Die Welt - 22.02.2020

(Barré) #1

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Golf
von Mexiko

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S


etzt Hack Bartholomew vor
dem „Café du Monde“ seine
Trompete an, weiß der er-
graute Musiker, was er spie-
len muss. Gerade noch stan-
den die Touristen genervt in der langen
Schlange vor dem Kultbistro. Doch mit
dem ersten Ton von „When The Saints
Go Marching In“, dem durch Louis
Armstrong legendär gewordenen Süd-
staatenklassiker, beginnen die Warten-
den zu singen und zu schwofen, als gebe
ist nichts Tolleres als anzustehen. New
Orleans trägt den Spitznamen „The Big
Easy“. Mit Musik gerät das Leben in der
Stadt leicht und unbeschwert. Dafür ist
die Jazz-Metropole nicht nur berühmt,
sondern auch berüchtigt.

VON SVEN SCHNEIDER

Im angrenzenden French Quarter
gibt es nur eine Regel: Spaß haben, um
jeden Preis. Das führt allabendlich zu
Szenen und Ausschweifungen, die man
als Deutscher eher mit Palma de Mallor-
ca verbindet. Vor den zahlreichen Klubs
und Topless-Bars drücken sich Halb-
nackte herum, die Partygänger zum
Eintritt bewegen wollen. Angeheiterte
Gruppen von Junggesellenabschieden
ziehen durch die Bourbon Street, und
schwadronierende Blasmusikkombos –
Marching Bands – geben den Feiernden
musikalisches Geleit.
Die vereinzelt an den Straßenecken
postierten Polizisten schauen dem Trei-
ben seelenruhig zu – es ist unklar, wann
sie einschreiten würden. Das Lüften der
T-Shirts bei Frauen, nicht nur während
des örtlichen Karnevals Mardi Gras im
März beliebt, lässt sie jedenfalls cool
bleiben. Kein Grund für Hektik.
Die Nachwirkungen dieser Feiern las-
sen sich am nächsten Morgen erneut vor
dem „Café du Monde“ beobachten. So
mancher Nachtschwärmer kontert sei-
nen Rausch mit einer Portion Beignets,
jenen in Fett ausgebackenen und mit Pu-
derzucker überladenen Krapfen, die hier
rund um die Uhr über den Tresen wan-
dern. Gegenüber steht die Kathedrale
am Jackson Square, die sich Tagestouris-
ten ebenfalls selten entgehen lassen.
Doch im Getümmel ist Vorsicht ge-
boten, nicht nur wenn in den frühen
Morgenstunden Betrunkene umhertor-
keln, weil New Orleans die einzige Stadt
Amerikas ist, in der Alkoholkonsum auf
offener Straße erlaubt ist. Leichter Nie-
selregen und Seifenlauge, mit der Bar-
besitzer die Straße vor ihrem Etablisse-
ment zu reinigen pflegen, verwandeln
das Kopfsteinpflaster in eine Rutsch-
bahn. Plastikmüll, Essensreste und die
obligatorischen Trinkbecher spülen sie
einfach fort. Es ist, als ob die Stadt sich
von der Sünde reinwäscht.
„Das hat Gott auch schon einmal ver-
sucht“, sagt der gläubige Musiker Hack

und setzt erneut die Trompete an. Er
schaut sich kurz um, raunt: „Katrina“,
und bläst kräftig in sein Instrument.
„Angels Keep Watching Over Me“ heißt
der Song – und auch dieser Titel passt.
Denn im Jahr 2005 müssen er und fast
alle anderen Einwohner von New Or-
leans einen Schutzengel gehabt haben.
Mit „Katrina“ wütete der viertstärkste
je gemessene Hurrikan an der Küste von
Louisiana, New Orleans hatte keine
Chance. Vier Fünftel der Stadt liegen
unter dem Meeresspiegel und wie eine
Mulde zwischen dem Mississippi und
dem Lake Pontchartrain. Als die maro-
den Deiche brachen, lief die Schüssel
voll – New Orleans soff ab. Mehr als
1800 Menschen starben.
Selbst im French Quarter herrschte
der Ausnahmezustand, obwohl das
Viertel höher liegt als die meisten. So
musste Rick Blount, in mittlerweile
fünfter Generation der Inhaber des Res-
taurants „Antoine’s“ in der Saint Louis
Street, in seinem damaligen Florida-
urlaub live im Fernsehen verfolgen, wie
das Wasser die Scheiben seines Gour-
mettempels eindrückte. Aus Angst um
seine Familie und die Angestellten kehr-
te er umgehend zurück und stapelte
Sandsäcke vor dem Gebäude, bis die
Bautrupps anrückten.
Im French Quarter sei der Wieder-
aufbau schnell geschehen, sagt Rick.
Zum einen weil sich die Schäden noch
in Grenzen hielten, zum anderen weil es
keinen New-Orleans-Besucher gibt, der
das historische Viertel nicht wenigstens
einmal besuchen will. Hier sieht Ameri-
ka aus wie Europa, die Straßen des
Quartiers sind gesäumt mit französi-
scher und spanischer Architektur, mit
verspielten Balustraden, niedrigen Bau-
ten ohne überladenden Pomp. Und die-
sen Eindruck galt es zu erhalten.
Die für das Quartier zuständige Vieux
Carré Commission widerstand der Ver-
suchung, die beschädigten Gebäude
nach der Katastrophe mit Franchiseket-
ten zu besetzen. An Interessenten man-
gelte es nicht. „Doch damit hätten sie
sich versündigt“, sagt Blount. „Das wäre
nicht mehr unser historisches New Or-
leans gewesen.“ Das Filetstück der
Stadt, das French Quarter, ist nach wie
vor in der Hand kleiner und einheimi-
scher Unternehmer und Geschäfte.
Andernorts wurde allerdings weit
mehr investiert. Rund 70 Milliarden
Dollar steckte man in die Infrastruktur
und den Wiederaufbau, der Hochwas-
serschutz verschlang noch einmal 15
Milliarden Dollar. Neue Stadtviertel
entstanden und bestehende wurden
aufgewertet. Um die erwarteten Besu-
cher aus aller Welt auch standesgemäß
begrüßen zu können, bekam der Louis-
Armstrong-Flughafen der Stadt ein
neues Terminal für rund eine Milliarde
Dollar, auch ein neues Convention Cen-

ter, Parkanlagen am Ufer des Mississip-
pi oder ein Institut für Kulinarik sind
entstanden. Die Museen, Ateliers, Klubs
und Restaurants im Warehouse District
südöstlich des French Quarter sind wie-
der hergerichtet und dank öffentlicher
Gelder schöner denn je.
Andere Viertel schla-
fen allerdings immer
noch den Dornröschen-
schlaf und werden durch
private Initiativen der
Bewohner und enorm
viel Freiwilligenarbeit
erst restauriert, wie
Lauren Zimmermann
erklärt. Die kleine Frau
aus dem Vorort Gentilly,
bis vor wenigen Jahren
als Ingenieurin im Bau-
gewerbe tätig, steuert
ihren rostfarbenen
Hyundai über die male-
rische Esplanade Ave-
nue mit ihren teils kun-
terbunten Kolonialhäu-
sern und rümpft ein we-
nig die Nase. Die Priori-
täten bei der Restaurie-
rung missfallen ihr. „Na-
türlich sind diese Häu-
ser hier sehr schön an-
zuschauen“, sagt sie und
zeigt auf das kunterbun-
te Fünf-Zimmer-Hotel
„La Belle“ oder das ehe-
malige Wohnhaus des
französischen Malers
Edgar Degas, vor dem
sich immer viele Touris-
ten sammeln. „Aber das waren sie schon
vor ‚Katrina‘“, sagt sie. Diese bei den
Einwohnern „Millionaire’s Row“ beti-
telte Prachtstraße hätte nicht zwingend
einen neuen Anstrich gebraucht, findet
sie. Die Schäden waren eher gering.
Ein paar Blocks weiter im Viertel
Tremé, direkt ans French Quarter gren-
zend, sei dagegen noch viel mehr zu tun


  • aber das bleibe den Bewohnern über-
    lassen, unterstützende Gelder flössen
    kaum. Um die Renovierung finanzieren
    zu können, hätten sich viele Hausbesit-
    zer bei Airbnb angemeldet, was Besu-
    chern der Stadt einen kostengünstigen
    Aufenthalt beschert. Dabei stehen hier
    ebenfalls zahlreiche historische Bauten,
    die erhaltenswert sind, etwa die langge-
    zogenen sogenannten Shotgun Houses,
    die noch aus der Zeit der Plantagen und
    Sklaven stammen.
    Touristen, die in Tremé wohnen, ha-
    ben es nicht weit zu den Attraktionen
    der Stadt. Das Viertel gilt als das älteste
    schwarze Viertel Amerikas, allein der
    mit reichlich Stuck versehene und von
    Nonnen im Jahr 1727 gegründete Ursuli-
    nenkonvent mit seinem Kunstwerk für
    den namenlosen Sklaven ist ein Muster-
    beispiel französischer Kolonialarchitek-


tur. Nur wenige Blocks entfernt lohnt
vor allem sonntags ein Besuch im Louis-
Armstrong-Park, wenn sich zahlreiche
Musiker am Congo Square treffen und
leidenschaftlich zusammen jammen.
Der Platz sei der Geburtsort des Jazz,
sagt Zimmermann. Während die meis-
ten Plantagenbesitzer
die neue und wilde Mu-
sik eher als Sünde verur-
teilten, sahen die Fran-
zosen die Sache ganz
entspannt. „Im Gegen-
satz zu den Spaniern er-
laubten sie ihren Skla-
ven ihre Instrumente“,
sagt sie. Und während
ihre Herren fromm in
die Kirche gingen,
machten die Schwarzen
am Congo Square Musik
und tanzten.
Bilder und Gemälde
aus dieser Zeit lassen
sich im New Orleans
Museum of Art am Ende
der Esplanade Avenue
im riesigen City Park be-
wundern. Die Grünflä-
che, mehr als doppelt so
groß wie der New Yor-
ker Central Park und
durchzogen von Flüssen
und Bachläufen, Seen
und Wiesen, ist die grü-
ne Lunge der Stadt.
Lauren Zimmermann
kommt gern hierher –
nicht nur weil die Bei-
gnets bei den örtlichen
Gastronomen günstiger und besser sind
als in der Touristenfalle „Café du Mon-
de“. „Hier kann man sehr gut sehen, wie
nachhaltig das Engagement der Bevölke-
rung beim Wiederaufbau von New Or-
leans ausgefallen ist“, sagt sie. Das Hoch-
wasser sorgte hier für Schäden von etwa
444 3 Millionen Dollar, und es brauchte3 Millionen Dollar, und es brauchte
knapp 40.000 Freiwillige und
mehrere Jahre Arbeit, um
den Park wiederherzu-
richten. Die nach dem
Hurrikan aufgekomme-
ne Idee, die Stadt dau-
erhaft zu evakuieren
und an anderer Stelle
neu aufzubauen, stieß
bei den Bewohnern auf
wenig Gegenliebe.
Zimmermann sagt: „Ei-
ne solche Stadt gibt es
kein zweites Mal in den
VVVereinigten Staaten.“ereinigten Staaten.“

TDie Teilnahme an der Reise wurde
unterstützt von Fremdenverkehrsamt
New Orleans. Unsere Standards der
Transparenz und journalistischen
Unabhängigkeit finden Sie unter
http://www.axelspringer.de/unabhaengigkeit

GETTY IMAGES/ MARIO TAMA; GETTY IMAGES/ JOE RAEDLE

; GETTY IMAGES/ SCOTT OLSON; AFP VIA GETTY IMAGES/ AFP CONTRIBUTOR
MUSIK

ist Trumpf


Vor 15 Jahren zerstörte Hurrikan „Katrina“


New Orleans weitgehend. Der Wiederaufbau


erfolgte ziemlich konzeptlos. Doch der Jazz hält


die Stadt zusammen – gestern wie heute


AnreiseCondor fliegt zweimal wö-
chentlich nonstop von Frankfurt
nach New Orleans (condor.com).
Umsteigeverbindungen ab vielen
deutschen Städten etwa mit Delta
(delta.com), KLM (klm.com), Ame-
rican Airlines (aa.com) oder Luft-
hansa (lufthansa.com).

UnterkunftDas neu gebaute „Nopsi
Hotel“ im Central Business District
liegt ideal für Ausflüge ins French
Quarter und das Warehouse Dis-
trict, Übernachtung im Doppel-
zimmer regulär ab rund 220 Euro
inklusive Steuern (nopsihotel.com);
Im „Ace Hotel“ im Warehouse Dis-
trict mit seinem kleinen Musikklub
„Three Keys“ kostet das Doppel-
zimmer ab gut 170 Euro inklusive
Steuern (acehotel.com/neworle-
ans). Im „Royal Sonesta Hotel“ (mit
dem „Jazz Playhouse“) in der Bour-
bon Street logiert man im French
Quarter, Doppelzimmer ab 230 Euro
inklusive Steuern (sonesta.com).

Hier spielt die MusikFür zünftige
Live-Gigs zieht es die Einheimischen
nicht ins überlaufene French Quar-
ter: Wer echten New-Orleans-
Sound hören will, pilgert in
die Bars und Klubs der
Frenchmen Street im
Viertel Marigny. In
Läden wie dem
„Spotted Cat“,
dem „Snug Har-
bour“, dem „Blue
Nile“ oder dem
„30°/-90°“ tre-
ten jeden Abend
lokale Bands auf
die Bühnen und
jazzen und jammen,
was das Zeug hält.
Interessant: Die Besetzung
der Bands wechselt stets, dau-
ernd gesellen sich neue Musiker
dazu, die von Bar zu Bar ziehen. Der
Eintritt ist in der Regel gratis.

Auskunftneworleansonline.com

Tipps und Informationen

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22.02.20 Samstag, 22. Februar 2020DWBE-VP1


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44 REISEN DIE WELT SAMSTAG,22.FEBRUAR2020


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22.02.2022.02.2022.02.20/1/1/1/1/Rei8/Rei8 PKRUEGE1 5% 25% 50% 75% 95%

TTTouristen können die Kolonialarchitekturouristen können die Kolonialarchitektur
des French Quarter bequem von der Kutsche
aus bewundern (l.); fast menschenverlassen
iiist das Viertel, wenn Stürme angekündigtst das Viertel, wenn Stürme angekündigt
sind, hier 2019 angesichts des Hurrikans
„Barry“ (l.u.); die Bourbon Street ist be-
kannt für ihre vielen Jazz-Klubs, Bars und
Stripklubs, mit jährlich Millionen von Be-
suchern zählt sie zu den größten Attraktio-
nen der Südstaatenmetropole (o. und u.r.)

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