16 ZÜRICH UND REGION Mittwoch, 17. Juli 2019
Diesmal soll das Volk wirklich über den Seeuferweg entscheiden
Vor neun Jahren wurde ein Begehren zugunsten eines Gegenvorsc hlags zurückgezogen – nun sol l eine Initiative zum Durchbruch führen
MICHAELVON LEDEBUR
Sechs MillionenFranken müsste der Kan-
ton Zürich gemäss Gesetz jedesJahr für
denBau von Seeuferwegen ausgeben –
vier Millionen alleine am Zürichsee. Doch
davon ist erweit entfernt. 20 16 wurden
weniger als 20 0000 Franken investiert,
2017 knapp eine halbe MillionFranken.
Die Promotoren eines Seeuferwegs – der
Verein «Ja zum Seeuferweg» sowie die
Parteien SP und EVP – fühlen sich von
der Kantonsregierung überdenTisch ge-
zogen, weil sie sich 2010 auf einen Han-
del einliessen, den sie als nicht erfüllt an-
sehen. Nun wollen sie ihrem Anliegen
quasi mit der Brechstange zumDurch-
bruch verhelfen. Der Seeuferweg sollVer-
fassungsziel werden, die Gemeinden sol-
len ihre Mitsprache verlieren. Garniert ist
das Ansinnen mit derForderung nachRe-
naturierung, Hochwasserschutz und Ge-
wässerzugang im ganzen Kanton.
Der Handelvon 2010 bestand darin,
dass SP und EVP ihre jeweiligen Initiati-
ven zugunsten eines Gegenvorschlags des
Regierungsrates zurückzogen. BeidePar-
teien hatten damals mittelsVolksbegeh-
ren denBau eines Uferwegs erwirken wol-
len. Die Hürde von 60 00 Unterschriften
hatten siedabei spielend gemeistert. Ge-
mäss Gegenvorschlag fand der Seeufer-
wegEingangins Strassengesetz; er gilt
seither als Staatsstrasse. Julia Gerber
Rüegg, ehemalige SP-Kantonsrätin und
Präsidentin desVereins «Ja zum Seeufer-
weg», sagt: «Damit war aus unserer Sicht
gegeben, dass derRegierungsrat dieRea-
lisierung an die Hand nimmt.»
Zwischenspiel inLausanne
Mit demRückzug hatten die Initianten
aber ihr Pfandaus der Hand gegeben. Sie
mussten mit ansehen, wie sich die Dinge
gegen ihrenWillen entwickelten. Der bür-
gerlich geprägte Kantonsrat schrieb eine
Mitsprache der betroffenen Gemeinden
ins Gesetz.Noch stärker störte die Initian-
ten einPassus, dendie SVP bei der Bera-
tung einbrachte. Er zielte auf einen tota-
len Schutz des Eigentums für Liegenschaf-
ten in Seenähe. IndieserForm hätte dies
den Seeuferweg wohl verunmöglicht.
Der Kantonsrat ging damit allerdings
zu weit. DerVerein «Ja zum Seeuferweg»
klagte, das Bundesgericht kassierte den
Entscheid.Allerdings stellte der Kantons-
rat 20 18 sicher, dass bei der Planung die
Rechte der Liegenschaftseigentümer
stark gewichtet werden. Und derWeg über
die Gerichte war nicht im Sinn der Initian-
ten, weil er Zeitkostete. Erst 20 16 budge-
tierte derRegierungsrat Mittel für den
Seeuferweg, bis jetzt mit bekannt mage-
remResultat. «In der Zwischenzeit geht
dieBautätigkeit in Seenäherege weiter»,
sagt GerberRüegg.
Die Initianten sehen zwei Hindernisse
bei der Umsetzung: erstens mangelndes
Engagement des Kantons und zweitens
die Mitwirkung der Gemeinden. Gerber
Rüegg sagt: «Kanton und Gemeinden
schieben sich die Planung wie eine heisse
Kartoffel hin und her.» Eine wichtige
Rolle spielt dieFinanzierung. Die Ge-
meindenmüssen, anders als sonst bei
Strassenbauten üblich, einenFünftel der
Kosten tragen.Sie wollen entsprechend
mitreden. Das wollen die Initianten
ändern, indem sie dieVerantwortung
alleine dem Kanton zuweisen, der auch
die vollenKosten tragen muss.
DieFrage, weshalb der Seeuferweg
nicht vomFleckkomme, führt zum Bei-
spiel nachWädenswil. Dort soll derWeg
denBahnhof mit der Halbinsel Giessen
verbinden.Land müsste nichtenteignet
werden. Nicht einmal in diesem einfachen
Fall schreite die Planung voran, moniert
GerberRüegg. Der Gemeindeanteil – in
diesemFall 4 MillionenFranken bei 20
MillionenFranken Gesamtkosten – sei ein
«Killer». Für jede Gemeinde sei eine sol-
cheAusgabe hoch, zumal der Stadtrat den
Weg über eine Urnenabstimmung nehme.
Falsch, entgegnet PhilippKutter, ehe-
maliger Kantons-und heute Nationalrat
für die CVP und Stadtpräsident von
Wädenswil. Nicht die Mitwirkung der
Stadt sei zeitintensiv, sonderndiekom-
plexe Planung: Der geplanteWeg führt an
einem Bootshafen vorbei, der sanierungs-
bedürftig ist. Zudem planen die SBB den
Ausbau desBahnhofs.All dies gelte es auf-
einander abzustimmen.
Mahnung zur Geduld
Natürlichkönne man die Mitbestimmung
der Gemeinden ausradieren, sagtKutter.
Dafür brauche es aberkeine Initiative, zu-
mal im Kantonsrat ein entsprechender
EVP-Vorstoss hängig sei. So oder sorät
Kutter von dem Schritt ab.Wenn der Kan-
ton in einem so sensiblen Bereich wie dem
Seeufer einfach verfüge, sei dies der
Akzeptanz nicht zuträglich. Die Gemein-
den hätten wie bei normalen Strassenbau-
projekten Mitwirkungsrechte, aberkein
Vetorecht mehr.
Von Aktivismus spricht FDP-Kantons-
rat PeterVollenweider, Präsident desVer-
einsFair, der sich für eine eigentümer-
freundliche Umsetzung des Seeuferwegs
einsetzt. «Die heutige Gesetzgebung
kommt dem Interesse der Initianten stark
entgegen. Die Umsetzung braucht Ge-
duld.» FDP-Präsident Hans-Jakob Boesch
erinnert daran, dass staatliche Projekte im
Strassen- und Hochbau generell Zeit in
Anspruch nehmen.Das Lancieren einer
zweiten Initiative bezeichnet er deshalb
als Zwängerei. «Das zeigt denFundamen-
talismus auf, der dahintersteckt.»
Völlig verfehlt sei das Ansinnen, den
Gemeinden die Mitsprache zu nehmen.
Diese seiAusdruck der Demokratie. «Und
wenn die Projekte lokal nicht auf Gegen-
liebe stossen, kann man sich fragen, wie
mehrheitsfähig das Interesse der Initian-
ten überhaupt ist.» Diese stellten den See-
uferweg über alles andere. In derVerfas-
sung habe derPassusaber nichts verloren.
Vielmehr sei es angezeigt, in jedem Ein-
zelfall pragmatisch zwischen dem Inter-
esse an einem Seeuferweg, Eigentums-
rechten,Finanzfragen und dem Umwelt-
schutz abzuwägen.
Die Initianten beteuern, ihnen sei an
pragmatischen Lösungen gelegen. Der
Uferweg müsse nicht zwingendentlang
derWasserlinie verlaufen. Aber offenbar
brauche es den Eintrag in dieVerfassung,
bis der Kanton bereit sei, denAuftrag aus
dem Strassengesetz zielstrebig umzuset-
zen. Klar ist aber auch, dass derVerfas-
sungsrang zurKonsequenz hätte, dass Ent-
eignungen von Liegenschaften zwecks
Wegbau wieder wahrscheinlicher würden.
Die Tigermücke
bläst zur Eroberung von Zürich
Zum erst en Mal hat die gefürchtete invasive Art den Winter bei uns überlebt
ADI KÄLIN
DieTigermücke ist in südlichenLändern
gefürchtet, weil sie eine grosse Zahl
schwerer Krankheiten übertragen kann,
etwa das Denguefieber oder das Zika-
Virus, das zu schweren Schädigungen von
Föten führen kann. Zudem istAedes albo-
pictus, wie die Mückelateinisch heisst, auf
einem Eroberungsfeldzug:Innert weniger
Jahrzehnte hat sie sich über fast die ganze
Welt verbreitet–transportiertbeispiels-
weise mitLadungen von Altreifen. In der
Schweiz ist sie erstmals 2003 imTessin be-
obachtet worden.Seit etwa zehnJahren
hat sie sich dort festgesetzt und wird inten-
siv, aber letztlich vergeblich bekämpft.
Ähnliches geschieht unterdessen auch in
Südtälern des Kantons Graubündenund
in der StadtBasel. In Zürich wurden erst-
mals im September 20 16 beim Carpark-
platz, der heute Bus-Station heisst,Tiger-
mücken gesichtet. Sie waren offenbar von
Reisecars eingeschleppt worden.
Sie stechen auch amTag
Seit zweiJahren wird das Gebiet rund um
den Carparkplatz von der Stadt Zürich
intensiv überwacht. Es gab auch immer
wieder einzelneFunde von Eiern und
adultenTieren. Gabi Müller, die Leiterin
der Stadtzürcher Abteilung für Schäd-
lingsprävention und -beratung, ist über-
zeugt, dass es sich bei den dortgefunde-
nenTieren um «wiederholte Neuein-
schleppungen» gehandelt hat.
Ganz anders aber präsentiert sich nun
die Situation im QuartierWollishofen, wo
die Mücken offenbar denWinter überlebt
haben. Im September waren sie dort so
aktiv, dass die Leute sich oft kaum mehr
im Garten aufhaltenkonnten.Jedenfalls
erzählte dies jener Mann, der die Eier der
Mücken zur Schädlingsberatungsstelle
der Stadt brachte. DieTigermücken haben
die schlechte Angewohnheit, dass sie nicht
nurabends stechen wie die einheimischen
Arten, sondern den ganzenTagüber.Zu-
dem sind ihre Stiche schmerzhafter.
Seit man weiss, dass sich dieTiger-
mücke inWollishofen breitmacht, über-
wacht man sie systematisch und bekämpft
ihreLarven und Eier. Die Anwohnerin-
nen und Anwohner sowie die Hauseigen-
tümer wurden zunächst schriftlich und
schliesslich an einerVeranstaltung infor-
miert. Betroffen ist ein Gebiet von rund
drei Hektaren Fläche, eingeschleppt wur-
den dieTigermücken vermutlich von
einem Mann in der Nachbarschaft, der
regelmässig mit demAuto insTessin fährt.
StehendesWasser vermeiden
Hat sich die Tigermücke in Zürich eta-
bliert?Daskönne man nicht sagen,findet
Gabi Müller. Man versuche sie ja noch los-
zuwerden, wisse aber nicht, ob es gelinge.
Bei der Bekämpfungkommt der Bevöl-
kerungeine wichtigeRolle zu:Vorallem
Gartenbesitzer sind aufgerufen,Wasser in
offenen Gefässen zu vermeiden, etwa in
Untersetzern von Pflanzentrögen oder in
Giesskannen. Es wurden aber auch schon
Eier in der Schaufel eines Spielzeugbag-
gers gefunden. An Orten, an denen ste-
hendeWasserflächen unvermeidlich sind,
etwa in Dolen, wird dasBakterium BTI
als biologisches Mittel verwendet.
Die Schädlingsberatungsstelle macht
in einer Pressemitteilung darauf aufmerk-
sam, dass für die Bevölkerungkein Anlass
bestehe,sich Sorgen zu machen.Tiger-
mücken sind zwar lästiger, aber nicht ge-
fährlicher als die einheimischen Mücken.
Siekönnen wohl gefährliche Krankheiten
übertragen, doch da diese bei uns nicht
verbreitet sind, kann auch nichts übertra-
gen werden. Es müsste der unwahrschein-
licheFall eintreten, dass einVirus von
einem Infizierten importiert und genau im
richtigen Zeitpunkt von einer Mücke
übertragen würde.
Neben der einheimischen Art hat sich
in den letztenJa hren übrigens eine Art
etabliert, die derTigermückesehr ähnlich
sieht: die Asiatische Buschmücke.Diese
ist allerdings grösser: DieTigermücke
passt bestens auf einFünfrappenstück,
während bei der Buschmücke die Beine
deutlich darüber hinausragen.Auch die
Buschmücke sticht tagsüber, doch sind bis
jetztkeine Übertragungen mit den gefähr-
lichen Dengue- und Zika-Erregern be-
kannt.Zum Glück, denn die Asiatische
Buschmücke ist vielerorts schon weiter
verbreitet als die Gemeine Stechmücke.
Laienkönnen dieTiger- und die Busch-
mücke fast nicht unterscheiden. Die
Zeichnung der beiden ist ähnlich, die
Tigermückehatallerdings einen deut-
lichen weissen Strich auf demRücken.
Der Kanton hat in den letztenJahren in
sechsTestgemeinden untersucht, wie stark
der Bestand der Buschmücken mit Hilfe
der Bevölkerung eingedämmt werden
kann.Das Resultat ist erstaunlich: Die
Zahl der gefundenen Eier hat sich auf die
Hälftereduziert.
APROPOS
Ein Velofahrer
erobert
die Autobahn
Urs Bühler·DieReligion gilt in breiten
Kreisen alsAuslaufmodell, die Philoso-
phie verkommt zumJekami, dieAutorität
von Lehrern undPolizisten ist arg unter-
graben. Und dieJahreszeiten sind auch
nicht mehr, wassie einmal waren.Woalso
sollen wir heutzutage bloss unsere Orien-
tierung hernehmen? Nun, dieTechnik
springt ein, auch in diesemFall: Längst an-
erbieten sich Navigationsgeräte, uns ver-
irrte Seelen durch dieWelt zu lotsen. Stim-
men, diekeinenWiderspruch dulden, for-
dern uns zumRechts- oder Linksabbie-
gen auf, manchmal zum Geradeausfahren,
und fast immer führen sie uns auf den rich-
tigenWeg,rein verkehrstechnisch. Aber-
tausende von Ehen haben siegerettet, da
die ewigen Streitereien zwischenPaaren
um die richtige Richtung nun hinfällig
sind. Und am Ende steuert uns bei Bedarf
eine lobendeFrauenstimme mitten in die
quasireligiöse Erlösung: «Sie haben Ihre
Destination erreicht!»
Dakönnte man glatt vergessen, ab und
zu das Hirn einzuschalten. So vollführte
diePatrouille Suisse, entsprechend fehl-
geleitet, ihreKunststücke kürzlich über
Mümliswil stattLangenbruck. Und nun
schafft es ein Herr mit einem verwegenen
Ritt auf dem Drahtesel in die Schlagzeilen:
Statt sich am Sonntagmorgen in der Kir-
che auf denrechtenWeg führen zu lassen,
verliess er sich auf demVelo ganz auf sein
Navigationsgerät. Dieses scherte sichkei-
nen Deut um die Art des benutztenVer-
kehrsmittels und führte ihn mitten in den
Gubristtunnel, also auf dieAutobahn.
Unbeirrt strampelte derKerl weiter.
Immerhin verzichtete er auf Überhol-
manöver und blieb bravauf derrechten
Fahrspur, wie auf einemVideo der Kan-
tonspolizei zu sehen ist. Diese sorgt in sol-
chenFällen halt immer noch fürRecht
und Ordnung, sie sperrte den betreffen-
denFahrstreifen nach eigenenAngaben
sofort. Der so geschützteVelofahrer er-
reichte unversehrt das heilbringende
Licht am Ende desTunnels.
Daaber eine solcheFahrt gefährlich,
also verboten ist, wirdgegendenFehl-
barenrapportiert,wiediePolizei mitteilt.
Wir schlagen vor, das Navigationsgerät
gleich mit zu verzeigen, wegen Irrefüh-
rung.Dass der Zwischenfall überhaupt
dokumentiert ist, verdanken wir übrigens
den imTunnel installierten Kameras. Sie
haben Gottbekanntlich inzwischen bei
derAufgabe abgelöst, über unser Leben
zu wachen–oder es zuüberwachen.
Drei Plagegeister: die AsiatischeTigermücke,die Asiatische Buschmücke und die Gemeine Stechmücke (v.l.). PD