Luftverkehr
Von Flugscham
keine Spur
D
en Termin hatten die 200 „Fridays for
Future“-Aktivisten vergangene Woche
clever gewählt. Pünktlich zum Beginn
der Sommerferien stürmten die Demonstranten,
meist Schüler aus der Umgebung, den Stuttgarter
Flughafen und trieben den kofferbepackten Ur-
laubern die Flugscham ins Gesicht.
„Attacke, Attacke – Fliegen ist Kacke“, hatten
sie auf ihren Plakaten gereimt, „30 Euro Stuttgart
- Berlin, wo bleibt die Steuer auf Kerosin?“ Die
Airlines seien zu verstaatlichen, sekundierte Lin-
ke-Parteichef Bernd Riexinger, damit die Flug-
preise endlich wieder nach oben gingen – wie
einst zu Zeiten von Interflug. Nur so sei das Klima
noch zu retten.
Jenseits der Schulklassen – und wohl auch der
Wählerschaft Riexingers – sieht die Wirklichkeit
ganz anders aus. Statt sich für das viele CO zu
schämen, das ihre Flugreisen hinterlassen, or-
dern die Deutschen Flugtickets wie nie zuvor. Die
Flughäfen der Bundesrepublik, berichtete ver-
gangene Woche der Bundesverband der Deut-
schen Luftverkehrswirtschaft (BDL), steigerten
die Zahl der Passagiere im ersten Halbjahr 2019
um weitere 4,2 Prozent. Selbst die Nachfrage im
innerdeutschen Flugverkehr blieb mit 11,6 Millio-
nen Passagieren stabil.
Nicht einmal der Ausbau der Bahnverbindung
zwischen Berlin und München konnte das än-
dern. Zwar wurde die Flugstrecke zwischen
Nürnberg und Berlin eingestellt, auf der Flugver-
bindung zwischen Berlin und München aber
stellten die Airline-Experten keinen Nachfrage-
rückgang fest.
Allein an den Billigangeboten lag das nicht.
Auch wenn sich Lufthansa und Ryanair gegensei-
tig Preisdumping vorwerfen, stiegen die Ticket-
preise ab deutschen Flughäfen laut BDL im bishe-
rigen Jahresverlauf um ein bis zwei Prozent.
Als fragwürdiges Instrument, das Fluggeschäft
einzudämmen, erscheint nach den jüngsten Zah-
len die für deutsche Airlines ins Spiel gebrachte
CO-Steuer. Denn schon jetzt verlieren sie im Hei-
matmarkt Anteile an ausländische Konkurrenten,
die von einer solchen Abgabe befreit wären. So
büßten Lufthansa und Co. seit 2012 beim Sitz-
platzangebot elf Prozentpunkte Marktanteil ein,
was ihre Quote auf 56 Prozent drückte.
BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Ran-
dow stellt dazu klar: „Seit 2012 ging fast das ge-
samte Wachstum in Deutschland an ausländische
Fluggesellschaften, die durchschnittlich um 7,
Prozent pro Jahr wachsen konnten.“ Deutsche
Airlines hätten dagegen im Schnitt nur um 0,
Prozent pro Jahr zulegen können.
Mit einer zusätzlichen Steuer wäre selbst das
wohl bald vorbei. Christoph Schlautmann
ne klare Absage. „Wir sind glücklich mit unserer
Matrixstruktur“, sagte er vor Analysten. „Wir ha-
ben weder die Idee noch den Plan, sie zu ändern.“
Gleichzeitig arbeite man allerdings daran, die Orga-
nisation schlanker aufzustellen. Schon in der Ver-
gangenheit reduzierte der Konzern die Zahl seiner
Führungsebenen von vier auf drei.
Manchen bei der Lufthansa aber geht das nicht
weit genug. Nach Informationen des Handelsblatts
hatten die Strategieabteilung und das Topmanage-
ment der Kranich-Airline zuletzt diskutiert, den
Konzern in eine Holding zu verwandeln. Vorbild
dazu sollte der britisch-spanische Wettbewerber
IAG sein, unter dessen Dach sich die Marken Bri-
tish Airways, Iberia, Vueling, Level und Aer Lingus
versammeln.
Vorteil einer solchen Holdingorga-
nisation wäre es, dass die einzel-
nen Konzerntöchter und Airline-
Marken unabhängiger vonei-
nander agieren könnten.
Insbesondere für den Billig-
flieger Eurowings, der im ers-
ten Halbjahr 2019 einen be-
reinigten Betriebsverlust
(Ebit) von 273 Millionen Euro
hinterließ, käme dies einem
Befreiungsschlag gleich.
Die Gängelung aus der Frank-
furter Zentrale bekommt den Köl-
nern bislang nämlich nur mäßig. Statt
mit voller Kraft gegen die übermächtigen
Konkurrenten Easyjet und Ryanair vorgehen zu
können, hat die Kölner Lufthansa-Tochter stets im
Nebenauftrag die Wünsche des Konzerns zu erfül-
len.
So waren die Luftdrehkreuze Frankfurt und
München beim Start von Eurowings zunächst tabu,
weil Lufthansa dort Kannibalisierungseffekte fürch-
tete. Erst als Ryanair auf Rhein-Main und Franz-Jo-
sef-Strauß startete, durfte der Kölner Billigflieger
nachziehen.
Ab Januar 2020 muss es Eurowings-Chef Thors-
ten Dirks zudem hinnehmen, dass ihm die Flotte
von Brussels Airlines für das Billigfluggeschäft ent-
zogen wird. Sie will Konzernchef Carsten Spohr
stattdessen unabhängig vom Billigsegment im
Langstreckengeschäft einsetzen. Bitter für Euro-
wings: Ausgerechnet das Langstreckengeschäft, das
zuletzt ein Viertel der angebotenen Sitzkilometer
ausmachte, galt den Kölnern als Wachstumsge-
schäft. Während dort im ersten Halbjahr 2019 die
Nettoverkehrserlöse um 16 Prozent stiegen, gingen
sie auf der Kurz- und Mittelstrecke um drei Prozent
zurück. Vor allem in Deutschland und Österreich
leidet das Geschäft.
Aktienkurs bricht ein
„Es wäre ein positives Ergebnis“, befand deshalb
Bernstein-Research-Analyst Daniel Röska letzten
Monat auf dem Capital Markets Day der Lufthansa,
„wenn es Schritte in Richtung einer Holdingstruk-
tur geben würde.“ Die Absage an die Umbaupläne,
gepaart mit dem verhaltenen Ausblick, ließen den
Kurs der Lufthansa-Aktie zeitweise um mehr als
sechs Prozent einbrechen. Mit 14,18 Euro markierte
er ein 28-Monats-Tief.
Konzernchef Spohr dürfte der Umbau in eine
Holding vor allem deshalb schrecken, weil die Aus-
gliederung rechtlich selbstständiger Töchter deren
stille Reserven hebt. Zwar würde das die Bilanz des
Konzerns stärken, dessen Eigenkapitalquote bin-
nen Jahresfrist von 24,2 auf 21,3 Prozent absackte.
Die Offenlegung hätte aber einen entscheidenden
Nachteil: Die Bilanzgewinne wären zu versteuern –
Geld, das Spohr derzeit kaum hat.
Denn obwohl der Konzern in der ersten Jahres-
hälfte netto deutlich weniger investierte als im Vor-
jahreszeitraum, schrumpfte der freie Cashflow auf
ein Viertel. Gleichzeitig ging die Nettokreditver-
schuldung binnen Jahresfrist um das Zweieinhalb-
fache auf 6,23 Milliarden Euro nach oben – auch
wenn knapp zwei Drittel des Zuwachses auf das
Konto veränderter Bilanzierungsregeln gingen.
Immerhin senkte der Konzern den Ausblick für
2019 am Dienstag nicht weiter. Danach sollen die
Netz-Airlines wie Lufthansa oder Swiss voraussicht-
lich eine bereinigte Ebit-Marge zwischen sieben
und neun Prozent erreichen. Bei Eurowings geht
der Konzern von minus vier bis minus sechs Pro-
zent aus. Unter der Annahme eines Umsatzwachs-
tums im niedrigen einstelligen Prozentbereich wer-
de die Marge des Gesamtkonzerns bei 5,5 bis 6,
Prozent liegen.
Schon vor der Zahlenpräsentation senkten Ana-
lysten erneut den Daumen. Die Schweizer Bank
Credit Suisse stufte Lufthansa von „outperform“
auf „neutral“ herab und senkte das Kursziel von
21,78 auf 16,24 Euro. Bei der deutschen Airline,
glaubt Analyst Neil Glynn, blieben die Aktionäre
wegen der enttäuschenden Barmittelzuflüsse wohl
in der Warteschleife.
Nach Bekanntgabe der Quartalszahlen
blieb es mehrheitlich bei der negati-
ven Einschätzung. „Angesicht der
derzeitigen Hochsaison“, warnte
Bernstein-Analyst Röska, „soll-
te die Nachricht der Lufthansa
über einen herausfordernden
Wettbewerb Anleger vorsich-
tig stimmen.“
Ähnlich sah es Stephen
Furlong, Analyst beim iri-
schen Analysehaus Davy Re-
search. „Die Aussagen betonen
vor allem die Risiken“, schrieb
der Airline-Fachmann in einer aktu-
ellen Einschätzung. Es werde immer
wahrscheinlicher, dass das zweite Halbjahr
nochmals hinter den ersten sechs Monaten zurück-
bleibe.
Aus Sicht der Fluggäste jedoch dürfte die derzei-
tige Situation völlig anders aussehen. Und das nicht
nur wegen der unter Druck geratenen Ticketpreise.
Denn auch das Verspätungschaos des Vorjahres
bekommt der Lufthansa-Konzern zunehmend in
den Griff. Die Zahl der Flugausfälle im ersten Halb-
jahr ging bei Eurowings um 23 Prozent zurück, im
Netzgeschäft von Lufthansa, Swiss und Austrian so-
gar um 28 Prozent.
Pünktlichkeit kostet Rendite
Zusätzlich gibt es Entwarnung an der Streikfront.
Vor wenigen Tagen teilte die zerstrittene Flugbe-
gleitergewerkschaft UFO mit, die für August ge-
planten Arbeitsniederlegungen abzublasen.
Dass sich zudem die Pünktlichkeit der Billigtoch-
ter um sieben Prozentpunkte verbesserte, verdankt
sie allerdings einem kostenintensiven Gegensteu-
ern von Airlinechef Dirks. Um zusätzliche Puffer in
den Flugbetrieb einzubauen, verlängerte er im
Flugplan die Bodenzeiten der Flugzeuge. Gleichzei-
tig hält er seit dem Jahreswechsel mehr Flieger in
Reserve.
Was den Kunden gefällt, konterkariert allerdings
das Geschäftsmodell als Billigflieger – mit deutli-
chen Folgen, wie die Ergebnisse des ersten Halb-
jahres 2019 zeigen: Die Low-Cost-Airline produzier-
te je angebotenen Sitzkilometer (ohne Treibstoff )
Kosten von 5,7 Cent. Und war damit genauso teuer
wie der Premiumbetrieb rund um Lufthansa.
Lufthansa
Kennzahlen für
das 2. Quartal 2019
Aktienkurs in Euro
14,26 €
HANDELSBLATT
2.7.2018 30.7.
*Zum Vorjahresquartal • Quelle: Unternehmen
25
21
17
1
Umsatz in Mio. Euro
Ergebnis (Ebit) in Mio. Euro
Ebit-Marge in Prozentpunkten
Nettoergebnis in Mio. Euro
Fluggäste in Mio.
Verkaufte Sitzkilometer in Mio.
Mitarbeiter zum 30.6.
Network Airlines
Eurowings
Logistik
Technik
Catering
Sonstige
Konsolidierung
Lufthansa-Konzern
9 633
761
7,
226
39,
79 196
137 639
Umsatz
in Mio. Euro
Ebit
+3,
-24,
-2,
-69,
+3,
+5,
+2,
Veränd.*
6 246
1 137
622
1 692
855
196
-1 115
9 633
724
-1
117
3
76
% % % % % % %
Pro-Kopf-Rendite
Nach Segmenten, 2. Quartal 2019
Der Markt ist geprägt
durch Überkapazitäten,
Preiskämpfe und
eine preissensible
Nachfrage.
Ulrik Svensson
Finanzchef Lufthansa
Carsten Spohr:
Schon Mitte Juni
hatte der
Lufthansa-Chef seine
Ertragsaussichten
für das laufende Jahr
stark reduziert.
imago/DeFodi
Unternehmen & Märkte
1
MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145
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