2018 begann das Unternehmen, Lebensmittel-
überschüsse an andere Restaurants zu liefern.
Priorität ist jetzt, Lieferverträge mit Firmen-
kantinen abzuschließen. „Das Wichtigste für
uns sind größere Mengen“, so van Nimwegen.
„In solchen Einrichtungen kommen Tausende
Leute zum Mittagessen.“ Laut einem Regie-
rungsbericht ist es den Holländern gelungen,
die Lebensmittelverschwendung seit 2010 um
29 Prozent zu verringern; damit übertreffen sie
sogar die Briten.
Auswege
DER FALLE ZU ENTKOMMEN, in die wir mit der
linearen Wirtschaft geraten sind, zurück zu einer
Wirtschaft, die nach dem Vorbild der Natur funk-
tioniert, wird eine Menge „divergentes Denken“
erfordern, wie Psychologen es nennen. In Kopen-
hagen machte ich Station, um die neue städti-
sche Verbrennungsanlage zu bewundern, die
Müll in Energie verwandelt – und Wintersport-
fans glücklich macht: Auf ihrem Dach befindet
sich eine Skipiste. Doch mein eigentliches Ziel
war der Hafen der Provinzstadt Kalundborg, eine
Art Ikone der Kreislaufwirtschaft.
Dort saß ich in einem überfüllten Konferenz-
saal mit Managern von elf Industriebetrieben,
allesamt selbstständige Unternehmen, die mit
der „Kalundborg Symbiosis“ eine ungewöhnli-
che Partnerschaft eingegangen sind: Der Abfall
des einen wird zum Rohstoff des anderen. Der
Vorstandsvorsitzende der Kooperation, Michael
Hallgren, leitet ein Werk von Novo Nordisk, das
die Hälfte des weltweiten Insulinbedarfs pro-
duziert – und zusammen mit dem Schwester-
unternehmen Novozymes 300 000 Tonnen
Hefeabfall. Diese Schlämme werden zu einer
Bioenergieanlage nebenan transportiert und
dort von Mikroorganismen in Biogas verwandelt.
Die Anlage liefert Strom für 6000 Haushalte und
Dünger für fast 20 000 Hektar. Und das ist nur
die letzte von 22 Abfalltauschaktionen von Was-
ser, Energie und Materialien in Kalundborg.
Geplant sei das nicht gewesen, sagte Lisbeth
Randers, die Symbiosis-Koordinatorin der Stadt.
Das Projekt sei über vier Jahrzehnte gewachsen,
eine bilaterale Vereinbarung nach der anderen
getroffen worden. Ein Unternehmen, das Gips-
kartons produziert, siedelte sich in Kalund-
borg an, unter anderem, weil Abgas von der
Lebensmittelabfall automatisch um die Hälfte,
wenn sie auf ihre Abfalleimer „hörten“. Früh-
stücksbuffets seien berüchtigt, sagte er. Das
meiste, was übrig bleibe, werde entsorgt. „Wenn
man anfängt, das Problem zu messen, dann
fängt man auch an, es zu bewältigen“, so Zornes.
In seinem Konferenzraum führte Zornes den
intelligenten Abfalleimer vor. Demonstrations-
objekt ist ein Hühnerschenkel aus Plastik. Jedes
Mal, wenn ein Koch oder ein Kellner irgendet-
was in einen Winnow-Eimer wirft, misst eine
Waage das hinzugefügte Gewicht, und eine
Kamera macht ein Foto. Die KI-Software identi-
fiziert den neuen Abfall und zeigt die Kosten an.
Bei Ikea hat sie gelernt, drei Arten von Köttbullar
zu unterscheiden.
Einige Tage später war ich im InStock zu Gast,
einem Amsterdamer Restaurant mit ambitio-
nierter Küche aus geretteten Lebensmitteln. In
einem spärlich, aber gemütlich beleuchteten
Raum saß ich unter einem Holzschild, das das
„gerettete Essen“ beziffert: 780 054 Kilogramm.
Eine der Gründerinnen, Freke van Nimwe-
gen, setzte sich zu mir und erzählte mir ihre
Geschichte. Zwei Jahre nach Abschluss ihres
Wirtschaftsstudiums arbeitete van Nimwe-
gen für Albert Heijn, die größte holländische
Lebensmittelkette. Dort wurde sie sich des Prob-
lems der Lebensmittelverschwendung bewusst.
Als stellvertretende Leiterin eines Supermarkts
wollte sie etwas dagegen tun, aber es gelang ihr
nicht – Tafeln nahmen vielleicht etwas Brot
ab, aber nicht alle Produkte. Sie und zwei ihrer
Mitarbeiter hatten 2014 die Idee zu InStock und
überzeugten Albert Heijn davon, sie zu unter-
stützen. Die Köche im InStock improvisieren mit
dem, was kommt. Die Lebensmittel stammen
von Albert Heijn, aber auch von Produzenten
inklusive Bauern. „Es ist leicht, mit dem Finger
auf den Supermarkt zu zeigen“, sagte van Nim-
wegen. „Die ganze Versorgungskette, einschließ-
lich der Kunden – alle wollen, dass immer alles
vorrätig ist. Im Grunde sind wir verwöhnt. Die
Unternehmen wollen sich kein Nein erlauben.
Darum werden sie immer ein bisschen zu viel
vorrätig haben.“
Mit einem Pop-up-Restaurant begann es,
dann ging es weiter mit dem in Amsterdam und
zwei weiteren in Utrecht und Den Haag. Für van
Nimwegen wurde es jetzt interessant. „Wir hat-
ten gar nicht den Traum, eine Restaurantkette
zu gründen“, sagte sie. „Wir wollten etwas gegen
die Verschwendung unternehmen.“
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MINIMALER
MÜLL UND UMWELT-
VERSCHMUTZUNG
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Produkte
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ten so gut
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stoffe
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