Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1

Dreißig Jahre gab es in der Türkei die Zei-
tungZaman, imJuli 2016 wurde sie per Ge-
richtsbeschluss geschlossen, und alle Spu-
ren im Internet, das doch eigentlich nichts
vergisst, wurden getilgt.Zamanhatte zeit-
weise die höchste Auflage aller türkischen
Tageszeitungen, hinter dem Blatt stand
das inzwischen zerschlagene Medienimpe-
rium des Predigers Fethullah Gülen, den
Präsident Recep Tayyip Erdoğan für den
Putschversuch vom Juli 2016 verantwort-
lich macht. Heute geben Erdoğans Anhän-
ger nicht einmal mehr zu, dass sie die kon-
servative Zeitung gelesen haben, und soll-
te jemand noch mal nachschauen wollen,
was dort eigentlich stand, er wird es nicht
mehr finden: die digitalen Archive sind ge-
löscht, alles weg.
Nun fürchtet das eher linke, regierungs-
kritische WebportalBianet, dass es ihm ge-
nauso gehen könnte. Nur zufällig erfuhren
die Macher der in drei Sprachen – Tür-
kisch, Kurdisch, Englisch – publizierten
Nachrichtenwebseite, dass ein Richter in


Ankara schon im Juli beschlossen hat, den
Zugang zuBianetzu sperren. Am Mitt-
woch war die Seite noch zugänglich. Dort
hieß es, man wisse auch nicht, wann die An-
ordnung umgesetzt werde. Und gegen
diesen „massiven Angriff auf die Presse-
freiheit“ werde man mit allen rechtlichen
Mitteln vorgehen.

Aus der vonBianetveröffentlichen Rich-
teranordnung geht hervor, dass insgesamt
136 Webadressen zur Sperrung anstün-
den, darunter Twitter, Instagram- und
Facebook-Konten von oppositionellen Poli-
tikern, Künstlern und linken Medien. Dazu
gehört auch der Twitteraccount, der den
Strafprozess gegen Künstler und Akademi-
ker begleitet, die derzeit im Zusammen-
hang mit den Gezi-Protesten im Jahr 2013

angeklagt sind. Die Sperrungen habe das
Generalkommando der Gendarmerie bean-
tragt, hieß es. Die ist in der Türkei gewöhn-
lich für die Sicherheit außerhalb von Groß-
städten zuständig.
Bianetentstand Ende der Neunzigerjah-
re. Zu den Gründern gehört die Journalis-
tin Nadire Mater, einst Vertreterin von Re-
porter ohne Grenzen (ROG) in der Türkei.
Als Unterstützer fungiert auch die EU, über
ihre Mediterrane Partnerschaftsinitiative.
Seit November 2003 ist die Webseite mit
der internationalen Agentur IPS verbun-
den. Deren Fokus liegt auf den Themen
Umwelt, Menschenrechte, ziviles Engage-
ment. Etwa 200 000 Artikel hatBianet
nach eigenen Angaben bislang veröffent-
licht – und damit auch im digitalen Archiv.
ROG nannte die Anordnung „vollkommen
willkürlich“ und forderte die Justiz in der
Türkei auf, sie zu korrigieren.
Erst vor wenigen Tagen hatte die staatli-
che Rundfunkaufsicht in Ankara auf ihrer
Webseite bekannt gemacht, dass künftig

sowohl nationale als auch internationale di-
gitale Medien in der Türkei einer besonde-
ren Kontrolle unterstellt würden. Nach
dem teilweise noch unklaren Regelwerk
sollen an die Provider „Lizenzen“ vergeben
werden. Sendungen könnten zudem über-
wacht werden, wie dies bereits bei den TV-
Kanälen geschieht. Dort sieht man immer
wieder gepixelte Bilder, zum Beispiel,
wenn Leute Alkohol trinken, oder hört bis-
weilen Pfeiftöne über Dialogen. „Wir könn-
ten auch auf Netflix bald gepixelte Bilder
oder zensierte Konversationen erleben“,
sagte Ilhan Taşcı, ein Mitglied des Auf-
sichtsgremiums. Betroffen könnten auch
türkischsprachige Programme ausländi-
scher Sender sein, zum Beispiel der Deut-
schen Welle. Oder türkische Internetsen-
der wieMedyascope. Der wurde von Jour-
nalisten gegründet, die ihre Jobs bei den
inzwischen überwiegend regierungsna-
hen großen Medien verloren haben. Sie bil-
den bislang eine regierungskritische Alter-
native. christiane schlötzer

von caspar busse

E


r ist mehrfacher Milliardär und er
liebt das Fliegenfischen: Henry Kra-
vis, 75, tritt nur sehr selten in der Öf-
fentlichkeit auf. Aber der Mann, der in
New York lebt und ein Büro mit direktem
Blick auf den Central Park hat, ist Gründer
der Beteiligungsfirma KKR. Und er ist ei-
ner der mächtigsten Männer in der interna-
tionalen Finanzindustrie. Das Geschäfts-
modell: KKR sammelt Geld von großen
Investoren ein, übernimmt damit Unter-
nehmen, die in Problemen sind, baut diese
um und steigt nach ein paar Jahren mit
möglichst hohem Gewinn wieder aus. Es
werden riesige Summen bewegt: Derzeit
verwaltet KKR ein Vermögen von 199,5 Mil-
liarden Dollar und ist an 107 Firmen betei-
ligt, die zusammen 750 000 Mitarbeiter be-
schäftigen. „Das ist eine knallharte und
gut geölte Maschine“, sagt ein Banker.


Das jüngste Geschäft von KKR ist die Be-
teiligung beim Berliner Medienunterneh-
men Axel Springer, das unter anderemBild
undWeltverlegt. Springer-Chef Mathias
Döpfner kennt Kravis bereits seit vielen
Jahren, die beiden haben sich immer wie-
der getroffen. Als Döpfner nach einem fi-
nanzkräftigen Investor Ausschau hielt, mit
dem Springer schneller als bisher wachsen
kann, ging er deshalb auch auf Kravis zu.
Verhandelt wurde dann mit KKR-Europa-
chef Johannes Huth und Philipp Freise, der
für KKR von London aus vor allem für
Medienunternehmen zuständig ist. Beide
Seiten wurden sich bald einig.
An diesem Mittwoch gab KKR das Er-
gebnis des Übernahmeangebots bekannt:
Der Finanzinvestor hat 27,8 Prozent der
Springer-Aktien eingesammelt. Verlags-
erbin Friede Springer und Döpfner halten
zusammen gut 45 Prozent der Aktien, sie
unterstützen KKR, sodass die Partner nun
zusammen auf fast 73 Prozent der Anteile
kommen. Die Prozentzahl kann noch stei-
gen, denn jetzt läuft eine zweite gesetzlich
vorgeschriebene Angebotsfrist, bei der die
übrigen Aktionäre Anteile an KKR veräu-
ßern können. Die beiden Enkel von Axel
Cäsar Springer, Ariane und Axel Sven
Springer, haben zusammen 9,8 Prozent
und derzeit offenbar noch nicht verkauft.
„Gratulieren Sie uns nicht, wenn wir ei-
ne Firma gekauft haben. Jeder Idiot kann
eine Firma kaufen“, sagte Kravis vor eini-
gen Wochen dem US-MagazinForbes. Man
müsse vielmehr investieren und das Unter-


nehmen weiterentwickeln. Was der Inves-
tor damit auch sagen will: Jetzt erst
kommt die richtige Arbeit. Normalerweise
ist KKR fünf bis sieben Jahre beteiligt.
Auch Döpfner hofft auf neue Impulse.
„Wir werden zusätzliche Chancen nutzen
können“, sagte er. Schon wird spekuliert,
Springer könnte jetzt für viel Geld das
Anzeigenportal Autoscout 24 überneh-
men. Weitere Zukäufe sind in jedem Fall
geplant.
Henry Kravis stammt aus Tulsa im US-
Staat Oklahoma, sein Vater machte mit Öl-
geschäften viel Geld. Henrys gleichaltriger
Cousin George Roberts, mit dem er schon
als Kind eng verbunden war, überredete
ihn 1969, zur New Yorker Investmentbank
Bear Stearns zu wechseln. Der Chef der bei-

den, Jerome Kohlberg, entwickelte damals
ein neues Konzept: Man stieg bei unterbe-
werteten Firmen ein, oder bei solchen, die
in Problemen waren. Finanziert wurde das
mit relativ wenig eigenem Geld, dafür mit
hohen Krediten. Als Sicherheit fungierte
die zu erwerbende Firma, später wurden
dieser dann die Schulden übertragen. Die
Bank lehnte diese neue und riskante Idee
aber ab, so machte sich das Trio selbstän-
dig und gründete 1976 die Beteiligungsfir-
ma Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR).
Die Entscheidung fiel bei einem Abendes-
sen im New Yorker Joe and Rose Restau-
rant. Das neue Unternehmen florierte.
KKR wurde zum Vorbild vieler anderer
Beteiligungsfirmen, die dann als Heuschre-
cken bekannt wurden. Kohlberg schied

1987 aus, die beiden Cousins machen bis
heute weiter, inzwischen ist KKR selbst an
der Börse notiert. 1998 ging KKR nach Eu-
ropa und hat mittlerweile weltweit 20 Bü-
ros auf vier Kontinenten. Das Kapital, mit

dem KKR arbeitet, kommt von großen Ban-
ken, Versicherern oder Pensionsfonds. An-
gesichts der momentan sehr niedrigen Zin-
sen ist das Geschäftsmodell, das hohe, oft
zweistellige Renditen verspricht, für diese
besonders attraktiv. KKR gilt heute als ver-
gleichsweise seriöse Beteiligungsfirma, da-

neben gibt es deutlich aggressivere Kon-
kurrenten. Die Liste der Unternehmen, an
denen KKR beteiligt ist oder mal war, ist
ziemlich lang und umfasst so gut wie alle
Branchen. Auch in Deutschland ist KKR
schon lange aktiv, auch in der Medienbran-
che. 2006 wurde zusammen mit Permira
die Mehrheit an Pro Sieben Sat 1 übernom-
men und später mit hohem Gewinn wieder
verkauft. Mit dem Medienunternehmen
Bertelsmann baute KKR die Musikfirma
BMG neu auf, gab dann die Anteile an den
Partner ab. In München baut derzeit der
Medienmanager Fred Kogel für KKR eine
Filmproduktionsgruppe auf, Herzstück ist
Tele München. Sicher ist: Fliegenfischer
Kravis wird weltweit weiter nach lukrati-
ven Deals Ausschau halten.  Seite 4

Wer die Welt retten will oder zumindest so
vieleMenschen wie möglich, muss extrem
abgebrüht sein. Jedenfalls wenn man sich
durch ein Katastrophenszenario bewegt
und es pressiert. Also ignoriert man die
Warnung einer panischen Frau und stapft
unbeirrt weiter, da man sich keinesfalls
von einem Nilpferd aufhalten lassen will,
das einem in die Quere kommt. Das Tier,
irritiert von der neu gewonnenen Freiheit
und aggressiv aufgrund des Trubels rund-
herum, geht jedoch auch seiner Wege und
achtet nicht weiter darauf, wo es hintritt.
Wenige Sekunden nur noch, dann ist die ei-
gene Rettungsmission jäh beendet – und
man selbst totgetrampelt.
Es sei das fieseste aller möglichen
Enden, kriegt man mitgeteilt auf dem Weg
in die ewigen Jagdgründe. Die nächsten
Male, soll das wohl heißen, wird es weniger
grausam. Der Trost und der Reiz an dem in-
teraktiven HörspielTag Xist nämlich, dass
man diesen Tag immer wieder durchleben
kann. Und die Chance erhält, Dinge anders
und womöglich besser zu machen.

Kombinationen aus Hörspiel und Game
gibt es bereits einige. Die Schnittstelle ist
spannend, aber auch vertrackt: Games
sind in der Regel technisch extrem weit ent-
wickelt, die Narration ist meist jedoch sim-
pel. Hörspiele indes können komplex er-
zählen, den für ein Game notwendigen Pro-
grammier-Aufwand aber nur schwer be-
wältigen. So waren etwa die Spiel-Möglich-
keiten in 39 vom WDR aus dem Jahr 2015
sehr begrenzt. Attraktiver istBlowbackvon
Deutschlandfunk Kultur aus demselben
Jahr: Der Spieler muss in einer Krimihand-
lung über akustische Signale den Fahr-
stuhl finden, um in einem Gebäude Stock-
werk für Stockwerk nach unten zu gelan-
gen. Es gilt, ein Komplott aufzudecken. In-
teraktiv funktioniertOperation Data Sau-
gus Rex(2016) vom Schweizer Radio SRF,
der Spieler muss Entscheidungen treffen
und steuert so den Fortlauf der Geschichte


  • über die Tastatur des Telefons. Tech-
    nisch war das altmodisch: Um das Hörga-
    me zu spielen, musste man eine Festnetz-
    nummer anrufen. Im Prinzip hat man sich
    durch eine Telefonschleife getippt.
    Der interaktiveTag X, ein Projekt des
    Bayerischen Rundfunks, ist inhaltlich deut-
    lich ausgereifter und technisch moderner.
    Das Hörgame lässt sich zwar auch am Desk-
    top über manuelle Eingaben spielen. Reiz-
    voller ist das Spielen jedoch über eine
    Sprachsteuerung, sei es auf dem Smart-
    phone über Amazon Alexa beziehungswei-
    se die Google Assistant App oder mittels
    eines Smartspeakers über Amazon Echo
    oder Google Home.
    Der gefährliche Tag beginnt immer
    gleich: Der Autor Daniel Wild und der Re-
    gisseur Martin Heindel wecken einen aus
    dem Koma. Man sieht kaum etwas, nur die
    Ahnung einer Straße und einer Häuserzei-
    le. Alles ist hinter einem schwarzen Schlei-
    er verborgen, man selbst ganz auf sein Ge-
    hör reduziert. Zwar kümmert sich anfangs
    eine Sanitäterin um einen, doch verschwin-
    det sie bald. Es hat Explosionen in einem
    Chemiewerk gegeben und einen Stromaus-
    fall. Ein Virus ist freigesetzt, es gibt Plünde-
    rungen. Das Notstandsgebiet, in dem man
    aufgefunden worden ist, wird evakuiert.
    Zurückgelassen werden die Infizierten,
    von denen man einer ist.
    Aus einem Autoradio dudeltIt’s the end
    of the world as we know itvon REM. Man
    rappelt sich auf, versucht zu verstehen und
    zu überleben. Entkommt einem Eisbären,
    wird erschossen von Plünderern. Beginnt
    neu und durchdringt allmählich die Rätsel.
    Tag Xist die bislang spannendste Hörspiel-
    Game-Kombination. stefan fischer


Tag X, web.br.de/tag-x

Die Liste der Beteiligungen
ist langund umfasst so
gut wie alle Branchen

„Jeder Idiot kann eine Firma kaufen“


Henry Kravis erfand mit seinem Cousin ein neues Geschäftsmodell und gründete KKR.


Firmen übernehmen und mit Gewinn verkaufen – jetzt soll das beim Axel-Springer-Verlag klappen


Man rappelt sich auf,
versucht zu verstehen
und zu überleben

Gesperrt und gepixelt


Die Türkei will oppositionelle Webseiten sperren. Das regierungskritische Portal „Bianet“, aber auch Netflix müssen bangen


KKR-Mitbegründer
Henry Kravis, 75,
studierte Wirtschaft,
unter anderem in
New York, und kam
1969 zur Investment-
bank Bear Stearns.
Später machte er
sich selbständig.
FOTO: DPA

Spielerisch durch


dieKatastrophe


Im Hörspiel „Tag X“ steuern
Zuhörer die Handlung selbst

Betroffen sind Accounts von
Politikern, Künstlern und
linken Medien

DEFGH Nr. 182, Donnerstag, 8. August 2019 (^) MEDIEN 15
Die Beteiligungsfirma KKR übernimmt 27,8 Prozent am Medienhaus Axel Springer. FOTO: DPA
Journalistin Nadire Mater gehört zu den
Gründern von Bianet. FOTO: MURAT BAYRAM
Lösungen vom Mittwoch
3
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6
8
97 23
5
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4
1
9
SZ-RÄTSEL
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmalvorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
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Schwedenrätsel Sudokuleicht
7 6 8
9
1 2 6 5
9 3
3 2 8 4 5
5 6 8
4 8 7 2
1 3
5 9
1456 29738
23648 7519
7893 51264
51 27349 86
47 89621 53
69 38154 2 7
8571 9 6342
3245 7 8691
96124 3875
Str8ts: So geht’s
56 98
34 67 12
365978421
54 78 23
478235
89 21 76
798213564
87 43 65
23 78
47
9
6
1
5
Str8tsmittelschwer

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