Mittwoch, 17. Juli 2019 INTERNATIONAL
Das grosse Stelldichein mit den Taliban
In Afghanistan führen die Islamisten Krieg – in Katar tauschen sie sich mit dem Gegner a us und versprechen eine Zukunft ohne Burka
MARCO KAUFFMANN BOSSART, DOHA
«Sie brachten meinenVater um», sagt
Matin Bek seltsam emotionslos. «Sie»,
dieTaliban.2011 schritt ein S elbstmord-
attentäter bei einer Beerdigungsfeier in
Afghanistan auf BeksVater zu und riss
diesen und 24 weiterePersonen mit in
den Tod. Dennoch nahm Bek die Ein-
ladung für einen zweitägigen Dialog mit
der politischenFührung derTaliban in
Katar an.«Man muss mit seinenFeinden
zusammensitzen», so erklärt derVer-
trauensmann des afghanischen Staats-
chefs Ghani seinen Entscheid, für Ge-
spräche ins steinreiche Emirat zu flie-
gen. Er trägt einen marineblauen An-
zug und sitzt auf einem Ledersofa im
Sheraton-Hotel von Doha; über ihm an
der Wand hängen Bilder von Scheichs
auf derJagd. Bek leitet in seiner kriegs-
geschüttelten Heimat das Departement
für Regionalregierungen.
In dem Luxushotel,wo selbst dieAb-
fallkübelgoldig glänzen, sassen sich am
- und 8. Juli 20 19 zum ersten MalReprä-
sentanten der afghanischenRegierung
und derTaliban gegenüber. Überwin-
dung, sich mit dem Gegner überhaupt
nur an einenTisch zu setzen,brauchte es
auch für die islamistischen Hardliner, die
2013 im Golfstaat eine politischeVertre-
tung eingerichtet hatten. Sie bezeichnen
die Führung in Kabul als Marionetten-
regime der Amerikaner. Erst wenn ein
Zeitplan über einenAbzug der ausländi-
schen «Besatzungstruppen» vereinbart
ist, wollen die Gotteskrieger mit Kabul
in einen offiziellen Dialog treten.
Zuhören istein Erfolg
Für das Treffen,eingefädelt von Deutsch-
land und Katar, bedurfte es daher einiger
diplomatischer Kniffe. Die 47 Mitglie-
der der afghanischen Delegation stimm-
ten der Bedingung zu, bloss als Privat-
personen aufzutreten. Zudem luden
die Gastgeber nicht nur derRegierung
nahestehendePersonen ein.Auch Oppo-
sitionspolitiker undVertreter der Zivil-
gesellschaft setzten die deutschen Diplo-
maten auf die Gästeliste – unter ihnen 11
Frauen. Bis zur Abreise mit einer Son-
dermaschine, die dieTeilnehmer nach
Doha brachte, wussten nur wenige Ein-
geweihte, wer sonst noch eine Einladung
erhalten hatte. Im Märzwar eine von
Katar geplanteKonferenz wegen eines
Streits über dieTeilnehmerliste gar nicht
zustandegekommen.
«DieTaliban mussten uns zuhören»,
stellt Habiba Sarabi mit einem ver-
schmitztenLächeln fest. Nur schon das
betrachtet die afghanischePolitikerin
als Erfolg. Die Islamisten hätten aus
Protest gegen dieFrauenpräsenz auch
den Saal verlassenkönnen. Nach dem
Sturz desTaliban-Regimes 2001, das
die Frauen unter die Burkagezwungen
hatte , amtierte Sarabi als erste Gouver-
neurin desLandes. Eine andereTeilneh-
merin am grossenTisch in Doha, Asila
Wadrak, spürte einen genuinenWillen
der 17 Taliban-Vertreter, sich mit den
Frauenauszutauschen. «Sie sicherten
uns zu, dass sie dieAusbildung und Be-
rufstätigkeit vonFrauen nicht mehr ab-
lehnen.» EinKopftuch, wie es die Mit-
begründerin des afghanischenFrauen-
netzwerks trägt, hielten dieAufständi-
schen mittlerweile für akzeptabel. «Ich
will nichtin di e dunklen Zeiten zu-
rück»,bekräftigtWadrak. Sieerzählt,
wie sie unter der Burkakeine Brille tra-
gen konnte. Deswegen verlor sie einmal
im Menschengewühl ihrenVater. «Die
Taliban verprügelten mich,weil siemich
ohne Begleiter sahen.»
Angesichts der schmerzvollen Kriegs-
erfahrungen blieb es in Doha nicht beim
höflichen Gedankenaustausch. Die
Delegation aus Kabul warf den Mullahs
vor, bei Anschlägenkeine Rücksicht
auf mögliche zivile Opfer zu nehmen.
Die Talibankonterten, bei Operationen
der Amerikaner und ihrer Handlanger
kämen mehr Afghanen ums Leben.In
einer Schlusserklärung heisst es nun:
Beide Seiten streben an, die Zahl zivi-
ler Opfer auf null zu senken. Zwischen
März 2018 und März 2019 wurden laut
der afghanischen Menschenrechtskom-
mission 11 212 Zivilistinnen und Zivilis-
ten verletzt oder getötet.
Gebet mit dem Feind
Wie bei anderenKonferenzen spielt sich
in DohaSymbolhaftes beimTee, in den
Gängen oder beieinemder täglichen Ge-
bete ab.Wie einAugenzeuge berichtet,
wechselten sich zu den islamischen Ge-
bet szeiten die beiden Delegationen ab:
Führte einTalib das Morgengebet an,
übernahm am Mittag ein Mitglied der
Delegation aus Kabul. An einem Essen
wurde einTalib mit elfFrauen beim un-
gezwungenen Gespräch gesichtet.In den
Pausen streift auch Amerikas Sonder-
beauftragter für den Afghanistan-Kon-
flikt, Zalmay Khalilzad, durch die mit
Kristallleuchtern ausgestatteten Hotel-
hallen. Ein paarWorte mit den Leuten
aus Kabul,dann scherzt er mit den bärti-
gen Mullahs. Der baumlange Botschafter
afghanischer Herkunft scheint mitallen
zu können. Seine Hände hinter demRü-
cken verschränkt, knetet er eine Gebets-
kett e. Bei diesem innerafghanischen Dia-
log stehen die Amerikaner für einmal
aber nur an der Seitenlinie. Sie verhan-
deln separat mit denTaliban über einen
Abzug der amerikanischenTruppen und
über Garantien, wonach dasLand am
Hindukusch nie mehr als Zufluchtsort
für ausländische Extremistengruppen
genutzt werden darf.Der Kampf gegen
das Terrornetzwerk der Kaida und des-
sen Anführer Usama binLadin war der
Grund für die US-Intervention nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 ge-
wesen. In den letzten18 Jahren haben
die Taliban Stück um Stück desLan-
des zurückerobert. Die Erfolge auf dem
Schlachtfeld haben dazu geführt, dass
die Amerikaner direkten Gesprächen
zustimmten. Galten die Mullahs in ihren
weissen Pluderhosen, ihren schwarzen
Gilets und mitihren Turbanen einst als
Parias, werden sie nun als gleichberech-
tigte Verhandlungspartner behandelt.
Als nach dem zweitägigenTreffen
Medienvertreter in den Sitzungssaal
gelassen werden, ergeht ein Blitzlicht-
gewi tter über dieRepräsentanten der
Taliban. Ihnen scheint das nichts aus-
zumachen, im Gegenteil. MancheTeil-
nehmer der inoffiziellenRegierungs-
delegation sind voll des Lobes über den
Dialog. Es sei der Beginn eines langen
Prozesses, bei demAfghaninnen und
Afghanen lernen würden, die tiefen
Gräben zu schliessen.Bei Matin Bek,
dessenVater durch dieTaliban umge-
bracht wurde, überwiegt Skepsis. «Wir
sind eineRepublik,aber aus Sicht dieser
Ideologen bedeutetFrieden eineRück-
kehr zu einem islamischen Emirat.»
Vor der Abreise der Delegationen
nach Kabul taucht im «Sheraton» noch-
mals eineAbordnung derTaliban auf. Sie
verteilen edlePapiertaschen inWeinrot
und Beige:Parfum undDatteln für Män-
ner, Kopftücher für dieFrauen. Dieses
Abschiedsgeschenk derTaliban wird
Bek wohl kaum überzeugen.
In Doha, der HauptstadtKatars,trafen sichVertreter derTaliban und der afghanischenRegierung zu Gesprächen. YOANVALAT / EPA
«Auch bei den Taliban haben wir fähige Frauen»
Der Sprecher der Taliban, Sohail Shaheen, über die Ausl egung der Scharia, Anschlagsziele und eine Integration der Aufs tändischen in die Armee
Herr Shaheen, dieTaliban propagieren
ein stockkonservatives Gesellschafts-
modell. Die politische Führung lebt im
luxuriösen Katar. Ist das nicht seltsam?
Nein, wir haben nichts gegen Moder-
nität. Afghanistan braucht Industrie,
Infrastruktur,Bürokomplexe. Aber
wir wollen keine ausländischen Be-
satzer, sondernein f reies Land. Nichts
mehr als das.
Aber Sie bestehen auch auf der Scharia.
Werden bei einer Machtbeteiligung der
Taliban wieder Menschen gesteinigt und
Dieben die Hände abgehackt?
Natürlich würde das islamischeRecht
angewendet. In welcherForm, darüber
müssen Kleriker befinden.
Könnte die Scharia in ähnlich harscher
Form wie in Saudiarabien interpretiert
werden?
Alles, was auf dem islamischenRecht
basiert, ist denkbar.
Als dieTaliban bis zumJahr 2001
Afghanistan regierten, durftenFrauen
nicht arbeiten, und es wurde ihnen eine
Burka aufgezwungen.Davon sind Sie
abgerückt?
Wir haben keine Einwände gegen
die Ausbildungvon Frauen oder eine
Arbeitstätigkeit.Damals herrschteAnar-
chie imLande. Die Sicherheitslage war
desolat.Es ging in erster Linie um den
Schutz derFrauen.Aber schon zu jener
Zeit hatten wir aneinigen OrtenAus-
bildungsmöglichkeiten fürFrauen, zum
Beispiel eine medizinischeFakultät in
Kabul.Es gab eine Pflegerinnenschule in
Jalalabad,und wir liessen Mädchenschu-
len zu, die von NGO geleitetwurden.
Viele Afghaninnen scheinen IhrenBe-
teuerungen keinen Glauben zu schen-
ken. In manchen Provinzen, die Ihre
Gruppierung kontrolliert, sollenFrauen-
rechte nicht gewährleistet sein.
Wer solches behauptet, ist schlecht in-
formiert odersitzt Medienauf, die den
Talibanfeindlichgesinntsind.Invonuns
bef reitenGebietenhabenwirMädchen-
schul en. EinekünftigeRegierung wird
diese Einrichtungen weiter ausbauen.
Wann wird eineFrau in derDelegation
der Taliban dabei sein?
Wir haben viele fähige, gut ausgebildete
Frauen. Die haben dieselben Fähig-
keiten wie dieVertreterinnen unserer
Verhandlungspartner.Eine Teilnahme
könnte infragekommen,doch das letzte
Wort ist noch nicht gesprochen.
Sie anerkennen die afghanische Füh-
rung unter Präsident Ghani nicht an.
Wollen sich dieTaliban denn überhaupt
an derRegierung beteiligen?
Erste Priorität hat der Abzug der aus-
ländischen Truppen. Darüber spre-
chen wir mit den Amerikanern.Deren
Hauptsorge ist, dass von afghanischem
Boden aus Angriffe gegen dieVerei-
nigten Staatenund ihreAlliierten ver-
übt werden. Sobald ein Zeitplan für
einenTruppenabzug vorliegt, werden
Fragen wie die der künftigenRegie-
rungsbildung und eines Kriegsendes
im Rahmen intra-afghanischerVer-
handlungen geklärt.
Alle Konfliktparteien bekunden ihreBe-
reits chaft zumFrieden.Weshalb verüben
die Taliban dennweiterhin Anschläge?
DieselbeFrage können Sie genauso gut
der anderen Seite stellen. Es gibtkei-
nen Waffenstillstand.Wir werden dau-
ernd bombardiert.
Am 8.Juli haben dieTaliban und eine
Delegation aus Afghanistan eineDekla-
ration verabschiedet.Darin heisst es, es
werde eineReduktion der zivilen Opfer
auf null angestrebt.Sie verschonen künf-
tig öffentliche Plätze und Schulen?
Schon vor dieser Erklärung war es
unserePolitik,keine zivilen Einrich-
tungen oder nationalen Infrastrukturen
wie Pipelines oder Eisenbahnlinien an-
zugreifen.
Aber Sie müssen doch anerkennen, dass
selbst bei Anschlägen auf militärische
Einrichtungen unbeteiligteFrauen,Män-
ner und Kinder getötetwerden.
Es kommt manchmal zuKollateralschä-
den .Aus diesem Grund haben wir die
Administration in Kabul aufgefordert,
militärische Einrichtungen ausWohn-
gebieten zu verbannen. Aber das ist
nicht geschehen.
Sie behaupteten soeben, es sei schon
immer IhrePolitik gewesen, zivile Insti-
tutionen von Anschlägen auszunehmen.
Doch Sie attackieren auch afghanische
Med ien ...
Die Talibanrespektieren die Medien-
freiheit.Aber wir appellieren anJourna-
lis ten:Bewahrt eureNeutralität.Wieso
schaltet ihrWerbung, die uns alsTer-
roristen brandmarkt und dazu aufruft,
sämtlicheTaliban umzubringen?Werso
vorgeht, macht sich zu unserem Feind.
Wir sagen den Medienhäusern: Kriti-
siert uns,kritisiert die andern.Aber seid
ausgewogen,dann ist eure Sicherheit ge-
währleistet.
Eine einseitigeBerichterstattung recht-
fertigt Anschläge?
Ja.Aber wir sind im Gespräch mit
Medienleuten. Unsere Botschaft lautet:
Bitte seid ausgewogen.Wirhoffen, dass
dies gelöst wird.
Werden dieTaliban sich einesTages in
die regulären afghanischen Sicherheits-
kräfte eingliedern?
Wenn die ausländischen Besatzer
Afghanistan verlassen haben und eine
islamischeRegierung eingesetzt wird,
werden unsereTruppenTeil der natio-
nalenVerteidigungskräfte.
Ein amerikanischer General soll den
Taliban unlängst vorgeschlagen haben,
zusammenzuspannen und gemeinsam
den IS in Afghanistan zu bekämpfen.
Wir haben gegen150000 Nato-Solda-
ten gekämpft, gegen beinahe 50 0000
afghanische Militärs, Polizeieinheiten
und Milizen. Mit ein paar hundert IS-
Leuten werden wir selber fertig.
Interview kam.
Sohail Shaheen
Sprecher derTa liban
NZZ in Doha
AsilaWadrak
Te ilnehmerin
NZZ der Doha-Konferenz