Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

Mittwoch, 17. Juli 2019 FINANZEN 23


Wie Medien die Börsenkurse beeinflussen

Die Zahl der Berichte kann wichtige Hinweise auf die zu erwartende Performance eines Investments liefern


PATRICK HERGER


Ein einzelnerTweet vernichtete am
23.April 2013 weit über 130 Mrd. $ an
Börsenwert. Hacker hatten über den
Twitter-Account der Nachrichtenagen-
turAssociated Press (AP) die Meldung
verbreitet, im Weissen Haus habe es
zwei Explosionen gegeben und Präsi-
dentBarack Obama sei verletzt worden.
Drei Minuten nach demTweet sackten
die US-Börsenrapide ab.Wer allerdings
rasch verkauft hatte, war schlecht bera-
ten. Denn dieKurse erholten sich prak-
tisch sofort wieder, weil die AP die Mel-
dung umgehend richtigstellte.
Diese Episode führt jedem Markt-
teilnehmer vor Augen, dass Medien
einen erheblichen Einfluss auf Bör-
senkurse nehmenkönnen. Aber nicht
immer werden irreführende Meldungen
so rasch korrigiert wie vor sechsJahren.
Es gibt zahlreiche Beispiele vonJourna-
listen, die mit sogenanntem «Scalping»
ansehnliche Gewinne gemacht haben.
Aber auch wenn es nicht um Mani-
pulation oder marktengeAnlagen geht,
sondern um ganz normale Berichterstat-
tung und gut handelbare, liquideWerte,
haben Medien einen nicht unerheb-
lichen Einfluss auf die Börsenkurse. So
hat sich beispielsweise gezeigt, dass der
Kurs von Aktien steigt, die in Börsen-
sendungen empfohlen werden. Dies so-
gar dann, wenn die Empfehlungkeiner-
lei Informationen über die Gründe um-
fasst, die für einen Kauf sprechen.


Das Suchproblemder Anleger


Die Empfehlungen selber sind im
Durchschnitt aufgrund der anschliessen-
denPerformancekeineswegs gerecht-
fertigt. Nach einem kurzen Preisanstieg,
ausgelöst durch Käufe des Publikums,
kehrt sich derTrend, und der Preis der
empfohlenen Aktien geht in den fol-
gendenWochen wieder zurück. Dieses
Muster scheint nicht nur für Aktien zu
gelten, die inTV-Sendungen empfoh-
len werden,sondernganz allgemein für
Aktien, die in den Medien prominente
Erwähnung finden.
In einer vielzitierten Studie haben
BradBarber undTerrance Odean ge-
zeigt, dass Aktien, die viel Medienauf-
merksamkeit erfahren, häufiger in den
Portfolios der Investoren landenals an-
dere Aktien. Der Grund für diesen Um-
stand liegt darin, dass es sehr schwierig
ist, unterTausenden von Aktien zu wäh-
len .Für Anlegerist es unmöglich,sich
zu jeder verfügbaren Aktie ein Urteil
zu bilden.


Viele Investoren lösen dieses Such-
problem, indem sie nur diejenigen
Aktien zum Kauf in Betracht ziehen,
die kürzlich ihreAufmerksamkeit erregt
haben.Und das sind vor allemAktien,
die gerade viel Medienaufmerksamkeit
bekommen.Damit ist nicht gesagt, dass
die Investoren alle Aktien kaufen, die in
den Medien sind und ihreAufmerksam-
keit erregen. Aber die Medienpräsenz
einer Aktie erhöht die Kaufwahrschein-
lichkeit erheblich.
Dabei sind eskeineswegs nur Pri-
vatinvestoren, die sich gerne Aktien
mit hoher Medienpräsenz insPortfo-
lio legen.Auch Investmentfonds bevor-
zugen Glitteraktien, alsoAktien von
Unternehmen, die in den 12 Monaten
vor dem Kaufoft in denNachrichten
waren. ImVergleich etwa zu Indexanla-
gen kostet das die Anleger dieserFonds
bis zu 2%Rendite proJahr.
Denn die Bevorzugung vonTiteln,
die viel Medienaufmerksamkeit erfah-
ren, hatFolgen für die zu erwartenden
Renditen. Die Kurse aufmerksamkeits-
starker Aktien sind häufig erhöht, was
zu niedrigeren Renditen führt.Um-

gekehrt gibt es Hinweise darauf,dass
Aktien eher unterbewertet sind, wenn
sie nicht häufig in den Nachrichten er-
scheinen, was bei diesenPapieren dann
tendenziell zu höherenRenditen führt.
Seit demAufkommen von Social
Media hatsich für Privatinvestoren das
Risiko vergrössert, zu überhöhten Prei-
sen Glitteraktien zu kaufen. Insbeson-
dere Facebook undTwitter , aber auch
Internetforen,können die Einschätzung
von Aktien und Preisen verzerren. Denn
Social Media funktionieren in nicht ge-
ringem Umfang als Echokammern, die
Meinungen verstärken.

Ein seltsamesPhänomen


Manche Privatinvestoren, die soziale
Netzwerke intensiv nutzen, zeigen daher
eine ungerechtfertigt grosse Überzeu-
gung, dass ihre eigene Beurteilung einer
Aktie der Einschätzung anderer Markt-
teilnehmer überlegen ist.Das macht sie
anfällig dafür, zu hohePreise zu zahlen,
was schlechteRenditen mit sich bringt.
Weil sie hohe Preise zu zahlen bereit
sind, treiben sie ausserdem tendenziell

die Kurse nach oben und machen damit
für andere Investoren denEinstieg in
diese Aktien teurer.
Einige Investoren vermuten, dass das
Phänomen der Medienaufmerksamkeit
auch die sogenannte Low-Beta-Anoma-
lie erklären kann. Diese Anomalie be-
zeichnet den Umstand, dass Invest-
ments, die weniger stark schwanken als
der Gesamtmarkt (eben die Low-Beta-
Aktien), höhereRenditen generieren
als Invest ments, die stärker schwanken
als der Gesamtmarkt.Das ist überaus
seltsam, dennes bedeutet, dass weni-
ger riskante Aktien mehrRendite brin-
gen als riskantere.
Oft hören Privatinvestoren das ge-
naue Gegenteil, dass höhereRenditen
mit höheren Risiken einhergehen müs-
sen (weil Investoren sich das Akzep-
tieren eines höheren Risikos durch
höhereRenditen vergüten lassen); aber
im Fall der Low-Beta-Anomalie scheint
das nicht zu stimmen. EinResearch-
Team vonRobeco Asset Management
um LaurensSwinkels von der Universi-
tät Rotterdam hat sich die Möglichkeit,
dass die Medienberichterstattung etwas

mit dieser Anomalie zu tun hat, genauer
angeschaut. Ihre Ergebnisse legen je-
doch den Schluss nahe, dass die Be-
richterstattung in den Medienkeine Er-
klärung liefert.
Es gibtallerdings in der Studie einen
Befund, der für Investoren besonders
interessant ist. Eine Gruppe vonTiteln
erweist sichnämlichals besonders ge-

fährlich.Wenn Aktien in den Medien
keine oder nur geringe Beachtung finden
und gleichzeitig ein hohes Beta aufwei-
sen, zeigen siestark negativeRenditen.

Schlüssefür Privatanleger


Privatinvestorenkönnen aus dem Ge-
sagten drei Schlüsse ziehen. Erstens soll-
ten sie besondersskepti sch sein, wenn
Aktien,Fonds oderETF in den Medien
prominente Berichterstattung erfahren.
DieWahrscheinlichkeit ist gross, dass
die zukünftigenRenditen dieser Anla-
gen wenig berauschend sind.
Zweitens istes keine gute Strategie,
blind aufWerte zu setzen, die von den
Medien vernachlässigtwerden.Wiedie
Robeco-Studie gezeigt hat, gibt esAus-
nahmen zu derFaustregel, dass medial
vernachlässigteWerte höhereRendi-
ten mit sich bringen.Insbesondere die
Gruppe derAktien, die kaum mediale
Aufmerksamkeit erhalten und gleich-
zeitig ein hohes Beta haben, zeigt stark
negativeRenditen.
Wenn Investoren schon nur ein ein-
ziges Selektionskriterium heranzie-
hen, ist es vorteilhafter, nicht auf die
Medienaufmerksamkeit abzustellen,
sondernsich anWerte mit kleinem Beta
zu halten. Low-Beta-Titel sollten weni-
ger stark fallen als der Gesamtmarkt,
wenn eine Nachrichtenagentur über
Bombenexplosionen imWeissen Haus
berichtet, und das unabhängigdavon,
ob es diese Explosionen wirklich ge-
ge ben hat. Gering volatileWerte sind
also eineVersicherung gegen mediale
Falschmeldungen.

Privatinvestoren, aber auchInvestmentfonds legen sichgerne Aktien mit hoher Medienpräsenzins Portfolio. JUSTIN LANE / EPA

Insbesondere Facebook
und Twitter, aber auch
Internetforen können
die Einschätzung von
Aktien und Preisen
verzerren.

TAGESGESPRÄCH


Hochzinsanleihen – gibt es so etwas heute noch?


Negative Renditen bei High-Yield-Bonds erobern Europa


ANNE-BARBARA LUFT


Als gutes Beispiel für ein Determina-
tivkompositum gilt dasWort Hochzins-
anleihe. Es handelt sich um ein zusam-
mengesetztesWort, bei dem der erste
Teil den zweiten Wortteil näher be-
stimmt.Die Rede ist demnach von An-
leihen, die sich durch einen hohen Zins
auszeichnen.
Linguisten mag dieses Beispiel ein
Lächeln auf die Lippen zaubern, An-
legern entlockt es heute nur ein ent-
nervtes Seufzen.Von hohen Zinsen
können sie nämlich nur noch träumen.
Sogar im Segment der sogenannten
Hochzinsanleihen sucht man attraktive
Renditeaufschläge vergebens – ganz im


Gegenteil: Selbst in dieser Bond-Kate-
gorie werden inzwischenTitel mit nega-
tiv er Rendite gehandelt.

Jagdnach höheren Renditen


Noch vor wenigenJahren warenRendi-
ten von 6% und mehr bei europäischen
High-Yield-Bonds üblich. Schon damals
kritisierten Marktbeobachter,dass der-
art niedrigeRenditen das Risikokaum
nochkompensieren würden. Hochzins-
anleihen, scherzhaft auchJunk-Bonds
genannt, werden nämlich von Emit-
tenten ausgegeben, deren Bonität von
den Rating-Agenturen keine guten
Noten erhält. Sie tragenRatings von
«BB+» oder schlechter und zählen so-

mit zum Non-Investment-Grade. Heut-
zutage müssen Investoren für das Privi-
leg, Emittenten mit so schwacher Kre-
ditwürdigkeit ihr Geld zu leihen, drauf-
zahlen. Am Euro-Kapitalmarkt werden
derzeit mehr als einDutzend High-
Yield-Bonds mit negativenRenditen
gehandelt, darunterTitel von Altice,
Nokia und Smurfit Kappa.
Wie konnte es dazukommen? Die
expansivePolitik der Europäischen Zen-
tralbank hat in den vergangenen Mona-
ten zu einem starkenRückgang der Zin-
sen geführt. Dies hat Investoren auf der
Jagd nach höherenRenditen in immer
riskantereAnlagen wie Hochzinsanlei-
hen getrieben. NegativeRenditen bei
Staatsanleihen sind für leidgeprüfteAn-

leger ein alter Hut. Die Liste der europäi-
schenLänder, die im Bereich der zehn-
jährigen Anleihen Zinsen dafür kassie-
ren,dass ihnen Geld geliehen wird, ist auf
sechs angewachsen. Bei kürzerenLauf-
zeitenkönnen inzwischen auch die soge-
nannten Schwellenländer Europas wie
Bulgarien, die Slowakei oder Lettland
beim Schuldenmachen Geld verdienen.
NegativeRenditen bei HighYields sind
hingegen eine Neuheit.

Falscher Anreiz fürFirmen


Selbst bei denjenigen High-Yield-
Bonds, die eine positiveRenditeauf-
weisen,sind die Risikoaufschläge inzwi-
schen sehr niedrig – sogar bei hoch-

riskanten Emittenten.Anleger sollten
sich nicht dazu verleiten lassen, ihre
Risikoneigung und Risikofähigkeit bei
ihren Anlageentscheiden zu vernachläs-
sigen.Für In vestments am Hochzins-
markt ist es wichtiger denn je, selektiv
zu sein. Die extremgünstigenFinanzie-
rungskonditionen stellen für vieleFir-
men einen falschen Anreiz dar, sich
hochzuverschulden.
Sollte sich daskonjunkturelle Um-
feld deutlich verschlechtern oder soll-
ten die Zinsen doch einmal wieder stei-
ge n, sind bedrohliche Schieflagen pro-
grammiert.Dann müssen sich Anleger
grössere Sorgen machenals über nied-
rige Zinsen, denn dann drohen zahlrei-
che Ausfälle.

Euro/Fr.
1,1074-0.09%

Dollar/Fr.
0,98790.37%

Gold($/oz.)
1405,40-0.57%

SMI
9850,520.43%

DAX
12430,970.35%

DowJones
27335,63-0.09%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
64,90-1.95%
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