SEITE R2·DONNERSTAG, 5.MÄRZ 2020·NR. 55 Reiseblatt FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
In derkanadischen Provinz Nova Scotia
entstehen immer mehrextravagant eÜber-
nachtungsmöglichkeiten. Sokann man in
den Geodesic Domes des AnbietersTrue
NorthDestinations in einer Artvon kom-
fortablem Gewächshauslogieren, das mit-
teninder Natur aufgestellt wird,etwa auf
den Klippen über dem Sankt-Lorentz-
Golf. AuchimLeuchtturmCape D’Or
sechs Kilometervon AdvocateHarbour
entferntkann man übernachten,während
im Train Station Inn inTatamagouche ein
umgebauter Zug mit Speisewagenaus
dem Jahr 1928 auf Gäste wartet.Wer
nochweiter in derZeit zurückreisen will,
solltesichinder FortressofLouisbourgh
einbuchen. In derFestung kann man im
Stil des achtzehnten Jahrhunderts einen
glamourösen Camping-Urlaub verbrin-
gen. WeitereInformationen online unter
http://www.novascotia.com/dea. (str.)
Kanada jenseits
derKonventionen
Wasfür entlegene, ohnedies nur schwer
zu er reichendeGegenden längstgang und
gäbe ist, soll nun auchinden Alpen einge-
führtwerden:eine Beschränkung der Be-
sucherzahlen. Ein Gesetzent-
wurfder französischenRegie-
rung sieht dieEinrichtung einer Schutzzo-
ne aufFrankreichs höchstemBergmassiv,
dem Montblanc, sowie die Einführung ei-
ner Quote vor. Mit 4810 Metern istder
Montblancder höchste Bergder Alpen.
Er wir djedes Jahrvonetwazwanzigtau-
send Alpinistenbestiegen. (rsr)
Gestern hätteinBerlin die Interna-
tionaleTourismusbörseeröffnetwer-
den sollen. Mehrals zehntausend
Aussteller aus 181 Ländernhatten
sichangemeldet. Mit mehr als
160000 Besuchernhat mangerech-
net.DochumderAusbreitungdes
Coronavirus nicht Vorschub zu leis-
ten, wurde siekurzerhand abgesagt.
Damit istdie weltgrößteLeistungs-
schau desglobalenFremdenver-
kehrsletztlich zumOpfer des eige-
nen Erfolgs geworden. Denn dasra-
sche Auftauchen desVirusüberall
auf derWelt bestätigt ja nur,was die
Messe seit mehr als einem halben
Jahrhundertforcier tund predigt:
eine Freiheit desReisens, die uns
selbstferns te Orte wie Nach barner-
scheinenlassen. Nicht nur nach
Österreichund Italien, sondern auch
nachChina undKoreaist es heute
kaum weiter als einen Schrittvordie
Tür. DieZusammenkunftsov ieler
Menschenaus allenKontinenten,
sons tvon der ITB nurallzu gerne
als Weghin zu mWeltfriedengedeu-
tet, hät te dem VirusFreifahrtschei-
ne in alle Eckendes Globusgelie-
fert.Ein internationaler besetztes
Spielfeld istkaum denkbar.Und
nun ?Wenndie Reiseprofis zu Hau-
se bleiben,darfman dannvonden
Urlaubernetwas anderes e rwarten?
Ode rzeigt si ch in alle rDeutlichkeit,
wasBlaise Pascal schonimsiebzehn-
tenJahrhunder tformulierthat, dass
nämlichdas ganze Unglückder Men-
schen allein daher rühre,dasssie
nicht ruhig in einem Zimmer zu blei-
ben vermögen?Fürdie europäische
Tourismuswirtschaft hatteesschon
vorder Corona-Epidemie nicht gut
ausgesehen.Aber das Ausbleiben
vonBuchungenkonnte nochmit der
Thomas-Cook-Pleitebegründetwer-
den: Sie habe einetiefeLücke in
den Marktgerissen. Jetzt kommt die
Unsicherheit durch die Atemwegser-
krankung hinzu. Dietäglic hsteigen-
den Zahlen vonKranken, Toten und
betrof fenen Ländernkönnen–auch
ohne inPanik zuverfallen –auf nie-
manden wirklich beruhigend wir-
ken. Undwer jetzt beginnt,Nudeln
und Reis im Keller zentnerweise zu
bunkern, sieht sich in Gedanken
wohl eher nicht in einerSchlange
vordem üppig beladenenBuffet ei-
nes Ferienhotelsanstehen.Stattdes-
sen tauchen in GedankenBilder von
Menscheninselbstauferlegter Qua-
rantäne auf, die überFernsehen
und Radio dieAusbreitung der Epi-
demieverfolgen –und damit die
Routedes letztenReisenden: des Vi-
rusSars-CoV-2. FREDDYLANGER
Quote für
den Montblanc
Noch i ndiesem Sommer will das Be-
zirksmuseumvonToruń(Thorn) den
Besuchernder polnischenUnesco-
Welterbestadt eine neueFiliale präsen-
tieren. Das Museum derFestung Thorn
wirdinehemaligen preußischenKaser-
nen zwischen Altstadt und Busbahnhof
eröffnen. In sechzehnAusstellungssä-
len dokumentiertdas so wohl multime-
dial als auchklassisc hausgestattete
Haus die Geschichterund um dieFes-
tungsanlage, die als eine derweltweit
am besten erhaltenen gilt.Die Festung
Thornbesteht aus mehr als hundert-
fünfzig Gebäuden. (rsr)
Museum in
Festungvon Thorn
D
anken möchten wir den bei-
den armen Seelen,die in der
Vorbereitungsküche des
Stockholmer Spitzenrestau-
rants„F rantzén“dazuverdon-
nertwerden, mitstoischerRuhe fünfzigmal
hintereinander hauchdünneKartoffelfäden
um ein Metallröhr chen zu wickeln, bis sie
Bindfadenrollen gleichen. Ausgebacken
kommen die Präzisionswerke später auf
den Tisch, gefüllt mit saurer Sahne,gekrönt
vongelb schimmerndem Maränenkaviar,
Dill und süßlichen Zwiebelringen–ein
Wunderding der Knusprigkeit.Esfolgt ein
hauchzarterSchwarztee-MacaronimWech-
selspiel mit sämiger Gänselebercreme und
Kürbis oder eine winzige Tarteletteaus
Enoki-PilzenmitKombu-Algen,deren Aro-
maso köstlichnuancenreichherausgearbei-
tetwurde, dassdie simpleZutatineinem
einzigenBissen alle ihreHüllen fallen lässt.
Im Kamin brennt derweil ein Feuer,Gäste
tummeln sichinden Sitzecken, Pop-Musik
rieselt aus den Lautsprechern. Dann bittet
uns derRestaurantleiter zuTisch. Endlich,
möcht eman hier anfügen, schließlichhat
es anderthalb Jahregedauert, einen Platz
zu bekommen.
Werineinem internationalen Über-
restaurant speisen möchte, braucht heute
ohnehin einen schnellen Internetzugang,
eine Atomuhr und eine Portion Glück,
wenn die nächste Reservierungsperiode
freigeschaltetwird. Abertausende Essver-
rückt esitzenin diesen Minuten bangend an
ihren Rechnern. Das „Frantzén“ isthierbei
nocheinSonderfall inmittenvonSonderfäl-
len. Selten wurde ein Lokal derartmit Sa-
genumwoben,Stimmen echter Ergriffen-
heit sind aus der Branche zu hören. Eines
der bestenRestaurants derWelt sei das
„Frantzén“, daskeine Laborküche auf den
Tischbringe, keine verrückt eShowaus
dem Essen mache und auchkeine Grenz-
überschreitung wie essbareKondome brau-
che, um aus demRahmen zufallen. Nein,
im „F rantzén“werdenur eine einzigeGe-
schichteerzählt: die derPerfektion des Ge-
schmacks.
Gegründetwurde das LokalvonBjörn
Frantzén, Jahrgang 1977, der in der Jugend
nochmit einer Karriere als Fußballprofi
liebäugelteund sogar mehrereJahrebeim
Stockholmer Club AIK spielte.Wegeneiner
VerletzungmussteerdiesenKarrierewegbe-
enden. Eher aus derNotheraus begann er
eine Kochlehreineinem StockholmerSter-
neres taurant, in dem er seinTalent für den
Beruf entdeckte. Erkochte in London bei
Raymond Blanc und inParisbei AlainPas-
sard, deswegenwarsein Küchenstil franzö-
sischgeprägt, als er sich2008 selbständig
machte. Schon zwei Jahrespäter wurde das
„Frantz én“ mit zwei Michelin-Sternen aus-
gezeichnet. Eine Reise nachJapan brachte
den Schweden dann inKontakt mit der Phi-
losophie derKaiseki-Küche–mit der Sai-
sonalität, der Leichtigkeit, der Dramaturgie
der Menüs.Unddawar es um ihngesche-
hen: Stilistisc hwurde er zu einemWelten-
bummler,der seither virtuos mit französi-
schen, nordischen und japanischenTechni-
ken, Ideen und Produkten arbeitet.
Im Jahr 2017 zog das Lokal in einStadt-
hausimStockholmerZentrum, nur ein Jahr
späterfolgteder dritteStern.Seither wird
hier ein Schaustückder per fekten Gastge-
berschaftaufdreiEtagenzelebriert,einere-
gelrecht ePerformance,durchdacht vomers-
tenAugenblickan, wenn der Gastinder
Lobbymit einem kameradschaftlichen
Smalltalk in Empfang genommen wird,
während im Hintergrund theatralischillu-
mini erte FischeundFleischteilei nTrocken-
reifeschränken auf ihreVollendungwarten.
Mit demFahrstuhl geht es dann unters
DachineineEmpfangslounge,dieeinem
Wohnzimmer mit Sesseln, Sofas, Teppi-
chen und einemgekachelten Kamin gleicht
–undeinergroßenKühlwanne, die nicht so
recht in sWohnzimmerbild passt.
Wasnun während des Aperitifsfolgt, ist
eine kulinarische Leistungsschau, bei der
sichdie Kühlwanne als Schmuckschatulle
erweist. In ihrruhen chinesischerKaviar,
spanischeTrüffelund schwedischer Dam-
hirsch, die heuteservier twerden, dazuKö-
nigskrabbe,Kaisergranatoderhandgetauch-
teJakobsmuscheln ausNorwegen, Däne-
markoder Schottland. Zitronenwerden aus
Kalifornien bezogen, Eier aus dem Süden
Stockholms. Es scheint, alswolle dasRe-
staurantgleichamAnfang blankziehen, die
Karten auf denTischlegen und sagen: Die
Produktesind unser Geheimnis, nicht
mehr,nicht weniger ,und deswegen istuns
nur das Beste gut genug.
Entsprechendkostspielig istdas Menü,
das 330 Eurokostet. Die Weinbegleitung
schlägt mit 240 EurozuBuche, bei der La-
genrieslingevon J.J. Prüm oder eine Cor-
ton-Charlemagne Grand Cruvon Antonin
Guyon ins Glaskommen. Undwer sich
beim Aperitif zu einem Gläschen Prestige-
ChampagnerPolRoger WinstonChurchill
aus dem Jahr 2006 hinreißen lässt,bucht
prom pt nocheinmal neunzig Euroauf die
Endrechnung. Dochdie Ausgabe zahlt sich
aus, denn das Serviceteam gießt beharrlich
nach, immer und immer wieder,bis man
nicht mehrwegendes Preises schluckt, son-
dernwegen diesergroßzügigenVerschwen-
dungssucht–wäreman sic hnicht selbstam
nächsten,manwürde denServicegernedar-
auf hinweisen, dassspätes tens beim nächs-
tenExtraglasgarnichts mehrverdient is t.
Ein Stocktiefer sitzen dieGäste später am
Tresen um die offene Kücheund be kommen
alles andereals Experimental- oderDe-
signgerichtevorgesetzt, die der Liebe des
Kochsfür schrilleKombinationen,Farben
undFormenTribut zollen.Das Geschmack-
serlebniswirdauchnichtdurcheinekleinteili-
ge Anrichteweise oderein eKüch eder hun-
dertKomponentengetrübt. Nichts bleibt hier
imUngefähren, den nalle Kreationenkom-
men exakt so in den Mund, wieFrantzén es
will.EinTranche Steinbutt etwa,ineinerfein-
säuerlichen, buttrigen Saucemit fermentier-
temSpargel, daz ueine üppigeHaubedes
Hausmarken-Kaviars. DiesesGeschmacks-
bildmagnichtunbedingtneusein,dasBeson-
dereist allerdings derEdelfisch, der einige
Tage troc kenreifte.Aroma undFestig keit des
Tiershabensichetwasverdichtet,dasFleisch
erinnertimBissfastanz arte sKalbs filet, es
mussalso etwaslängergekau twerden und
kann sic hsolangsam neben demMeeresaro-
ma desKaviarsentfalten–eine grandiose
Idee.
Ohnehin scheint der Meister, der vorwie-
gend àlaminuteund auchgerne am offe-
nen Feuer kochen läs st,ein Faible fürRo-
genzuhaben. EinegroßeNoc ke Forellenka-
viarbett et erineinen joghurtähnlichen,lau-
warmen Chawanmushi, einen japanischen
Eierstich, dazu gibt es Ingweröl, Schweine-
brühe undStückchenvomAal fürwarme
Raucharomen; später wirdeine herzhafte
CremevonkaramellisiertenZwiebeln mit
Mandeln und Süßholz serviert, Löffelum
LöffelpermanenteGenusszustände sind
das. Jedes Gericht istein weiteresÜber-
trumpfendesvorangegangenen.SeinenHö-
hepunkt erlebt der Produktfanatismus beim
kapitalenKaisergranat,deranderUntersei-
te mit fermentiertemKoshihikari-Reis pa-
niertundfürwenige Sekunden frittiertwur-
de, dazu wird eine würzigeButtercremege-
reicht.Die wenigen Zutaten–das Fett, die
Frische, die Knusprigkeit–arbeiten aus-
schließlich dem saftigen, festfleischigen
Krebsschwanz zu. Es istkein Wunder,dass
dieses Gericht zu Frantzéns „Signature
Dishes“gehört. Er bringt es schon seit Jah-
renauf denTisch.
Zu besonderemRuhm hat es auchseine
kulinarische Dreifaltigkeit aus buttrigem
Toast, Parmesancreme undTrüffeln ge-
bracht–einem Bergschwarzer Trüffeln, um
genau zu sein,vonbetörender Qualität und
Aroma.DochnurstumpfeineLuxusware ih-
renDienstleisten zu lassen, daswäre Björn
Frantzén zuwenig. Deswegenverzahnt er
meisterhaftdie Komponenten, die leichte
herbeNoteder Trüffeln geht indie Bitterno-
te des Käses über,das Fett desKäses baut
eine Brückezum knusprigen Buttertoast,
währendTröpfchenvonaltem Balsamico
eine eleganteTiefeauf denTeller bringen –
eine simple Idee, auf die erst einmal jemand
kommen muss.Undals am Ende einStück
unfassbar zarterDamhirschmit einer
TranchegebratenerFois gras gedeckelt wird
undsichunserGlasHermitageLePetitCha-
pelle vonPaul JabouletAîné wievonGeis-
terhand immer wieder aufsNeue befüllt,
wirdendgültig klar,dassdie Sagenrund
ums „Frantzén“ allesamtwahr sind.
Frantzén,KlaraNorra kyrkoga ta 26, 111 22Stock-
holm,Telefon: 0046/8/208580, http://www.restaurant-
frantzen.com.
Ausgepackt
Depesche
Der letzte
Reisende
Trüffelberge im
Wohnzimmer
FotosMartin Botvidsson
Die Geometrie des
Geschmacks:DasFilet
vomHirsc hinkreisrunder
Perfektion
Man lässtsichnicht
lumpen:EineWachtel
mi treichlichTrüffel
Dann dochlieberKochalsFußballprofi:Björn
Frantzén in seinemRestaurant
Das Sterben der DorfgasthöfeinBaden-
Württemberg soll nachdem Willen der
SPD mitstaatlicher Hilfeaufgehalten
werden. DieWirtesollten für den Erhalt
und die Modernisierung ihrer Häuser
Geld aus einem eigenenTopf erhalten.
Bislang istvom Land zwar eine spezielle
Förderung in Höhevonzwanzig Millio-
nen Euroindiesem und imkommenden
Jahr vorgesehen. Das Geld mussaber
über dieKommunen beantragtwerden.
„Eine eigenständigeFörderungvonGast-
höfen istnicht nur für denTourismusre-
levant, sondernauchfür dasZusammen-
leben in einer Gemeinde“,sagteSabine
Wölfle, dietourismuspolitische Spreche-
rinder SPD-Fraktion im Landtag. Zwi-
schen 2005 bis 2015 istinBaden-Würt-
tembergjeder vierte Gastronomiebetrieb
verschwunden.DieSPDistinStuttgart
in der Opposition. (str.)
DasRestaurant
„Frantzén“ inStockholm
gilt alseines derbesten
derWelt –abernicht
wegenverwegener
Kreationen, technischer
Finesse oderausge-
fallener Darbietungen,
sonderneinzig wegen
desguten Geschmacks.
VonHannesFinkbeiner
Der Liegestuhl bleibt leer:Dekorati-
on des Türkei-Stands in einer der Ber-
liner Messehallen FotoEPA
Wirtshaussterben