V4 Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / InnovationimMittelstand / 5. März 2020
Kleine und mittelgroße
Firmen finanzieren sich
gerne klassisch über die
Hausbank. Start-ups aus der
Finanzbranche, sogenannte
Fintechs, bieten jedoch
Alternativen.
VONGIANHESSAMI
E
sgibtnichtsWahres,außerBares.
WennUnternehmenschnellwach-
sen,benötigensie oftCash–und
dasambestenziemlichzügig.Das
weißChristophMaasnurzugenau.Vor
sechsJahrenkümmertesichseineLogis-
tikfirmaAnclaum 10 0bis 20 0Sendungen
proTag.Heutesindesmehr als8 000 .Das
2006 in Darmstadtgegründete Unter-
nehmenistinderKontraktlogistiktätigund
übernimmtlogistische undlogistiknahe
Aufgaben,die andere Unternehmenan
Anlclaauslagern.MitwachsenderBedeu-
tungdesE-Commercesindindenvergan-
genenJahrenimmermehrAufträgehinzu-
gekommen.Umdieseanzunehmen,musste
Maasinvestieren.
BeiseinerHausbankwareineeinfache
undschnelleFinanzierungnicht möglich.
„WennichdortzumBeispiel100 000Euro
füreineFinanzierungbrauche,dauertedie
BewilligungeinhalbesJahr“, berichteter.
Auflange Diskussionen mitseinerBank
hatteder GeschäftsführendeGesellschafter
aberkeineLust. Stattdessennahmer 300 000
Euro überdieCrowd-Finanzierungsplattform
Kapilendoauf.Diesesahsichdie betriebswirt-
schaftlichenKennzahlen,dieBilanzundden
BusinessplanvonAnclagenaueranundgab
bereitsnachzweiTagengrünesLicht.
Kred itneh mer müssen die Plattform
und die Anleger überzeugen
Auf der Website von Kapilendo sahen die
potentiellen Geldgeber alle Konditionen auf
einen Blick. Laufzeit: vier Jahre. Jährlicher
Festzins: 6,8 Prozent. Dann ging alles sehr
schnell. Das Projekt wurde innerhalb von
17 Stunden von 330 Anlegern finanziert.
Zwar hätte die Finanzierung über die Haus-
bank nur knapp die Hälfte gekostet. Dies
nahm der Unternehmer jedoch zugunsten
der zügigen und unkomplizierten Abwick-
lung in Kauf. „Die Finanzierung über die
Crowd passt hervorragend zu unserem
Geschäftsmodell“, resümiert Maas.
Außer den höheren Kosten gibt es noch
einen anderen Nachteil des Weges über
die Crowd: Am Anfang ist nicht sicher,
ob die Finanzierung überhaupt zustande
kommt. Etwa wenn der Kreditnehmer auf
diese Weise nicht genügend Kapital für sein
Projekt zusammenbekommt. Außerdem
müssen Unternehmen die Details ihres
Projekts transparent und somit publik
machen. Der Schwarm will wissen, wofür
er sein Geld gibt. Das gefällt nicht jedem
Mittelständler.
Der Trend der „Fintechnisierung“
der Geldgeschäfte ist unterm Strich aber
deutlich erkennbar. Laut einer Studie des
Bundesfinanzministeriums gibt es hierzu-
lande rund 400 Fintechs – Tendenz steigend.
Fintech steht für Financial Technology
und bezeichnet den intelligenten Einsatz
moderner Technologien. Die Online-Kredit-
vermittlung ist nur eines ihrer Tätigkeits-
felder. EinigeFintechsbietenauchklassische
Bankdienstleistungen wie Konto- und
Vermögensverwaltung an und machen
damit etablierten Instituten Konkurrenz.
Die Untersuchung des Bundesfinanz-
ministeriums geht für dieses Jahr mit einem
Gesamtmarktvolumen der Fintechs in
Deutschland von 58 Milliarden Euro aus und
erwartet bis 20 30 eine Steigerung auf bis zu
14 8 Milliarden Euro.
Obwohl deutsche Finanz-Start-ups
mittelständische Firmenkunden verstärkt in
den Fokus rücken, machen besonders kleine
und mittlere Unternehmen (KMU) von den
digitalen Angeboten verhältnismäßig wenig
Gebrauch. Dies kann Nick Dimler bestätigen.
Er lehrt als Professor für Entrepreneurship
und Finanzen an der FOM Hochschule für
Oekonomie und Management in Berlin und
ist Partner der Dimler und Karcher Unter-
nehmensberatung. „V iele Mittelständler
kennen Fintechs nicht oder sind noch
zurückhaltend bei der Zusammenarbeit
mit ihnen, obwohl diese inzwischen eine
breite Paletten von Finanzierungslösungen
anbieten und durch Flexibilität und Schnel-
ligkeit punkten“, erklärt der Experte.
Banken ziehen sich aus der
Innovationsfinanzierung zurück
Zugleich hat er Verständnis dafür, dass vor
allem Unternehmen, die über Generationen
in Familienbesitz sind und auf langfristige
Stabilität und Unabhängigkeit setzen, das
Vertrauen zu neuen Marktteilnehmern erst
noch aufbauen müssen. So hätten etliche
Fintechs die Anfangsjahre nicht überlebt
und Insolvenz angemeldet. Trotzdem sei
es für den Mittelstand wichtig, die gesamte
Bandbreite von Finanzierungsoptionen
zu prüfen. „Fintechs setzen inzwischen
verstärkt auf Kooperation zu etablierten
Banken und sehen sich eher als A nbieter von
Bausteinen zur Ergänzung einer klassischen
Bankenfinanzierung“, so Dimler.
Noch sind die Auftragsbücher mittel-
ständischer Firmen prall gefüllt. Wie lange
noch, weiß allerdings niemand. Brexit,
Handelskrieg und Konjunkturabkühlung in
China drücken die Stimmung in der globalen
Wirtschaft. „Die sich abzeichnende Konjunk-
tureintrübung birgt das große Risiko, dass
die Eigenkapitalquoten im Mittelstand
wieder sinken“, unterstreicht Mario Ohoven,
Präsident des BVMW. Zugleich ziehen sich
seiner Ansicht nach die Banken durch die
Eigenkapitalvorschriften Basel II und III
immer mehr aus der für den Forschungs-
standort Deutschland wichtigen Innova-
tionsfinanzierung zurück.
Die Frage ist, wie attraktiv die Kredit-
vergabe an kleine und mittelständische
Unternehmen für traditionelle Geldinstitute
noch ist. Grundsätzlich gehört dies für fast
alle deutschen Banken zum Kerngeschäft.
Laut einer Studie von Barkow Consulting
und der Solaris Bank liegt der Bestand von
KMU-Krediten bei über 200 Milliarden Euro
mit einem Wachstum von fast sieben Prozent
pro Jahr. Aufgrund des Margenrückgangs
und permanent steigenden Eigenkapital-
anforderungen stehen deutsche Banken
allerdings vor einem massiven Strukturpro-
blem. Laut der Untersuchung verdienen die
Institute mit KMU-Krediten im Schnitt nur
knapp 75 Prozent ihrer Eigenkapitalkosten.
Die Eigenkapitalkosten beschreiben die
Aufwendungen, die eine Bank aufbringen
muss, um das rechtlich erforderliche Eigen-
kapital aufzubringen. Im ökonomischen
Sinne ist also das KMU-Kreditgeschäft
wertvernichtend.
Derzeit können Banken die Ertrags-
belastung noch durch die außergewöhn-
lich niedrigen Risikokosten kompen-
sieren. In Zukunft müssen sie jedoch
deutlich effizienter arbeiten, um die struk-
turelle Ertragsschwäche zu kompensieren.
Zugleich sollten kleine und mittelgroße
Unternehmen einen breiten Finanzie-
rungsmix anpeilen, um eine Kreditklemme
zu vermeiden. Dazu gehört es eben auch,
die Finanzierungsangebote der Fintechs in
Betracht zu ziehen.
Neue Geldquellenanzapfen
WiePlattformen die
Ökonomie verändern
Digitale Plattformen sind im A lltag allgegenwärtig. Auch
im industriellen Umfeld nutzen immer mehr Unternehmen
die Vorteile der Plattformökonomie – und die Lösungen
deutscher Anbieter. Die Einsatzmöglichkeiten digitaler B2B-
Plattformen sind dabei überaus v ielfältig. Von Hadi Stiel
FOKUSAUF
DIEDATEN
Daten-Plat tformen zielen auf
eine effiziente Bereitstellung und
Verwaltung von Daten sowie
den Han del mit Daten ab. Dies
funktioniert heute zunehmend via
Clou d. Beispiele solcher Daten-
Plat tformen, die die aktuelle
BDI-Studie „Deutsche dig itale B2B-
Plat tformen“ beschreibt, sind Aviation
Data Hub für die Bereitstellung und
den Han del mit luftfahrtbezogenen
Daten, DMIx Cloud der Colo r
Digital GmbH, um darüber
farbliche Abst immungsprozesse
für ein Produkt zwischen Lief erant
und Auftraggeber vollständig
digi tal durchzuführen, sowie die
Vergleichsplattform für Bau produkte
Plan.One. Let ztere ist eine Initiative
der Sch üco International KG, mit
dem Zie l, Produktinformationen
entl ang des Planungsprozesses eines
Gebäudes per Mau sklick für alle
Beteiligten zugänglich zu machen.
Architekten und Planer können dav on
ebenso pro fitieren wie Bauherren
und Projektentwickler. Die SAP
Clou d Plattform wie derum rich tet ihr
Angebot an Unternehmen, die ü ber
die bereitgestellten Daten innovative
Geschäftsanwendungen entwickeln
und bet reiben wollen, mit dem Ziel
einer ganzheitl ichen Datenverwaltung
im Hintergrund. Dab ei werden
intelligente Technologien, wie
Masc hinelles Lernen oder Predictive
Analytics, für datengestützte
Vorhersagen eingesetzt.
WENN UNTERNEHMEN
EINKAUFEN
Online-Marktplätzoder
E-Commerce-Plattformensind
nichtnur beiKonsumentenbeliebt.
Ein-undVerkaufspr ozesselassen
sichauchinUnternehmeneinfach
digi talisiere n. DieBeispiele für
solche Plat tformensindinzwi schen
sehr zahlreich: Einesdavon i st
Che Mondis,ein d igitaler B2B-
Marktplatzfür di echemisch e
Industrie. Vonder Sucheüber die
Eva luierung, Verhandlun gbis hin
zurTransak tion sollen Abläufefür
Ein-undVerkäufer digi talerund
damiteffizienter werden.Für di e
Textilindustriehingegen,die durc h
sehr komplexe l änderübergrei fende
Produktion snetzwerke
gekennzei chnetist,bietetCoats
eComm eine Lösung an.Die
Plat tformofferiertKundendie
Möglichkeit,die Kommunikation
zu Bestellvorgang und
Produktinformation effizienterund
mitweniger E-Mailszugesta lten.
Und Mobi Mediabildetfür di e
Modeind ustrie den vollständigen
Orderprozesszwisch en Herstellern,
dem Handel,den eigenen
Retail-Kanäl en sowieden Online-
Kanälenab. Unabhängig vo nder
Branch eund Unternehmensgröße
möchte sichWucato als
zent rale Beschaffungsplattform
zurOptimierung von
Einkaufsprozessen fürden
deutschen Mi ttelstandetablieren.
VERBESSERTE
LIEFERQUALITÄT
Plat tformen rund um das
Supply-Chain-Management und
Logistik visi eren eine möglichst
durc hgehende Dig italis ierung
der Lie ferprozesse an. Denn sie
sind die Grundvoraussetzung für
eine reibungslos funktionierende
Industrieproduktion. Auch in
diesem Bereich haben sich die
deutschen Anbieter in e rster Linie
auf B ranchenlösungen fokussiert.
Die aktuellen deutschen Plattform-
Offerten für die Digitalis ierung
solcher Prozesse reichen von Air
Supply und Dis covery über Rail
Supply bis h in zu T ranspo reon.
Während Air Supply kollaborative
Prozesse entlang von Logistikketten
der Luftfahrtindustrie unterstützt,
richtet Dis covery den Fokus auf eine
durc hgehende Dig italis ierung der
Supply Chain für den Volkswagen-
Konzern mit seinen rund 8500
Lieferanten und Die nstleistern.
Rail Supply hingegen rich tet
sich an d en Bedürfnissen der
Bahnindustrie aus und soll die
Zusammenarbeit zwischen
Herstellern, Bah nbetreibern und
Zulieferern über eine gemeinsame
Web-Plat tform beschleunigen.
Über die L ogistikplattform
Transp oreon können Unternehmen
Transp ortaufträge an Speditio nen
verg eben. Dab ei spart die
elektronische Auftragsvergabe
nicht n ur Fracht- und Telefonkosten,
sondern soll zudem noch die
Lieferqualität verbessern.
ELEKTRONISCHER
AUSTAUSCH
Wie der Na me sch on sagt, steht
bei Verne tzungsplattformen
der Austausch zwischen allen
Partnern im Mittelpu nkt. Da mit
erm öglichen sie nicht nur effizientere
Prozesse, sondern sogar neue
kooper ative Geschäftsmodelle. So
ist b eispielsweise die Metallindustrie
stark auf Recyclingmaterial
angewiesen, und der Ma rkt um
den Ha ndel mit Altmetall bietet
enormes Dig italis ierungspotenti al.
Für die ökonomische Realisierung der
Kreislaufwirtschaft ist die Verne tzung
aller bet eiligten Unternehmen
wiederum ein entscheidender
Faktor. Hier setzt Scra ppel an: Die
B2B-Plat tform verne tzt Teilnehmer
der Kreislaufwirtschaft, indem
sie analog geprägte P rozesse in
ein dig itales Umfeld übersetzt.
Im Dialog könne n potentielle
Handelspar tner vertrauliche Details
wie Kaufbedingungen, Transport und
Zahlung vereinbaren. Ein anderes
Beispiel ist die Z entr ale Healthcare-
Plat tform ZHP.X3. Sie sorgt für
eine hochgradige Aut omatisierung
der Versorgungen für über 25
Millionen Versicherte bei rund 40
Krankenkassen. Sie s tellte dabei
die Basis f ür den elektronischen
Austausch mit mehr als 15 0 00
Leistungserbri ngern dar.
IMPRESSUM
Innovation im Mittelstand
Verlagsspezial der
FrankfurterAllgemeineZeitung GmbH
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6032 7Frankfurt am Main
Geschäftsführung:Peter Hintereder, Hannes Ludwig
Redaktion:Benjamin Kleeman-vonGersum,
JuliaHoscislawski(verantwortlich)
Layout:F.A.Z. Creative Solutions, Christian Küster
Autoren:Harald Czycholl, Michael Dörfler, Gian Hessami,
Carsten Kraus, DanielNill, Hadi Stiel
Verantwortlich für Anzeigen:Ingo Müller,www.faz.media
Weitere Angabensiehe Impressum auf Seite 4.
VOLLAUTOMATISIE RTE
PRODUKTION
Das Sa mmeln und die Analyse von
Masc hinen- und Anlagendaten
über Industrial-Interne t-of-Things
(IIoT)- Plattformen ermöglicht
effizientere Produktionsprozesse
in der Sma rt Factory sowie
Predictive Mai ntenance, also die
vorausschauende War tung, in
zahlreic hen Einsatzbereic hen. So
gesehen, i st IIoT eine Technologie
zur Vollautomatisierung von
Produktio nspr ozessen. Menschen
werden in let zter Konsequenz
irgendwann nur noch als Planer
und Überwacher benöti gt. E in
Beispiel für IIoT-Plat tformen ist
die ABB-Ability-Technologie-
Plat tform für die P lanung, den
Aufbau und den Bet rieb von
Industrieprozessen unter Einbezug
der Cloud-Technologie von
Microsoft Azure bis hin zum Einsatz
von Robotika utomation. Auch die
ADAMOS-Industrial-IoT-Plattform
ist branchenübergreifend
ausgerichtet. Da bei steht hinter
Adamos eine strategische Allianz
aus den Industrieunternehmen
DMG Mori, Dürr, Software AG,
Zeiss, ASM PT, Engel und Ka rl
Mayer. Ihr Ziel ist es, das Know how
aus Maschinenbau, Produktion
und Informationstechnik mit
hohe m Kundenmehrwert zu
bündeln und Standards für die
digi tale Produktion zu setzen.
FOTOELENABS/ISTOCK