200 km
NIGERIA
Lagos
Chibok
Yola
SAMBISA-
WALD
Abuja
NIGERIA
AFRIKA
ATLAN-
TISCHER
OZEAN
EUROPA
Später wurden sie auseinandergerissen. Inmitten der ver-
ängstigten Schülerinnen, die auf der offenen Ladefläche eines
Lkws zusammengepfercht wurden, hörte Patience Esther
leise fragen: „Was passiert jetzt?“ Dann sprang eine seitwärts
herunter. Auf einmal purzelten auch andere Mädchen hinaus
in die Dunkelheit. Sie riskierten dabei, von den Entführern
erschossen zu werden oder sich im unbekannten Wald zu
verirren. Patience schaute neben sich, aber Esther war weiter
ins Innere des Lkws gezerrt worden. Also schob sich Patience
näher an den Rand und sprang ohne Esther.
Seit fünf Jahren hatten anhaltende Rebellenunruhen im
Nordosten Nigerias die Region erschüttert und zur Schlie-
ßung der Schulen geführt. Im April 2014 war die Staatliche
Sekundarschule für Mädchen in Chibok zur Vorbereitung auf
die Abschlussprüfungen wiedereröffnet worden. Am 14. April
gegen 23 Uhr trieben ganze Lkw-Ladungen mit Kämpfern der
Terrormiliz Boko Haram, grob übersetzt „Westliche Bildung
ist Sünde“, 276 Mädchen aus ihren Zimmern auf Lastwagen
und fuhren in Richtung Sambisa-Wald. Das Naturschutzge-
biet dient der Dschihadistengruppe für ihren blutigen Kampf
gegen die Regierung als Rückzugsort.
Gleich nach dem Überfall startete unter dem Hashtag
#BringBackOurGirls eine internationale Kampagne, unter-
stützt von der damaligen First Lady der USA, Michelle
Obama. Chibok, vor der Entführung ein abgelegenes, unbe-
deutendes Städtchen, wurde zum Symbol für einige der größ-
ten Probleme Nigerias – Korruption, mangelnde Sicherheit,
Unsichtbarkeit der Armen. Die Medien berichteten über jede
Entwicklung: die Flucht von 57 Mädchen gleich am Anfang;
das Martyrium der zehn Mädchen, die an verschiedene Schu-
len in den USA gekommen waren; die von Boko Haram in
Umlauf gebrachten Videos gefangener Mädchen, die mit
Amina Ali, die dieses
Foto verziert hat, wurde
2016 im Waldschutz-
gebiet Sambisa von
einer Zivilpatrouille auf-
gefunden. Sie war die
erste gerettete Schüle-
rin. Im selben Jahr han-
delte die Regierung die
Freilassung von 21 Mäd-
chen aus. 2017 folgte
die von weiteren 82.
KARTE: NGM MAPS
PATIENCE BULUS UND ESTHER
JOSHUA HIELTEN SICH AN DEN
HÄNDEN, ALS MAN SIE MIT
VORGEHALTENER WAFFE AUS
IHREM ZIMMER FÜHRTE.
88 NATIONAL GEOGRAPHIC