Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1
50 25. Juli 2019 DIE ZEIT No 31
REISE

D


ie Gartenarbeit wur-
de vom lieben Gott
erfunden. Er hat den
Garten Eden fertig
hingestellt, womög-
lich mit Rollrasen,
zum Genießen für
Adam und Eva. So etwas wie einen fertigen
Garten hat es seither nie wieder ge geben.
leider. Nun liebt es eine Hälfte der
Menschheit, im Garten zu arbeiten, wäh-
rend die andere Hälfte zwar Gärten liebt,
die Arbeit aber nicht so sehr. Diese Men-
schen schauen sich umso lieber an, was
andere mit Gartenarbeit zustande bringen.
Zum Beispiel auf der 800 Jahre alten
Gamburg. Die bietet alles, was man von
einer deutschen Stauferburg erwarten kann


  • exponierte lage, dramatische Geschichte.
    Dazu aber hat sie mehr Garten als andere,
    viel mehr, in drei Ringen legt sich Grünes
    um den Berg, und im Zentrum liegt – trara:
    ein Barockgarten. Absolut ungewöhnlich
    auf Burgen, daher ist man darauf sehr stolz.
    Ein lang gestrecktes Rechteck, von Ost nach
    West ausgerichtet, damit man den Auf- und
    untergang der Sonne verfolgen kann. Ge-
    säumt von präzise gestutzten Buchshecken,
    mit Obelisken und plätscherndem Nym-
    phenbrunnen. und dieser Brunnen – nein,
    dazu später mehr.
    Als die freiherrliche Familie von Mal-
    linckrodt vor 40 Jahren die ziemlich he-
    runtergekommene Gamburg kaufte, war
    von der barocken Grünanlage nichts mehr
    zu erkennen. Wüst, zugewachsen, eine
    Wildnis wie bei Dornröschen. Was jetzt
    daraus geworden ist, ist der Hartnäckigkeit
    und Arbeit der von Mallinckrodts zu ver-
    danken. und es ist in seiner Art in Hohen-
    lohe einzigartig.
    Hohenlohe – wo fängt das an, wo hört
    es auf? Es ist der nordöstliche Teil Baden-
    Württembergs, tief ins Fränkische hinein-
    ragend. Rund 30 Schlossparks, Kloster-
    gärten, Kurparks, botanische Anlagen,
    Kräuter- und landhausgärten sind hier
    neuerdings zu einem Netzwerk verknüpft,
    dem Hohenloher Gartenparadies. Garten-
    besitzer, Denkmalschutz und Tourismus-
    agenturen wollen mehr Besucher für be-
    sondere Gärten begeistern. Wenn man so
    will, entstand eine Art begehbares lehr-
    buch der Gartenkunst: Man lernt, dass im
    Barock alles wie am Schnürchen gezogen
    zu wachsen hatte und im landschafts-
    garten gerade linien verboten waren – oder
    was einen Klostergarten wie den in Bronn-
    bach von einem lustgarten wie dem in
    Weikersheim unterscheidet.


Wie es ausgerechnet auf der Gamburg zu
diesem Barockparterre kam? um 1700
hatten die damaligen Besitzer, die Dalbergs,
die idee, einen geometrischen Garten an-
zulegen, die Natur so streng formal in Qua-
drat, Halbkreis und Rechteck zu zwängen,
wie man es damals schick fand. Pech nur,
dass man dafür eine Ebene benötigte – und
das auf einem Burgberg. Kurzerhand ließen
die Dalbergs das Gelände aufschütten. Gar-
tenarbeit der ausgefallenen Art, unfassbar der
Aufwand, astronomisch die Kosten. »Die
müssen vollkommen verrückt gewesen sein«,
kommentiert Hans-Georg von Mallinck-
rodt. Anders als die Dalbergs, die sich ver-
mutlich die Hände nicht schmutzig mach-
ten, schuften die heutigen Besitzer selbst im
Garten. Rings um den Burgberg breiten sich
Palmen, Misteln, Mirabellen- und Feigen-
bäume und ein Weißer Maulbeerbaum aus,
und das eher dschungelartig. Besucher schät-
zen das, sie sagen: »Hier sieht es endlich mal
nicht so geschniegelt und gestriegelt aus.«
Als Dienstleister seiner Burg führt Hans-
Georg von Mallinckrodt auch selbst durchs
Gemäuer und übers Gelände, und wie.
Farbig und temperamentvoll berichtet er
über die bedeutenden Wandmalereien oben
im Saal, von Barbarossas Kreuzzug und
Denkmalschutz-Querelen. An Wochen-
enden werden Besuchern Kaffee und Ku-
chen unter dem alten Ahorn im Burghof
serviert. »Wir bekommen Komplimente
ohne Ende«, erzählt Ni cole von Mallinck-
rodt, »dass wir als Privatleute eine solche
Burg wiederbeleben. Die leute fragen: Wie
schaffen Sie das?« Wer will schon jeden Ein-
kauf über schmale Wendeltreppen hoch-
schleppen, und was es kostet, das dicke
Gemäuer zu heizen, fragt man besser erst gar
nicht. »Neulich sagte ein Gast sogar: Glau-
ben Sie nicht, dass Sie mit 6,50 Euro für eine
Führung zu günstig sind?« Baronin Mal-
linckrodt sagt netterweise »zu günstisch«,
denn ihr erstes leben verbrachte sie in Paris.
Von da stammt auch die Bronzeskulptur
am erwähnten Brunnen, eine Arbeit des
Bildhauers James Pradier: Ein wilder Kerl
beugt sich über seine hingegossene Geliebte,
es geht zur Sache. Manchem Gast drängt
sich dort eine Frage auf, wie neulich erst.
»Warum hat der Mann so einen komi-
schen Bocksfuß?«, fragte Besucher 1.
»Mensch, das ist doch ein Satyr«, ant-
wortete Besucher 2, er kam aus Sachsen.
Hans-Georg von Mallinckrodt über-
raschte dieses Wissen überhaupt nicht.
»Von Sachsen höre ich nie eine blöde Frage.
Sachsen sind gebildet. und sie scheuen
keine Distanzen.«

Überhaupt ist es mit der Distanz heute
einfacher. Kein Grundherr wäre im


  1. Jahrhundert auf die idee verfallen, das
    Volk in seinen Garten zu lassen. Mit der
    Anlage vor dem dreigiebeligen Renaissance-
    schloss Weikersheim wollte Carl ludwig
    Graf von Hohenlohe-Weikersheim (1674–



  1. konkurrierenden Fürsten und sei-
    nem Hofstaat demonstrieren, wie viel
    Macht er hatte. Genug, um die Natur zu
    unterwerfen. Für die umgestaltung ließ er
    sich einen »Gartenriss« aus Paris schicken,
    französisch musste der lustgarten sein.
    Arbeitsmäßig höllisch, erfordert unablässige
    Pflege und Fassonschnitt.
    Heute kann hier jeder, eine knappe
    Autostunde von der Gamburg entfernt,
    durch den Bogen unter dem Renaissance-
    schloss schlendern, den Wassergraben über-
    queren – und spätestens hier hält man un-
    willkürlich an: Wow! Erst mal gucken.
    Staunen. Ein riesiges Zentralparterre liegt
    einem zu Füßen, breite Sandwege teilen es
    in vier Kompartimente, mittendrin ein
    Bassin mit Herkules-Statue. Schnurgerade
    betonen Beete mit Salbei, Margeriten und
    Calendula die Symmetrie. Oleander und
    Zitrusbäume in Kübeln setzen Akzente.
    Zwei Orangeriegebäude bilden den Schluss-
    akkord im Süden, die Dächer gekrönt von
    Sandsteinskulpturen.


W


as für ein Frieden hier. Sollte
man sich nicht auf eine Bank
fallen lassen? Die Mittags-
hitze für einen Nicker nut-
zen? Der Herkules plätschert, in den Wip-
feln zwitschert ein Buchfink, schon fallen
die Augen zu.
Wer spricht denn da? Ein alter Herr, vor
dem Brunnen. Graf von Hohenlohe muss
es sein. Hohe Stirn, die Augäpfel leicht her-
vorstehend, Al longe pe rü cke. Er deutet
zwischen die Orangeriebauten, klingt her-
risch: »Warum stehen hier so wenige Kübel?
Wer kümmert sich um die Zitruspflanzen?«
Natürlich, die Zitrusbäumchen, sein Ein
und Alles. ihretwegen ließ er die Gewächs-
häuser mit den hohen Fenstern nach Süden
überhaupt errichten. Herrscher seines Schla-
ges schätzten die Pflanzen, denen gottgege-
ben ist, gleichzeitig zu blühen und Früchte
zu tragen: als könnten sie den lauf der Zeit
überwinden, dem andere Pflanzen unterwor-
fen sind – ein Symbol für das ewige leben
und die unsterblichkeit des Herrscherhau-
ses. Die Bäumchen durften daher niemals
eingehen, im Winter hatten die Gärtner Tag
und Nacht die Öfen in der Orangerie zu
bedienen. Ahnte der landesherr das?

»Mit ihrer Herrschaft ist es vorbei, Carl
ludwig. Aber ihr großartiges Weikersheim
ist immer noch ein Traum, für alle Zeit! und
jetzt kehren Sie am besten zurück in die
Gruft.« Kurz will der Hohenloher protes-
tieren, dann verschwindet er, ein Bein nach-
ziehend. 250 Jahre nach Carl ludwig
herrscht in Weikersheim heute der Denk-
malschutz, die Staatlichen Schlösser und
Gärten Baden-Württemberg. Deren An-
gestellte werfen sich ins Zeug für den lust-
garten mitsamt Küchen-, Rosen- und Obst-
garten – Personalkosten spielen keine Rolle.
im Sommer heißt es Wässern, sieben Tage
die Woche. »Das Prinzip aller Dinge ist das
Wasser, denn Wasser ist alles«, wussten
schon die alten Griechen, und Gartenarbeit
ohne Wasser geht nicht.
Durch die Stadt plätschert auch die
kleine Vorbach, an deren ufer einer der aus-
gefallensten Gärten Hohenlohes liegt. »in
der Baindt« heißt er und gehört Annette
Schlehaus, Gartenmeisterin mit eigenem
Betrieb. Früher reihte sich in dieser Ecke ein
Garten an den nächsten – Grundstücke von
Bürgern, die in der eng bebauten innenstadt
wohnten. Als auch weiter draußen gebaut
wurde, überlebte bloß dieser eine. Er ist nur
über einen Geheimpfad erreichbar, Besu-
cher werden an einem Treffpunkt abgeholt.
Gleich am Eingang hängt eine Honigfalle
als Futter- und Trinkplatz für Bienen und
Hummeln, unterm Kirschbaum lädt eine
Bank zum umschauen ein: hier ein alter
Dörrbirnbaum, da eine Mirabelle, geformt
wie eine Hand mit fünf Fingern, dort ein
Teich mit einer Seerose.
Gemessen an den fürstlichen Anlagen,
ist dieses Juwel mit 1443 Quadratmetern
ein Gärtchen, aber es ist uralt, seit 500 Jah-
ren im Familienbesitz. Annette Schlehaus
arbeitet hier am liebsten ganz für sich.
35 Stunden benötigt sie, um einmal quer-
beet zu stutzen, zu zupfen und zurück-
zuschneiden, »und dann kann ich wieder
von vorn beginnen«. Gerade diese Vergeb-
lichkeit kennzeichnet die Hingabe enthu-
siastischer Gartenarbeiter – für sie ist das
eine Me di ta tion in der Natur.
Annette Schlehaus selbst wäre nie auf die
idee gekommen, ihren Garten Fremden zu
öffnen. Jetzt hat sie mithilfe des Netzwerks
von einem Archivar viel Neues aus der Ge-
schichte erfahren. Der Charme des Refugi-
ums ist freilich bedroht, seitdem hart an der
Grundstücksgrenze ein mehrstöckiges Heim
für vermögende Senioren entsteht, was
licht und luft nimmt.
Alles ändert sich immerzu, selbst in einer
versteckten Gegend wie Hohenlohe. Der

landstrich galt früher als Armenhaus im
Südwesten, verglichen mit der Bodensee-
region oder Baden. Jahrhundertelang regier-
te das Fürstenhaus Hohenlohe mit etlichen
Nebenlinien, heute herrscht ähnlich mäch-
tig der Kün zels auer Schraubenkönig Rein-
hold Würth. Dank zahlloser Betriebe,
Neben betriebe und Zulieferer lässt der
Schwerverkehr auf den Autobahnen höchs-
tens an Wochenenden nach. Da hält man
sich lieber an Nebenstrecken. Hin und her
über Tauber, Kocher und Jagst, durch tief
eingeschnittene Täler geht es, dann wieder
kann man durchatmen auf der Hohenloher
Ebene. langfingrige Buchenzweige reichen
über die Straße, ur alte Obstbäume klam-
mern sich an ähnlich alte Wiesen, von Wind
und Wetter durchgeknüppelt. Wer zwei, drei
Gärten besichtigt hat, dem wird ganz Ho-
henlohe zum sonnenverwöhnten Garten.
Oder doch nicht? Plötzlich hat sich
von Westen her eine dunkelviolette Wand
über die Hügel geschoben. Dann rauscht
es herunter. Solche Wechsel machen auch
Bernulf Schlauch in Bächlingen zu schaf-
fen. Der gebürtige Hohenloher, Bruder
des früheren Grünen-Politikers Rezzo
Schlauch, lebt in einer Klause, eingewach-
sen mit Obstbäumen. 18 Jahre lang war
er Reporter und Seele des Hohenloher
Tagblatts. Heute, mit 66 Jahren, sammelt
er überall in der Gegend die Dolden des
blühenden Holunders und ist Produzent
des »Holunderzaubers«, einer Art Natur-
sekt. »Sehen Sie«, sagt Schlauch und deu-
tet auf die gefüllten Gläser, in denen feine
Bläschen aufsteigen. »Diese Perlage!« Ein
Winzer habe ihm mal erklärt, das
Schlauch’sche Verfahren der Versektung
entspreche genau dem Prinzip der Cham-
pagnerfabrikation bei Dom Pérignon.
Aber Schlauch ist alles andere als ein
Snob, mehr eine Art Botschafter des Gar-
tennetzwerks und der Touristenmanager.
Er kennt nicht nur die fürstlichen Anlagen
und Parks in ihren Stilrichtungen, sondern
auch alte Bauerngärten, denen sich die
Bauersfrauen in ihrer knapp bemessenen
Zeit mit liebe widmen, wie Schlauch Frem-
den mit Charme und Kenntnis erzählt.
Augentrost sollen sie sein, sagt er, sollen
staunen lassen über Vielfalt und Farben. Ein
zugepflasterter Vorgarten, von einem Stein-
wall im Drahtverhau begrenzt, mag wenig
Arbeit machen – aber ein Garten? Nein, ein
Garten sei das nicht. Das genau kann man
im Gartenparadies lernen, sich womöglich
sogar davon anstecken lassen. Für leiden-
schaftliche Gartenarbeiter hat der liebe Gott
im Himmel immer einen Platz frei.

HOHENLOHE


Außer den beschriebenen
Gärten sind noch weitere
unbedingt sehenswert:

Der Barockgarten des
Renaissanceschlosses
Langenburg, Sitz der
Familie Hohenlohe-
langenburg, bietet einen
tollen Blick ins Jagsttal,
schloss-langenburg.de

Der 300 Jahre alte
Hofgarten in Öhringen
wurde zum Garten des
Jahres gekürt. Man isst dort
auch hervorragend,
im Restaurant Kleinod,
restaurant-kleinod.de

im Garten des Klosters
Bronnbach stehen
Skulpturen zwischen
Staudenbeeten mit Salbei,
Minze und Mohn. in
der einstigen Abtei kann
man übernachten,
hotel-kloster-bronnbach.de

Online-Broschüre zu

allen Gärten des Netzwerks:


hohenlohe.de/Reiseland/
Kultur/Hohenloher-
Gartenparadies.html

Übernachten
Schön gelegen für Reisen
durchs Gartenparadies
ist der landgasthof
Jagstmühle mit sehr guter
Küche, jagstmuehle.de

Ständegesellschaft, ade:
Das einfache Volk begutachtet
aristokratische
Gartenanlagen in Weikersheim

Strebergärten


im Nordosten Baden-Württembergs ist aus verwilderten Schlossparks ein geordnetes Gartennetzwerk entstanden.


ANNA VON MÜNCHHAUSEN hat sie durchstreift, zwischen Zitronenbäumchen gedöst und Hecken mit Fassonschnitt bewundert


Baron Mallinckrodt höchstselbst mäht auf der Gamburg im Taubertal den Rasen

Fotos: Anne-Sophie Stolz für DIE ZEIT
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