Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

Hannover
Patient will keine Polizei

 Der Montenegriner Igor K. und seine
Frau Suzana fordern, den Polizeieinsatz
rund um die Medizinische Hochschule
Hannover zu beenden. Die MHH behan-
delt Igor K. derzeit wegen schwerer Schuss -
verletzungen. »Mein Mann und ich wollen
keinen Polizeischutz und fühlen uns auch
nicht bedroht«, sagte Suzana K. dem
SPIEGEL. Sie habe das sogar schriftlich
erklärt. »Die Polizei hat das ignoriert«,
klagt sie. Der Patient war in Montenegro
durch mindestens sieben Schüsse schwer
verletzt worden, als sein Auto an einem
Bahnübergang angegriffen wurde. Die
Behandlung des mutmaßlichen Kriminel-

len in der MHH führte zu Protesten. Be -
richte, es handle sich bei K. um einen
Mafiaboss, sind aber offenbar nicht zutref-
fend. Womöglich handelt es sich um eine
Verwechslung. Ein Namensvetter wurde
wegen Drogenhandel zu einer mehrjähri-
gen Haftstrafe ver urteilt. Igor K., 34, sei
dagegen nicht vorbestraft, sagt sein An walt.
»Wir haben in Monte negro drei Unterneh-
men«, so Suzana K., »die es uns ermögli-
chen, die Behandlungskosten zu tragen
und den Flug im nach Hannover gebuchten
Learjet zu bezahlen.« Die Operationen,
bei denen K. ein künst liches Kniegelenk
ein gesetzt wurde, sollen rund 90 000 Euro
kosten. Niedersachsens Innenministerium
erwirkte inzwischen eine Ausweisungsver-
fügung gegen den Patienten. GUD, JPZ

So gesehen


Direkter Draht


Wer ersetzt US-Botschafter


Richard Grenell?


Mit großem Bedauern hat die Bun-
desregierung auf den angekündigten
Abzug des US-Botschafters aus Berlin
reagiert. Richard Grenell soll künftig
in Washington für den US-Präsidenten
die Geheimdienste koordinieren.
Eine zweifellos kluge Personalent-
scheidung Donald Trumps: Grenell
gilt als enger Vertrauter des Wahl-
Washingtoners, zudem hat er sich
bereits bestens als Geheimnisträger
bewährt. In Berlin war er beispiels -
weise einer von sehr wenigen Men-
schen, die wussten,
warum genau
Trump der beste
US-Präsident
aller Zeiten und
ein Segen für die
Menschheit ist.
Trotz intensiver
Bemühungen
hat die Bundesregierung das nie he -
rausfinden können.
Jetzt verlieren die Deutschen den idea-
len Repräsentanten der US-Regierung.
Trump musste gar keinen Staatsbesuch
machen – wenn Grenell sprach, war
Trump immer mit im Raum. Seine Di -
rektiven an die hiesige Wirtschaft, die
deutschen Medien und die Politik waren
direkte Bot schaften aus Trumps Hirn.
Nun ist die Sorge groß, sein Nach -
folger könnte womöglich diplomatischer
auftreten und schlimmstenfalls sogar
rücksichtsvoller agieren als Grenell. Der
direkte Draht ins Weiße Haus wäre ge -
kappt, die engste Beziehung gefährdet.
Nur ein ebenfalls engstens mit
Trump verbundener Emissär könnte
ihn adäquat ersetzen. Einer, der weiß,
was der Chef will, auch wenn der es
gar nicht sagt. Einer, der klare Forde-
rungen mit dem nötigen Druck stellen
kann.
Alle Hoffnungen ruhen nun auf
Rudy Giuliani. Stefan Kuzmany


Wenn Gre-


nell sprach,


war Trump


immer mit


im Raum.


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PABLO GARCIA / AFP

Flüchtlinge vor der libyschen Küste

Flüchtlingspolitik
Seenotrettung in der Krise

 Die Bundesregierung sieht kaum Chan-
cen für eine neue EU-Mission zur Rettung
Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Das EU-
Katastrophenschutzverfahren komme aus
Sicht der Koalition dafür »nicht in Be -
tracht«, heißt es in einer Antwort der Bun-
desregierung auf eine An frage der Links-
fraktion im Bundestag. Darin schreibt das
Auswärtige Amt, dass das EU-Katastro-
phenschutzverfahren weder eigene Kapa-
zitäten für solche Aktivitäten habe noch
die Seenotrettungsaktivitäten einzelner
Mitgliedstaaten finanzieren könne. Der
Fachbereich Europa des Bundestags be -
zweifelt in einer internen Stellungnahme,
dass die Situation im Mittelmeer über-
haupt eine »Katastrophe« im Sinne des
EU-Rechts sei. Das »Ertrinken von Flücht-
lingen im Mittelmeer« könne man allen-
falls als »Krise« einstufen, so die Experten.

Doch das EU-Programm zur politischen
Reaktion auf Krisen sei nicht für eine See-
notrettungsmission geeignet. Insgesamt
sei es »zweifelhaft«, dass eine zivile EU-
Rettungsmission »durchgeführt, ausgestat-
tet oder finanziert werden könnte«. Damit
drohen mehr Todesfälle auf der zentralen
Mittelmeerroute, denn auch die libysche
Küstenwache führt kaum noch Rettungs-
einsätze durch. Die Situa tion in Libyen sei
»besorgniserregend«, kabelte die deut -
sche EU-Botschaft vergangene Woche
nach Berlin. Noch im Sommer hatte Bun-
deskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine
staat lich organisierte Rettungsmission
gefordert, nachdem die EU die Schiffe der
Operation »Sophia« aus dem Mittelmeer
abgezogen hatte. Zwar haben sich die
EU-Außenminister diese Woche grund -
sätz lich auf eine neue EU-Marinemis -
sion geeinigt: Diese soll sich aber auf die
Über wachung des Waffenembargos gegen
Libyen konzentrieren. MBE
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