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Sie tragen billige Turnschuhe, die wenig Halt geben, die kaum
Profil haben, die bedeckt sind von Dreck und Schlamm. Lang-
sam und bedächtig klettern Hunderte Männer einen stei len
Felshang im iranischen Kuh-e-Tacht-Gebirge hinauf, nur we-
nige Kilometer von der irakischen Grenze entfernt. Aus der
Ferne wirken sie wie eine lange Prozession. Sie halten einige
Meter Ab stand zueinander, um zu verhindern, dass, wenn einer
von ih nen stürzt, andere mit in den Abgrund gerissen werden.
Auf ihren Rücken tragen sie große Kisten, mit bis zu hundert
Kilo manchmal schwerer als sie selbst. Kolbar nennt man sie,
Schmuggler, die jeden Tag ihr Leben riskieren. Kol heißt auf
Kurdisch »Rücken«, und bar heißt »Last«. Geschmuggelt wird
überwiegend vom Irak in den Iran, aber auch umgekehrt. Seit
Langem ist der Schmuggel in der Region einer der wichtigsten
Erwerbszweige, für viele: der einzige. Doch nie war die Arbeit
der kolbar so riskant wie heute.
Die iranische Fotografin Nafiseh Fathollahzadeh, 30, die an der
Folkwang Universität in Essen studierte, hat einige Schmugg-
ler auf den Bergpfaden begleitet – unter großen Schwierig-
keiten. Viele kolbar waren misstrauisch, einer bedrohte sie.
Fathollahzadehs Bilder sind Do kumente größten Elends und
der Absurdität der Embargopolitik, die den Menschen der Re-
gion aufgezwungen wird.
Es gibt auf der Welt nur wenige Gegenden, in denen der
Schmuggel solche Ausmaße angenommen hat wie im Grenz-
gebiet von Irakisch-Kurdistan und dem Iran. 1458 Kilo-
meter Grenze verbinden beide Länder. Eine archaische, raue
Gebirgslandschaft, dünn besiedelt, kurdisch, arm. Es soll auf
beiden Seiten der Grenze 40.000 kolbar geben, für die der
Schmuggel die wichtigste Erwerbs quelle ist. 400.000 Men-
schen sollen in der Region direkt vom illegalen Grenzver-
kehr abhängig sein. Händler auf beiden Seiten beauftragen
sie über Telefon. Kolbar tragen eine ganze Konsumwirtschaft
auf ihren Rücken: Fernseher, Waschma schinen, Staubsauger,
Computer, Zigaretten, Textilien, Ben zin, Satellitenschüsseln
und Alkohol. Für die Händler ist das Geschäft lukrativ. Ein
Karton mit 24 Bier flaschen kostet im Irak einen Dollar und
im Iran 20 Dollar, eine Flasche Whiskey im Irak fünf Dollar
und im Iran 48 Dollar. Für die Träger aber bleibt wenig, 10
bis 25 Dollar pro Grenzgang, von dem sie nie wissen, ob sie
ihn überleben. Dutzende Schmuggler kommen in den Ber-
gen durch Unfälle ums Leben, werden von Lawinen begraben
oder stürzen zu Tode.
Im vergangenen Jahr töteten iranische Grenzpolizisten
48 Schmuggler und verletzten 104. Die Grenzer begründen
den Feuerbefehl mit ihrer Sorge, dass die kolbar auch Waffen
und Drogen ins Land bringen. Diese Sorge ist nicht unbe-
gründet, da weite Teile der Grenzregion unter der Kontrolle
kurdisch-iranischer Widerstandsbewegungen stehen. Seit die
USA den Iran noch weiter wirtschaftlich isolieren wollen, wer-
den die Schmugg ler nun auch von irakischer Seite verfolgt,
wo die kurdischen Peschmerga sie bisher weitgehend dulde-
ten. Appelle der UN und Menschenrechtsorganisationen, das
Töten an der Grenze zu beenden, bleiben wirkungslos. Auch
in diesem Jahr geht das Sterben der Lastenträger weiter.
Vo n WOLFGANG BAUER
GESPRÄCHE
MIT FREUNDEN
ROMANILUCHTERHAND
SALLY
ROONEY
©Thais Ramos
Varela/Stocksy United
»Die wichtigste
der Generation Y.«
literarischeStimme
The Independent