbar


Ohne Clemens Tönnies würde es Schalke 04


so nicht geben. Nun ruht sein Amt für drei


Monate, sein rassistischer Kommentar


bringt den Klub in große Nöte


gegen seinen ehemaligen Verein
Hertha BSC noch in München
unter Vertrag zu stehen.
Ende der vergangenen Saison
war die Situation zwischen dem
30-Jährigen und dem Klub eska-
liert. Boateng hatte nach dem
Gewinn der Meisterschaft kaum
gefeiert, sich auf dem Rasen mit
seinen Kindern zurückgezogen.
Und Hoeneß hatte gesagt: „Ich
würde ihm empfehlen, den Ver-
ein zu verlassen. Denn ich glau-
be, er braucht eine neue Heraus-
forderung. Er wirkt wie ein
Fremdkörper. Und ich würde ihm
als Freund empfehlen, sich einen
neuen Verein zu suchen.“
Freunde waren vor allem Vor-
standschef Karl-Heinz Rumme-

nigge und Boateng nie, der Spie-
ler hatte nach der Rückrunde mit
dem Klub abgeschlossen. Zu we-
nig Einsätze unter dem Trainer
Niko Kovac, der ihm in persönli-
chen Gesprächen zuvor anderes
in Aussicht gestellt haben soll.
Und mangelnde Wertschätzung
über einen längeren Zeitraum
von seinem Klub generell, das är-
gerte Boateng. Juventus Turin,
Paris St.-Germain, englische
Klubs – es schien nur die Frage,
wohin der 30-Jährige wechselt.
Jetzt ist manches anders. Die
Bayern sind aktuell auf Boateng
angewiesen. Rekordeinkauf Lu-
cas Hernández, den die Münch-
ner für 80 Millionen Euro von
Atlético Madrid verpflichteten,

trainierte am Dienstagnachmit-
tag am Tegernsee das erste Mal
mit der Mannschaft. Wann der
Franzose spielbereit ist, kann
noch nicht genau vorhergesagt
werden. Mit Mats Hummels ist
ein erfahrener Abwehrspieler zu
Borussia Dortmund gewechselt,
Zugang Benjamin Pavard muss
sich trotz WM-Titel nach dem
Abstieg mit dem VfB Stuttgart
erst behaupten. Im Supercup
beim BVB (0:2) am vergangenen
Wochenende spielte also Boa-
teng von Beginn an.
Ein Abgang des ehemaligen
Nationalspielers ist allerdings
weiterhin eine Option. Nach In-
formationen von WELT warten
der Spieler und sein Berater, der
ehemalige Bayern-Manager
Christian Nerlinger, welche Op-
tionen sich auf dem Transfer-
markt ergeben. Und welche Sig-
nale Bayern bis zum Ende der

Transferperiode am 2. Septem-
ber sendet. Mehrere Klubs haben
Interesse an Boateng bekundet.
Ein Verbleib ist gleichzeitig nicht
mehr völlig ausgeschlossen.
Öffentlich äußert er sich aktu-
ell nicht zu seiner Situation. Sein
Vertrag beim Meister gilt bis 30.
Juni 2021, sein Jahresgehalt wird
auf über zehn Millionen Euro ge-
schätzt. Boatengs Mitspieler
schwärmen von seinen Qualitä-
ten. Nationalverteidiger Niklas
Süle sagt: „Ich bin ein großer Fan
von Jérôme, liebe es, mit ihm zu
spielen.“ Und Thomas Müller be-
tont: „Ich denke, dieser Jérôme
Boateng, der so Fußball spielt,
der tut uns gut.“
Sogar Rummenigge kommt
nicht mehr umhin, Boateng zu
loben. Der Klubchef sagte, Boa-
teng sei in guter Form aus dem
Urlaub gekommen und habe auf
der USA-Reise und in den Test-

spielen dort Pluspunkte gesam-
melt. Und der neue Co-Trainer
Hansi Flick bezeichnet den Profi
als einen der besten Verteidiger.
Dass der FC Bayern dringend
einen Spieler benötigt, den er
quasi schon zum Verkauf freige-
geben hatte, passt an sich nicht
zum Selbstverständnis des Ver-
eins. Doch der Verein muss prag-
matisch denken. Die Defensive
der Münchner war in der bisheri-
gen Saisonvorbereitung zum Teil
anfällig. Boatengs Robustheit
und Erfahrung könnten für die
Bayern in nächster Zeit wichtig
sein. Das erste Pflichtspiel (Su-
percup nicht eingerechnet) steigt
am Montag: In der ersten Runde
des DFB-Pokals tritt Kovac’
Mannschaft bei Energie Cottbus
an. Sollte Boateng wieder zur
Startelf gehören, wäre es eine der
ersten großen Überraschungen
der Saison.

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,8.AUGUST2019 SPORT 29


Tönnies hatte in der Vorwoche
Steuererhöhungen im Kampf
gegen den Klimawandel kriti-
siert. Stattdessen solle man
lieber jährlich 20 Kraftwerke in
Afrika finanzieren. „Dann wür-
den die Afrikaner aufhören,
Bäume zu fällen, und sie hören
auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu
produzieren“, sagte er. Die Re-
aktionen zum Beschluss des
Schalker Ehrenrates, dass Tön-
nies sein Amt als Aufsichts-
ratschef nur für drei Monate
ruhen lassen muss, weil der
„erhobene Vorwurf des Ras-
sismus unbegründet ist“.
Sylvia Schenk von Transparen-
cy International:„Das war eine
rassistische Äußerung – was soll
denn sonst der Grund der fest-
gestellten Diskriminierung ge-
wesen sein? Wenn der Mann an
der Spitze des Schalker Auf-
sichtsrats so etwas bei einer
offiziellen Rede sagt, muss es
eine klare Reaktion geben. Das
verlangt neben der halbherzigen
Entschuldigung von Herrn Tön-
nies, die sich gerade nicht an die
Diskriminierten gerichtet hat,
eine Sanktion. Der Schalker
Ehrenrat hat sich um eine Ent-
scheidung gedrückt nach dem
Motto: Wasch Tönnies den Pelz,
aber mach ihn nicht nass“.
Eberhard Ginger, ehemaliger
Weltklasse-Kunstturner und
jetzige Sprecher der Arbeits-
gruppe Sport und Ehrenamt
der CDU-/CSU-Bundestags-
fraktion:„Ich glaube schon,
dass seine Aussagen das Po-
tenzial für einen Rücktritt be-
inhalten. Sie sind nicht nur un-
geschickt, sie erfüllen für mich
auch den Tatbestand des Ras-
sismus. Auf jeden Fall sollte er
sich in nächster Zeit um Wieder-
gutmachung bemühen. Es muss
die Menschen davon überzeu-
gen, dass er kein Rassist ist.“.
LAGA/CC

Die Reaktion zum
Beschluss der Schalker

er Verteidiger war unzufrieden, der FC Bayern auch. Nun ist alles anders. DerFall zeigt die Notlage des Vereins


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