D
ie Geschichte geht
los mit drei Bilder-
buchhelden. Ein
Fitnesstrainer in
Los Angeles, mit
dem man jederzeit
einen Protein-Sha-
ke trinken würde und der in einer wis-
senschaftlichen Station in Grönland as-
sistiert. Eine schwedische Polizistin,
mit der ruhigen Entschiedenheit einer
skandinavischen Fernsehkommissarin,
die ein Praktikum auf einer Pferderanch
in Arizona macht. Und der Head of Ana-
lytics bei Nike, der sich mit der Frage
quält, wie er seinem Sohn helfen kann,
der mit Downsyndrom geboren wurde.
Die drei sind die Protagonisten des
Films „Flipping The Ladder“, den sich
die Modemarke Gant zum 70. Geburts-
tag quasi selbst schenkte. Der Titel be-
deutet sinngemäß „Die Leiter umdre-
hen“, und es geht um drei Menschen,
die mit Job und Leben hadern und
noch mal was ganz anderes probieren
wollen. Und das 52-minütige Werk ist
ein Beleg dafür, dass sich Marken heute
einiges einfallen lassen müssen, um in-
teressant und relevant zu bleiben. Je
weiter es vom eigentlichen Produkt
weg ist, desto besser.
„Ich habe mein Team gefragt: Wo ist
die intersectionmit der Marke?“, sagt
Brian Grevy, seit einem guten Jahr CEO
bei Gant, in seinem Arbeitszimmer in
der Stockholmer Firmenzentrale. An
der Wand lehnt ein dekoratives Fahrrad,
auch wenn der Chef im BMW X5E zur
Arbeit kommt. „Der Konsument kann
heute mit seinem Smartphone in Se-
kundenschnelle alles über ein Unter-
nehmen rauskriegen. Eine Marke kann
heute nicht nur über ihre Produkte
sprechen, sondern muss ihre Ideen und
Werte vermitteln.“ Klingt gut, sagt je-
der zweite Manager in der Life-
stylebranche, ist aber gar nicht so ein-
fach, denn eigentlich stehen ja alle für
das Gleiche: Nachhaltigkeit, Inklusion,
Wertigkeit. Da muss man schon eine
Idee haben.
Grevy hat zehn Jahre bei Adidas ge-
arbeitet und führt das Gespräch in ent-
spanntem Deutsch mit internationalen
Einsprengseln. Das passt zu der Firma,
die er jetzt leitet. Gant wurde vor 1949
in den USA gegründet, heute gehört sie
der Schweizer Maus Frères Holding,
operiert von Schweden aus – und ver-
kauft den amerikanischen Traum. Ge-
nauer gesagt den Teil davon, der sich in
den letzten Jahrzehnten als modisch
am attraktivsten erwiesen hat: den so-
genannten Preppy Style, der an den
Eliteuniversitäten der US-amerikani-
schen Ostküste geprägt wurde und an
dem sich auch Marken wie J.Crew,
Tommy Hilfiger und vor allem Ralph
Lauren orientierten.
Dieser Look besteht aus Button-
down-Hemden, Baumwollhosen, ge-
streiften Sweatshirt, wie man sie vom
Rugby kennt, dunkelblauen Blazern und
steht für den relaxten amerikanischen
Stil, der in Zeiten beliebt wurde, als in
Europa für Männer noch Krawatten-
zwang herrschte. Doch die Zeiten haben
sich geändert, und damit stellt sich die
Frage: Taugt John F. Kennedy noch im-
mer zur Stilikone? Wie attraktiv ist der
American Dream in Zeiten, in denen die
Krawatte des Präsidenten so lang ist wie
die Liste der Frauen, die ihm sexuelle
Übergriffe vorwerden?
Auf die Frage nach Donald Trump
reagiert Grevy mit einem langen, voll-
brüstigen Lachen. Und beantwortet sie
nur maximal zu einem Viertel. „Wir
sind in den USA geboren, aber in Euro-
pa aufgewachsen. Wir mixen das Beste
aus beiden Welten.“
Der Gründer Berl Gantmacher wurde
1890 in der Ukraine als Sohn eines Mül-
lers geboren, bestieg 1907 das Passagier-
schiff Potsdam nach New York und
gründete mit seinem Geschäftspartner
die Par-Ex Shirt Company, die Hemden
für andere Marken produzierte, zu-
nächst in Brooklyn, später in New Ha-
ven/Connecticut. Seine ebenso ge-
schäftstüchtigen Söhne überzeugten
ihn davon, Kleidung unter eigenem Na-
men zu verkaufen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die
Strahlkraft des American Way of Life
auf einem historischen Höhepunkt.
Historische Fotos und Werbekampa-
gnen in der Gant-Geburtstagszeit-
schrift zeigen, wie präzise die Marke
den gesellschaftlichen Wandel abbilde-
te: „Wir machen Hemden für Frauen,
keine Blusen“, klingt wie ein Slogan zur
Emanzipation, die Models tragen die
Haare wie Robert Redford und spielen
Lacrosse vor imposanten Landhäusern.
„In einer echten Demokratie kann je-
der zur Oberschicht gehören und in
Connecticut leben“, heißt es in dem
brillanten, selbstironischen „Official
Preppy Handbook“ von 1980.
„Gute Produkte stellen viele Marken
her“, sagt Brian Grevy
auf die Fragen, wie
man einen Klassiker
am Leben hält: „Unse-
re Trends wechseln
nicht im Monats-
rhythmus. Womit wir
die Klassiker relevant
halten, sind Prints,
Farben, Shapes. Und
natürlich müssen wir
runway momentspro-
duzieren.“ Zum Jubi-
läum etwa ließ man
Modestudenten die
Klassiker interpretie-
ren: die Collegejacke,
die Chino, den Club
Blazer et cetera.
In Stockholm soll
das Jubiläum groß ge-
feiert werden und wo-
rum es eigentlich geht, kann man am
Vormittag vor der Geburtstagsparty im
malerischen Capitol-Kino sehen, bei der
Europapremiere von „Flipping The Lad-
der“, der schon beim renommierten
Tribeca Film Festival in New York ge-
zeigt wurde (und jetzt natürlich auf
Youtube läuft).
Der Film arbeitet mit gewaltigen Bil-
dern (Grönland im roten Abendlicht,
trappelnde Pferde) und zu den „Neuan-
fang wagen“-Experten zählt die „Wo-
men’s March“-Gründerin Katherine
Siemionko, die eine solide Wall-Street-
Karriere hatte, bevor sie die riesigen
Protestdemonstrationen gegen Donald
Trump nach dessen Amtseinführung
mitorganisierte und nun eine Agentur
für Lebensänderung plant. Aber das
emotionale Zentrum des Films ist der
besorgte Vater Robert Sandler. Er be-
sucht die Fernseh-WG The Specials,
kündigt seinen Job, um Spezialwohn-
projekte für Menschen wie seinen Sohn
zu gründen. Nach dem Screening be-
fragt der Ökonom Micael Dahlén – un-
ter anderem bekannt für sein ungebän-
digtes, langes Haar und sein Massen-
mörderbuch „Monster“ – die Protago-
nisten mit einem bemerkenswerten In-
terviewstil: scheinbar zerstreut, dabei
komplett zielsicher. Ein emotional mit-
reißender und inspi-
rierender Vormittag.
Allerdings: Was hat
das mit Baumwollho-
sen, Goldknopfbla-
zern und Button-
down-Kragen zu tun?
Gant reklamiert
fffür sich den An-ür sich den An-
spruch „never stop
learning“ und defi-
niert die eigenen
Kunden als „curious
professionals“, also
Frauen und Männer,
die im Leben stehen
aber sich gelegent-
lich fragen, ob der
Schnitt ihres Hem-
des und ihr Karriere-
weg noch passen.
Die Sinnsucher in
dem Film „Flipping The Ladder“ sind
also ein bisschen mehr als nur perfekt
rührende Protagonisten. Sie stehen für
eine Welt, in der es keine lebenslangen
Sicherheiten mehr gibt und der man
deswegen am besten mit Neugier und
Mut zum Neuanfang begegnet. In ge-
wisser Weise gilt das auch für Mode-
marken. Nur ein Beispiel: Die märchen-
haften Boomjahre und den krassen Ab-
sturz von J.Crew hat man auch in der
schwedischen Gant-Zentrale sehr genau
beobachtet. Was heute wie kerngesun-
des Business aussieht, kann morgen
schon vorbei sein. Immer weiter lernen
ist insofern keine blöde Strategie.
VONADRIANO SACK
Die Modemarke Gant verkauft
amerikanische Mode. Aber zum
7 0. Firmenjubiläum geht es um mehr
Bleibt
alles anders
Firmenmotto: Lebenslanges Lernen.
KKKlassiker wie das Karohemd werden lassiker wie das Karohemd werden
kontinuierlich dem Zeitgeist angepasst
SSSpricht fließend Deutsch und fährtpricht fließend Deutsch und fährt
Elektroauto: CEO Bryan Grevy
GANT
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Abgezeichnet von:
Artdirector
Abgezeichnet von:
Textchef
Abgezeichnet von:
Chefredaktion
Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst
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