FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 21. JULI 2019, NR. 29 rhein-main R3
Ob es um Aufklärung geht oder um
Hilfesuche im Falle erlittener sexuel-
ler Gewalt, Maria Etzler und Florian
Schmidt beraten Eltern und Kinder,
auch Lehrer und Erzieher. Sie arbei-
ten in Offenbach in der von Pro Fami-
lia getragenen Beratungsstelle Halte-
punkt. Etzler, Jahrgang 1990, stammt
aus Vaihingen an der Enz, sie hat Er-
ziehungswissenschaften studiert und
ist seit 2016 in der Beratungsstelle.
Schmidt, 1979 geboren, hat Soziolo-
gie mit Nebenfächern Sozialpsycholo-
gie, Psychoanalyse und Pädagogik stu-
diert, er ist seit 2005 bei Pro Familia.
Die Offenbacher Beratungsstelle,
Domstraße 43, ist telefonisch unter
0 69/ 85 09 68 00 zu erreichen,
Informationen im Internet unter
http://www.haltepunkt.org. (kakü)
DIE PERSONEN
Wer auf Google „Let’s talk about
Sex“ eingibt, bekommt den fast
20 Jahre alten Hit von Salt'n'Pepa
an erster Stelle genannt. Doch von
den 235 Millionen weiteren Treffern
haben wohl nur wenige mit Musik
zu tun. Frau Etzler, Herr Schmidt,
sind wir von Sex umzingelt?
Etzler:Sex wird vor allem in den Me-
dien immer mehr ein Thema. Doch ich
würde nicht behaupten, dass wir von
Sex umzingelt sind. Zwar ist beispiels-
weise in den sozialen Netzwerken Sex
sehr präsent, in der zwischenmenschli-
chen Interaktion aber ist das noch im-
mer ein sehr intimes und teilweise auch
ein tabuisiertes Thema.
Schmidt: Was aber die Moralvorstellun-
gen betrifft, ist eine Enttabuisierung zu
beobachten. Mittlerweile ist im Bereich
der Sexualität alles erlaubt, was von
allen Beteiligten erwünscht ist. Es gibt
nur noch wenige allgemeingültige
Tabus. Die sind darauf begrenzt, was
gesetzlich verboten ist.
Wenn also nahezu alles erlaubt ist,
was gefällt: Warum fällt es Erwachse-
nen dennoch schwer, über Sexualität
zu reden, miteinander, aber vor
allem, wenn es um die Aufklärung
des Nachwuchses geht?
Etzler: Die vordergründige Enttabuisie-
rung bedeutet nicht zwangsläufig, dass
die Kommunikation über das eigene
Erleben von Sexualität innerhalb einer
Partnerschaft leichterfällt.
Schmidt: Wenn wir mit Kindern und
Jugendlichen reden, können sie sich
meist nicht mehr daran erinnern, ob
und wann sie von ihren Eltern eine Se-
xualaufklärung bekamen. Viele Kinder
antworten uns dann: „Mit mir hat nie
jemand darüber gesprochen.“ Wenn wir
aber den Kindern entgegnen, dass sie ja
ganz viel wissen, kommt die Antwort:
„Das wusste ich schon immer.“ Kinder
stellen häufig zu sehr unterschiedlichen
Zeiten Fragen zur Sexualität, bekom-
men dann meist eine kurze Antwort,
mit der sie sich begnügen. Aus den vie-
len Antworten setzen sie ihre Vorstel-
lung zusammen.
Eine Standardfrage von Kindern ist:
Wie kommen die Babys in den
Bauch? Haben Sie eine Empfehlung,
wie detailliert die Antwort ausfallen
darf?
Etzler: Das hängt sehr davon ab, wie
alt das Kind und wie genau die Frage ge-
stellt ist. Wichtig ist auf jeden Fall, au-
thentisch zu sein. Bei so einer Frage
reicht eine kurze Antwort, denn wenn
das Kind mehr wissen möchte, wird es
weiterfragen.
Sollten Eltern, die dabei um Worte
ringen, ihren Kindern erklären, war-
um ihnen das schwerfällt?
Etzler: Wenn Eltern sich unwohl füh-
len, sollten sie genau das formulieren
und auch den Grund dafür benennen.
Dabei sollte beim Kind aber keinesfalls
der Eindruck entstehen, dass seine Fra-
gen der Grund für die Reaktion sind.
Eine gute Strategie ist, andere Ansprech-
partner ins Boot zu holen.
Schmidt: Man darf auch sagen, dass
man noch mal darüber nachdenken
muss und das Gespräch auf einen ande-
ren Zeitpunkt vertagen. Eine Variante
ist gewiss auch, ein Buch zu benennen,
das Vater oder Mutter sich mit dem
Kind gemeinsam anschauen und lesen
können.
Zu den Ausflucht-Varianten zählen
Geschichten von Bienchen und
Blümchen. Führen diese Kinder auf
den falschen Pfad?
Etzler: Eltern sollten grundsätzlich bei
der Realität bleiben und keine Geschich-
ten erfinden.
Schmidt: Es gibt keine vorgefertigte
Lösung, wie Eltern mit einer solchen
Frage umgehen können oder sollen. Die
Antwort hängt von vielem ab, beispiels-
weise wie wissbegierig das Kind ist.
Interessanterweise begegnen uns bei
Elternabenden immer wieder sehr
phantasievolle Vorstellungen von Eltern
über unsere Arbeit als Sexualpädagogen.
Die Eltern gehen meist entlastet nach
Hause, wenn sie wissen, dass wir eine
sehr harmlose alters- und kindgerechte
Sexualaufklärung machen.
Beschränken Sie sich auf die biologi-
schen Fakten und klammern die
Gefühle aus?
Schmidt:Nein, es geht auch um Gefüh-
le. Uns ist wichtig zu vermitteln, dass
die Kinder ihren Gefühlen Vertrauen
schenken, dass Gefühle nicht missachtet
und auch keine Grenzen überschritten
werden dürfen. Dabei geht die Sexual-
aufklärung in den anderen Bereich unse-
rer Arbeit über, in die Prävention vor se-
xualisierter Gewalt.
Etzler: Wenn wir mit Schülern arbei-
ten, orientieren wir uns grundsätzlich
an den Fragen der Kinder, zwei Aspekte
aber sind stets von Bedeutung: Der eine
ist die Frage, wie die Babys in den
Bauch kommen, der andere dreht sich
um Gefühle. Da versuchen wir nachvoll-
ziehbar zu machen, wie sich ein gutes
und wie sich ein schlechtes Gefühl an-
fühlt. Es gibt für die jungen Menschen
viele Fragen, für die sie keinen Raum ha-
ben. Unser Bestreben ist, genau diesen
Raum zu öffnen.
Schaffen Sie auch Räume für die
Fragen der Eltern? Und nutzen
Eltern diesen Raum?
Etzler: Wir öffnen einen Raum. Wie
Eltern diesen nutzen, hängt sehr von
der jeweiligen Haltung und den eigenen
Erfahrungen ab. Manche Eltern neh-
men die Möglichkeit wahr, andere aber
nicht.
Wie weit gefasst ist denn das Alters-
spektrum Ihrer Gesprächspartner?
Schmidt: Das reicht von Grundschü-
lern bis zu Berufsschülerin. Aber auch
Erwachsene wie Eltern, Lehrer und Päd-
agogen wenden sich an uns, Männer
und Frauen. Das Thema beschäftigt
eben alle Menschen, ein Leben lang.
Reagieren Eltern übertrieben, wenn
es ihnen peinlich ist, dass der kleine
Sohn häufig mit der Hand in der
Hose herumläuft?
Schmidt: Es sind alle Eltern wie auch
alle Kinder unterschiedlich. Es gibt
ganz viele Eltern, die sehr souverän da-
mit umgehen. Es gibt aber auch Eltern,
die dieses Verhalten unangenehm be-
rührt. Da kommen häufig Fragen auf
uns zu, etwa: „Wie sollen wir damit an-
gemessen umgehen?“
Wie ist der angemessene Umgang?
Schmidt: Sehr wichtig ist, das gute Ge-
fühl nicht schlechtzureden, dass das
Kind bei dieser Form der Selbstbefrie-
dung erlebt. Das Kind kommt sonst in
einen Zwiespalt: Es fühlt sich ja gut an,
wieso aber ist es falsch?
Etzler: Bei der kindlichen Selbstbefrie-
digung, die man auch Körpererkun-
dung nennen kann, ist es ganz wichtig,
dass es dafür einen Raum gibt ebenso
wie klare Regeln. Das sollte auf keinen
Fall in der Öffentlichkeit passieren,
schon allein im Sinne der Prävention.
Ein weiterer Aspekt dafür ist das Ler-
nen sozialer Regeln. Wenn es am Tisch
oder beim Essen geschieht, können El-
tern gut sagen: Ich weiß, das macht
schöne Gefühle. Nachher kannst du in
dein Zimmer gehen und das dort ma-
chen, wir haben vereinbart, das am
Tisch nicht zu machen.
Was ist, wenn Kinder Doktorspiele
spielen?
Etzler: Auch für Doktorspiele ist es
sehr wichtig, dass es klare Regeln gibt.
Es ist immer nur das erlaubt, was von
allen Beteiligten gewollt ist. Grundsätz-
lich gilt zudem, dass Körperöffnungen
jeglicher Art absolut tabu sind. Es sollte
aber auch nicht am anderen Körper ge-
leckt werden. Entscheidend ist zudem,
dass Hilfeholen kein Petzen ist. Eine
weitere Grundregel ist, dass die Kinder
vom Entwicklungsstand her sehr ähn-
lich sein sollten, denn der ist deutlich
wichtiger als der Altersabstand. Diese
Regeln sollten mit den Kindern ganz
deutlich besprochen werden.
Wird so gemeinhin auch in Kinderta-
geseinrichtungen verfahren?
Etzler: Diese Regeln müssen auch in
Kindertageseinrichtungen gelten und be-
sprochen werden. Dort kann es sinnvoll
sein, diese Regeln für alle gut sichtbar
hinzumalen oder hinzuschreiben, so
dass es die Kinder verstehen. Für Zu
Hause reicht es, wenn man es mit den
Kindern bespricht.
Schmidt: Gerade in Kindergärten und
Kitas ist es unerlässlich, dass das unter
den Erziehern besprochen wird. Es darf
kein Tabuthema sein, und der Umgang
damit sollte festgelegt werden. Das
kann sehr gut auch konzeptionell gesche-
hen, wobei die Eltern einzubeziehen
sind. Damit ist dann allen klar, dass es
diese Wissbegierde bei Kindern in die-
sem Alter gibt, dass dies normal ist und
auch gefördert wird. Doch es wird eben
darauf geachtet, dass es kein Alters- und
Machtgefälle gibt und dass Kinder, die
in der Kuschelecke verschwinden, sich
auch gut verstehen.
Dann sollte zwischen Kita und Eltern
klar sein, dass Doktorspiele erlaubt
sind? Damit es nicht zu einem bösen
Erwachen kommt, wenn der Nach-
wuchs nach ein paar Wochen erzählt,
was da so alles passiert?
Etzler: Das ist ein sehr, sehr häufiges
Szenario. Wir haben genau dazu immer
wieder Anfragen von Erziehern. Denn,
wenn der Umgang mit dem kindlichen
Körpererkunden in der Einrichtung
nicht kommuniziert wird, kann es zu
sehr schwierigen Situationen und gro-
ßer Unsicherheit führen – sowohl für
das Team der Einrichtung wie auch für
die Eltern. Wenn der Umgang mit der
kindlichen Sexualität aber klar kommuni-
ziert ist, bietet das eine Handlungssi-
cherheit für die pädagogischen Fachkräf-
te, aber auch für die Eltern.
Manchmal geben sich Eltern ihren
eigenen Doktorspielen hin und
werden von Tochter oder Sohn
überrascht. Wie sollten sie reagieren?
Etzler: In diesem Zusammenhang
muss man noch mal differenzieren:
Kindliche Doktorspiele sind nicht mit
erwachsenen vergleichbar. Wenn Er-
wachsene ihre Sexualität leben, ist das
gewiss ein Moment, in dem bei Eltern
ein kurzes Schockgefühl hochkommt.
Wichtig ist aber, mit den Kindern dar-
über zu sprechen. Je nach Alter des Kin-
des kann es sehr verunsichernd sein, ab-
hängig davon, was es gesehen oder auch
gehört hat. Denn wenn es mal lauter
wird, jemand schreit, haben Kinder
schon die Vorstellung, dass das mit
Schmerzen verbunden oder dass etwas
Schlimmes passiert ist. Da ist es wich-
tig, den Kindern zu helfen, diese Situati-
on einzusortieren.
Bei dem Thema Sexualität muss auch
der Missbrauch angesprochen wer-
den. Für viele Eltern ein schwieriger
Spagat zwischen Aufklären und Ängs-
tigen. Welchen Rat geben Sie?
Etzler: Sexualität hört genau da auf,
wo etwas nicht mehr gewollt ist. Dann
ist es eine klare Grenzüberschreitung.
Wer glaubt, mit dem Ängstigen der Kin-
der durch irgendwelche Horrorgeschich-
ten sei die Prävention erledigt, ist auf
dem falschen Weg.
Wie sieht der bessere Weg aus?
Etzler: Präventionsarbeit ist eine Stär-
kung der Kinder, dazu zählt auch, dass
Kinder ihre eigenen Gefühle wahrneh-
men und Vertrauen in ihre eigenen Ge-
fühle gewinnen. Geschichten zum Angst-
machen sind kontraproduktiv.
Schmidt: Die Prävention beginnt von
Geburt an, indem Eltern versuchen, ihr
Kind zu stärken. Das betrifft sowohl die
Ich-Stärke wie auch den Willen des Kin-
des. Für das Kind ist es sehr wichtig zu
wissen, dass es sich durchsetzen darf,
wenn irgendjemand etwas gegen seine
Gefühle macht. Dabei muss die sexuali-
sierte Gewalt gar nicht thematisiert wer-
den. Aber dieser Weg hilft einem Kind,
sich davor zu schützen, Opfer von sexua-
lisierter Gewalt zu werden.
Heißt dieser Weg also lehren und
lernen, Grenzen aufzeigen?
Etzler: Und genau die auch formulie-
ren und im Zweifel Hilfe holen zu kön-
nen. Eben dann, wenn jemand über
die Grenzen eines Kindes hinweggeht.
Dazu zählt gerade bei älteren Kindern,
dass sie ihre Rechte kennen, also:
Mein Körper gehört mir, nichts
passiert mit meinem Körper, wenn
ich das nicht will.
Diese Rechte gelten gegenüber allen?
Etzler: Absolut. Aber genau das ist
eine große Schwierigkeit. Die meisten
Fälle von sexualisierter Gewalt werden
vom nahen Umfeld verübt. Da ist eine
Vertrauensbeziehung vorhanden, die
dazu führt, dass es für Kinder schwer
sein kann, ihren Gefühlen zu vertrauen.
Wie sprechen Sie das an, wenn Sie
mit Kindern zu tun haben?
Etzler: Ein Beispiel ist die Tante, die im-
mer, wenn sie kommt, dem Kind einen
dicken Kuss geben möchte. Vielleicht
mag das Kind das nur manchmal, aber
vielleicht mag es das überhaupt nicht.
Das sind Situationen, die zu einem inne-
ren Widerspruch führen können. Denn
Eltern geben dem Kind manchmal vor
zu gestatten, sich umarmen, sich drü-
cken oder auch küssen zu lassen.
Und das ist fatal?
Etzler: Genau, denn dabei lernt das
Kind, dass das alles in Ordnung ist.
Auch wenn es dabei ein schlechtes
Gefühl hat, muss es das tun. Eltern
oder pädagogische Fachkräfte sollten
Kindern beibringen, dass sie nein sagen
dürfen, selbst einer Person gegenüber,
die sie eigentlich sehr mögen.
Die Fragen stellte Klaus Kühlewind.
Klare Kommunikation ist wichtig: Etzler und Schmidt in ihren Beratungsräumen Foto Rainer Wohlfahrt
Kinder stark machen, ihren Missbrauch
verhindern: Die Sexualberater Maria
Etzler und Florian Schmidt über die
richtige Art, Aufklärungsgespräche zu
führen, über Diskretion und Doktorspiele.
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