Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1

Das Festival der neuen Visionäre



  1. August & 1. September 2019


silent green, Berlin


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Du bist zwischen 20 und 29 Jahre alt? Dein Thema ist die Demokratie, das Klima von morgen,


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Die Teilnahme erfolgt auf Einladung und ist kostenfrei. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt.


Eine Veranstaltung von: Gefördert von: Unterstützt von:

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Sind weltweit mehr Orte nach Alexander von Humboldt
benannt worden als nach jedem anderen Menschen?

A


lexander von Humboldt war viel-
leicht der erste wissenschaftliche
Popstar der Moderne. Zu seinem


  1. Geburtstag, zehn Jahre nach
    seinem Tod, gab es Feiern in New
    York, Buenos Aires, Paris und Berlin, zu denen
    Zehntausende Menschen strömten. Seine Bü-
    cher waren Bestseller der damaligen Zeit. Und
    so wurden nicht nur Tiere und Pflanzen, son-
    dern auch Straßen und Städte nach dem Natur-
    forscher benannt – in Deutschland, aber auch
    in der ganzen Welt, besonders in Lateinameri-
    ka, wohin ihn seine wichtigsten Forschungs-
    reisen führten.
    Die mächtige Meeresströmung an der West-
    küste Südamerikas trägt seinen Namen – Hum-
    boldt-Strom –, und mindestens vier Berge sind
    nach ihm benannt. In den USA ist der Forscher
    zwar deutlich weniger bekannt, aber acht Städte
    und drei Landkreise heißen Humboldt, und um
    ein Haar wäre der Bundesstaat, in dem Las Vegas
    liegt, nicht Nevada, sondern Humboldt genannt


worden. Die Humboldtstraßen und -plätze kann
man kaum zählen. Sogar im Weltraum ist der
Forscher verewigt: Ein Asteroid und eine Kette
von Mondkratern sind nach ihm benannt.
Das ist eindrucksvoll, aber ist es wirklich
Weltrekord? Es gibt ja sehr prominente Konkur-
renten von George Washington über Johann
Wolfgang von Goethe bis Queen Victoria. Vor
50 Jahren veröffentlichte der Historiker Ulrich-
Dieter Oppitz eine Sammlung von 1000 geo-
grafischen Namen, für die Alexander von Hum-
boldt und sein Bruder Wilhelm Pate gestanden
hatten. Oppitz kam tatsächlich zu dem Schluss:
Nach keinem anderen Menschen sind mehr
Orte benannt worden. CHRISTOPH DRÖSSER

Stimmt’s?


http://www.zeit.de/audio

30 WISSEN


Erratum Mehr Wissen


Auf der Grafikseite zu Musikfestivals
(ZEIT Nr. 28/19) ist uns ein Fehler
unterlaufen. Es heißt dort, die 80 Hektar
große Fläche des dänischen Roskilde-
Festivals entspreche 350 Fußballfeldern.
Diese Zahl haben wir aus einer Quelle
übernommen, ohne nachzurechnen.
Ein Fußballfeld hat keine feste Größe –
das kleinste, das der DFB erlaubt,
misst 90 mal 45 Meter. Sogar von
diesen Feldern würden nur 197 auf
das Festivalgelände passen.

Wie ticken die Deutschen? Ein Gespräch über
das Handwerkszeug der Meinungsforscher
Jetzt in ZEIT Wissen:
am Kiosk oder unter http://www.zeit.de/zwissen

Die Adressen für »Stimmt’s«-Fragen:
DIE ZEIT, Stimmt’s?, 20079 Hamburg,
oder [email protected].
Das »Stimmt’s?«-Archiv: http://www.zeit.de/stimmts

Weltreisen im Kopf


K


ein Buch prägt das gegenwärtige
Bild des Naturforschers mehr als
Andrea Wulfs »Alexander von
Humboldt und die Erfindung
der Natur« (erschienen bei
C. Bertelsmann, 2015). Die His-
torikerin zeigt, wie der Gelehrte
die Forscher und Denker seiner Zeit inspirierte:
Charles Darwin (der ein Humboldt-Buch mit auf
die Beagle nahm), Ernst Haeckel (der von Würzburg
nach Berlin reisen wollte, nur um mit Humboldt im
gleichen Raum zu sein) oder Henry David Thoreau
(der nach Lektüre von Humboldt sein berühmtes
Werk Walden komplett überarbeitete).
Wulf hat jahrelang Originalquellen studiert, sie
taucht in Humboldts Ideenwelt ein und zeichnet
seinen Einfluss nach. Trotz der mehr als 100 Seiten
Anhang wirkt das Buch niemals wie reine Fleißarbeit,
sondern bleibt immer Leseabenteuer und Anregung.
Es gibt Experten, die Wulfs Humboldt-Bild zu
euphorisch finden. Vielleicht haben sie recht, viel-
leicht ist das aber gar nicht so wichtig. Andrea Wulf
schrieb ihr Buch für den amerikanischen Publikums-
markt. In den USA war Humboldt ziemlich ver-
gessen. Seit Die Erfindung der Natur erschien, kennt
man dort seinen Namen wieder.
Ein guter, einfacher Einstieg, um sich Humboldt
zu nähern, ist Wulfs Graphic Novel »Die Abenteuer
des Alexander von Humboldt« (C. Bertelsmann,
2019), die sie zusammen mit der Zeichnerin Lilian
Melcher veröffentlicht hat. Beim Blättern und Lesen
versteht man, welche Risiken Humboldt einging und
was es vor 200 Jahre bedeutete, durch einen fremden
Kontinent zu reisen.
Immer wieder tauchen in der Graphic Novel
Originalzeichnungen aus seinen Veröffentlichungen
auf. Umfassend gewürdigt wird seine Zeichenkunst
in dem 700-Seiten-Band »Bilder-Welten. Die
Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetage-
büchern«, erschienen im vergangenen Jahr im
Prestel Verlag, herausgegeben von Julia Maier und
Ottmar Ette. Diese prachtvolle Ausgabe ist zwar etwas
für Liebhaber, schon wegen des Preises von 148 Euro.
Aber der Betrachter kann Humboldt praktisch dabei
zusehen, wie er das Zeichnen als Mittel benutzte, um
die Welt zu begreifen und seine Erkenntnisse zu
vermitteln. Allein das Thema Dreiecke füllt fast
80 Seiten, zu Tinten- und Wasserflecken gibt es 13.
Man kommt dem Gelehrten sehr nahe.


ALEXANDER VON HUMBOLDT


Ähnlich detailliert ist die dieser Tage er-
scheinende Sammlung »Alexander von Hum-
boldt – Das zeichnerische Werk« (wbg Edi-
tion, 2019). Auf mehr als 400 Seiten finden
sich viele bislang unveröffentlichte Zeichnun-
gen, manches davon wirkt ziemlich komisch.
Etwa die Skizzen eines Kaimans oder eines
Glattschnabelhokkos, eines Hühnervogels, die
eher an die Malversuche eines talentierten
Zwölfjährigen erinnern als an die Arbeiten eines
großen Geistes. An anderer Stelle hingegen,
wenn Humboldt etwa anatomische Details ei-
nes Zitterrochens festhält oder topografische
Übersichten skizziert, sieht man, wie gut der
Forscher Zusammenhänge erfassen konnte
und wie scharf und genau sein Blick war.
Akribisch recherchiert ist »Humboldts
Preußen« (WBG, 2015) von Ursula Klein.
Die Wissenschaftshistorikerin nähert sich
ihrem Protagonisten über die Ideen und
Strömungen seiner Zeit: Der Drang, der
Gesellschaft zu nützen, der Fortschritts-
glaube oder die Anziehung, die der Bergbau
auf kluge Köpfe (auch auf Goethe!) ausübte,
für all das stand Humboldt. Klein eröffnet so
eine andere Perspektive auf Humboldt und
zeigt, wie sehr dieser ein Produkt seiner Zeit
war: kein Einzelkämpfer, sondern ein kluger
Kopf unter klugen Köpfen.
Wer Humboldt im Original lesen möchte,
steht vor einer Herausforderung. Der Gelehrte
hinterließ unzählige Notizen, Briefe, Aufsätze,
Bücher, wissenschaftliche Publikationen und
Drucke. Ein guter Startpunkt für die Lektüre
sind die Tagebücher der amerikanischen Reise,
diese haben eine hohe literarische Qualität. Im
Alter soll Alexander von Humboldt selbst
immer wieder in seiner Bibliothek über seinen
Aufzeichnungen gesessen und sich in ihnen
verloren haben. Allerdings muss man gut aus-
wählen, denn insgesamt umfassen sie 29 Bände.
Diese Aufgabe hat der Romanist und Hum-
boldt-Kenner Ottmar Ette übernommen, ein
Ergebnis: »Das Buch der Begegnungen –
Menschen, Kulturen, Geschichten aus den
Amerikanischen Reisetagebüchern« (Ma-
nesse, 2018).
Humboldt zeigt sich in der Auswahl der Tex-
te als empfindsamer und empathischer Zeit-

genosse, der gegen den europäischen Über-
legenheitsgestus und christlichen Missionie-
rungseifer anschrieb, indem er hervorhob, wie
reich die Kulturen fremder Völker seien. Aber
auch eine andere Seite scheint durch, etwa
wenn Humboldt einen mitreisenden Geist-
lichen auf einem Schiff beschreibt, »dem man
anmerkt, dass er mehr mit Katzen als mit seiner
Kaste gelebt«. Ein scharfzüngiger Lästerer soll
der Forscher und Abenteurer gewesen sein,
dieses Bild ergibt sich aus vielen Anekdoten.
Manche Gäste sollen bei Veranstaltungen erst
gegangen sein, nachdem Humboldt die Party
verlassen hatte, aus Angst, sonst Gegenstand
seines Spotts zu werden.
Gut lesbar ist auch der kleine Band »An-
sichten der Natur«, Erstveröffentlichung


  1. Es war Humboldts liebstes Buch und
    sein erfolgreichstes. Er beschreibt darin, wie
    man Natur gleichzeitig vermessen und fühlend
    erfahren kann.
    Geistreich und elegant sind viele seine Brief-
    wechsel, etwa die »Briefe aus Amerika«, die
    von der Berlin-Brandenburgischen Akademie
    der Wissenschaften ediert und 1993 heraus-
    gegeben wurden. Das Spätwerk »Kosmos«
    (1845) hingegen ist eine echte Herausforderung.
    Die Wissenschaftshistorikerin Ursula Klein
    empfiehlt die 20 letzten Seiten des ersten Bandes
    zur Lektüre: »Die anderen Bände sind Stoff-
    sammlungen, ziemlich chaotisch und völlig
    unlesbar – außer für Experten.«
    Mitte August wird bei dtv »Alexander von
    Humboldt: Sämtliche Schriften« erschei-
    nen: knapp 7000 Seiten in zehn Bänden.
    Seine Biografie, das sagen die Herausgeber
    Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, werde
    auf dieser Grundlage noch einmal komplett
    neu zu schreiben sein. Als Pilotband wurde
    vor Kurzem »Der andere Kosmos« ver-
    öffentlicht. Die simple und gute Idee dahin-
    ter: 70 Texte aus jedem der Jahre von 1789
    bis 1859, die in Zeitschriften rund um den
    Globus erschienen sind – darunter ein Hilfe-
    ruf, den Humboldt 1859 drucken ließ: Man
    solle ihn doch bitte mit Post, Angeboten und
    Besuchen verschonen. Seine Kraft sei be-
    grenzt. Man möge es ihm nicht als Undank-
    barkeit auslegen.


Tausende Seiten Geschriebenes von und über Humboldt – eine Herausforderung.


Lektüretipps für Einsteiger und Fortgeschrittene VON FRITZ HABEKUSS


Dem Satansaffen
begegnete Humboldt
am Fluss Orinoco

Abb. [M]: Louis Bouquet, nach einem
Aquarell von Nicolas Huet (Foto: G. Dagli Orti/
De Agostini Picture Lib./akg); Kaiman:
Zeichnung von A. von Humboldt, 1800-1805
(Foto: Staatsbibliothek zu Berlin/bpk)
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