Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
gen. Nach Bryants Tod hatte Felicia
Sonmez auf Twitter einen Artikel aus
dem Jahr 2016 verlinkt, der sich auf
Basis von Gerichtsakten detailliert mit
den Vorwürfen gegen Bryant auseinan-
dersetzt. Sie schrieb: »Jede Person des
öffentlichen Lebens ist es wert, dass
man sich in Gänze an sie erinnert.« Auch
wenn dabei ein Bild entstehe, das die
geliebte Person weniger vorteilhaft er-
scheinen lasse.
Anschließend erhielt Sonmez Nachrich-
ten wie diese: »Piece of fucking shit. Go
fuck yourself. Cunt.« Auch sie erhielt
Morddrohungen, darüber hinaus wurde
ihre Privatadresse öffentlich gemacht.

Statt sich vor die Mitarbeiterin zu stel-
len, entschied sich die »Washington Post«,
Sonmez zu suspendieren. Offiziell hieß es,
es müsse geprüft werden, ob diese gegen
Social-Media-Richtlinien des Hauses ver-
stoßen habe. Jedoch hatte ihr Chefredak-
teur Martin Baron mit Verweis auf ihren
Tweet gemailt: »Felicia, ein wirklicher
Mangel an Urteilsvermögen, das zu twit-
tern. Bitte hör auf. Du schadest dieser In-
stitution.«
Auf Druck ihrer Kollegen hin durfte
Sonmez inzwischen wieder an ihren
Schreibtisch zurück.
Die Beispiele von King und Sonmez
illustrieren einerseits, wie wenig Fans
bereit sind, sich mit den Widersprüchen
und Schattenseiten ihrer Idole auseinan-
derzusetzen. Sie zeigen aber auch, wie es

maligen Footballspieler O. J. Simpson, der
1994 verdächtigt wurde, seine Frau und
deren Bekannten ermordet zu haben.
Sponsoren Bryants wie McDonald’s
oder Coca-Cola kündigten die Verträge
mit ihm. Umso erstaunlicher war es nun,
dass in den meisten Nachrufen auf Bryant
das Kapitel Colorado nur eine Randnotiz
war. Auffallend häufig fand sich die For-
mulierung, dass es »kompliziert« sei, Bry-
ant zu gedenken. Ein Großteil der US-
Sportmedien ignorierte die Vergewalti-
gungsvorwürfe ganz.
Viele Medien fürchteten offenbar den
Shitstorm, wie ihn die Moderatorin Gayle
King erlebte.
In einem TV-Interview mit Lisa Leslie,
47, Olympiasiegerin im Basketball und
langjährige Freundin von Kobe Bryant,
hatte King die Vergewaltigungsvorwürfe
thematisiert. Leslie beschrieb Bryant da-
raufhin als Gentleman: »Ich habe ihn
nie so wahrgenommen, dass er einer Frau
Schaden zufügen könnte. Das ist nicht der
Mensch, den ich kenne.« King hakte nach,
ob Leslie möglicherweise befangen gewe-
sen sei, eben weil sie mit ihm befreundet
war. Leslie sagte daraufhin: »Das ist mög-
lich. Aber ich glaube einfach nicht, dass
da Dinge passiert sind, bei denen Gewalt
im Spiel war.«
Gayle King erhielt für ihre Fragen im
Anschluss wüste Beschimpfungen und
sogar Morddrohungen, wie ihre beste
Freundin, die TV-Talkerin Oprah Winfrey,
bezeugte. King könne nur noch mit Secu-
rity ihr Haus verlassen, sagte Winfrey und
zeigte sich im Fernsehen den Tränen
nahe: »Ich bin dafür, dass jeder alles kri-
tisieren darf – bis zu dem Punkt, an dem
es gefährlich wird, allein auf die Straße
zu gehen.«
Ähnlich wie King war es zuvor einer
Reporterin der »Washington Post« ergan-

um die Unabhängigkeit und den Mut
großer Medienhäuser bestellt ist, wenn es
um den kritischen Umgang mit Volks -
helden geht. Für viele war Bryant das be-
reits zu Lebzeiten, doch nach seinem Tod
hat er eine Art Heiligenstatus erreicht –
Sankt Kobe.
Von seinen Fans wurde als Argument
vorgebracht, dass es der falsche Zeitpunkt
sei, die damaligen Vorwürfe so kurz nach
dem Unglück zu erwähnen. Dass es res-
pektlos sei, auch angesichts der Trauer
seiner Angehörigen.
Doch in Wahrheit scheint es den Kobe-
Bryant-Anhängern eher darum zu gehen,
die Vorwürfe für immer zu beerdigen, wie
auch in dem Interview Kings mit Lisa Les-
lie deutlich wurde. »Wir sollten es dabei
belassen«, sagte Leslie.
Nach dem Motto: Über Tote redet man
nicht schlecht.
Dafür bekam Leslie viel Applaus. Auch
von dem aktuellen Star der LA Lakers,
LeBron James. Sie sei eine »echte Super-
heldin«, sagte er. Es tue ihm leid, dass sie
diese Fragen hätte ertragen müssen. »Wir
sind unsere eigenen schlimmsten Feinde«,
fügte er hinzu.
In diese Kerbe schlug auch der Rapper
50 Cent. »Ich habe nicht verstanden, was
das Ziel ist«, sagte er. Gayle King wisse
doch, »was Kobe für die Kultur bedeutet.
Wie Michael Jackson«.
Im Nu war das aufrichtige Gedenken
Bryants mit Rassismusvorwürfen überzo-
gen: King und Winfrey würden nur die
Verfehlungen schwarzer Männer themati-
sieren, hieß es an vielen Stellen im Netz.
Dazu posteten die Kritiker Partybilder
der beiden Frauen mit Filmmogul Harvey
Weinstein, dem massive sexuelle Übergrif-
fe vorgeworfen werden.
King hat mittlerweile versucht, ihren
Sender als Schutzbarriere zwischen sich
und den digitalen Mob zu schieben: CBS
habe ohne ihr Wissen mit einem Aus-
schnitt der heikelsten Fragen an Leslie in
den sozialen Netzwerken Werbung ge-
macht, sagte sie in einem selbst gedreh-
ten Video. Dadurch sei das Problem erst
entstanden, mit dem Interview in voller
Länge hätten die Zuschauer kein Problem
gehabt. Am Ende ihrer Stellungnahme
sagte King, sie habe Bryant oft getroffen,
er sei immer sehr nett und warmherzig zu
ihr gewesen, sie habe ihn nicht verun-
glimpfen wollen.
Was sie leider nicht deutlich machte:
dass jede ihrer Fragen nicht nur legitim,
sondern angemessen war.
Der Fall Bryant wirft damit auch die
Frage auf, wie nachhaltig die Effekte der
#MeToo-Bewegung, die ihren Ursprung
in den USA hatte, tatsächlich sind.
Wie es scheint, ist die Gesellschaft erst
so weit gekommen, es für vorstellbar zu
halten, dass Männer wie Weinstein Frauen

92 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

USA TODAY / REUTERS WIREIMAGE / GETTY IMAGES


Der Fall wirft auch die
Frage auf, wie nachhaltig
die Effekte der
#MeToo-Bewegung sind.

Bryant-Fan Snoop Dogg, TV-Moderatorin King: Beschimpfungen und Drohungen
Free download pdf