Kleine Fotos (v. o.): Cedric Roulliat/plainpicture;
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Ich bin der
Größte!
Wie geht man
mit Narzissten
um, die kein
Mitgefühl kennen?
ZEITmagazin
Merkel und
Shakespeare
Findet die
Kanzlerin in ihrer
Urlaubslektüre Rat
für ihre Nachfolge?
Politik, Seite 6
Sound der
Rebellen
Wie in Woodstock
ein musikalischer
Migrationsschub
begann, der
bis heute wirkt
Geschichte, Seite 16
PROMINENT IGNORIERT
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WOCHENZEITUNG FÜR POLITIK WIRTSCHAFT WISSEN UND KULTUR
DIE ZEIT
Kompromiss
Ein französisches Paar suchte am
Münchner Marienhof einen
Parkplatz, hielt den Eingang zur
U-Bahn für die Einfahrt in die
Tiefgarage und kam mit seinem
Mercedes, ohne jemanden zu
verletzen, auf der Treppe zum Ste-
hen. Denkbar ist allerdings auch,
dass die Franzosen uns ökologisch
korrekten Deutschen einen Kom-
promiss demonstrieren wollten:
Fahre U-Bahn, ohne auf dein
Auto zu verzichten. GRN
32.000 Kilometer,
146 Tage,
15 Länder –
eine Traumreise
PANAMERICANA Seite 31
- AUGUST 2019 No^33
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D
as einzig Tröstliche am Doppel-
Massaker von Texas und Ohio:
Hinter den Killern standen
weder Führer noch Strukturen.
Amerika ist nicht Weimar, wo
die Nazis Helfer quer durch
Politik, Justiz und Polizei hatten. Die schlechte
Nachricht: Gerade deswegen geraten Vorbeugung
und Verhinderung zur Sisyphusarbeit. Wie den
»einsamen Wolf« unter 330 Millionen US-Ameri-
kanern finden?
Dass der oder die Täter wie offenbar in El
Paso immer öfter Rechtsextremisten sind, reicht
in einem liberalen Staat nicht im Vorhinein für
eine Strafverfolgung. Ein führender FBI-Mann
beschreibt die Qual: »Meistens agieren diese
Leute ohne klare Gruppenzugehörigkeit oder
Leitung, was es so schwer macht, sie zu identifi-
zieren und zu infiltrieren.« Wie sie aus den vielen
Gesichtslosen herausfiltern, die zwar hassen und
hetzen, aber nicht schießen?
Seit Trump das Amt übernommen hat,
steigt die Zahl der Anschläge
Die Trump-Theorie überzeugt nur auf den ersten
Blick. Ja, er spielt mit Rassismus und peitscht
seine Anhänger auf. Doch wie erklären sich die
Mordorgien während der Amtszeiten von Bush
und Obama? Zwischen 2006 und 2016 waren es
vier bis sechs Anschläge pro Jahr mit insgesamt
350 Opfern. Wie erklärt sich Anders Breivik (
Tote), das Christchurch-Massaker (51) oder der
Mord an Walter Lübcke? Norwegen, Neuseeland
und Deutschland leiden glücklicherweise nicht
an einem Trump. Auch ist es dort nicht so einfach
wie in Texas, an ein Sturmgewehr zu kommen.
Und doch: Seit Trump steigt die Zahl der An-
schläge, vor allem von weißen Nationalisten. Ein
Präsident hat die Pflicht, solche Gräuel ohne Wenn
und Aber zu brandmarken. Er darf sich nicht per
Augenzwinkern mit den Rassisten gemeinmachen.
Joe Biden, Obamas Vize, drückt es ganz schlicht
aus, wenn er von »decency« – Anstand – spricht.
Solche Appelle berühren auch Trump-Wähler,
und 2020 wird abgerechnet.
Ob es Trump endlich kapiert hat? Die Nation
müsse »Rassismus, Fanatismus und Weißenherr-
schaft verdammen«, sagte er nach dem Blutwochen-
ende. Auch scheint er die Waffenlobby an tas ten
zu wollen. Er fordert bundesweit »strenge Hinter-
grund-Kontrollen« für Waffenkäufer. Sind sie vor-
bestraft, waren sie in psychiatrischer Behandlung?
Da ist bloß ein kleiner Haken: Als Ge gen leis tung
will er von den Demokraten eine »dringend not-
wendige Einwanderungsreform«.
Ein listiger Zug, aber besser als Trump pur.
Europäer werden nie die amerikanische Obses-
sion namens »Zweiter Zusatzartikel der Verfas-
sung« verstehen, welche das Recht auf Bewaff-
nung garantiert. Das Wall Street Journal, eher pro
Trump, liegt dennoch richtig: »Das Recht gehört
geschützt. Aber der Artikel enthält keinen Selbst-
mordpakt.« Schon gar nicht, wenn der Killer von
El Paso von Massenmord faselte, um die »Inva-
sion von Texas« durch hispanische Horden zu-
rückzurollen. Die Tweets, die vom »Bevölkerungs-
austausch« fantasieren, haben sich seit 2014 fast
verdreifacht.
Waffengesetze müssen her, aber sie lassen Killer
trotzdem durch – siehe Breivik. Polizeiarbeit bie-
tet keine Garantie. Im Netz, etwa auf der Seite
8Chan, wo sich die Händler des Hasses treffen,
existiere »eine gesetzesfreie Zone, wo es anonym
zugeht«, so resümiert es der Terrorforscher Clint
Watts. Dennoch sind sich die Dienste einig: Sie
wollen Ressourcen umschichten – weniger für die
Bekämpfung der Islamistenszene und mehr für
die Bekämpfung von Rechtsextremisten, die die
meiste Gewalt produzieren.
Amerika scheint also in sich zu gehen. Das
ist die beste Nachricht. Die Killer müssen geäch-
tet und ihres Umfelds beraubt werden. Die Ge-
schichte des Terrors in Deutschland und Italien
liefert die Beispiele. So viele haben damals mit der
RAF und den Roten Brigaden sympathisiert. Bra-
ve deutsche Bürgersöhne haben den Gesuchten
ihre Ausweise geliehen, ihnen Unterschlupf ge-
währt. Als aber die Mordserien begannen, kippte
die Stimmung. Ende der Revolutionsromantik.
Nimm dem Terror das Milieu – und er wird zur
Beute der Sicherheitskräfte.
Letztlich lastet die Verantwortung auf Trump,
der als Präsident die decency der Nation verkör-
pern muss – egal wie zerrissen sie ist. Ohne seinen
Namen zu nennen, fordert Obama, die Rhetorik
»unserer Politiker zu verpönen, die Angst und
Hass sät oder Rassismus normalisiert«. Trump
könnte auch Abraham Lincoln, einen Republika-
ner, kopieren, der 1861 an die Nation appellierte,
den »besseren Engeln unseres Wesens« zu folgen.
Trump hat sich bloß nie auf Engel eingelassen.
Die Täter ächten
Amerika erlebt eine Welle rechtsextremer Gewalt. Hat Trump endlich
verstanden, dass er sich kompromisslos abgrenzen muss? VON JOSEF JOFFE
http://www.zeit.de/audio
WEISSER TERROR
74. JAHRGANG C 7451 C
N
o
33
W
as tun, wenn der Abschwung
kommt? Das könnte eine der
zentralen politischen Fragen
in diesem Herbst werden.
Im Maschinenbau brechen
die Aufträge weg, die Auto-
industrie meldet sinkende Umsätze, die ersten
Großkonzerne wollen Stellen streichen, und welt-
weit gehen die Börsen auf Talfahrt, weil der
Handelskonflikt zwischen der amerikanischen und
der chinesischen Regierung weiter zu eskalieren
droht (siehe Seite 18). Der ohnehin angeschlage-
nen deutschen Wirtschaft könnte das den Rest
geben, denn die Talfahrt trifft die Firmen, die im
Exportgeschäft ihr Geld verdienen. Es ist nicht
mehr auszuschließen, dass das Land erstmals seit
mehr als zehn Jahren in eine echte Konjunktur-
krise mit steigender Arbeitslosigkeit schlittert.
Die Parteien und Wirtschaftsverbände jeden-
falls sind alarmiert. Sie überbieten sich mit Vor-
schlägen, wie die Konjunktur im Ernstfall stabi-
lisiert werden könne: Die Arbeitgeber wollen die
Steuern für die Unternehmen senken, die Ge-
werkschaften die Löhne erhöhen, die FDP will
den Solidaritätszuschlag komplett abschaffen,
die Union die Bürokratie abbauen.
Was daran auffällt: Das alles ist größtenteils
nicht neu. Die FDP wollte beispielsweise den
Soli schon vor zwei Jahren abschaffen. Seltsam
nur: Damals ging es der deutschen Wirtschaft
ganz vortrefflich. Wie passt das zusammen? Viel-
leicht so: Es geht in Wahrheit überhaupt nicht
um die Konjunktur. Sie wird lediglich als Anlass
benutzt, um die eigene wirtschaftspolitische
Agenda voranzutreiben. Im Fall der FDP: um
den Staat zurückzudrängen.
Borgt der Bund heute einen Euro, muss er
morgen weniger als 90 Cent zurückzahlen
So gesehen, erinnert die aktuelle Debatte ein
wenig an die letzte große Wirtschaftskrise nach
der Jahrtausendwende. Damals wollte Gerhard
Schröder einen Feiertag streichen, damit die
Unternehmen ihre Maschinen länger laufen
lassen können. Bis irgendjemandem aufgefallen
ist, dass sich in den Lagerhallen der Unterneh-
men bereits die unverkauften Waren stapeln,
weshalb an dem zusätzlichen Arbeitstag wahr-
scheinlich überhaupt keine Maschinen gelaufen
wären. Ein Nagel lässt sich nicht mit einer Feile
in die Wand treiben und eine Konjunkturkrise
nicht mit einer auf langfristige Wirkungen aus-
gerichteten Reformpolitik bekämpfen.
Damit soll nicht gesagt sein, dass Reformen
nicht wichtig sind. So kann man durchaus argu-
mentieren, dass der Soli abgeschafft gehört.
Doch muss man schon um sehr viele Ecken den-
ken, um das mit der Konjunkturlage in Verbin-
dung zu bringen. Er wird demnächst ohnehin
für 90 Prozent der Steuerzahler gestrichen – nur
die reichsten zehn Prozent müssen ihn weiter
entrichten. Und die deponieren zusätzliches
Geld nach aller Erfahrung auf dem Bankkonto.
Da nützt es der Konjunktur nichts.
Was nützen würde? Alles, was dazu beiträgt,
dass schnell mehr Geld ausgegeben wird, damit
die Firmen nicht auf ihren Waren sitzen bleiben
und Leute entlassen. Die Amerikaner haben das
erkannt. Dort hat die Notenbank erstmals seit
zehn Jahren wieder die Zinsen gesenkt. In Euro-
pa aber liegen die Zinsen schon bei null Prozent,
da ist nicht mehr viel Luft nach unten.
Deshalb wäre, wenn es wirklich abwärtsgeht,
die Regierung an der Reihe. Warum nicht die
Steuern und Abgaben für Menschen mit mittle-
ren und niedrigen Einkommen senken, denn die
kauften dann auch tatsächlich mehr ein? Ein
Modernisierungsprogramm für Schulen, Straßen
und Schienen auflegen? Die Wälder auf forsten?
Und vor allem: Neue Stellen für die kommuna-
len Planungsbehörden bewilligen, damit die
Projekte auch umgesetzt werden können.
Es gibt nur ein Problem: Die Koalition müss-
te sich dazu vom Ziel eines ausgeglichenen
Staatshaushalts verabschieden, denn im laufen-
den Haushalt gibt es keine Spielräume mehr.
Aber wäre das wirklich ein Problem, wo doch
frisches Geld wegen der niedrigen Zinsen sozusa-
gen im Sonderangebot zu haben ist? Eine Bei-
spielrechnung: Wenn sich der Bund heute einen
Euro borgt, muss er seinen Gläubigern in zehn
Jahren nach Abzug der Inflation weniger als 90
Cent zurückerstatten. Da könnte selbst die viel
zitierte schwäbische Hausfrau schwach werden.
Würde ein solches Konjunkturprogramm alle
strukturellen Defizite des Wirtschaftsstandorts
Deutschland beseitigen? Natürlich nicht. Aber
darum geht es auch nicht. Es geht darum, eine
maßgeblich durch internationale Spannungen
ausgelöste akute Krise abzufedern. Um den Rest
kümmern wir uns dann später.
Raus mit dem Geld!
Die Wirtschaft schwächelt, der Handelskrieg eskaliert. Die meisten
Ideen gegen den Abschwung helfen leider nicht VON MARK SCHIERITZ
KONJUNKTUR
http://www.zeit.de/audio
Wie grün sind die Grünen?
Warum die Ökopartei die Welt nicht retten wird.
Und wer jetzt Robert Habeck zur Kanzlerkandidatur auffordert SEITE 2/
Titelfoto: Philotheus Nisch für DIE ZEIT