Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.03.2020

(vip2019) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton DONNERSTAG, 5.MÄRZ 2020·NR.55·SEITE 11


Hier scheint dieWelt noc hinOrdnung zu
sein. Aber nur auf den ersten Blick. Auch
an den westlichen Hängen des Oden-
walds bei Bensheim-Auerbachvertrock-
nen dieFichten,Starkregenist über der
Bergstraße hinabgeschossen, bevordas
Wasserdie Wurzelnder jungenBuchener-


reichenkonnte. Ob sie im April wieder
austreiben, istungewiss. Der Boden ero-
diert, dieWege des 46 Hektar umfassen-
den englischen Landschaftsparks,der zu
den frühesten seiner Arthierzulandege-
hört, sindvonWasser rinnen durchzogen.
Auch im „Fürstenlager“, einstSommer-
sitz der Darmstädter Großherzöge, müs-
sendieGärtner angesichtsdesKlimawan-
dels umdenken.
Ursprünglichsolltehier einKurbad
entstehen, nachdem 1739eine eisenhal-
tigeQuelleentdecktworden war. Statt-
de ssen legteLandgrafLudwigVIII. 1768


den Grundstein für den erstenWohnpa-
villon. Als derkränkelnde Erbprinz Lud-
wig 1783vomBrunnentrank undgenas,
bauten die Landgrafenweiter an ihrem
Sommersitz.Vorbildwar die „ornamen-
talfarm“, ein Anwesen, das nachder
Theorie des englischen Landschaftsar-
chitekten Stephen Switzer Landwirt-
schaf tund Ziergarten miteinanderver-
schwistern sollte. SeineIdee von
ließ sich später mitRousseausVorstel-
lung eines naturnahenLebens in pasto-
raler Idylleverbinden, so dasssich aus
dem „dekorativen Bauernhof“ das fran-
zösische „Hameau“ entwickelte. Noch
heutenennt dieVerwaltung derStaatli-
chen Schlösser und GärtenHessen das
pittoreskeErbe der Darmstädter Groß-
herzögeliebevoll „Dörfchen“.
SwitzersZeitgenosse, der Moralphilo-
soph AnthonyEarlofS haftesburyhatte
sichschon 1711 über dieversklavte Na-
tur dergeometrischen Gärtennach dem
Versailler Vorbild mokiert.Die liberale
Idee der Engländervom natürlichenPa-
radies, das unabgegrenzt in die Land-
schaf tauslief,kamauchbei der einhei-
mischen Bevölkerung an der Bergstraße
gut an. „Fürstenlager“ n anntendie bäu-
erli chen Nach barnjene Wiesen, auf de-

nen die Großherzögemit ihren Gästen,
darunterdierussischenRomanovs,tafel-
ten. Gartenarchitekt CarlLudwigBötti-
cher hatte sie 1788 in diebewaldeten
Hänge eingebettet. 1790übernahmHof-
gärtner CarlLudwigGeiger dieAufsicht
überdas Ensemble aus Herren- undZe-
dernwiesen samtstrammen Pappelal-
leen.
Längstist die heilsame Quelleversiegt,
die rotundenförmigeSteinfassung des
„Guten Brunnens“ist aber nocherhalten.
Eine Lindenallee führtvorbei am „Schwa-
nenweiher“ mit seiner asiatischen Brücke
zu dem leutseligen Lager.Die Parkverwal-
tung, im „Kavaliersbau“ ansässig, saniert

das klassizistische „Dörfchen“ nebstPark
nachoriginalen Plänen.Konditorei- und
Küchenbau schließen sichhinter einer
doppelten Platanenallee an. Im „Prinzen-
bau“ logiertheutedie Geschäftsstelle des
„Odenwaldclubs“,eines Wandervereins.
Kübel mitAgapanthus,Feigen und Olean-
dersäumen denAufgang zum Herrenhaus
samt Gastronomie.Vonhier aus lässt sich
die steil ansteigende,vonexotischen Bäu-
men gesäumteund einem „Freundschafts-
tempel“ gekrönt e„Herrenwiese“ bewun-
dern. Ihr gut 44 Meterhoher Riesenmam-
mutbaumwar1852 ein Geschenk des eng-
lischenKönigshauses.
Weiter die„Apfelallee“ hinauf wirdes
ländlich. Hinter den jungen Apfelbäu-
men führtein Wegzur „Eremitage“ hin-
auf, einer strohgede cktenEinsiedelei
von1787, derenWände und Fenster
jetzt mit Rindeverkleidetsind. Aufdem
südlichen „Höhenweg“ schwelgenRad-
fahrer und Wandere rvor dem Land-
schaf tsbildOdenwald. Ein„Triumph der
Empfindsamkeit“? Goethe glaubtees
besser zu wissen,alser überdie Kulissen-
architektur des Landschaftsgartens
schrieb: „Soversteckenwir zum Exem-
pel /EinenSchweinestall hintereinem
Tempel.“ CLAUDIA SCHÜLKE

GARTEN


SCHULE


W

as magWolfgang Thierse,
den rhetorisc hvermögen-
den Bundestagspräsiden-
tena.D., be woge nhaben,
im Blickauf dieKarlsruher Entschei-
dung zurSelbstt ötung den Begriffder
„furchtba renJuris ten“ zuverwenden?
Bei diesemUrteil, so Thierse,„haben
,furchtbar eJuris ten‘ in geradezu trium-
phalistische rManierdieSelbstt ötung
zum Inbegriff der Autonomie des Men-
sche ngemacht!“ (F.A.Z.vom29. Febru-
ar).Hier istnicht zufälligvon den furcht-
barenJuristendie Rede.Thiersesetztdie
WendunginAnführungszeichen, macht
sie damit als Zitatkenntli ch,weistihren
Kontextals bewussteWahl aus,auch
ohne die Quellenamhaft zu machen.
„Fur chtbar eJuris ten“ is tder Titeldes
erstmals1987 erschienen Buches von
Ingo Müller, das denUntertitel trägt:
„Dieunbewältigt eVergangenheit unse-
rerJustiz“. DerTitelgreiftwiederumauf
einen Ausdruc kRolfHochhuths zurück,
den dieser 1978auf HansFilbingersVer-
haltenals Ma rinerichterbezogenhatte–
seitdemein„geflügeltesWort“, wie es
bei Wikipedia heißt, um mitMüllers
Buchthema dieVerbrechender deut-
sche nJustiz in derZeit desNational-
sozialismus zu bezeichnensowie de ren
blockierteAufarbeitung durch Übernah-
me vonNS-vorbelastete nJuristeninden
deutschenStaatsdienst.Wer heutevon
furchtbaren Juristenspricht, zumal als
Zitation,knüpft an diese öffentlich dar-
gestellteSemantik an und kann sich
nicht dummstellen .Worin genaudie
Vergleichbarkeit de rrichterlichgestütz-
tennationalsozialistischenMordaktio-
nenmitdembesagtenUrteildesBundes-
verfassungsgerichtes liegensoll, hat
Thierse nicht ausgeführt.Erbegnügt
sichmit eine rInsinuation.
Worinliegt auch jenseitssolcherPole-
miken dasVerstörungspo tential dieser
Entscheidung?Wasistes,dasThiersean
demUrteilaus Karlsruhe„zutiefstgetrof-
fenund verstört hat“ und auchbei ande-
renzuhefti genReaktionengeführthat?
Die grundsätzlicheStraffreiheitvonSui-
zid undSuizidhilfekannesnicht sein,
wiewohl eben diese Erlaubtheit in man-
chen uninformiertenReaktionen als die
eigentlicheSensation der Entscheidung
dargestelltwurde.„Da sdeutscheRechts-
system verzicht et darauf, die eigenver-
antwortlicheSelbsttötung unterStrafe
zu stellen ,das ie sic hnicht gegeneinen
anderen Menschenrichtetund der frei-
heitlicheRechtsstaatkeine allgemeine,
erzwingbareRechtspflicht zumLeben
kennt.Dementprechend sind auchder
Suizid versuchoderdie Teilnahme an ei-
nem Suizid(-versuch) straffrei. Dieses
Regelungskonzepthatsic hgrundsätzlich
bewährt. Die prinzipielleStraflosigkeit
desSuizidsundderTeilnahmedaransoll-
te deshalb nicht in Fragegestellt wer-
den.“ Ende des Zitats. Ein eSensation?
Nein,jedenfallsnicht, insofernsich
hier eineNeuerung des Bundesverfas-
sungsgerichts ausspräche.Der zitierte
Text is tkein Diktumaus Karlsruhe, son-
dernder An fang de s2015vom deut-
sche nParlamentangenommenenGeset-
zesentwurfs zur Straf barkeit derge-
schä ftsmäßigenFörderung derSelbst-
tötung. DieserEntwurf sah dieEinfüh-
rung desvomZweiten Senatgekippten
Paragr aph 217des Straf gesetzbuches
vor. Aber au ch nach diesemParagr a-
phen warenAngehörige oder andere
dem Suizidwilligen nahestehendePerso-
nen, sofernsie sic hals ni chtgeschäfts-
mäßig handelndeTeilnehmerander Tat
beteiligen ,von de rStrafandrohung aus-
genommen.Wer sic hjetzt da ranstößt,
dass die Bundesverfassungsrichterdas
Rechthervorheben,sichzut ötenundda-
bei au ch freiwilligeHilfe vonDritten in
Anspruchzun ehmen,der mu ss sichfol-
gerichtig auchandem fü rnichtig erklär-
tenParag raphen 217StGB stoßen.
Die Karlsruher Richterverweisen in
ihrer Entscheidung denn auch darauf,
dass derGesetzgebe r„innerhalb seines
eigenenRegelungskonzepts“ der Mög-
lichkeiteiner Suizidhilf e„im Einzelfall“
maßgeblicheBedeutungfür dieWah-
rung undVerwirklichung desRechts auf
Selbstbestimmung beimesse.Mit ande-
renWorten: Ni chterstKarlsruhe, son-
dernschon der Deutsche Bundestag hat
ein Rechtauf Suizidund Suizidhilfe
nicht in Fragestellenwollen .Schon
2015,nichterst 2020hättemansichinso-
weit erschreckenkönnen. Dassdie Ein-
zelfallregelungandieserethischen
Grundentscheidung nichts zu ändern
vermochte, machten nicht zuletzt jene
Ärzt edeutlich, die unterdem Paragra-
phen 217 nach Rechtssicherheit riefen
mit derFrage: Wieviele Einzelfällebe-
gründe ndenneine Wiederholungsab-
sicht undmithin eineStrafandrohung

nachdem bestimmt-unbestimmten Kri-
terium de rGeschäftsmäßigkeit?
Bevorman mitgewaltigemrhetori-
sche mGeschützdie Skandalisierung
Karlsruhe sprobt,sollt eman den vielen
weiteren Inkonsistenzendes fü rnichtig
erklär tenParag raphen 217StGB ins
Auge sehen. Istmit dem beschworenen
Normalisie rungsef fekt, dem Gewöh-
nungsrisiko vonSuizidund Suizidhilfe
tatsächlich erst dann zurechnen, wenn
Sterbehilfevereineexistieren oderander-
weitiggeschäftsmäßig, alsomit Wieder-
holungsabsichtBeihilf egeleistet werd en
darf?Während man die letzteren Optio-
nen unterstreng egesetzlicheAuflagen
brin gen,„regulieren“kann,wiedasBun-
desverfassungsgerichtnahelegt,bleibt
die Option, dassAngehörigeund andere
nahe Menschen zurSuizidhilfeberech-
tigtsind,ineiner Grauzone,die den
Schutz derRechtsgüterAutonomie und
Leben „im Einzelfall“nichtminderge-
fährdenkönnen als andere normalisie-
rendeAngebote –dasdiesbezüglicheGe-
fährdungspotentia lvon int eressegeleite-
tenAngehörigenwirdindemKarlsruher
Urteil ausdrücklich erwähnt, wenn au ch
nicht insGewicht geworfen.Fußtdie
Verwirkli chung desSterbewunsches in-
soweit ni chtstets auf einerNormalitäts-
annahme–obd iesenunvonSterbeverei-
nenodervonzurSuizidhilfebereitenAn-
gehörigengenäh rtwird?
Tatsächlich dürfte sichfür den Suizid-
willigen eine solcheNormalitätsannah-
me schondann ergeben,wennerweiß,
dass Suizidhilfe im Einzelfalllegalist. Es
braucht dazu,zudieserNormalitätsver-
mutung,nicht er st die Generalerlaubnis.
Der Suizidwillige istsichselbstder Ein-
zelfall,als welche nihn de rGesetz geber
im Paragraphen217 StGB behandelt
hat.Plausibelauch,dassdasAutonomie-
konzept als solchesnur dann miteinem
logischen Anspruchauftr eten kann,
wenn es im Prinzipfür alleLebenspha-
sengiltund sich nacheigene nMaßstä-
ben richtendarfstatt sichvonStaats we-
genauf de finier te Leidzuständeeingren-
zen zu lassen. Dasgrundsätzlichfestzu-
stellenentspringtnichteiner Omnipo-
tenzphantasie des „gottgleichenVerfas-
sungsgerichts“(Thierse),sonde rn istim
Begrif fder Selbstbestimmung angelegt,
die fürKarlsruhe freilichauf straf gesetz-
licheRegulierungen angewiesen bleibt
und damitgerade nic ht mi teiner „Ent-
grenzung vonAutonomie“ (Thierse)
gleichzusetzenist.

W

oalso liegtder Stachel
der Karlsruhe rEntschei-
dung,der nicht schon
vomGesetzgeber ge-
pflanztworden wäre?Denn es ist, wie
gesehen,inder Tatnicht erst das Merk-
mal der Geschäftsmäßigkeit, das die
ErlaubtheitvonSuizid und Suizidbei-
hilfe zu einer potentiellanstößigigen
Regelung macht.Der Skandal,wenn
man wie Thierse einen solchen ausru-
fenmöchte,wäre demnachweit vor
der Karlsruhe rEntscheidungzusu-
chen. DieFragenachder Schutzpflicht
des Staates für das Leben, die Thierse
anmahnt und nachdiesemUrteilals
nicht mehrexistentbehauptet, is tzu-
nächs tinaller SachlichkeitandieParla-
mentarier zurichtenstatt si eden Ver-
fassungsrichternmit NS-Suggestionen
um die Ohren zu hauen.Und dann zu
spekulieren, dievonKarlsruhegesetz-
lichempfohlenen Beschränkungen,Re-
gelungen, Bedingungen seien ja ohne-
hin ein „vor diesem Gerichtvermutlich
aussichtslosesUnte rfangen“ (Thierse).
Vermutlich?Vermutlichjaauch nicht!
Jedenfalls enthält dasUrteilglasklare
Kriterien zur Prüfung derFreiverant-
wortlichkeit eines Suizidwunsches, zur
Aufklärungspflicht überAlternativen,
zur prozeduralen HemmungvonPres-
sionen.Maximen für einen neuen Ge-
setzesentwurf, auf welche dieParla-
mentarier zurückgreif en sollten.
Auch die Parlamentarier haben, im
Vorübergehen gesagt, 2015 nichtetwa
die christlich-jüdische Lebensauffas-
sung zur Geltunggebracht, sondernei-
nen säkularenRahmengeschaffen, in
welchem religiöse Auffassungen von
Selbstbestimmung und Sinnhaftigkeit
beworben werden können, ohne im
rech tlichen SinneVerbindlichkeit für
alle Bürgerzuerwarten. Souveränrufen
die Verfassungsrichter die jüdische Leh-
re in Erinnerung, ohne sichals ihr
Sprachrohr zuverstehen. Nach Auffas-
sung des Zentralrats der Juden in
Deutschland,soheißt es imUrteil, fin-
de einRecht auf Suizid odergarSuizid-
hilfeinFreiheitsgrundrechten des Ein-
zelnenkeine Grundlage. Der jüdischen
Lehrenachbesitze das menschliche Le-
ben einen unantastbaren Wert,„der kei-
ner Abwägung undWertung im Einzel-
fall zugänglichsei“. Damit, so die Rich-
ter, gehe einstriktes Verbotjeder Tö-
tung einher,das auchdie Selbsttötung
umfasse. Beimmenschlichen Leben
handeleessichdemnachumeinegottge-
gebene Leihgabe, für die der Einzelne
Sorge zu tra genhabe. Wieesauchfür
das christliche Verständnis plausibel ist.
Karlsruhe,wo istdein Stachel? Er
liegt jedenfallsauchinder überborden-
denRhetorik, die Thierse als„triumpha-
listisch“ verwirft.Als gebe es ein Super-
grundrechtauf Suizid,vondem he ralle
ande renGrundrechte erst ihreSeele
empfingen.Someinenesdie Richter na-
türlichnicht. Aber hierund d aklingt es
beiihnen so. CHRISTIANGEYER

BeiderWahl desHaustieressinddiemeis-
tenMenschenkonv entionell. Ein Hund
oder eineKatze, ab und zu mal ein Sittich
oder ein Meerschweinchen, und bei vie-
len natürlich: Nicht die Bohnekommtmir
ein Vieh in Haus.Wasdie Natur sonst
nochsoanGehoppelundGepoppelanzu-
bietenhat, is tdann schonetwasfürEigen-
brötler oder Exzentriker.Und dann gibt
es auc hMenschen, die sichihr signifikan-
tesanderesaus demTierrei ch nichtaussu-
chen. Siegeratenaneines. So einFall ist
Marc-UweKling. Bei ihm klingelt eines
Tagesein Känguru, das nachzweiEiern
fragt,zum ZweckderHer stellung einesEi-
erkuchens, für den es demKängurudann
auchnoch an Salz, einem Schneebesen
und rechtbesehen aucheinem Herdman-
gelt.Soschnell läuftesselbstunter We-
sen,diefüreinanderbestimmtsind,selten
auf eineWohngemeinschaftund auf Le-
bensmittelkommunismus hinaus.
Der Kleinkünstler Marc-UweKling,
der alles sein möchte, nurkein Klein-
künstler ,und dasKänguru, bei dem die
Gattungsbezeichung als Name reichen
mag, denn so viele linksradikale, eierku-
chenbackende Beuteltieregibt es in
Kreuzbergjanicht, sie sind jetzt schon
eine Weile einPaar und ein Phänomen.
Kling spielt dabei bewusst oder notge-
drungen die zweiteGeige, es istdas Kän-
guru, das sichmit seiner schrillenStimme
nachvorne drängt, das bürgerliche Zu-
rückhaltung nichtkennt, sondernimGe-
genteiljedeZensurradikalablehnt,in ers-
terLinie die Selbstzensur.Ineiner Re-
densartimEnglischensteht der Elefant
im Zimmer für all das,wasniemand aus-
sprechen möchte,wasaber unübersehbar
ist. Das Känguruist ein Verwandter aller
dieser Elefanten, nur deutlichbewegli-
cher.Es legt sichunger nfest, außer auf
das Gegenteil dessen, wasMarc-Uwe
Kling gerade gesagt hat.


In den siebziger Jahren trat in derRudi
Carrell Showeinmal der Bauchredner
RodHull mit seinem Emu auf, ein Mann
im Tropenanzug, aus dessen rechtem
Armein Vogelhervorging, der überall zu-
schnappte,woernicht durfte.Hullwarei-
ner der bekanntestenVertr eter einer
Zunft, die im Grunde noch zumVarieté
gehörte,die dann aber in derFernseh-
unterhaltung ein neues Betätigungsfeld
fand. Marc-UweKling istsoetwas wie
der RodHull der beschleunigten Medien-
gegenwart. Mit seinemKänguruhat er
sicheine Stimmeverschafft,mit der er
auf allen möglichen Plattformen inzwi-
schen schon mehr als zehn Jahrehöchst
präsent ist: mit Podcasts, auf Lesebüh-
nen, in Buchform, also alles im Grunde
Kleinkunst,wenngleichkommerziell in
den höchstenUmlaufbahnen.
Das Känguruwirdman nicht mehr so
leicht los,wenn man es einmalgehört
hat.Esist die schiereZudringlichkeit,
unddabei auchviel mehr als ein Haustier,
denn Haustieresind domestiziert,wäh-
rend dasKängurudie freieWildbahn sei-
nes ungezähmten Sprechens in dieKüche
vonMarc-UweKling verlegt hat.Da
Kling aber nun einmal derAutorist und
das KänguruanseinenStimmbändern
hängt,kann man ihn nicht nur als Bauch-
redner verstehen, sondernauchals Ent-
fesselungskünstler.Das Kängurugönnt
sichalles das,wozu ein Kleinkünstler
nicht den Mut hat. Es istdas Unbewus ste
mit Fell und Beutel, und es macht deut-
lich: derTrieb is tlinks.
DaniLevyhat nu nden logischennächs-
tenSchritt gemacht und „DieKänguru-
Chroniken“, das Buch, in dem dieWG ge-
gründetwurde, für das Kinoverfilmt.Da-
bei warvor allem eineFragezuklären:
Wiesoll es aussehen? Zwarfand sic hauf
dem Coverdes Buches eineAufnahme
voneinem Känguruneben dreiPassbil-

derndes Autors,aber daswareher eine
ironische Konzession. Bisher wardas
Känguruvor allem auchein Akt der Evo-
kation, eine Kreatur,die im Grunde aus
nichts anderem bestand als einem liga-
mentalen Umschwung im Innerenvon
Marc-UweKling.
ImKinobotensichfür dievisuelleKon-
kretion verschiedene Möglichkeiten, eine
Zeichentrickfigur wie damalsRogerRab-
bitoder,wieesheutegeläufigerist,eine
Animation, also eine digitale Belebung.
DieandereFragewurdeebenfallspragma-
tischgelöst: Marc-UweKling spielt sich
nicht selbst, seineRolle übernimmt der
Schauspieler Dimitrij Schaad. Bisherwar
Kling ja immer derPerformergewesen,
beim Film is ternun nur akustischzuge-
schaltet. A uchbei sympathischen Schluf-
fisaus Kreuzberggibt es Unterschiede in
der Ausstrahlung, undgeradeein Terror-
opfer ,wie es der Kling aus demFilmnun
einmal ist, will professionellgespielt wer-
den. Wirreden klarerweise vontherapeu-
tischemTerror.Oder kathartischem?
Das mussdie Geschichte klären. Die
Geschichtedes Films ,ohne eine solche
geht es nicht, es braucht einen Plot. Das
Buchbesteht ja vorallem aus Szenen, in
denen Kling und dasKängurusichüber
so Dingewie „bürgerliche Kategorien“
oder den DoppelsinnvonSchwalben un-
terhalten. Ein nichtgeringer Teil des Er-
folgs der Bücher dürftejadarin bestehen,
dasssichhier dieVerächter vonRichard
David Precht (undvonPrimärtexten) ihre
Philosophieholen,und diesaufintellektu-
ell durchaus anspruchsvolleWeise.
Unweigerlic hfälltderFilm„DieKängu-
ru-Chroniken“ hinter die szenischeRefle-
xivität des Buches dochdeutlichzurück,
weil er halt vieles auserzählen muss. Das
heiße Thema in Kreuzberghat sic hziem-
lichgenau in dem historischenZeitraum
abgezeichnet, in dem Marc-UweKling er-

folgreichwurde: davorwaren hierTypen
ganz normal, zu derengeistigem Haus-
halt auchein sprechendes australisches
Beuteltiergehören mochte. Heutelassen
sichhier Leuteabends ihren SUVvordie
Wohnungstür hochfahren, in neureichen
Gebäuden, die unterkeinen Mietpreis-
deckelpassen.
HenryHübchen spielt einenImmo bi-
lienhainamens JörgDwigs, gegenden
eine Allianzgeschmiedetwerden muss.
DassDwigsein Quartett lächerlicher
Rechtsnationaler,angeführtvoneinemfet-
tenTattoo- Nazi ,als Handlanger hält, hilft
ihm nichts, denn die Guten (und dasKän-
guru)habeneineschöneHackerinundan-
dereRechtschaffene auf ihrer Seite. Man
mag,wennmanmöchte,entferntan einen
Geistder Obstinationdenken, auf den in
BerlinderzeitjedesProjektmitInvestoren-
hinter grund stößt.Aber HenryHübchen
istkeinJef fBezos,derinFriedrichshainei-
nen Turmbauen will,und außerdemkann
man Hübchengarnicht sorichtig böse
sein, schließlichbringt er demRegisseur
desKängurufilms,DaniLevy,jaGlück.Er
spieltenämlichauchdieHauptrollein„Al-
lesauf Zucker" (2005), und daswarLevys
bishergrößter Erfolg.
„Die Känguru-Chroniken“ stolpern
eher so dahin, auchdie Liebesgeschichte
wirdnicht richtig lebendig,Kostüme und
Dekorund Locationswirkenmerkwü rdig
künstlich. Der Österreicher Paulus Man-
kerhat ein paar denkwürdigeMinuten
als Therapeut, undgeradeindiesen Sze-
nen wirddeutlich, dassdas Metiervon
Marc-UweKling und seinemKänguru
nun einmal derKüchentischdialog ist,
das Dialogische in freier,durch äußere
Handlung uneinholbarer Assoziation.
Mitdereinen oderanderen Schnapsprali-
ne kommt man aber auchdurch diese
Ausprägung desKänguru-Kosmosganz
gut hindurch. BERTREBHANDL

Supergrundrecht


Suizid?


Schluss mit der Ausbeutelung!


Millionenhaben siegelese nund gehört,jetzt kommen sie ins Kino: „DieKänguru-Chroniken“


Bloodshot–Elitesoldaten-
schwachsinn mitVinDiesel.
Emma – Jane Austen konnte
schonwas(F.A.Z. vongestern).
DieKänguru-Chroniken –Ge-
sellschaftstheoretische Quasifa-
bel (Kritik auf dieser Seite).
Onward:Keine halben Sachen


  • Neue Tricks vonPixar.


In diesem Dörfchen lässt es sichleben


Triumph der Empfindsamkeit?DasFürs tenlager der Darmstädter Großherzöge


Marc-UweKlings philosophisches Duo: Das kommunistischeKänguruund sein Mensch(Dimitrij Schaad als Kleinkünstler) im Bann einesfliegenden Eicherkuchens FotoX-Filme


NeuimKino


DasKarlsruherUrteil


zurSelbstt ötung weckt


die an griffslustigsten


Lebensgeister. Aber


werjetzt die


Skandalisierungsucht,


sollt ebeim deutsc hen


Parlamen tanfangen.

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