Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

Christof Kerkmann Düsseldorf


A

ls SAP im Juli zu einem „Industrie 4.
Gipfel“ nach Walldorf einlud, präsen-
tierte Hala Zeine, was der Software-
hersteller unter diesem Schlagwort
konkret versteht. Gemeinsam mit ei-
nem Manager des Roboterbauers Kuka erklärte sie,
wie Unternehmen ihre Maschinen einfach und
schnell vernetzen können – auch dank Lösungen
von SAP. Im Publikum hörten Wirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) und mehrere Granden aus
der Welt der Wirtschaft der Chefin des Geschäfts-
bereichs „Digital Supply Chain“ aufmerksam zu.
Die Managerin steht jedoch vor großen Verände-
rungen, ebenso wie SAP selbst: Der Konzern plant
eine Umstrukturierung, die auch Zeine betrifft. Die
Walldorfer bündeln nach Informationen des Han-
delsblatts das Produktmanagement von S/4 Hana –
einer Software zur Steuerung von Geschäftsprozes-
sen – in der Hand von Jan Gilg. Dieser verantwortet
nun auch die Abteilung „Digital Supply Chain“ und
das Qualitätsmanagement – mehrere Manager, da-
runter Zeine, müssen ihre Verantwortung abgeben.
„Mit dem Umbau wollen wir die Bedarfe unserer
Kunden noch stärker in den Mittelpunkt rücken“,
teilte der Softwarehersteller auf Anfrage mit. Es ge-
he darum, dass die Produkte den Bedürfnissen der
Unternehmen entsprechen, speziell S/4 Hana. Vier
Jahre nach der Ankündigung richtet SAP mit dem
Produktmanagement das Kernprodukt neu aus.
Es ist eine Maßnahme mit großer Tragweite: S/
Hana ist für SAP das wichtigste Produkt. Und die
Integration von Geschäftsprozessen über die Gren-
zen einzelner Programme hinweg ist das wichtigste
Verkaufsargument des Softwarekonzerns – er wirbt
mit der Vision der „Intelligent Enterprise“, in der
die Technik immer mehr Routineaufgaben über-
nimmt und die Mitarbeiter dank aktueller Daten
bessere Entscheidungen treffen.
In der Zentrale in Walldorf und den vielen Büros
in aller Welt bleibt es damit unruhig. SAP ist noch
mit einer Restrukturierung beschäftigt, über die
schätzungsweise 4 400 Stellen wegfallen sollen, da-
von mindestens 1 200 in Deutschland. Das Manage-
ment hat ein Gremium eingesetzt, das Möglichkei-
ten zur Effizienzsteigerung finden soll, wie die In-
vestoren sie verlangen. Gleichzeitig will es mit
Initiativen wie „Customer First“ die Kundenzufrie-
denheit stärken. Beim wertvollsten Konzern im
Dax ist viel in Bewegung.

Unverzichtbar für globale Konzerne


S/4 Hana ist die Essenz von SAP. Der Softwareher-
steller steht für Programme, mit denen Unterneh-
men ihre Geschäftsprozesse steuern können. Es
geht um den Einkauf und die Materialbedarfspla-
nung, um Auftragseingang und Rechnungsstellung,
um Buchführung und Budgetplanung. Die Soft-
ware hält die Informationen bereit, automatisiert
Routineaufgaben und erleichtert die Analyse von
Zahlen. In der Technologiewelt ist vom Enterprise
Resource Planning (ERP) die Rede.
Diesen Markt dominiert SAP seit den späten
1990er-Jahren. Damals war in Vorstandssitzungen,
auf Konferenzen und in Managementkursen vom
„Business Process Reengineering“ die Rede, es ging
darum, Geschäftsprozesse auf dem Flipchart neu
zu entwerfen und mit Software nachzubauen. Die-
se sollte Transparenz über Mitarbeiter, Warenströ-
me und Finanzen schaffen. Der Softwarehersteller
aus der deutschen Provinz lieferte mit R/3 das bes-
te Produkt – und machte sich so bei vielen multina-
tionalen Konzernen unverzichtbar.
Mit der Nachfolgeversion S/4 Hana will SAP eine
moderne Version liefern. Das Programm reduziert
die Zeit zur Erstellung von Geschäftsberichten und
Prognosen von Stunden oder gar Tagen auf Minu-
ten. Gewährleisten soll das die Datenbank Hana,
die alle Informationen im Zentralspeicher verarbei-
tet. Zudem ist die Software jetzt auch aus der
Cloud verfügbar – der Konzern verspricht mehr
Flexibilität und schnellere Innovationen.
Für SAP geht es darum, mit S/4 Hana das zentra-
le Geschäftsfeld zu stärken. Denn das ERP-Geschäft

ist für den Konzerns sehr einträglich. Hält SAP die
Beziehungen zu den Kunden, kaufen die ständig
die Folgeprodukte. „Wenn das nicht funktioniert,
sind wir tot“, sagte Hasso Plattner, Mitgründer und
Chefkontrolleur von SAP, bei der Vorstellung von
S/4 Hana im Februar 2015.
Es funktioniert durchaus. Nach Einschätzung des
Analysehauses Gartner ist SAP im globalen ERP-
Markt mit einem Anteil von 21,7 Prozent die Num-
mer eins (siehe Grafik), wozu verschiedene Pro-
gramme beitragen. Der Umsatz mit dem Verkauf
von Lizenzen für S/4 Hana summierte sich im ers-
ten Halbjahr 2019 auf mehr als eine Milliarde Euro,
obendrauf kommen Erlöse aus langfristigen War-
tungsverträgen sowie regelmäßige Gebühren für
die Cloud-Version – die genauen Zahlen schlüsselt
das Unternehmen nicht auf.
Es könnte allerdings noch besser funktionieren.
Zwar haben inzwischen 11 500 Unternehmen einen
Vertrag für S/4 Hana abgeschlossen, die Einfüh-
rung zieht sich bei vielen aber hin (siehe Text

rechts). „Für viele Unternehmen steht die Einfüh-
rung eines neuen ERP-Systems derzeit nicht ganz
oben auf der Agenda“, sagt Ralf Peters, Vorstand
bei der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe
(DSAG). Sie seien mit anderen Themen beschäftigt,
etwa der Einführung neuer Geschäftsmodelle – S/
Hana spiele in den Überlegungen erst in zweiter Li-
nie eine Rolle: „Das wird als Infrastrukturprojekt
gesehen, nicht als Initiative für die Digitalisierung.“
„SAP muss den Wert von S/4 Hana besser he-
rausarbeiten“, sagt auch Holger Müller, Analyst bei
der Firma Constellation Research. Derzeit werde
ERP bei vielen Kunden nicht als strategisch wichti-
ges Thema gesehen. Eine höhere Produktivität und
die schnelle Bereitstellung von Informationen al-
lein reichen nicht. „Es fehlt der Steve-Jobs-Mo-
ment“, sagt Müller. „Das ist ein Problem der ge-
samten Industrie, aber SAP als Marktführer ist be-
sonders davon betroffen.“
Und so muss der Weltmarktführer aus Walldorf
nicht nur die Konkurrenz auf Abstand halten – Ora-

Arbeiten an

einem Strang

Der Softwarekonzern SAP organisiert die Entwicklung seines


Kernprodukts neu: S/4 Hana soll besser mit anderen Angeboten


des Konzerns verzahnt werden. Die Walldorfer reagieren damit auf


den schleppenden Start des Programmpakets.


3 000


MITARBEITER
hat die Organisation
für die Entwicklung
und Auslieferung von
S/4 Hana.

Quelle: Unternehmen


Titelthema


Update bei SAP


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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