Die Welt - 22.07.2019

(ff) #1

H


ip-Hop erobert die Welt.
Hierzulande ist es
Deutschrap, der die Charts
beherrscht. Keine andere
Musikrichtung erreicht die
Jugend so sehr wie der Hip-Hop. Nicht
nur verdrängt er den Rock bei den Strea-
mingdiensten, er verdrängt ihn auch als
Musik der Rebellion, als das Genre der
AAAuflehnung gegen Autoritäten. Beimuflehnung gegen Autoritäten. Beim
Deutschrap sind es vor allem der Staat
und die Gesellschaft, gegen die sich die
Rapper stellen. Der Hip-Hop verdrängt
die Rockmusik. Und weil man hierzulan-
de erkennt, dass der Deutschrock nach
rechts rückt, wird der Deutschrap auch
zur Stimme der Menschen, die die Viel-
fffalt feiert und weniger die Unterschiedealt feiert und weniger die Unterschiede
zelebriert als ihre Gemeinsamkeiten.

VON CIGDEM TOPRAK

Dabei war der deutschsprachige Rap
in den letzten Jahren einer ständigen
und heftigen Kritik ausgesetzt: Seine
Texte beinhalteten antisemitische, frau-
enfeindliche und homophobe Schimpf-
wörter, so die Vorwürfe, die Verse ver-
herrlichten Gewalt und Drogenhandel.
Hip-Hop sei zur Plattform des Konsum-
kapitalismus geworden. Marken wie Ro-
lex, Balenciaga, Mercedes, AMG und
Louis Vuitton sind die Lieblingswörter
der Rapperinnen und Rapper in
Deutschland, die immer mal wieder in
den Texten erwähnt werden, „gedropt“,
wie sie sagen.
Dabei ist Hip-Hop heute auch die Mu-
sik der neuen Generation von jungen
Menschen geworden, die nicht nur ihre
Toleranz gegenüber der Vielfalt pflegt,
sondern unterschiedliche kulturelle und
ethnische Einflüsse anerkennt. Zu beob-
achten auf dem Wireless-Festival in
Frankfurt am Main – einem Hip-Hop-Fe-
stival, bei dem der erfolgreiche italie-
nisch-tunesische Rapper Ghali, spa-
nischsprachige Größen wie J Balvin,
amerikanische Stars wie Travis Scott
und Cardi B sowie Deutschrapper wie
Ufo361, Mero und Marteria, RIN, Azet
und Zuna aufgetreten sind.
Hier wurde die body positivityin all ih-
ren Facetten gefeiert. Frauen, ganz
gleich welche Figur, egal wie viele Pfun-
de sie auf den Rippen hatten, trugen en-
ge, auffällige und knappe Outfits in allen
Farben. Wunderschöne Mädchen kamen
in Netzanzügen, wie man es sonst aus
Hollywood oder von Festivals wie Coa-
chella kennt. Von sexistischen Sprüchen
oder Belästigungen war weit und breit
nichts zu hören und zu sehen. Selten hat
man sich als Frau so wohl und sicher ge-
fffühlt wie hier im alten Frankfurter Reb-ühlt wie hier im alten Frankfurter Reb-
stockpark. Das Motto „Make Love Not
WWWar“ wurde mehr denn je gefeiert. Esar“ wurde mehr denn je gefeiert. Es
war eine Blase, für einige Stunden vergaß
man, was von Rechten hinterfragt und
von Rechtsextremen angefeindet wird.
Das Festival war ausverkauft und bevöl-
kert von jungen Menschen unterschied-
lichster Herkunft. Es gab keinen Unter-
schied zwischen Leuten aus dem Aus-
land oder Deutschen mit und ohne Mi-
grationshintergrund.
Schon auf dem Weg zum Festival hör-
te ich junge Besucher über die allgegen-
wärtigen Bauchtaschen sprechen. Vor
zehn Jahren haben sich junge Männer
mit deutschen Wurzeln über den „Kana-
ken-Style“ noch lustig gemacht. Heute
sagt einer hinter mir: „Das ist ja wie eine
Religion geworden. Ich wollte auch eine

tragen, aber das stört beim Springen.“
Die Zeiten, in denen man auf Hip-Hop-
Konzerten lässig hin und her wippte,
sind vorbei. Heute tanzen die Frauen so
sexy, als wären sie im Klub, und die Män-
ner springen so hoch, als wäre alles
leicht und grenzenlos.
Es gibt tatsächlich keine Grenzen im
Hip-Hop, aber umso mehr Gemeinsa-
mes. Wenn italienisch-tunesische Rap-
per mit italienischen und englischen,
aber auch mit arabischen Wörtern um
sich werfen, wenn türkischstämmige
Rapper wie Ufo361 aus Berlin türkische
Begriffe schreien, dann wird eigentlich
doch nur eine Sprache gesprochen. Die
Sprache der Musik, so kitschig es auch
klingt. Hip-Hop dominiert die Musik-
märkte. Nicht nur in den USA und in
Deutschland, auch in der Türkei, in Ita-
lien und den Ländern des Balkans.
Rockmusik sei auf dem absteigenden
Ast und im Vergleich zum Hip-Hop
nicht mehr konkurrenzfähig, gab auch
Richard Kruspe kürzlich zu, der Gitar-
rist von Rammstein.
Nach dem Konzert trafen wir fröhli-
chen Wireless-Besucher auf die Fans von
Frei.Wild in der S-Bahn-Station am
Frankfurter Hauptbahnhof. Auch Frei-
...Wild hatten ihr Konzert in Frankfurt anWild hatten ihr Konzert in Frankfurt an
diesem Tag. Es war war ein seltsamer
Moment, in dem zwei Welten aufeinan-
dertrafen. Gelöste Hip-Hopper, bunt an-
gezogen und ausgelassen neben älteren
Rockern in Schwarz und Grau, dem Da-
sein abgewandt, als wären sie aus einer
längst vergangenen Zeit ins Jahr 2019 ge-
beamt worden.
WWWährend Hip-Hop ein Spiegel der Ge-ährend Hip-Hop ein Spiegel der Ge-
sellschaft ist, der auch zeigt, wie sexi-
stisch junge Männer ticken können und
welche Gewalt auf den Straßen herrscht,
ist der neue Deutschrock zu einer Platt-
ffform geworden, auf der auch Rechte ihreorm geworden, auf der auch Rechte ihre
Botschaften senden und die alten Bot-
schaften von Liebe und Frieden übertö-
nen. Die neuen Deutschrocker sind nost-
algisch und überholt, Frei.Wild sind pa-
triotisch, auf eine althergebrachte Weise
männlich und hermetisch.
AAAuf dem Festival, dem Wireless, waruf dem Festival, dem Wireless, war
etwas Schönes zu beobachten: Junge
Frauen mit deutschen Wurzeln feiern
mit Ufo361, der deutsch-türkische Rap-

per singt und rappt seinen Hit „Stan-
dard“: „Frauen, so süß wie Baklava.“ Die
Frauen singen mit. Ich frage sie, warum.
Sie sagen: „Weil Baklava so hmmmmm
ist.“ Die Hip-Hopper verstehen die Welt
um sie herum, sie wollen Teil der Vielfalt
sein, während die Deutschrocker sich
von der Welt abwenden. Hip-Hop er-
obert diese Welt, und ihre Botschaft
dröhnt aus unseren Kopfhörern und aus
den Lautsprechern, überall und jeder-
zeit: Wir sind anders, wir sind eins.

Du Bratwurst,


ich Baklava


Wenn sich Deutschrock und Deutschrap zufällig begegnen, treffen sich


die alte und die neue Welt. Eine Hymne auf den heimischen Hip-Hop


Geschlossene Gesellschaft:
Philipp Burger mit
Frei.Wild im Konzert

PICTURE ALLIANCE / REVIERFOTO

Offene Gesellschaft:
Ufuk Bayraktar als
Ufo361 im Konzert

REDFERNS

/FRANK HOENSCH

DER RAP VERSTEHT


DIE WELT, DER


ROCK WENDET


SICH VON IHR AB


,,


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GESCHICHTE

Kampf um neues
Museum in Danzig

Danzigs Bürgermeisterin Aleksandra
Dulkiewicz hat den polnischen Prä-
sidenten aufgefordert, Pläne zum
Bau eines umstrittenen Museums
auf der Westerplatte zu stoppen.
Nach Angaben des Senders TVN24
habe sie Andrzej Duda in einem
Brief gebeten, gegen ein entspre-
chendes Gesetz ein Veto einzulegen
oder es an das Verfassungsgericht
weiterzuleiten. Grund des Streits ist
ein vom polnischen Parlament ver-
abschiedetes Gesetz, mit dem die
nationalkonservative Regierung auf
der Halbinsel ein Museum errichten
kann. Kritiker fürchten, im Vorder-
grund könne eine einseitige Inter-
pretation von Geschichte stehen.
Nach einem Rechtsruck 2015 setzt
die Regierungspartei Recht und
Gerechtigkeit (PiS) in Polens Ge-
schichtspolitik neue Akzente. Die
Regierenden propagieren Werte wie
nationale Identität. Damit das Wes-
terplattegesetz in Kraft tritt, muss
Duda es noch unterschreiben – was
als wahrscheinlich gilt, da der Politi-
ker aus Reihen der Nationalkonser-
vativen stammt. Polens Regierung
argumentiert, der historisch bedeu-
tende Ort sei von der Stadt Danzig
vernachlässigt worden. Der Be-
schuss der Westerplatte am frühen
Morgen des 1. Septembers 1939 leite-
te den deutschen Angriff auf Polen
und damit den Beginn des Zweiten
Weltkriegs ein. Nach Kriegsende
wurde die Verteidigung der be-
waldeten Halbinsel in Polen zur
Heldenlegende, die vor allem an den
Widerstand gegen die deutsche
Übermacht erinnert. Seit 1966 steht
auf der Westerplatte ein 25 Meter
hohes Granitdenkmal.

KLASSIK

Semperoper trauert


um Tom Martinsen


Die Semperoper in Dresden trauert
um ihr langjähriges Ensemblemit-
glied Tom Martinsen. Der Norweger
starb am Donnerstag im Alter von
62 Jahren, wie die Sächsische
Staatsoper am Samstag bekannt
gab. Sie berief sich dabei auf die
Familie des Künstlers. „Die Semper-
oper ist erschüttert über den plötz-
lichen Tod ihres hochgeschätzten
Kollegen Tom Martinsen und wird
ihm ein respektvolles und ehrendes
Andenken bewahren“, hieß es in der
Mitteilung. Martinsen stammte aus
Hamar und studierte an der Musik-
hochschule in Oslo und an der
Opernhochschule in Stockholm.
Sein Debüt in Dresden gab er als
Hoffmann in „Hoffmanns Erzäh-
lungen“ von Jacques Offenbach. In
der Elbestadt war er zunächst als
ständiger Gast und später als Teil
des Solistenensembles in vielen
Partien zu erleben. Zudem gastierte
der Tenor auf zahlreichen Bühnen
im Ausland.

ARCHITEKTUR

Fertigbaukirche
kommt ins Museum

Das Freilichtmuseum Kommern in
Mechernich bei Euskirchen hat eine
fast 70 Jahre alte temporäre Kirche
als dauerhaftes Ausstellungsstück
erhalten. Am Sonntag wurde die
Kapelle von 1951 auf dem Gelände
des LVR-Museums in der Eifel ein-
geweiht. Die sogenannte Diaspora-
Kirche war nach dem Zweiten Welt-
krieg in Overath für zugezogene
evangelische Flüchtlinge gebaut
worden. Der Entwurf stammt von
dem Architekten Otto Bartning,
einem Mitbegründer des Bauhauses
in Weimar. Seinerzeit waren 33
Kirchen dieses Fertigbautyps er-
richtet worden. Die Notkirche wur-
de in Overath im Bergischen Land
abgebaut und 2018 im Freilicht-
museum aufgebaut. Die Wieder-
einweihung ist Teil des Ausstel-
lungsprojekts „100 Jahre Bauhaus
im Westen“. In der Kirche sollen
weiterhin Hochzeiten und Gottes-
dienste stattfinden.

KOMPAKT


S


tirbt ein Philosoph, nimmt er
die Bücher, die er gelesen hat,
mit ins Grab, mitsamt der Art,
wie er sie gelesen hat. Im Fall von
Ágnes Heller müssen es Tausende von
Büchern sein, Bücher, die sie auf ihre
sehr eigene Weise las: geprägt von den
Schrecken des 20. Jahrhunderts wie
vom Versuch ihrer Überwindung durch
die Kritische Theorie.

VON MARA DELIUS

Ágnes Heller wurde 1929 in Budapest
geboren und entkam der Verfolgung
durch die Deutschen immer wieder nur
knapp, oft allein durch Zufall (wie es in
der kürzlich erschienenen „Der Wert
des Zufalls. Ágnes Heller über ihr Le-
ben und ihre Zeit“ von Georg Haupt-
fffeld beschrieben wird). Hellers Vatereld beschrieben wird). Hellers Vater
und weite Teile ihrer Familie wurden
umgebracht. 1947 schrieb sich Heller
an der Universität von Budapest zu-
nächst für Physik und Chemie ein, traf

aber in einer Vorlesung auf den Philo-
sophen und Literaturwissenschaftler
Georg Lukács und wechselte darauf-
hin, begeistert, zu Lukács in die Philo-
sophie.
Damit trat eine der für die Litera-
turwissenschaften wichtigsten Linien
der Theorie hervor. Zusammen mit
Lukács untersuchte sie die europäi-
schen Romane des Realismus auf die
literarische Widerspiegelung gesell-
schaftlicher Verhältnisse hin. (Ihr ging
es mehr um die Strukturanalyse der
Lebenswirklichkeiten, Lukács etwas
mehr um eine auf Hegel und Kant auf-
bauende marxistische Ästhetik).
Heller jedoch war nicht dogmatisch
in ihren strukturalistischen Bestre-
bungen, 1967 erschien „Der Mensch
der Renaissance“, dann eine Studie
zum „Bedürfnis“ bei Marx, kurz dar-
auf „Das Alltagsleben. Versuch einer
Erklärung der individuellen Repro-
duktion“, 1980 ihre „Theorie der Ge-
fffühle“. Nach Jahren politischer Aus-ühle“. Nach Jahren politischer Aus-

einandersetzungen in Ungarn emi-
grierte Heller 1977 nach Australien,
1 986 wurde sie Hannah Arendts Nach-
fffolgerin an der New School for Socialolgerin an der New School for Social
Research in New York. Philosophisch-
literaturtheoretisch verbindet Hellers
WWWerk die Literaturtheorie von Lucákserk die Literaturtheorie von Lucáks
mit dem Denken von Jürgen Haber-
mas.
Ágnes Heller gilt heute als Philoso-
phin, die, aufgeweckt bis ins hohe Al-
ter, immer wieder kritisch in die Poli-
tik ihres Heimatlandes Ungarn ein-
griff, Victor Orbán kritisierte und
überhaupt die europäische Idee wie
zuletzt in „Paradox Europa“ verteidig-
te. Doch hinter der Denkerin stand
eine besondere Leserin: der seltene
Fall, wenn aus der Liebe zum Lesen
eine professionelle Leidenschaft wird,
die ein Leben lang anhält.
Nachdem ihr der Großvater zum
Einschlafen Goethe-Gedichte vorge-
tragen habe, erzählte sie bei einem
Gespräch noch vor wenigen Monaten,

habe sie Thomas Mann entdeckt und
sei nie wieder von ihm losgekommen.
Als Erstes habe sie den „Zauberberg“
gelesen, mit 13, danach dann sicher

noch drei oder vier Mal. Im Getto, mit
1 5, habe sie die Novellen von Mann ge-
lesen, im Keller, bei Kerzenlicht: Ein
jüdisches Mädchen, verfolgt von den
Deutschen, liest Thomas Mann. Ein
Bild des 20. Jahrhunderts.
Dazu gehört auch, dass Heller
selbstverständlich feministisch auf-
trat, ohne sich als Feministin zu be-
zeichnen: Natürlich könne eine Frau
ihr Leben dem Denken widmen und
Kinder haben, warum denn auch
nicht, im Zweifel eben mit verschiede-
nen Männern, sagte sie energisch in
ihrem schönen, leicht schnarrenden
Deutsch. Das war die Hellersche
Grundhaltung, mit der sie durch die
WWWelt ging: Man kann ein ganzes Lebenelt ging: Man kann ein ganzes Leben
haben.
Am 19. Juli ist die Philosophin, Lite-
raturtheoretikerin und große Leserin
Á

aturtheoretikerin und große Leserin
Á

aturtheoretikerin und große Leserin
gnes Heller Jahren gestorben. Nach
Angaben vom Augenzeugen schwamm
sie im Badeort Balatonalmadi auf den
See hinaus und kehrte nicht zurück.

Eine freie Frau


Die ungarische Philosophin Ágnes Heller überlebte den Holocaust und wurde zur Nachfolgerin von Hannah Arendt. Jetzt ist sie gestorben


ÁÁÁgnes Heller (1929 bis 2019)gnes Heller (1929 bis 2019)

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DIE WELT MONTAG,22.JULI2019 SEITE 21

Carlos Reygadas, der glorreiche


Vierte des mexikanischen Kinos Seite 22


Film


FEUILLETON


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