Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

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Wissen


Was uns am Leben hält


AnalyseDie Uno will die globale Artenvielfalt schützen – warum ein Versagen verheerend wäre.


DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

 Die Erde erlebt derzeit das sechste gro-
ße Massenaussterben ihrer Geschichte,
einen bedrohlichen Verlust von Ökosyste-
men, Vielfalt und natürlichen Ressourcen.
Schuld ist der Mensch; er vernichtet, was
ihn ernährt, ihm Schutz bietet, ihn letzt-
lich am Leben hält.
Nächste Woche treffen sich die Verhand-
lungspartner der Uno-Biodiversitätskonven-
tion in Rom, um die für Oktober geplante
große Artenschutzkonferenz in China vor-
zubereiten. Es liegt der Entwurf eines
Abkommens vor. Bis 2030 sollen mindes-
tens 30 Prozent der wichtigen Land- und
Meeresökosysteme geschützt werden. Das
ist einerseits ermutigend. Andererseits


jedoch fällt der Plan jetzt schon, weit vor
Verhandlungsbeginn, hinter frühere Ab -
kommen zurück. So sollen Subventionen,
etwa für die industrielle Landwirtschaft
oder die Fischerei, kaum abgebaut wer-
den – dabei gehören sie zu den Treibern
des Artensterbens. Verbindliche Zusagen
für Artenschutzmaßnahmen wird es kaum
geben. Und bezahlen will auch niemand.
Bis zu 400 Milliarden Dollar pro Jahr sind
notwendig, um die Artenvielfalt zu schüt-
zen. Kaum ein Viertel davon steht bereit.
Auch Deutschland engagiert sich zu
wenig. Die Bundesregierung sei planlos,
sagt Georg Schwede von der Organisation
Wyss Campaign for Nature, »eine wirksa-

me, ressortübergreifende Biodiversitäts-
strategie gibt es nicht«. Dabei könnte der
Verlust von Ökosystemen und Arten dra-
matischere Folgen haben als der Klima-
wandel. Technik hilft hier eher nicht, auch
kann man sich nicht anpassen.
Was weg ist, ist weg, für alle Zeit. »Ver-
lust und Zerstörung der Natur gefährden
die Gesundheit, die Lebensgrundlagen,
die Sicherheit und den Wohlstand«, notier-
ten 23 ehemalige Außenminister gerade in
einer Erklärung, unter ihnen der Deutsche
Joschka Fischer und die US-Amerikanerin
Madeleine Albright. Das ist untertrieben.
Der ökologische Verfall könnte das Ende
der Zivilisation bedeuten.Philip Bethge

DOUG GIMESY / NATUREPL.COM

Frisches Grün sprießtaus den verbrannten Stämmen von Eukalyptusbäumen in Australien. Die verheerenden


Waldbrände der vergangenen Monate haben eine Fläche verwüstet, die mehr als halb so groß wie Deutschland ist.


Doch jedem Sterben folgt neues Leben: Eukalyptusbäume legen Knospen in ihrer Rinde an, die selbst schlimmste


Brände überstehen. Ist die Katastrophe vorbei, stehen scheinbar tote Bäume plötzlich in zartem Blätterflaum.

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